Fachartikel Konventionelle Kraftwerke , Messtechnik

Präzise Abschät­zung des Schnee­wassers

Bedeutung und Monitoring

01.02.2021

Das im Schnee gebundene Wasser ist in den hoch­alpinen Einzugs­gebie­ten eine bedeu­tende Grösse für die Prognosen des Speicher­zuflusses. Aber Schnee hat eine zeitlich und räumlich hoch variable Ausprägung. Wie kann ein tägliches Monito­ring zuverlässig umgesetzt werden? Und welche Mess­systeme sind hierfür geeignet?

Ein Drittel des Niederschlags in der Schweiz fällt in Form von Schnee. Das im Schnee enthaltene Wasser hat hierbei ein Volumen von geschätzten 20 Milliarden m3 und ist damit nicht nur ein wichtiger Faktor in der Wasserbilanz, sondern auch für die Wasserkraft, zum Beispiel in Hinblick auf die Bewirt­schaftung der Speicher und die Absicherung der erwarteten Produktion.[1] Doch bedingt durch die klima­tischen Verände­rungen verändern sich nicht nur die Schneefälle in ihrer Ausprägung, sondern auch die horizontalen und vertikalen Ausdeh­nungen der Schneedecke sowie die Dichte des Schnees.[2] Um solche Änderungen zu erkennen und zu quantifizieren, sind räumlich und zeitlich hoch­aufgelöste Informationen über den Zustand der Schneedecke essenziell.

Herausforderung Schneewasser

Insbesondere die Bestimmung des Schneewassers über das Schneewasseräquivalent (SWE, snow water equivalent) in komplexen bergigen Regionen zählt zu einer der grössten Herausforderungen im Bereich der alpinen Hydrologie.[3, 4]

Die Verteilungsmuster vom SWE können mit den bestehenden Ansätzen nur bedingt abgebildet werden – sei es bezüglich der räumlichen Detailgenauigkeit, der Aktualität der Messungen oder der Wider­spiegelung geländebedingter Variationen. Stationsmessungen erlauben hochpräzise Messungen für viele Schnee­variablen und können die zeitliche Variabilität sehr gut abbilden, sind aber nur Messungen an einem Punkt und sind aufgrund der geografischen Verteilung der Stationen für eine Charak­terisierung der klein­räumlichen Variabilität nur sehr eingeschränkt geeignet.[2, 5] Das SWE wird aber aus verschiedenen Gründen grösstenteils manuell erfasst, wobei diese wertvollen Messungen je nach Standort bereits seit über 70 Jahren erhoben werden. Die Anzahl dieser Messpunkte ist aber relativ niedrig, auch wenn sie durch weitere lokale SWE-Messungen vom SLF (WSL-Institut für Schnee- und Lawinen­forschung) und dem Schweizer Gletscher­messnetz (Glamos) ergänzt werden.

In diesem Zusammen­hang werden zunehmend Daten der Erdbeobachtung (earth observation, EO) verwendet, da diese die notwendige hohe räumliche und zeitliche Auflösung für eine flächen­deckende Kartierung aufweisen.[6, 7]

Während für lokale Auswer­tungen vor allem flugzeug­gestützte Verfahren und Drohnen­befliegungen eingesetzt werden, kann die aktuelle Generation von Satelliten auch die SWE-Kartierung für ganze Gebirgsketten unterstützen.

Nachfolgend wird ein innovativer Ansatz vorgestellt, wie mit der synergetischen Verwendung verschiedener Satellitendaten, neuer Sensorik für Geländemessungen und komplexer Massen­bilanz­modellie­rung eine signifikante Verbes­serung der grossflächigen SWE-Kartierung erzielt werden kann.

Ein Drei-Komponenten-Modell

Um die SWE-Messungen im Gelände zu optimieren, sowohl in Hinblick auf eine automatisierte, direkte Messung als auch in Bezug auf die Mess­geschwin­digkeit und Einsatzbreite, hat das norwegische Unternehmen Think Outside ein neues Messsystem (Bild 1) entwickelt. Dieses basiert auf einer Radar­techno­logie, die hochgenaue Messungen der Schneehöhe, Schneedichte und des SWE ermöglicht.

Im Gegensatz zu anderen Radarsystemen ist die Sensorik hierbei so konzipiert, dass tatsächlich die Geschwin­digkeit an jedem Messpunkt erfasst wird und somit eine genaue Beurteilung sowohl der Schneehöhe als auch der Trocken­schnee­dichte möglich ist. Zusätzlich werden auch Amplitude und Frequenz­dämpfung des empfangenen Signals erfasst, um Schätzungen des Flüssig­wasser­gehalts zu erhalten.

Diese Eigenschaften erlauben eine umfassende Berechnung des SWE sowohl in trockenem als auch in nassem Schnee. Durch die Möglichkeit der vertikalen Differen­zierung des empfangenen Signals kann für jede homogene Schicht im Schneekörper eine genaue Beurteilung des SWE und der Schmelzraten erfolgen. Das System ist leicht genug für eine Installation am Ski oder für die Integration in Drohnensysteme, um auch eine Erfassung in unsicheren oder schwer zugänglichen Regionen zu ermöglichen.

Das verwendete Massen­bilanz­modell wird vom österrei­chischen Wetterdienst Ubimet zur Verfügung gestellt. Dabei werden Schneemasse, Schneedichte und Schneehöhe unter Berück­sichtigung von Neuschnee, Setzung und Abschmelzung stündlich und unabhängig von den Werten benachbarter Gitterpunkte aktualisiert (Bild 2). Zudem kann bei diesem Schneemodell die räumliche Auflösung beliebig definiert werden. Hierbei wird das Schneemodell basierend auf einem physikalischen und statistischen Down­scaling der relevanten meteorologischen Grössen wie Temperatur, Feuchte, Wind, Niederschlag und Strahlung betrieben. Das Down­scaling schliesst dabei auch komplexere Vorgänge wie zum Beispiel ein markantes Absenken der Schnee­fall­grenze durch Entzug der Schmelz­wärme aus der Luft bei hohen Nieder­schlags­raten und geringen Windgeschwindigkeiten mit ein. Im operatio­nellen Modus wird das Schneemodell mit analysierten Wetter­daten bis zur Gegenwart berechnet, wobei einmal am Tag eine Kalibrierung mit qualitäts­kontrol­lierten Stations­beobach­tungen durchgeführt wird. Für Prognosen werden die Zustands­grössen des Schneemodells ausgehend vom aktuellen Zustand mit den erwähnten meteo­rologischen Prognose­feldern iterativ weiter­entwickelt.

Um die raum-zeitliche SWE-Verteilung auch für grossflächige Frage­stellungen abbilden zu können, werden neben der In-situ und der Modell-Komponente auch noch Erdbeo­bachtungs­daten nichtkommerzieller Satelliten­missionen verwendet.

Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Aufnahme­systeme hinsichtlich ihrer räumlichen und zeitlichen Auflösung sowie in dem ableitbaren Informations­gehalt der jeweiligen Messungen. Um diese Eigenschaften optimal zu kombinieren, hat das Schweizer Spin-off ExoLabs ein Multisensor-Modell mit Methoden des maschinellen Lernens entwickelt. Dies erlaubt nicht nur, Einschränkungen durch intensive Wolkenbedeckung oder Sensorartefakte auszugleichen, sondern auch eine Produktgenerierung mit 20 m räumlicher Auflösung und in near real-time (NRT), d. h., mit einer zeitlichen Differenz zwischen Satel­liten­aufnahme und Produkt­gene­rierung von weniger als einem Tag. Die Tabelle listet hierbei die verwendeten Satelliten mit den jeweiligen räumlichen und zeitlichen Spezifi­kationen auf.

Neben diesen drei Haupt­kompo­nenten werden noch weitere Informa­tionen integriert. Die Grundlage für die topografischen Auswer­tungen bilden die verschiedenen frei verfügbaren Gelände- und Oberflächenmodelle.

Primär fand hierbei das Global Digital Surface Model «Alos World 3D – 30m» Verwendung, da bisherige Studien auf die bessere Qualität gegenüber den ebenfalls gebräuchlichen «SRTM GL1 – 30 m» und «Aster GDEM – 30 m» verweisen.[8] In Regionen mit deutlichen Anomalien im Alos World 3D wurde ein Modell entwickelt, um ein synerge­tisches Produkt basierend auf den SRTM GL1 und dem Aster GDEM zu berechnen. Für die Kalibrierung und Validierung unseres Ansatzes wurden zudem Daten verschiedener nationaler und internationaler Messnetze verwendet.

Eine neue Stufe der SWE-Kartierung

Der entwickelte Ansatz zur grossflächigen SWE-Erfassung verknüpft die verschiedenen Satelliten­daten mit den Infor­mationen aus dem Massen­bilanz­modell und verfügbarer In-situ-Messungen unter Berücksichtigung der topografischen Einflüsse.

Zunächst wurde ein Basismodell basierend auf den digitalen Gelände- und Oberflächenmodellen berechnet, das den Zusam­men­hang zwischen den verschiedenen Reliefelementen und der Schneehöhenverteilung sowie der Strahlungsbilanz widerspiegelt. Dazu wurden Referenz­infor­mationen über die Schneehöhen (als eine wichtige Variable für die SWE-Abschätzung) mit verschie­denen topografischen Merkmalen (z. B. Hangneigung, Hangorientierung und Windexposition) räumlich verschnitten. Die resultierenden Regressions­modelle verdeutlichen die jeweiligen durch­schnitt­lichen Zusam­menhänge.

Basierend auf den absoluten Schnee­höhen wurde hierbei der Normali­sierungs­koeffizient berechnet. Dieser gibt an, ob und in welcher Grössen­ordnung die Verteilung der Schneehöhen in Hinblick auf den Einfluss der Hang­neigung/Hang­exposition optimiert werden kann. Dieses Vorgehen wurde für alle topografischen Merkmale bzw. Reliefelemente durchgeführt. Die resultierenden Infor­mations­ebenen der Normali­sierungs­koeffi­zienten wurden nachfolgend kombiniert, womit für jeden Bildpunkt (Pixel) die Information über die mittlere Schnee­höhen­abweichung in Bezug auf die klein­räumliche Topografie berechnet werden konnte. Dieser Kombi­nations­layer wurde dann als statische Eingangsgrösse in das Modell zur SWE-Bestimmung integriert.

In einem weiteren Schritt wurden die direkten boden­gestützten SWE-Messungen des mobilen Mess­systems von Think Outside sowie die verfügbaren Messwerte der Stations­daten in eine flächen­deckende Repräsen­tation überführt. Dieser Vorgang basierte auf einem genera­lisierten additiven Modell unter Berück­sichtigung der digitalen Gelände- und Oberflächenmodelle des oben beschriebenen topo­grafischen Kombi­nations­layers und der klimatischen sowie aktuellen Schneegrenze basierend auf den Schnee­produkten von ExoLabs. Diese Informationen fliessen dann in das physikalische Schneemodell von Ubimet ein, das auf der Grundlage der hochpräzisen Bodenmessungen und der räumlich expliziten Satelliten­produkte eine konti­nuierliche Rekali­brierung durchläuft.

Um die kleinräumigen Variationen in der Schneebedeckung abzubilden, wurde in einem letzten Schritt die räumlich hoch­aufgelöste direkte Kartierung der Schnee­bedeckung mittels Satelliten­daten integriert. Damit konnten nicht nur vereinzelte Schneeflächen unterhalb bzw. schneefreie Gebiete oberhalb der Schneegrenze detektiert werden, sondern auch die Erfassung einer möglichen Schneebedeckung und zugehörigem SWE in Waldgebieten erfolgen.

Da direkte SWE-Erhebungen schwierig und aufwendig sind, ist eine flächendeckende Validierung dieser neuen SWE-Produkte noch ausstehend, soll aber in den kommenden Monaten mit gezielten Gelände­kampagnen umgesetzt werden.

Die ersten Vergleiche mit punktuellen Messungen deuten aber darauf hin, dass diese neue Generation von SWE-Produkten mit ihrer Genauigkeit und der sehr hohen zeit-räumlichen Auflösung nicht nur zusätzliche Einsatz- und Anwendungs­gebiete eröffnet, sondern auch die bestehenden Modelle für die Schnee- und Schmelz­wasser­prognose entscheidend verbessern könnte.

Eine räumlich präzise und zeitlich hoch­aufgelöste SWE-Kartierung bleibt trotz der guten Ergebnisse des vorge­stellten Ansatzes nach wie vor eine grosse Heraus­forderung. Um den vorgestellten Ansatz weiter zu verbessern, sind z. B. die Integration von lokalen Windmustern und der tages- und jahreszeitlichen Dynamiken der Sonnen­einstrah­lung logische nächste Schritte, die die Autoren in dem von der Europäischen Union geförderten Projekt Snowi (Eigenschreibweise SNOWi) umsetzen wollen.

Referenzen

[1] «Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer. Synthesebericht zum Projekt ‹Klimaänderung und Hydrologie in der Schweiz›» (CCHydro), Bundesamt für Umwelt, Bern, Umwelt-Wissen, 2012, Vol. 1217, S. 1–76.

[2] C. Noetzli, Y. Bühler, D. Lorenzi, A. Stoffel, M. Rohrer (2019). «Schneedecke als Wasserspeicher», Wasser Energie Luft, Vol. 111 (3), S.153–157.

[3] C. Largeron, M. Dumont, S. Morin, A. Boone, M. Lafaysse, S. Metref, E. Cosme, T. Jonas, A. Winstral, S.A. Margulis, «Toward snow cover estimation in mountainous areas using modern data assimilation methods: a review», Frontiers in Earth Science, 2020, Vol. 8, S. 325–346.

[4] T. Grünewald, M. Schirmer, R. Mott, M. Lehning, «Spatial and temporal variability of snow depth and SWE in a small mountain catchment», The Cryosphere, 2010, Vol. 4, S.215–225.

[5] Beschreibung automatischer Stationen.

[6] L. Gregorio, D. Günther, M. Callegari, U. Strasser, M. Zebisch, L. Bruzzone, C. Notarnicola, «Improving SWE Estimation by Fusion of Snow Models with Topographic and Remotely Sensed Data», Remote Sensing, 2019, Vol. 11 (2033), S.1–23.

[7] Z. Zheng, N.P. Molotch, C.A. Oroza, M.H. Conklin, R.C. Bales, «Spatial snow water equivalent estimation for mountainous areas using wireless-sensor networks and remote-sensing products», Remote Sensing of Environment, 2018, Vol. 215, S. 44-56.

[8] I. Florinsky, T. Skrypitsyna, O. Luschikova, «Comparative accuracy of the AW3D30 DSM, ASTER GDEM, and SRTM1 DEM: A case study on the zaoksky testing ground, central european Russia», Remote Sensing Letters, 2018, Vol. 9 (7), S. 706–714.

Autor
Dr. Reik Leiterer

ist CEO von ExoLabs.

  • ExoLabs GmbH, 8032 Zürich
Autor
Dr. Wayne Stasinowsky

ist CTO von Think Outside.

  • Think Outside, NO-5096 Bergen
Autor
Dr. Dieter Mayer

ist leitender Wissenschaftler bei Ubimet.

  • Ubimet GmbH, AT-1220 Wien

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