Präzise Abschätzung des Schneewassers
Bedeutung und Monitoring
Das im Schnee gebundene Wasser ist in den hochalpinen Einzugsgebieten eine bedeutende Grösse für die Prognosen des Speicherzuflusses. Aber Schnee hat eine zeitlich und räumlich hoch variable Ausprägung. Wie kann ein tägliches Monitoring zuverlässig umgesetzt werden? Und welche Messsysteme sind hierfür geeignet?
Ein Drittel des Niederschlags in der Schweiz fällt in Form von Schnee. Das im Schnee enthaltene Wasser hat hierbei ein Volumen von geschätzten 20 Milliarden m3 und ist damit nicht nur ein wichtiger Faktor in der Wasserbilanz, sondern auch für die Wasserkraft, zum Beispiel in Hinblick auf die Bewirtschaftung der Speicher und die Absicherung der erwarteten Produktion.[1] Doch bedingt durch die klimatischen Veränderungen verändern sich nicht nur die Schneefälle in ihrer Ausprägung, sondern auch die horizontalen und vertikalen Ausdehnungen der Schneedecke sowie die Dichte des Schnees.[2] Um solche Änderungen zu erkennen und zu quantifizieren, sind räumlich und zeitlich hochaufgelöste Informationen über den Zustand der Schneedecke essenziell.
Herausforderung Schneewasser
Insbesondere die Bestimmung des Schneewassers über das Schneewasseräquivalent (SWE, snow water equivalent) in komplexen bergigen Regionen zählt zu einer der grössten Herausforderungen im Bereich der alpinen Hydrologie.[3, 4]
Die Verteilungsmuster vom SWE können mit den bestehenden Ansätzen nur bedingt abgebildet werden – sei es bezüglich der räumlichen Detailgenauigkeit, der Aktualität der Messungen oder der Widerspiegelung geländebedingter Variationen. Stationsmessungen erlauben hochpräzise Messungen für viele Schneevariablen und können die zeitliche Variabilität sehr gut abbilden, sind aber nur Messungen an einem Punkt und sind aufgrund der geografischen Verteilung der Stationen für eine Charakterisierung der kleinräumlichen Variabilität nur sehr eingeschränkt geeignet.[2, 5] Das SWE wird aber aus verschiedenen Gründen grösstenteils manuell erfasst, wobei diese wertvollen Messungen je nach Standort bereits seit über 70 Jahren erhoben werden. Die Anzahl dieser Messpunkte ist aber relativ niedrig, auch wenn sie durch weitere lokale SWE-Messungen vom SLF (WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung) und dem Schweizer Gletschermessnetz (Glamos) ergänzt werden.
In diesem Zusammenhang werden zunehmend Daten der Erdbeobachtung (earth observation, EO) verwendet, da diese die notwendige hohe räumliche und zeitliche Auflösung für eine flächendeckende Kartierung aufweisen.[6, 7]
Während für lokale Auswertungen vor allem flugzeuggestützte Verfahren und Drohnenbefliegungen eingesetzt werden, kann die aktuelle Generation von Satelliten auch die SWE-Kartierung für ganze Gebirgsketten unterstützen.
Nachfolgend wird ein innovativer Ansatz vorgestellt, wie mit der synergetischen Verwendung verschiedener Satellitendaten, neuer Sensorik für Geländemessungen und komplexer Massenbilanzmodellierung eine signifikante Verbesserung der grossflächigen SWE-Kartierung erzielt werden kann.
Ein Drei-Komponenten-Modell
Um die SWE-Messungen im Gelände zu optimieren, sowohl in Hinblick auf eine automatisierte, direkte Messung als auch in Bezug auf die Messgeschwindigkeit und Einsatzbreite, hat das norwegische Unternehmen Think Outside ein neues Messsystem (Bild 1) entwickelt. Dieses basiert auf einer Radartechnologie, die hochgenaue Messungen der Schneehöhe, Schneedichte und des SWE ermöglicht.
Im Gegensatz zu anderen Radarsystemen ist die Sensorik hierbei so konzipiert, dass tatsächlich die Geschwindigkeit an jedem Messpunkt erfasst wird und somit eine genaue Beurteilung sowohl der Schneehöhe als auch der Trockenschneedichte möglich ist. Zusätzlich werden auch Amplitude und Frequenzdämpfung des empfangenen Signals erfasst, um Schätzungen des Flüssigwassergehalts zu erhalten.
Diese Eigenschaften erlauben eine umfassende Berechnung des SWE sowohl in trockenem als auch in nassem Schnee. Durch die Möglichkeit der vertikalen Differenzierung des empfangenen Signals kann für jede homogene Schicht im Schneekörper eine genaue Beurteilung des SWE und der Schmelzraten erfolgen. Das System ist leicht genug für eine Installation am Ski oder für die Integration in Drohnensysteme, um auch eine Erfassung in unsicheren oder schwer zugänglichen Regionen zu ermöglichen.
Das verwendete Massenbilanzmodell wird vom österreichischen Wetterdienst Ubimet zur Verfügung gestellt. Dabei werden Schneemasse, Schneedichte und Schneehöhe unter Berücksichtigung von Neuschnee, Setzung und Abschmelzung stündlich und unabhängig von den Werten benachbarter Gitterpunkte aktualisiert (Bild 2). Zudem kann bei diesem Schneemodell die räumliche Auflösung beliebig definiert werden. Hierbei wird das Schneemodell basierend auf einem physikalischen und statistischen Downscaling der relevanten meteorologischen Grössen wie Temperatur, Feuchte, Wind, Niederschlag und Strahlung betrieben. Das Downscaling schliesst dabei auch komplexere Vorgänge wie zum Beispiel ein markantes Absenken der Schneefallgrenze durch Entzug der Schmelzwärme aus der Luft bei hohen Niederschlagsraten und geringen Windgeschwindigkeiten mit ein. Im operationellen Modus wird das Schneemodell mit analysierten Wetterdaten bis zur Gegenwart berechnet, wobei einmal am Tag eine Kalibrierung mit qualitätskontrollierten Stationsbeobachtungen durchgeführt wird. Für Prognosen werden die Zustandsgrössen des Schneemodells ausgehend vom aktuellen Zustand mit den erwähnten meteorologischen Prognosefeldern iterativ weiterentwickelt.
Um die raum-zeitliche SWE-Verteilung auch für grossflächige Fragestellungen abbilden zu können, werden neben der In-situ und der Modell-Komponente auch noch Erdbeobachtungsdaten nichtkommerzieller Satellitenmissionen verwendet.
Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Aufnahmesysteme hinsichtlich ihrer räumlichen und zeitlichen Auflösung sowie in dem ableitbaren Informationsgehalt der jeweiligen Messungen. Um diese Eigenschaften optimal zu kombinieren, hat das Schweizer Spin-off ExoLabs ein Multisensor-Modell mit Methoden des maschinellen Lernens entwickelt. Dies erlaubt nicht nur, Einschränkungen durch intensive Wolkenbedeckung oder Sensorartefakte auszugleichen, sondern auch eine Produktgenerierung mit 20 m räumlicher Auflösung und in near real-time (NRT), d. h., mit einer zeitlichen Differenz zwischen Satellitenaufnahme und Produktgenerierung von weniger als einem Tag. Die Tabelle listet hierbei die verwendeten Satelliten mit den jeweiligen räumlichen und zeitlichen Spezifikationen auf.
Neben diesen drei Hauptkomponenten werden noch weitere Informationen integriert. Die Grundlage für die topografischen Auswertungen bilden die verschiedenen frei verfügbaren Gelände- und Oberflächenmodelle.
Primär fand hierbei das Global Digital Surface Model «Alos World 3D – 30m» Verwendung, da bisherige Studien auf die bessere Qualität gegenüber den ebenfalls gebräuchlichen «SRTM GL1 – 30 m» und «Aster GDEM – 30 m» verweisen.[8] In Regionen mit deutlichen Anomalien im Alos World 3D wurde ein Modell entwickelt, um ein synergetisches Produkt basierend auf den SRTM GL1 und dem Aster GDEM zu berechnen. Für die Kalibrierung und Validierung unseres Ansatzes wurden zudem Daten verschiedener nationaler und internationaler Messnetze verwendet.
Eine neue Stufe der SWE-Kartierung
Der entwickelte Ansatz zur grossflächigen SWE-Erfassung verknüpft die verschiedenen Satellitendaten mit den Informationen aus dem Massenbilanzmodell und verfügbarer In-situ-Messungen unter Berücksichtigung der topografischen Einflüsse.
Zunächst wurde ein Basismodell basierend auf den digitalen Gelände- und Oberflächenmodellen berechnet, das den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Reliefelementen und der Schneehöhenverteilung sowie der Strahlungsbilanz widerspiegelt. Dazu wurden Referenzinformationen über die Schneehöhen (als eine wichtige Variable für die SWE-Abschätzung) mit verschiedenen topografischen Merkmalen (z. B. Hangneigung, Hangorientierung und Windexposition) räumlich verschnitten. Die resultierenden Regressionsmodelle verdeutlichen die jeweiligen durchschnittlichen Zusammenhänge.
Basierend auf den absoluten Schneehöhen wurde hierbei der Normalisierungskoeffizient berechnet. Dieser gibt an, ob und in welcher Grössenordnung die Verteilung der Schneehöhen in Hinblick auf den Einfluss der Hangneigung/Hangexposition optimiert werden kann. Dieses Vorgehen wurde für alle topografischen Merkmale bzw. Reliefelemente durchgeführt. Die resultierenden Informationsebenen der Normalisierungskoeffizienten wurden nachfolgend kombiniert, womit für jeden Bildpunkt (Pixel) die Information über die mittlere Schneehöhenabweichung in Bezug auf die kleinräumliche Topografie berechnet werden konnte. Dieser Kombinationslayer wurde dann als statische Eingangsgrösse in das Modell zur SWE-Bestimmung integriert.
In einem weiteren Schritt wurden die direkten bodengestützten SWE-Messungen des mobilen Messsystems von Think Outside sowie die verfügbaren Messwerte der Stationsdaten in eine flächendeckende Repräsentation überführt. Dieser Vorgang basierte auf einem generalisierten additiven Modell unter Berücksichtigung der digitalen Gelände- und Oberflächenmodelle des oben beschriebenen topografischen Kombinationslayers und der klimatischen sowie aktuellen Schneegrenze basierend auf den Schneeprodukten von ExoLabs. Diese Informationen fliessen dann in das physikalische Schneemodell von Ubimet ein, das auf der Grundlage der hochpräzisen Bodenmessungen und der räumlich expliziten Satellitenprodukte eine kontinuierliche Rekalibrierung durchläuft.
Um die kleinräumigen Variationen in der Schneebedeckung abzubilden, wurde in einem letzten Schritt die räumlich hochaufgelöste direkte Kartierung der Schneebedeckung mittels Satellitendaten integriert. Damit konnten nicht nur vereinzelte Schneeflächen unterhalb bzw. schneefreie Gebiete oberhalb der Schneegrenze detektiert werden, sondern auch die Erfassung einer möglichen Schneebedeckung und zugehörigem SWE in Waldgebieten erfolgen.
Da direkte SWE-Erhebungen schwierig und aufwendig sind, ist eine flächendeckende Validierung dieser neuen SWE-Produkte noch ausstehend, soll aber in den kommenden Monaten mit gezielten Geländekampagnen umgesetzt werden.
Die ersten Vergleiche mit punktuellen Messungen deuten aber darauf hin, dass diese neue Generation von SWE-Produkten mit ihrer Genauigkeit und der sehr hohen zeit-räumlichen Auflösung nicht nur zusätzliche Einsatz- und Anwendungsgebiete eröffnet, sondern auch die bestehenden Modelle für die Schnee- und Schmelzwasserprognose entscheidend verbessern könnte.
Eine räumlich präzise und zeitlich hochaufgelöste SWE-Kartierung bleibt trotz der guten Ergebnisse des vorgestellten Ansatzes nach wie vor eine grosse Herausforderung. Um den vorgestellten Ansatz weiter zu verbessern, sind z. B. die Integration von lokalen Windmustern und der tages- und jahreszeitlichen Dynamiken der Sonneneinstrahlung logische nächste Schritte, die die Autoren in dem von der Europäischen Union geförderten Projekt Snowi (Eigenschreibweise SNOWi) umsetzen wollen.
Referenzen
[1] «Auswirkungen der Klimaänderung auf Wasserressourcen und Gewässer. Synthesebericht zum Projekt ‹Klimaänderung und Hydrologie in der Schweiz›» (CCHydro), Bundesamt für Umwelt, Bern, Umwelt-Wissen, 2012, Vol. 1217, S. 1–76.
[2] C. Noetzli, Y. Bühler, D. Lorenzi, A. Stoffel, M. Rohrer (2019). «Schneedecke als Wasserspeicher», Wasser Energie Luft, Vol. 111 (3), S.153–157.
[3] C. Largeron, M. Dumont, S. Morin, A. Boone, M. Lafaysse, S. Metref, E. Cosme, T. Jonas, A. Winstral, S.A. Margulis, «Toward snow cover estimation in mountainous areas using modern data assimilation methods: a review», Frontiers in Earth Science, 2020, Vol. 8, S. 325–346.
[4] T. Grünewald, M. Schirmer, R. Mott, M. Lehning, «Spatial and temporal variability of snow depth and SWE in a small mountain catchment», The Cryosphere, 2010, Vol. 4, S.215–225.
[5] Beschreibung automatischer Stationen.
[6] L. Gregorio, D. Günther, M. Callegari, U. Strasser, M. Zebisch, L. Bruzzone, C. Notarnicola, «Improving SWE Estimation by Fusion of Snow Models with Topographic and Remotely Sensed Data», Remote Sensing, 2019, Vol. 11 (2033), S.1–23.
[7] Z. Zheng, N.P. Molotch, C.A. Oroza, M.H. Conklin, R.C. Bales, «Spatial snow water equivalent estimation for mountainous areas using wireless-sensor networks and remote-sensing products», Remote Sensing of Environment, 2018, Vol. 215, S. 44-56.
[8] I. Florinsky, T. Skrypitsyna, O. Luschikova, «Comparative accuracy of the AW3D30 DSM, ASTER GDEM, and SRTM1 DEM: A case study on the zaoksky testing ground, central european Russia», Remote Sensing Letters, 2018, Vol. 9 (7), S. 706–714.
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