Fachartikel Erneuerbare Energien

Das Potenzial für PV alleine nützt nichts

Energiezukunft

14.06.2023

Praktiker können das Gerede über die Potenziale von Solarstrom in den Alpen, auf Seen und auf Infra­struktur­flächen und Gebäuden in 2050 fast nicht mehr hören. Die Kunden der Elektri­zitäts­wirt­schaft wollen nicht Potenzial kaufen, sondern die preis­günstigste und umwelt­freund­lichste kWh Solarstrom. Was lässt sich also heute über mögliche Preis­korridore aussagen?

Im globalen PV-Gross­anlagenbau werden Strom­gestehungs­kosten bis hinunter auf 1 $-cent pro kWh berichtet, wie für das 2-GW-Solarkraftwerk Al Dhafra, Vereinigte Arabische Emirate, bei einer Inves­titions­summe von 1 Mrd $. Dies stellt nicht nur grosse Gas- oder Kern­kraft­werke bezüglich Kosten in den Schatten, sondern auch die gesamte zugebaute Solarleistung in der Schweiz für dieses Jahr, die etwa halb so gross ist. In Deutschland wurde im Frühjahr dieses Jahres auch 2-GW-PV-Leistung für Freiflächen im Korridor von 200 m neben Verkehrs­wegen ausge­schrieben. Der Streifen wird in diesem Jahr auf 500 m ausgeweitet. In diesem Bieterverfahren wurde aktuell in Deutschland ein mengen­gewichteter Durch­schnitts­preis von 7,1 €-cent pro kWh Solarstrom erzielt. Das Bundesamt für Energie berichtet im Januar 2023 vom Ergebnis der PV-Aus­schreibung ohne Eigenverbrauch in der Schweiz mit Geboten von 360 bis 640 CHF pro kW und einem durch­schnitt­lichen mengen­gewichteten Zuschlagswert von 516 CHF/kW.

Die letzte PV-Preisbeobachtung veröffentlichte das BFE für das Jahr 2021, wobei PV-Kraftwerke mit 1 MW Leistung einen Medianpreis von 1075 CHF/kW Investitions­kosten verzeichneten, was auf Strom­geste­hungs­kosten von etwa 7 Rp. pro kWh schliessen lässt. Konven­tionelle PV-Kraftwerke mit Eigen­verbrauch unter 100 kW erhalten 2023 in der Schweiz eine Einmal­ver­gütung von 450 CHF/kW. Im letzten Jahr haben Dienstleister in der Schweiz 20 Rp./kWh für Solarstrom von kleineren PV-Anlagen unter 200 kW bezahlt und den Strom an der Strombörse (Swissix) vermarktet, wobei der Referenz­marktpreis des BFE gemäss Solarmotion bei 24 Rp. lag. Der PV-Markt funktioniert also. Es wird auch im nächsten Jahr ein Wachstum im konven­tionellen PV-Massenmarkt zu verzeichnen sein – im dominanten Haushalts­segment von 10 bis 30 kW wie auch bei betrieblichen Anlagen zwischen 300 und 1000 kW.

Erlaubt die Winter­strom­lücke jeden Strompreis?

Es ist zu erwarten, dass auch im Winter der Wettbewerb auf der Kostenseite gilt. Was die Frage aufwirft, wo die PV gebaut werden soll, wenn der Windkraftzubau faktisch bis zur Bedeutungs­losigkeit verhindert wird. Wie der Branchen­verband Swissolar in seinem Positions­papier März 2023 dazu ausführt, werden im Winterhalbjahr 2023/24 allein die PV-Kraftwerke der Schweiz 1,4 TWh bereitstellen, was damit etwa den Produktions­ausfall des stillgelegten KKW Mühleberg in diesem Zeitraum kompensiert. Der Verband sieht aber ein vergleichbares jährliches TWh-Potenzial in den alpinen PV-Kraftwerken sowie in Gebäude­fassaden einschliesslich dem Potenzial für Agri-PV für das Jahr 2050, wobei dann ⅔ der Solarmodule auf Gebäudedächern installiert sein sollen.

In der Schweiz stehen also Projekt­entwickler und Investoren vor der Frage, ob sie für etwa 35 Mio. CHF lieber ein 40-MW-PV-Kraftwerk im Mittelland oder ein 10-MW-Kraftwerk in den Alpen bauen. Denn heute sind noch keine belastbaren Performance-Studien bekannt, die von einer viermal so hohen Solar­strom­produktion in den Alpen ausgehen im Vergleich zum Mittelland. In einer Detailanalyse für einen Schweizer Energie­versorger konnten wir einen Faktor 2 für den Mehrertrag für PV-Strom auf einem Testfeld auf 2000 m im Raum Davos von November bis Mai gegenüber dem Zürcher Mittelland ermitteln (Paper von F. Carigiet et al., EU PV Conference, 2021). Die Jahres­produktion lag zwischen einem Drittel und der Hälfte höher als im Mittelland, je nach Konfiguration der Montage und Modultyp. Wegen diesen physikalischen Rand­bedin­gungen müssten also die Realisierungs­kosten der alpinen Gross­kraftwerke fast um die Hälfte sinken, sodass nur noch Mehrkosten zum Mittelland von ca. 50% bestehen blieben. Die Ingenieure sind gefragt, die für die höheren Wind- und Schneelasten benötigten robusten und zugleich kostengünstigen Unter­konstruk­tionen zu realisieren. Die Arbeitskosten und die Logistik des Baus dieser vielen Einzel­kompo­nenten auf 2000 m müssen im Vergleich zu Lawinen­verbauungen deutlich gesenkt werden. Bezüglich der effektiven Wirt­schaft­lichkeit dieser ersten MW-Anlagen im alpinen Raum bleibt es nach wie vor spannend. Projektentwickler bauen neue Geschäfts­modelle langfristig ungern nur auf unrealistische Subventions­stützung über Jahre auf, auch wenn sie anfangs Pilotprojekte vorfinanzieren, um sie genauer zu analysieren.

Economy of Scale im Mittelland

Die bisherige Erfahrung der globalen PV-Industrie der letzten drei Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Massen­produktion gewinnt und kleine Markt­nischen für PV-Fassaden, farbige PV-Module oder PVT-Module für Strom und Wärme bestehen bleiben. In den letzten fünf Jahren haben neue Montage­strukturen für PV-Module in China und Deutschland in der Kategorie Agri-PV oder Montage auf schwim­menden Plattformen, Floating-PV in Holland oder Asien viel Aufmerksamkeit in der globalen PV-Szene erregt.

Somit könnte von diesem Agri-PV-Trend und der erwarteten Kosten­reduktion der Montage­strukturen auf globaler Ebene auch das Schweizer Mittelland profitieren. Land­wirt­schaft­lichen Flächen so einen Doppelnutzen und den Landwirten ein Zusatz­einkommen zu ermöglichen, könnte spannend sein und die Umsetzung fördern.

Persönliche Einschätzung

Der Königsweg zur wirtschaftlichen und lokalen Schliessung der Lücken im Winterstrom für die Schweiz liegt im zusätzlichen dosierten Zubau von Windkraft von einigen wenigen TWh und die Nutzung der Batterie­speicher in den Millionen Elektroautos der Schweiz. Den Löwenanteil wird die PV tragen. Es werden auch die Verkehrs­wege und Infra­struktur­flächen wie Parkplätze sein, für die zukünftig in hohen Stückzahlen gefertigte PV-Standard­über­dachungen weltweit ausgerollt werden. Da könnten auch Innovationen aus der Schweiz dabei sein, wie automatisch verschiebbare Systeme (Urbanbox), seilbasierte Montagen oder neue fixe, auf Holz basierte Montage­lösungen, die heute noch nicht bekannt sind. Sie müssen nur eines gemeinsam haben: einen minimalen Metall­verbrauch pro kW Solar­modul­leistung für die Montagelösung. Damit bleibt der CO2-Rucksack klein, denn er wird die künftigen Kosten dominieren. Wie sich dabei die Alpine PV, die Agri-PV und die Floating-PV einordnen werden, entscheidet die Kreativität der Ingenieurszunft.

Autor
Prof. Dr. Franz Baumgartner

ist Studien­gang­leiter Energie- und Umwelt­technik SoE an der ZHAW.

  • ZHAW, 8400 Winterthur

Event

Energiezukunft

An der Tagung vom 14. November 2023 in Aarau werden u. a. die Preis­korri­dore für Agri-PV, Alpine PV und PV im Mittel­land diskutiert. Die Last­flüsse der Strom­netze mit viel Erneuer­baren sowie Wind- und Wasser­stoff­techno­logien werden auch thema­tisiert.

Kommentare

Titus Zahn,

Sehr guter Artikel.
Wir haben heute die aktuelle Aufständerung Ostwestfalen max. Jahresertrag diskutiert. Wäre es nicht sinnvoller, auch stärker auf Wintererträge zu schauen, auch im Mittelland und auf grossen Flachdächern?

Bitte addieren Sie 4 und 1.