Das Potenzial für PV alleine nützt nichts
Energiezukunft
Praktiker können das Gerede über die Potenziale von Solarstrom in den Alpen, auf Seen und auf Infrastrukturflächen und Gebäuden in 2050 fast nicht mehr hören. Die Kunden der Elektrizitätswirtschaft wollen nicht Potenzial kaufen, sondern die preisgünstigste und umweltfreundlichste kWh Solarstrom. Was lässt sich also heute über mögliche Preiskorridore aussagen?
Im globalen PV-Grossanlagenbau werden Stromgestehungskosten bis hinunter auf 1 $-cent pro kWh berichtet, wie für das 2-GW-Solarkraftwerk Al Dhafra, Vereinigte Arabische Emirate, bei einer Investitionssumme von 1 Mrd $. Dies stellt nicht nur grosse Gas- oder Kernkraftwerke bezüglich Kosten in den Schatten, sondern auch die gesamte zugebaute Solarleistung in der Schweiz für dieses Jahr, die etwa halb so gross ist. In Deutschland wurde im Frühjahr dieses Jahres auch 2-GW-PV-Leistung für Freiflächen im Korridor von 200 m neben Verkehrswegen ausgeschrieben. Der Streifen wird in diesem Jahr auf 500 m ausgeweitet. In diesem Bieterverfahren wurde aktuell in Deutschland ein mengengewichteter Durchschnittspreis von 7,1 €-cent pro kWh Solarstrom erzielt. Das Bundesamt für Energie berichtet im Januar 2023 vom Ergebnis der PV-Ausschreibung ohne Eigenverbrauch in der Schweiz mit Geboten von 360 bis 640 CHF pro kW und einem durchschnittlichen mengengewichteten Zuschlagswert von 516 CHF/kW.
Die letzte PV-Preisbeobachtung veröffentlichte das BFE für das Jahr 2021, wobei PV-Kraftwerke mit 1 MW Leistung einen Medianpreis von 1075 CHF/kW Investitionskosten verzeichneten, was auf Stromgestehungskosten von etwa 7 Rp. pro kWh schliessen lässt. Konventionelle PV-Kraftwerke mit Eigenverbrauch unter 100 kW erhalten 2023 in der Schweiz eine Einmalvergütung von 450 CHF/kW. Im letzten Jahr haben Dienstleister in der Schweiz 20 Rp./kWh für Solarstrom von kleineren PV-Anlagen unter 200 kW bezahlt und den Strom an der Strombörse (Swissix) vermarktet, wobei der Referenzmarktpreis des BFE gemäss Solarmotion bei 24 Rp. lag. Der PV-Markt funktioniert also. Es wird auch im nächsten Jahr ein Wachstum im konventionellen PV-Massenmarkt zu verzeichnen sein – im dominanten Haushaltssegment von 10 bis 30 kW wie auch bei betrieblichen Anlagen zwischen 300 und 1000 kW.
Erlaubt die Winterstromlücke jeden Strompreis?
Es ist zu erwarten, dass auch im Winter der Wettbewerb auf der Kostenseite gilt. Was die Frage aufwirft, wo die PV gebaut werden soll, wenn der Windkraftzubau faktisch bis zur Bedeutungslosigkeit verhindert wird. Wie der Branchenverband Swissolar in seinem Positionspapier März 2023 dazu ausführt, werden im Winterhalbjahr 2023/24 allein die PV-Kraftwerke der Schweiz 1,4 TWh bereitstellen, was damit etwa den Produktionsausfall des stillgelegten KKW Mühleberg in diesem Zeitraum kompensiert. Der Verband sieht aber ein vergleichbares jährliches TWh-Potenzial in den alpinen PV-Kraftwerken sowie in Gebäudefassaden einschliesslich dem Potenzial für Agri-PV für das Jahr 2050, wobei dann ⅔ der Solarmodule auf Gebäudedächern installiert sein sollen.
In der Schweiz stehen also Projektentwickler und Investoren vor der Frage, ob sie für etwa 35 Mio. CHF lieber ein 40-MW-PV-Kraftwerk im Mittelland oder ein 10-MW-Kraftwerk in den Alpen bauen. Denn heute sind noch keine belastbaren Performance-Studien bekannt, die von einer viermal so hohen Solarstromproduktion in den Alpen ausgehen im Vergleich zum Mittelland. In einer Detailanalyse für einen Schweizer Energieversorger konnten wir einen Faktor 2 für den Mehrertrag für PV-Strom auf einem Testfeld auf 2000 m im Raum Davos von November bis Mai gegenüber dem Zürcher Mittelland ermitteln (Paper von F. Carigiet et al., EU PV Conference, 2021). Die Jahresproduktion lag zwischen einem Drittel und der Hälfte höher als im Mittelland, je nach Konfiguration der Montage und Modultyp. Wegen diesen physikalischen Randbedingungen müssten also die Realisierungskosten der alpinen Grosskraftwerke fast um die Hälfte sinken, sodass nur noch Mehrkosten zum Mittelland von ca. 50% bestehen blieben. Die Ingenieure sind gefragt, die für die höheren Wind- und Schneelasten benötigten robusten und zugleich kostengünstigen Unterkonstruktionen zu realisieren. Die Arbeitskosten und die Logistik des Baus dieser vielen Einzelkomponenten auf 2000 m müssen im Vergleich zu Lawinenverbauungen deutlich gesenkt werden. Bezüglich der effektiven Wirtschaftlichkeit dieser ersten MW-Anlagen im alpinen Raum bleibt es nach wie vor spannend. Projektentwickler bauen neue Geschäftsmodelle langfristig ungern nur auf unrealistische Subventionsstützung über Jahre auf, auch wenn sie anfangs Pilotprojekte vorfinanzieren, um sie genauer zu analysieren.
Economy of Scale im Mittelland
Die bisherige Erfahrung der globalen PV-Industrie der letzten drei Jahrzehnte hat gezeigt, dass die Massenproduktion gewinnt und kleine Marktnischen für PV-Fassaden, farbige PV-Module oder PVT-Module für Strom und Wärme bestehen bleiben. In den letzten fünf Jahren haben neue Montagestrukturen für PV-Module in China und Deutschland in der Kategorie Agri-PV oder Montage auf schwimmenden Plattformen, Floating-PV in Holland oder Asien viel Aufmerksamkeit in der globalen PV-Szene erregt.
Somit könnte von diesem Agri-PV-Trend und der erwarteten Kostenreduktion der Montagestrukturen auf globaler Ebene auch das Schweizer Mittelland profitieren. Landwirtschaftlichen Flächen so einen Doppelnutzen und den Landwirten ein Zusatzeinkommen zu ermöglichen, könnte spannend sein und die Umsetzung fördern.
Persönliche Einschätzung
Der Königsweg zur wirtschaftlichen und lokalen Schliessung der Lücken im Winterstrom für die Schweiz liegt im zusätzlichen dosierten Zubau von Windkraft von einigen wenigen TWh und die Nutzung der Batteriespeicher in den Millionen Elektroautos der Schweiz. Den Löwenanteil wird die PV tragen. Es werden auch die Verkehrswege und Infrastrukturflächen wie Parkplätze sein, für die zukünftig in hohen Stückzahlen gefertigte PV-Standardüberdachungen weltweit ausgerollt werden. Da könnten auch Innovationen aus der Schweiz dabei sein, wie automatisch verschiebbare Systeme (Urbanbox), seilbasierte Montagen oder neue fixe, auf Holz basierte Montagelösungen, die heute noch nicht bekannt sind. Sie müssen nur eines gemeinsam haben: einen minimalen Metallverbrauch pro kW Solarmodulleistung für die Montagelösung. Damit bleibt der CO2-Rucksack klein, denn er wird die künftigen Kosten dominieren. Wie sich dabei die Alpine PV, die Agri-PV und die Floating-PV einordnen werden, entscheidet die Kreativität der Ingenieurszunft.
Event
Energiezukunft
An der Tagung vom 14. November 2023 in Aarau werden u. a. die Preiskorridore für Agri-PV, Alpine PV und PV im Mittelland diskutiert. Die Lastflüsse der Stromnetze mit viel Erneuerbaren sowie Wind- und Wasserstofftechnologien werden auch thematisiert.
Kommentare
Titus Zahn,
Sehr guter Artikel.
Wir haben heute die aktuelle Aufständerung Ostwestfalen max. Jahresertrag diskutiert. Wäre es nicht sinnvoller, auch stärker auf Wintererträge zu schauen, auch im Mittelland und auf grossen Flachdächern?