Planungsleitfaden für hohe Solarfassaden
Brandprävention
Hohe Solarfassaden werden beispielsweise im Kanton Zürich aus Brandschutzgründen nicht ohne Weiteres bewilligt. Die Gebäudeversicherung Bern GVB hat nun einen Leitfaden initiiert, der aufzeigt, wie PV-Fassaden, die die Schutzziele zur Brandprävention erreichen, auf über 30 m hohen Gebäuden realisiert werden können.
Die Realisation von PV-Fassaden und insbesondere von Fassaden über 30 m ist anspruchsvoll. Es gibt aktuell kein Dokument mit dem «Stand der Technik». Dies macht die Beurteilung solcher Projekte für die kantonalen Gebäudeversicherungen schwierig. Die GVB hat sich deshalb zur Aufgabe gemacht, für Projekte im Kanton Bern einen Leitfaden [1] für hohe PV-Fassaden zu erstellen.
Beitrag zur Dekarbonisierung
Im Rahmen der «Energiestrategie 2050» des Bundes sind zusätzliche Stromerzeuger aus erneuerbaren Energien nötig. Dies wird hauptsächlich Solarstrom sein (rund 40 TWh). Diese PV-Anlagen werden primär auf Dächern [2] und Infrastrukturen installiert. Solarfassaden können 10–40% dieser Stromproduktion erreichen.
PV-Fassaden produzieren mehr Strom bei tief stehender Sonne im Winter und weniger am Mittag im Hochsommer. Dies entlastet das Netz und erhöht die Winterstromproduktion. Bei hohen Gebäuden sind Solarfassaden die einzige Möglichkeit, einen hohen Eigenstromanteil des Gebäudes zu erreichen, da die Fassadenfläche im Vergleich zur Dachfläche grösser ist. PV-Fassaden erreichen auf der Südseite etwa 70% des Ertrags einer optimal ausgerichteten PV-Anlage, auf der West- und Ostseite etwa 50% und auf der Nordseite noch 20%. Zur wirtschaftlichen Optimierung sollten PV-Fassaden als Teil der Gebäudehülle ausgebildet sein.
Als Fassadenelemente erreichen PV-Module bis heute die Anforderung an den Brandbeitrag der Kategorie RF 1 (resistance du feu) nicht, weil sie aus mehreren Schichten bestehen, u. a. Kunststofffolien. Dazu kommen Verkabelungen sowie eventuell Optimierungs-Elektronik, die Brand- bzw. Zündquellen sein könnten oder zur Brandlast beitragen. Um diese Probleme zu adressieren, statt PV-Fassaden über 30 m einfach zu verbieten, hat die Gebäudeversicherung Bern GVB die Initiative für den Leitfaden gestartet.
Realisation einer hohen Solarfassade
Der Leitfaden soll helfen, Projekten mit Solarfassaden an über 30 m hohen Gebäuden den Weg zur Bewilligung und Realisation zu erleichtern. Die aufgeführten Überlegungen und Verfahren dürften sinngemäss bei allen PV-Fassaden nützlich sein. Grundsätzlich werden in diesem Dokument Lösungsansätze für Hochhäuser im Bestand und bei Neubau beschrieben und erklärt. Weil die Feuerwehr einen Brand an einer hohen Fassade nicht erreichen kann, müssen solche PV-Fassaden durch die kantonale Gebäudeversicherung bewilligt werden.
Der Leitfaden ist als Planungsgrundlage zu verstehen und ersetzt keinesfalls einen «Stand der Technik». Wenn dieser Leitfaden andere Kantone, Behörden und Fachleute inspiriert und ganz oder in Teilen kopiert wird, ist dies erwünscht, denn PV-Fassaden können dann vermehrt ihren Beitrag zur Energiestrategie 2050 leisten.
Hintergründe zur PV-Brandprävention
Netzgekoppelte PV-Anlagen werden seit über 30 Jahren gebaut. Sie sind modular aufgebaut, sie wurden kontinuierlich verbessert und sind viel günstiger geworden. PV ist heute die preisgünstigste neue Stromquelle [3].
Wo Energie produziert wird, lauern Gefahren, u. a. die Brandgefahr. Der TÜV Deutschland hat diese Gefahren mit dem PV-Labor der Berner Fachhochschule in Burgdorf vor über zehn Jahren an 1,3 Millionen PV-Anlagen mit etwa 30 GW Nennleistung untersucht. Bei 430 Anlagen ereignete sich ein Brand. 220 davon waren Hausbrände, die auch die PV-Anlage zerstörten. In 210 Fällen war die PV-Anlage Ursache des Feuers [5].
Vergleichbare Studien gibt es aus den Niederlanden und aus Grossbritannien [6,7]. Als häufigste Brandursache werden «kreuzkompatible» PV-Stecker, PV-Module (Hot Spots) und die PV-Wechselrichter genannt. Dies deckt sich auch mit Untersuchungen des PV-Labors der BFH, die unter Professor Muntwyler von 2014 bis 2020 durchgeführt wurden [8]. Dabei wurde anfänglich der Fokus auf PV-Stecker gelegt, bei denen Originalstecker vorwiegend des Schweizer Herstellers Stäubli (MC-Stecker) nachgebaut wurden. Diese Kopien sind selten kompatibel mit dem Originalstecker, und der erhöhte Widerstand führt oft zum Brand des PV-Steckers. Solche «kreuzkompatiblen Steckerverbindungen» sind seither verboten.
Eine weitere Brandursache sind «Hot Spots» bei PV-Modulen [5]. Hier werden oft Indach-PV-Module durch regelmässige nahe Beschattung (Kamin, Lukarnen, Balkone etc.) gestresst. Bei hohen Temperaturen im Unterdach und der PV-Anschlussdose kann das zur Zerstörung der Bypass-Schutzdiode und zur anschliessenden Überhitzung der Solarzelle führen. Dabei kann sich ein Lichtbogen bilden, der eine weitere Brandursache ist. Diese Fälle sind auch für PV-Fassaden relevant. Hier ist zusätzlich die Brandausbreitung in der hinterlüfteten PV-Fassade zu beachten.
Präventions- und Sicherheitsstrategien
Jede neue Technik hat nicht nur Vorteile, sondern birgt auch Gefahren, die sich durch gezielte Massnahmen vermindern oder vermeiden lassen. Wie dies geschieht, wird von Ingenieursphilosophien zur Sicherheitsminimierung behandelt. Eine Option ist immer auch der Verzicht, wenn das Risiko nicht genügend eingeschätzt werden kann. Solarverbände fordern die Gebäudeversicherungen auf, nicht zu «prohibitiv» zu sein, damit die Schweiz ihre Rolle bei PV-Fassaden nicht verliert [9]. Die Gebäudeversicherungen haben naturgemäss einen anderen Fokus. Der Verzicht auf eine PV-Fassade in kritischen Anwendungen (Hotels, Spitäler etc.) ist eine valable, langfristig bessere Option. Mit vermehrten Anwendungen und Tests, in diesem Falle primär Brandtests, wird Wissen generiert, das die Einschätzung von Brandgefahren verbessert.
Erstellen des Planungsleitfadens
Die GVB und die Fambau-Genossenschaft beauftragten den Brandschutzspezialisten Urs Käser von Hautle + Anderegg AG sowie Urs Muntwyler, Professor des PV-Labors der BFH in Burgdorf von 2010 bis 2021, mit der Erstellung eines Entwurfs für einen Leitfaden für «PV-Fassaden» an über 30 m hohen Gebäuden. Dabei sollten primär für zwei Sanierungsobjekte der Fambau-Genossenschaft im Holenacker 65 und 85 (Bild 1) die Grundlagen für die Bewilligung von 50 m hohen PV-Fassaden erarbeitet werden. Um die nötige Tiefe im Leitfaden zu erreichen, wurden der Elektroplaner der PV-Fassade im Holenacker Jörg Rothenbühler von Emch-Berger Revelio AG und Christian Renken von CR Energie GmbH beigezogen. Sie haben Brandschutz-Fachleute aus dem In- und Ausland und teilweise vertrauliche Brandtests von Herstellern und Testinstituten konsultiert. Während der Erarbeitung des Leitfadens stiessen noch die Brandschutzexperten der GVB David Sauser und Lars Lyhme hinzu.
Am 24. April 2023 wurde der Entwurf im Rahmen eines Workshops in Bern mit Besichtigung des Objekts «Holenacker 65» mit über 60 Spezialisten vorgestellt. Dabei konnten die praktischen Umsetzungen der Schutzmassnahmen am Objekt besichtigt werden.
Massnahmen zur Erreichung der Schutzziele
Der Leitfaden beschreibt ein Nachweisverfahren, das von den Schutzzielen und den Anforderungen an die Brandschutzvorschriften ausgeht (Bilder 2 und 3). Da PV-Module die Anforderung der Brandverhaltensgruppe RF 1 nicht erfüllen, müssen Massnahmen getroffen werden, die im Sinne von VKF-BSN Art. 12 ein gleichwertiges Sicherheitsniveau erfüllen. Aufgrund des Nachweisverfahrens sind PV-Fassaden bei der GVB der Qualitätssicherungsstufe 3 zugeordnet. Sind die Massnahmen bewilligt, so wird im Rahmen des Vollzugs die Beurteilung der Plausibilität der Konzepte und der Nachweise überprüft. Diese werden dann von der Gebäudeversicherung am Gewerk abgenommen.
Das Nachweisverfahren – der Weg zur Baubewilligung
PV-Fassaden werden im Rahmen des Leitfadens je nach Gebäudenutzung, Ausführung und Materialisierung sowie der Aussenwandkonstruktion in drei Systemkategorien eingeteilt:
- Systemkategorie 1: argumentativer Nachweis möglich. Dies sind Gebäude mit Feuerwiderstand in der Fassade, Löschanlagenkonzept oder Fensterbändern von mindestens 1,3 m Höhe und diversen technischen Massnahmen.
- Systemkategorie 2: Nachweis nur mit Brandversuch oder rechnerischem Nachweis (Simulation). In diese Kategorie fallen Anlagen, die die Systemkategorie 1 nicht erfüllen, wobei das Brandschutzkonzept des Hochhauses nicht relevant von den VKF-Brandschutzvorschriften ab- weicht.
- Systemkategorie 3: Nachweis ausgeschlossen. In diese Systemkategorie fallen Beherbergungsbetriebe, Aussenwände von vertikalen Fluchtwegen mit Fenstern ohne Feuerwiderstand.
Der Nachweis, dass die Schutzmassnahmen erreicht wurden, wird im Nachweisbericht festgehalten. Diesen benötigt die Fachstelle Brandschutz der GVB zur Beurteilung der Gleichwertigkeit der Schutzzielerreichung.
Die baulichen Anforderungen
Fassaden mit Fensterbändern höher als 1,3 m können der Systemkategorie 1 zugeordnet werden. Die Aussenwand und das Aussenwandbekleidungssystem müssen abgesehen von der Photovoltaik aus Baustoffen der Brandverhaltensgruppe RF1 bestehen.
Der Leitfaden beschreibt detailliert weitere Konstruktionen und deren minimale Materialanforderungen. Bei den PV-Modulen wird die Verwendung von Glas-Glas-Modulen gefordert. Ob Glas-Folien-Module gleichwertig sind, müsste wohl in zusätzlichen Brandtests nachgewiesen werden. Die üblichen Spezialkabel für die PV-DC-Verbindungen entsprechen der Brandverhaltensgruppe RF 3 (cr). Es sollten möglichst wenige Kabel in den Fassaden sein, was String-Konzepte der PV-Anlagen erfordert.
Im Leitfaden wird die mechanische Sicherung der PV-Module detailliert beschrieben. Sie verhindert im Brandfall ein Herunterfallen des PV-Moduls. Geklebte Halterungen reichen nicht aus. Wichtig ist ebenfalls das Verhalten des PV-Moduls beim Glasbruch. Konstruktiv zentral sind die horizontalen Brandschutzmassnahmen. Sie sollen verhindern, dass der Brand hinter den PV-Modulen vertikal hochsteigt oder durch die Abstände zwischen den PV-Modulen in die Hinterlüftung der Fassaden eindringt. Diese horizontalen Abschottungen müssen bei jedem Geschoss platziert werden. Weil die Toleranzen der Abstände der Abschottungen zu den PV-Modulen im Millimeter-Bereich sind, sind auf der Baustelle justierbare Konstruktionen gefragt.
Technische Schutzmassnahmen
Für die Verdrahtung der PV-Module zu den Wechselrichtern bieten sich Stringkonzepte an. Dabei dürfen keine elektronischen Komponenten, Feldverteilkästen etc. in der Fassade platziert werden. Seitliche Abschottungen verhindern, dass sich ein Brand von der Seite her in die PV-Fassaden ausbreitet. Dies können wie im Holenacker 65 + 85 Kabelkanäle aus feuerfestem Material sein. Dabei müssen die Kabel vertikal im Kanal abgeschottet werden. Zudem müssen die Öffnungen des Kabelkanals verschlossen werden.
Treten regelmässige Beschattungen aus kurzer Distanz auf die PV-Module auf (Balkone etc.), so ist mit dem PV-Modullieferant abzuklären, ob solche PV-Module elektrisch angeschlossen werden können. Dies könnte die PV-Module auf Dauer beschädigen. In der PV-Fassade in der Zürcher Sihlweid sind etwa 100 der verwendeten mikromorphen Tandemmodule elektrisch nicht angeschlossen, um Delaminationen der dünnen Schichten der PV-Module und deren Beschädigung zu vermeiden.
Wartung und Unterhalt
Im Pilot- und Demonstrationsprojekt gilt der Langzeitverfolgung besondere Aufmerksamkeit. Dies geschieht mittels Langzeit-Monitoring und der periodischen Kontrolle mit einer Drohne mit Kamera und IR-Sensor. Die Herausforderung einer solchen Fassade liegt darin, dass sich die PV-Module nicht einfach austauschen lassen. Der Leitfaden macht auch dazu Angaben.
Standardisierte und geprüfte Lösungen gefragt
Zusätzliche Brandschutzmassnahmen führen zu Zusatzkosten, die den Preis des Solarfassadenstroms erhöht. Das ist ungünstig, weil der spezifische Ertrag einer PV-Fassade (Ertrag pro Nennleistung) kleiner als bei den Dachanlagen ist – die aktuell wohl grösste Herausforderung. Sie richtet sich an Konstrukteure und Lieferanten von Fassadenunterkonstruktionen und gesamten Fassadenlösungen. Hier lohnt es sich, die Lösung mittels Brandversuchen von ganzen Fassaden zu optimieren. Wer das schafft, wird einen Wettbewerbsvorteil bei der Realisation von hohen PV-Fassaden haben. Von den entsprechenden Verbänden wird zudem zeitnah ein «Stand der Technik»-Papier erwartet.
Ausblick
Die Energiestrategie 2050 und die «Dekarbonisierung» bedingen einen zügigen Zubau von PV-Anlagen von rund 2 GW pro Jahr. Dabei ist es wünschenswert, dass vermehrt vertikale PV-Anlagen realisiert werden, denn dies erhöht die Wintererträge und verteilt die PV-Produktion besser über den Tag.
Die Realisation von PV-Fassaden ist eine Herausforderung, bei der die Zusammenarbeit von Architekten, Brandschutzfachleuten, Fassaden- und PV-Planern und schlussendlich den Bauherren gefragt ist. PV-Gebäudehüllen und Solarfassaden sind schliesslich das «Gesicht» eines fortschrittlichen Gebäudes.
Referenzen
[1] Photovoltaik an Hochhausfassaden – Leitfaden Brandschutznachweis, GVB, 2023.
[2] Dionis Anderegg, Sven Strebel, Jürg Rohrer, Photovoltaik-Potenzial auf Dachflächen in der Schweiz, ZHAW, 2022.
[3] Projected costs of generating electricity 2020, IEA.
[4] Hermann Laukamp, Georg Bopp, «Brandgefahr durch PV-Anlagen-Teil 1: Statistische Auswertung von Hitzeschäden und Brandfällen in PV-Anlagen», Fraunhofer ISE, Sonnenenergie 5/2014.
[5] Urs Muntwyler, Eva Schüpbach, «New findings on the PV Fire prevention – Fire-fighter Strategies for in-roof PV-installations», EUPVSEC 2021, 2021.
[6] E. E. Bende, N. J. J. Dekker, Brandincidenten met fotovoltaïsche (PV) systemen in Nederland, TNO / ECN, 2019.
[7] Fire and Solar PV Systems – Recommendations for the Fire and Rescue Services, BRE National Solar Center BRE, Report P1000874-1008 Issue 2.4., 2017.
[8] Urs Muntwyler, Sylvain Schielly, Eva Schüpbach, «PV connectors a crucial part of the reliability of PV installations – computer-tomography (CT) as a promising method to detect cross connections of PV connectors», EUPVSEC 2019, 9.–13.9.2019, Marseille, France.
[9] Swissolar-Pressemitteilung: Solarfassaden können weiterhin erstellt werden, 26.5.2023.
Das Bundesamt für Energie BFE unterstützt die Erarbeitung des Leitfadens und die Verbreitung der Resultate im Rahmen eines P- und D-Projekts.
Kommentare
David Sauser,
Während der Erarbeitung des Leitfadens der GVB nahmen die VKF und der Branchenverband Swissolar Kontakt mit der GVB auf. Aufgrund der Dringlichkeit des Themas hat Swissolar mit Erlaubnis der GVB Inhalte des Leitfadens zu gewissen Teilen übernommen und wird bis zur Publikation des in Arbeit stehenden Stand-der-Technik-Papiers ein nationales Übergangspapier veröffentlichen. Damit nicht unterschiedliche Wissensstände auf den Markt kommen, hat die GVB entschieden, ihren Leitfaden nicht öffentlich zu publizieren. Nachweise von Photovoltaikfassaden im Kanton Bern von bereits laufenden Projekten erfolgen zurzeit in direkter Absprache und auf Basis des Leitfadens der GVB.
David Sauser, GVB, 3063 Ittigen