Parkplätze und Autobahnen als Kraftwerke
Solarpotenzial im Mittelland erschliessen
Die Schweiz muss die Photovoltaik bis 2050 massiv ausbauen. PV-Anlagen auf Gebäudedächern sind günstig, liefern aber zu wenig Winterstrom. Die Solaroffensive in den Alpen verspricht Strom auch in den kalten Monaten, erfordert aber enorme Investitionen. Die goldene Mitte? Solaranlagen auf bestehenden Infrastrukturbauten.
Es ist Mitte Juli. Die Sonne strahlt im Mittelland bei Höchsttemperaturen bis 35°C. Die Stadt Zofingen freut es: Auf einer Überdachung der Autobahn A2 bei der Aargauischen Kleinstadt ging Ende Dezember 2021 mit 3200 m² eine der grössten PV-Anlagen der Region in Betrieb. Die Anlage produziert jährlich 700 MWh. Dank bifazialen Solarmodulen kann die Fläche gleichzeitig als ökologische Ausgleichsfläche genutzt werden.
Szenenwechsel nach Fehraltorf: Bereits 2013 hat Electrosuisse einen Solar-Carport realisiert. Seit Mai 2022 fliesst der Strom aus der 42-kW-Solaranlage in einen Elektromobilitäts-Ladepark mit 23 Ladeboxen diverser Hersteller. «Die beiden Beispiele zeigen, dass sich die Investition in Infrastruktur-Solaranlagen lohnt, sofern die Flächen geeignet sind und bei der Planung integral gedacht wird», konstatiert Eric Langenskiöld, Leitender Experte für Photovoltaik bei Basler & Hofmann. Er und sein Team haben bei beiden Anlagen beratend und projektierend mitgewirkt. Wie kommt es also, dass bisher in der Schweiz kaum Solarstrom von Infrastrukturanlagen fliesst?

Das Interesse wächst
Der Ausbau der Photovoltaik beschränkte sich in der Schweiz in den letzten Jahren vorwiegend auf Gebäudedächer und -fassaden. Seit das Parlament im Herbst 2022 den sogenannten «Solarexpress» beschlossen hat, begann unter Investoren das Rennen um die Sicherung geeigneter Flächen in den Alpen. PV-Infrastrukturanlagen fristeten hingegen bisher eher ein Schattendasein. Mit der steigenden Nachfrage nach Strom generell und erneuerbarer Energie von einheimischen Anlagen im Besonderen rücken Infrastrukturbauten nun verstärkt in den Fokus von Investoren. «Alpine Photovoltaikanlagen locken zwar mit grossen Erträgen, verursachen aber auch enorme Investitionskosten, die um ein x-Faches höher sind als beim Ausbau auf bestehenden Infrastrukturanlagen. Zudem ist die gesellschaftliche Akzeptanz bei Letzteren grösser, da für diese keine neuen Flächen verbaut werden müssen», erklärt Eric Langenskiöld. «Das Interesse am Ausbau von PV auf Infrastrukturanlagen nimmt in den letzten zwei Jahren deutlich zu. Wir konnten für verschiedene Kantone, Bahnbetreiber und Energieversorger Potenzialstudien durchführen».
Potenzial von bis zu 11 GW
Eine Studie von Energie Zukunft Schweiz im Auftrag des BFE schätzt das umsetzbare Potenzial von Solaranlagen auf Infrastrukturanlagen und Konversionsflächen auf 9 bis 11 GW, das realistische Potenzial basierend auf den Faktoren Wirtschaftlichkeit und Regulatorien auf 1,5 bis 3 GW ein [1]. Lässt man die künstlichen Seen auf Grund der hohen Investitionskosten im alpinen Raum aussen vor, tun sich in der Studie drei Arten von Infrastrukturanlagen als besonders vielversprechend hervor: Park- und Rastplätze, Autobahnüberdachungen und Lärmschutzwände. «Wenn es um die technische Realisierbarkeit und schliesslich Wirtschaftlichkeit geht, darf man die Infrastrukturbauten nicht in einen Topf werfen. Jede Art von Infrastrukturanlage hat ihre Chancen und Risiken, die es sorgfältig abzuwägen gilt», hält Eric Langenskiöld fest. Aus seiner Erfahrung sind insbesondere Parkplatzüberdachungen eine attraktive Möglichkeit zur Gewinnung von Sonnenenergie.
Der Parkplatz als Stromlieferant der Zukunft
Zusätzlich zum Solar-Carport bei Electrosuisse konnte Basler & Hofmann bei Sauber Motorsport in Hinwil einen Solar-Carport projektieren. Mit rund 1500 Dünnschichtmodulen auf 2249 m² gehörte dieser zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme im Jahr 2012 zu einem der grössten Solarparkplätze der Schweiz. Die Anlage produziert jährlich 155,6 MWh, was einem Strombedarf von etwa 34 Haushalten entspricht. Gemäss einer Studie von Energie Zukunft Schweiz haben die 4,3 Millionen Parkplätze mit einer Fläche von 6400 Hektaren in der Schweiz (Bundesamt für Statistik, 2009) ein technisches Potenzial von 2 bis 3 GW und ein realistisches Potenzial von 0,6 bis 1,0 GW – Autobahnraststätten und -plätze, Flächen des Autohandels sowie Parkhäuser ausgenommen [2]. Was macht Parkplätze unter allen Infrastrukturbauten besonders attraktiv für die Installation von Photovoltaik? «Zum einen handelt es sich meist um grosse, zusammenhängende Flächen. Zum anderen werden die Fahrzeuge durch die Überdachung mit PV-Modulen vor der Witterung geschützt. Im Sommer bei Sonnenschein erwärmen sich die Autos weniger stark, wodurch Energie bei der Kühlung eingespart werden kann. Im Winter entfallen das Freischaufeln von Schnee und das Eiskratzen. Bei Hagel wird die Karosserie vor Schaden geschützt. Ein weiteres Argument ist die Möglichkeit, den produzierten Strom direkt vor Ort für das Aufladen elektrischer Fahrzeuge oder für betriebliche Prozesse in beispielsweise benachbarten Industriegebäuden nutzen zu können», erklärt Eric Langenskiöld. Mittlerweile gibt es auf dem Markt verschiedene fertige Systemlösungen. Langenskiöld ist überzeugt, dass wir in naher Zukunft mehr Solar-Carports sehen werden: In mehreren Kantonen gab es Vorstösse für eine Solarpflicht auf Parkanlagen, etwa in Bern und Luzern. Und auch in Bundesbern wird eine Installationspflicht auf Parkflächen diskutiert. Die Energiekommission des Nationalrats (Urek-N) fordert als Teil des Mantelerlasses für neue Parkplätze im Freien ab einer Fläche von 500 m² ab 2030 eine PV-Pflicht, bestehende Parkplätze sollen ab einer Fläche von 1000 m² nachgerüstet werden. Die Vorlage wird voraussichtlich in der Herbstsession 2023 abschliessend beraten [3].
Solarstrom von Autobahnen und Bahnlinien
Erhöhte Aufmerksamkeit für den Ausbau der Solarenergie kommt in den letzten zwei Jahren auch der Strassen- und Bahninfrastruktur zu. In Beantwortung des Postulats Storni hat der Bundesrat eine Analyse des PV-Potenzials von Lärmschutzwänden beauftragt [4]. Die rund 577 km Lärmschutzwände entlang der Nationalstrassen weisen ein nutzbares Potenzial von 55 GWh, die 412 km entlang von Bahnstrecken von 46 GWh auf – genügend Strom für rund 22 000 Haushalte pro Jahr. Bis heute gibt es in der Schweiz zehn Anlagen entlang von Strassen und Bahnstrecken. Im Herbst 2022 hat das Bundesamt für Strassen (Astra) dem Ausbau von Photovoltaik auf Lärmschutzwänden neuen Schub verliehen: In einem Bewerbungsverfahren hat das Astra Flächen entlang von Lärmschutzwänden und auf Rastplätzen Dritten kostenlos zur Verfügung gestellt. 350 Lärmschutzwände und 100 Rastplätze in der ganzen Schweiz wurden in 15 Losen vergeben. Basler & Hofmann hat im Konsortium mit Energie 360° und Helion Solar den Zuschlag für zwei Lose erhalten. «Wir begrüssen diese Initiative des Astra. Denn wir sind überzeugt, dass sich jeder Quadratmeter Landschaft, den man unberührt lassen kann, indem wir eine bestehende Infrastruktur mit Photovoltaik ausbauen, lohnt», sagt Stephan Niederberger, Senior Experte Versorgungstechnik bei Basler & Hofmann. Er wird die Evaluation der geeigneten Flächen und die Konzeption der Anlagen innerhalb der zwei Lose als technischer Gesamtprojektleiter unterstützen. «Wer ein erfolgreiches Projekt entlang einer Nationalstrasse realisieren will, muss nebst der Photovoltaik unter anderem prüfen, ob das bestehende Bauwerk die PV-Anlage statisch aufnehmen kann, Blend-Gutachten erstellen und gewährleisten, dass die Sicherheit der Infrastruktur zum Beispiel in einem Brandfall gegeben ist. Dazu kommen Anliegen aus dem Umweltschutz und dem Anschluss ans Stromnetz. PV-Anlagen auf Infrastrukturbauten sind also immer interdisziplinäre Projekte. Als Gesamtprojektleiter bin ich froh, bei uns intern je nach Bedarf auf die notwendigen Fachkompetenzen zurückgreifen zu können», erklärt Stephan Niederberger.
Basler & Hofmann konnte bereits 2014 in Zumikon entlang der Forchautostrasse eine PV-Lärmschutzwand planen. Das kantonale Tiefbauamt musste die bestehende Lärmschutzwand sanieren und hat die Gelegenheit genutzt, zusammen mit Zürichsee Solarstrom und TNC Consulting auf einer Fläche von rund 550 m² Solarmodule anzubringen. Als Unterkonstruktion kam ein angepasstes Fassadensystem zum Einsatz. Für die Erdung konnten die Fundamente und Pfähle der Lärmschutzwand genutzt werden.
Lärmschutz, Solarkraftwerk und mehr
Erst im letzten Jahr konnte das Team von Eric Langenskiöld das eingangs erwähnte PV-Projekt auf einer Autobahn realisieren: Auf der A2 bei Zofingen wurde eine 500 m lange Überdachung in ein Solarkraftwerk umfunktioniert. Die Anlage ist ein zukunftsweisendes Projekt für die Integration von Lärmschutz, Photovoltaik und Umweltanliegen. Die bestehende Überdachung diente bis dahin als ökologische Ausgleichsfläche. Diese Funktion musste erhalten bleiben. «Dank aufgeständerten, bifazialen Solarmodulen und einem speziellen Bodenaufbau konnten wir die geforderte Qualität von Flora und Fauna erhalten. Mit den bifazialen, vertikal montierten Modulen konnten wir zudem Blendungen auf der Strasse und in den Nachbargebäuden vermeiden», erläutert Eric Langenskiöld. Die Anlage produziert jährlich 700 MWh, genügend für rund 150 Haushalte. Dank der Kombination von bifazialen und konventionellen Modulen ist die Tagesproduktionskurve homogener – es entstehen keine Mittagsspitzen, wie sonst üblich bei PV-Anlagen. Stephan Niederberger sieht ein grosses Potenzial in solchen Anlagen auf Überdachungen und hofft, dass der Bund auch diese noch für den Zubau von Solarstrom für Dritte freigeben wird. Er und ein interdisziplinäres Projektteam projektieren in einer Planergemeinschaft mit Helion Solar und TNC Consulting im Rahmen der Initiative «Roadmap Elektromobilität 2025» gemeinsam mit dem Astra aktuell eine Pilotanlage.
Bei sorgfältiger Planung eine Win-win-Situation
Es tut sich also einiges beim Ausbau von PV-Anlagen auf Infrastrukturbauten. Was empfiehlt Eric Langenskiöld Eigentümern und Investoren, die sich überlegen, eine Anlage auf einem bestehenden Infrastrukturbauwerk zu realisieren? «Damit die Wirtschaftlichkeit gegeben ist, sollte die Fläche eine gewisse Grösse haben und einigermassen gut erschlossen sein. Wenn der Anschluss ans Netz zu weit weg ist, bricht das einem Projekt das Genick. Das Projekt ist zudem umso attraktiver, je grösser der Eigenverbrauch vor Ort ist, da man sich so die Netzgebühren spart», so der Experte. Technisch sollte bereits früh sichergestellt werden, dass die ursprüngliche Funktion der Infrastruktur auch nach dem Bau der PV-Anlage gewährleistet werden kann. Bei Lärmschutzwänden gibt es seitens der Eigentümer beispielsweise häufig Bedenken, dass die PV-Module den Lärmschutz beeinträchtigen könnten. Denn die glatten Glasoberflächen der Module reflektieren den Schall, während die porösen Oberflächen der Lärmschutzwände diesen absorbieren. Diese Probleme sollten und können laut dem Experten früh aus dem Feld geräumt werden. «Ein möglicher Ansatz ist, dass die PV-Module tannenförmig angeordnet werden. So geraten die Schallwellen von den Pneus meist gar nicht auf die Glasflächen. Durch die Neigung der Module kann zudem mehr Ertrag generiert werden», erklärt Eric Langenskiöld. Abschliessend lässt sich festhalten: Ganzheitlich durchdacht und sorgfältig geplant bieten Solaranlagen auf bestehenden Infrastrukturbauten dank der Doppelnutzung eine Win-win-Situation und stellen eine attraktive Ergänzung für das PV-Portfolio von Investoren dar.
Referenzen
[1] L. Grüter, L. Konersmann, S. Probst, Energie Zukunft Schweiz AG: «Solarstrom auf Infrastrukturanlagen und Konversionsflächen. Bericht zur Studie Infra
Solaire», Juli 2021.
[2] L. Grüter et al., Energie Zukunft Schweiz AG: «Solarstrom auf Parkplatzüberdachungen. Studienbericht», Mai 2022.
[3] «Nationalratskommission optimiert Mantelerlass weiter», Medienmitteilung Aeesuisse, 21. Juni 2023.
[4] «Studie über das Potenzial der Lärmschutzwände entlang von Autobahnen und Bahnstrecken für die Produktion von Solarenergie», Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats 20.3616, Oktober 2021.
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