Offene Fragen der Photovoltaik
Forschung
Schon in diesem Jahr wird Solarstrom über einen Zehntel des jährlichen Stromverbrauchs der Schweiz abdecken. Künftig wird er eine grosse Rolle spielen. Ist damit alles geklärt? Nicht ganz. Ein Blick auf aktuelle Forschungsfragen.
Jährlich legen die Wirkungsgrade von PV-Modulen etwa um einen halben Prozentpunkt zu und die Modulkosten sinken. Dies erhöht das Potenzial der Photovoltaik. Auf diese positive Entwicklung haben die meisten Akteure der Schweizer PV-Branche zwar kaum einen Einfluss, dafür aber auf zahlreiche andere Aspekte, die künftig im PV-Bereich eine Rolle spielen dürften.
Netzintegration
Bereits heute ist es wichtig, sich mit der künftig sehr relevanten Frage auseinanderzusetzen, wie die von den Energieperspektiven 2050+ propagierten grossen Solarstrommengen ins Netz integriert werden sollen. Denn für eine PV-Produktionsleistung, die den maximalen Landesverbrauch um das Vierfache übersteigt, werden sich weder Abnehmer am Markt finden, noch ist unser Netz dafür konzipiert. Eigenverbrauch, Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) oder lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) lösen das Problem nicht wirklich, denn sie haben keine Anreize dafür. Die gute Nachricht ist aber, dass sie es technisch problemlos tun könnten: Leistungsregler, die bei einem Überschuss die PV-Anlagen abregeln, nachdem sie alle möglichen Verbraucher zugeschaltet haben, um den Ertragsverlust möglichst gering zu halten, sind schon vielfach verbaut. Sie werden künftig zum Standard gehören. Da das Zusammenspiel mit dem Netz erst wenig erprobt ist, wird es in diversen Pilotprojekten untersucht. Das an der Berner Fachhochschule in Burgdorf entstehende «Smart Grid Lab» widmet sich diesen Fragen. Es soll sicherstellen, dass solche Systeme nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität wunschgemäss funktionieren.
Alpine PV-Anlagen
Ein Thema, das die gesellschaftliche Diskussion im Kontext der drohenden Winterstromlücke zurzeit stärker dominiert, sind alpine PV-Anlagen. Zwar werden auf dem Jungfraujoch seit über 30 Jahren PV-Module getestet, aber da sie dort an einer Fassade angebracht sind und somit vom Gebäude geschützt werden, sind sie nicht den gleichen enormen Naturgewalten ausgesetzt wie alpine Freiflächenanlagen. Um die Erfahrungen mit den Freiflächenanlagen zu sammeln, haben sich die vier Fachhochschulen BFH, OST, Supsi und ZHAW zusammengeschlossen und die Plattform «alpine-pv.ch» gegründet. Diese Plattform stellt die Erfahrungen rund um die Forschung, Planung und den Betrieb solcher Anlagen der Gesellschaft zur Verfügung.
Agri-Photovoltaik
Eine Intensivierung der Aktivitäten lässt sich auch im Bereich der Agri-PV-Anlagen beobachten. Bei ihnen ist der Material- und Kapitalaufwand deutlich geringer als bei alpinen PV-Anlagen. Zudem können sie mehrheitlich von den Landwirten selbst aufgebaut werden. Die künftigen Möglichkeiten des virtuellen ZEV und der LEV eröffnen zudem neue Vermarktungsmöglichkeiten. Das neue Raumplanungsgesetz erlaubt entsprechende Anlagen, wenn sie Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion mit sich bringen. Was das konkret bedeutet, muss sich aber erst noch zeigen.
Seit vielen Jahren leistet die ZHAW in diesem Bereich Vorbereitungsarbeiten auf den erwarteten Boom. Das PV-Labor der BFH hat gemeinsam mit der HAFL der BFH das Forum Agrisolar gegründet, an dem u.a. Fragen zur Biodiversität, aber auch zum Gemüsebau und anderen Kulturen untersucht werden.
Da die Frage nach dem Potenzial der Agri-PV in der gesellschaftlichen Debatte im Schatten der Biodiversitätsfrage steht, ist es wichtig, zu klären, welche Aspekte der Biodiversität von PV-Modulen profitieren und welche eher leiden. Vermutungen gibt es viele, die ersten Pilotprojekte werden Klarheit schaffen.
Blendung
Standard-PV-Module sind heute so preisgünstig, dass die Eindeckung der Dächer unabhängig von ihrer Ausrichtung oft profitabel ist. Und das ist gut so, denn noch ist jeder Quadratmeter Photovoltaik auf Dächern willkommen. Bis zu den gesetzlich vorgegebenen 45 TWh Erneuerbaren ist es noch ein weiter Weg. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auf tiefgezogenen Ost- und Westdächern sowie besonders auf Norddächern Blendungen auftreten können. Oft sind sie nicht störender als Blendungen von Dachfenstern oder Fassaden. In wenigen Fällen können aber Blendungen über mehrere Stunden am Tag und mehrere Monate im Jahr auftreten. Dann hilft auch ein Blendgutachten nicht weiter: Es müssen Oberflächen eingesetzt werden, die nicht blenden. Nebst den bekannten satinierten oder Deflect-beschichteten Gläsern sind neu auch kunststoffbasierte Beschichtungen erhältlich und mit PV-Print und Phytonics auch Folien, die bei blendenden PV-Anlagen nachträglich angebracht werden können.
Kritisch ist dabei der Blickwinkel auf die PV-Module. Je flacher man nämlich auf die Module blickt, desto stärker blenden auch blendarme Produkte. Das muss aber nicht unbedingt problematisch sein, denn bei sehr flachen Winkeln blickt man ohnehin fast in die Sonne und hat deshalb eine deutlich höhere Toleranzschwelle. Dieser Umstand wird bei Winkeln ab 80° «Doppelblendung» genannt: Die Sonne blendet dann sowieso. Trotzdem sollte man vor dem Kauf einer Folie oder eines blendarmen PV-Moduls genau hinschauen, ob die Eigenschaften des Produkts bezüglich dem Einsatzgebiet ausreichend blendfrei sind. In mehreren Pilotprojekten werden derzeit diverse Produkte geprüft. Auf dem Dach des PV-Labors in Burgdorf sind Module mit blendarmen Folien, Beschichtungen und Gläsern im Langzeittest. Das Institut für Solartechnik SPF der OST in Rapperswil und die HSLU verfügen über Labormessgeräte, welche die Blendeigenschaften einer Oberfläche detailliert quantifizieren können. Das PV-Labor der BFH hat dazu ein Prüfverfahren entwickelt, bei dem mit einer «künstlichen Sonne» im Labor, aber auch an bereits im Feld installierten PV-Anlagen die Leuchtdichte und damit das Blendverhalten von PV-Modulen bestimmt werden kann.
Stecker
Die Stecker vom Typ MC4 der Firma Stäubli Electrical Connectors AG in Allschwil sind weltbekannt, denn sie sind bezüglich Sicherheit und Zuverlässigkeit vielen anderen Steckverbindern überlegen. Und dies ist auch dringend nötig: DC-Stecker sind in PV-Anlagen über Jahre hohen Belastungen, grossen Temperaturschwankungen, Regen und Frost ausgesetzt. Würde nur einer von hundert Steckverbindern in 30 Jahren ausfallen, wäre dies ein potenzieller Brandherd in jeder PV-Anlage.
Da niemand garantieren kann, dass sie auch nach 20 Jahren noch sicher und zuverlässig funktionieren, dürfen Steckverbinder verschiedener Hersteller nicht gekreuzt werden. Um die Alterung von Steckverbindern besser zu verstehen, ist Stäubli eine Kooperation mit dem PV-Labor der BFH eingegangen: rückgebaute Stecker von PV-Anlagen, beispielsweise nach einem Hagelschaden, können für eine Zustandsuntersuchung an das PV-Labor geschickt werden. Das Team des PV-Labors nimmt nach vorheriger Kontaktaufnahme alte Stecker gerne entgegen.
Obwohl ein klarer Trend zu höheren Kontaktwiderständen bei Kreuzkopplungen festgestellt wurde, sind die Kontaktwiderstände insbesondere in einem bestimmten Fall alarmierend: Wenn die Stecker vor dem Zusammenstecken nass oder schmutzig geworden sind. Um dieses Phänomen besser untersuchen zu können, wird am PV-Labor ein Outdoor-Steckerprüfstand entwickelt, der die Kontaktwiderstände von 40 Steckern automatisiert misst und in eine Datenbank schreibt.
Eine erste Konsequenz aus diesen Untersuchungen wird in Kürze normativ umgesetzt. Die NIN 2025 wird verlangen, dass Stecker während der Installation vor Staub und Feuchtigkeit geschützt werden müssen, wenn die Installationsbedingungen dies erfordern.
Hagel
PV-Anlagen sollen so gebaut werden, dass sie Hagelereignisse, die statistisch in 50 Jahren einmal vorkommen, unbeschadet überstehen. Bisher war dies die sogenannte Hagelwiderstandsklasse HW 3. In den letzten Jahren haben sich solche Hagelereignisse jedoch gehäuft, sodass derzeit für viele Standorte der Schweiz die Erhöhung der geforderten Hagelwiderstandsklassen diskutiert wird. Davon sind aber nicht nur PV-Module betroffen, sondern alles, was Wind und Wetter ausgesetzt ist.
Am Supsi in Mendrisio und am SPF der Ost in Rapperswil werden derzeit Hageltests mit neuen PV-Modulen durchgeführt. Viele Module erweisen sich dabei als widerstandsfähiger als erwartet. Rahmenlose Module mit dünnen Frontgläsern sind jedoch heikel: Wenn sie an der Kante von Hagelkörnern getroffen werden, können die Gläser brechen.
Verschmutzung
Ob PV-Anlagen gereinigt werden müssen, wird in gewissen Kreisen intensiv diskutiert. Klar ist aber, dass die meisten PV-Anlagen in der Schweiz selten oder gar nie gereinigt werden – und trotzdem gute Energieerträge liefern. Untersuchungen zeigen auch, dass die Verschmutzung stark vom Ort und vom Neigungswinkel der PV-Module abhängt. Zudem verschmutzen rahmenlose Module weniger als gerahmte.
In Zusammenarbeit mit dem Hersteller von dachintegrierten Solaranlagen 3S hat das PV-Labor einen Verschmutzungsprüfstand entwickelt, in dem verschiedene Gläser bei vier Neigungswinkeln an drei Standorten mit unterschiedlichem Verschmutzungsdruck untersucht werden. Dabei geht es auch um die Frage, ob blendarme PV-Module, die von Natur aus keine glatte, sondern eine raue Oberfläche haben, stärker verschmutzen als andere Module. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Blendfreiheit und der Verschmutzung gibt. Interessanterweise konnte aber gerade bei den satinierten und damit blendärmsten Gläsern kaum eine zusätzliche Verschmutzung beobachtet werden. Ob sich dies auch längerfristig bestätigt, wird in den nächsten Jahren zu beobachten sein.
Schnee auf PV-Modulen
Obwohl die Winter immer schneeärmer werden, nimmt die Bedeutung des Winterstroms zu. Insbesondere in den Bergen ist es wichtig, dass PV-Anlagen auch im Winter möglichst schneefrei sind. Dies kann beispielsweise durch eine temporäre Erwärmung der PV-Module erreicht werden, indem die Spannung an einem PV-Modul über dessen Leerlaufspannung erhöht wird. Dadurch fliesst Strom rückwärts durch das Modul und dieses erwärmt sich wie eine Elektrokochplatte. Dazu wird jedoch ein Netzgerät benötigt, das eine um etwa 20% höhere Spannung als die der PV-Module bei Nennstrom aufbringen kann.
In einem Innocheck-Projekt hat das PV-Labor der BFH ein entsprechendes Produkt entworfen und getestet. Auch hier zeigt sich, dass sich nicht alle Anlagen gleich verhalten: Bei zu geringer Neigung rutscht der Schnee trotz beheizter Module nicht ab. Bei hohen Neigungen hingegen rutscht der Schnee auch ohne Beheizung ab. Der optimale Einsatzbereich eines solchen Netzgerätes dürfte bei rahmenlosen Modulen bei 20 bis 40° liegen.
Fazit
Die Photovoltaik hat zweifellos bereits einen hohen Reifegrad erreicht. Obwohl in den letzten Jahren viele Erfahrungen gesammelt wurden, sind noch längst nicht alle Fragen abschliessend beantwortet. Bei vielen geht es um Details oder Optimierungen. Die wohl weitreichendste Frage betrifft die Integration der PV-Anlagen in unser Energiesystem: Wie müssen wir PV-Anlagen bauen, damit der Energiemarkt und die Übertragungs- und Verteilnetze den Solarstrom aufnehmen können?
Kommentare
Paul Ruppert,
Sehr gute und interessante Diskussionen über PV-Anwendungstechniken. Seit Beginn der guten (und rechtgläubigen) Energietechniken vermisse ich in den Diskussionen ein entscheidend wichtiges Gebiet: Speicher. Man könnte das Problem auch durch Verhalten schmälern, wenn bei schönem Wetter mit grösserem Stromverbrauch eher gearbeitet wird, und die Ferien vor allem bei schlechterem Wetter bezogen würden.
Meine persönliche Umweltleistung ist übrigens ein aus eigener Tasche ohne Subventionen errichtetes Energiesparfabrikgebäude, das 1988 den seinerzeit sehr begehrten Energiepreis des SIA erhalten hat.