Nutzungsrechte an der Energie-Infrastruktur
Eigentumsähnliche Nutzungsrechte
Weil Investitionen in die Netzinfrastruktur kostenintensiv sind, ist es in der Strombranche üblich und sinnvoll, diese Infrastruktur gemeinsam zu betreiben. So haben Leitungen und Unterwerke oft einen Eigentümer, aber auch einen oder mehrere EVUs, welche Teile davon mitfinanzierten und benützen. Eine sachen- und handelsrechtliche Einordnung.
Nutzungsrechte wurden in der Praxis – insbesondere auf den Netzebenen 1 bis 3 – an Teilen einer Leitung (zum Beispiel 45% des Stranges X), gemessen an der Gesamtleistung des Leistungsstranges und dazugehörig an Teilen von Unterwerken eingeräumt (zum Beispiel 15% der Leistung eines Transformators, 60% der Leistung einer Schaltanlage etc.). Mit der Einbringung der Netzebene 1 in die nationale Netzgesellschaft Swissgrid wurde ein grösserer Teil dieser Nutzungsrechte in der Swissgrid zusammengeführt.
Nutzungsrechte bleiben jedoch eine sehr interessante Lösung, wenn Netzbetreiber Infrastruktur gemeinsam und optimiert nutzen wollen, ohne sich dabei als Investoren von Netzinfrastruktur trennen zu müssen. Gerade auf den Netzebenen 2–5 können mit Nutzungsrechten interessante und optimierte Partnerschaften entstehen, wenn ein Verkauf der Netze oder eine Fusion von Unternehmen nicht erwünscht sind. Ein wegweisendes Projekt hierzu ist das Zielnetz Bodensee von SAK, EKT und SN Energie.
Häufig werden solche Nutzungsrechte in Objektverträgen zwischen dem Eigentümer eines Unterwerks und dem Nutzungsberechtigten abgeschlossen, wobei Hilfseinrichtungen wie Sammelschienen, Kupplungsfelder, Mess-, Steuer- und Schutzinstallationen ebenfalls Teil der Nutzniessung werden. Die Gesamtheit dieser Regelungen führt dazu, dass der Berechtigte der Nutzniessung seinen Markt beziehungsweise seine Kunden selbständig und sicher mit Strom beliefern kann.
Bedeutung der rechtlichen Klärung
Der Berechtigte der Nutzniessung hat unter den Aspekten der Rechtssicherheit sowie der Wirtschaftlichkeit ein erhebliches Interesse daran, die Rechtsnatur der ihm eingeräumten Nutzungsrechte zu kennen. Im Wesentlichen stellt sich die Frage, ob es sich mit dem Erwerb dieser Nutzungsrechte um anfallende Kosten handelt, welche als Aufwand in der Erfolgsrechnung zu verbuchen sind, oder ob der Berechtigte der Nutzniessung Rechte erwirbt, welche er im Anlagevermögen seiner Bilanz verbuchen und über die Nutzungsdauer abschreiben kann. Die Beantwortung dieser Fragen hat in rechtlicher Hinsicht insbesondere einen sachenrechtlichen und einen handelsrechtlichen Aspekt.
Zwei aktuelle Beispiele
Im Kanton Glarus planen die EVUs Axpo, SN Energie und TB.Glarus unter Beizug von TBGS und TBGN ein Zielnetz im Wesentlichen durch eine durchgängige und redundante 110-kV-Anbindung des Glarnerlands an das Netz der Swissgrid und die Modernisierung von mehreren Unterwerken und Leitungen.
Im Raum Bodensee haben die Netzbetreiber EKT, SAK und SN Energie festgestellt, dass mit einer gemeinsamen Planung mit Zeithorizont 2035 auf drei Unterwerke verzichtet werden kann. Zwecks Schaffung einer effizienten Netzinfrastruktur werden diese drei Unterwerke zurückgebaut. Die sichere Versorgung der Endkunden wird durch die Einräumung gegenseitiger Nutzungsrechte an Leitungen und Unterwerken gewährleistet.
Sachenrechtliche Betrachtungsweise
Bestandteil einer Sache ist alles, was nach der am Orte üblichen Auffassung zu ihrem Bestand gehört und ohne ihre Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung nicht abgetrennt werden kann.[1] Demgegenüber ist Zugehör eine bewegliche Sache, welche in einem Subordinationsverhältnis zu einer Hauptsache steht und mit dieser weniger eng verbunden ist als der Bestandteil einer Sache.[2] Im Gegensatz zu einem Bestandteil kann das Zugehör einer Sache sonderrechtsfähig sein, das heisst zum Beispiel einen anderen Eigentümer haben, verpfändet werden usw. Als Beispiel eines Bestandteils kann der Transformator eines Unterwerks genannt werden. Als Beispiel vom Zugehör das Mobiliar einer Unternehmung.
Leitungen, die sich ausserhalb des Grundstücks befinden, dem sie dienen, gehören gemäss gesetzlicher Vermutung dem Eigentümer des Werks oder zum Werk, von dem sie ausgehen oder dem sie zugeführt werden.[3] Somit gelten Leitungen von Gesetzes wegen als sogenannte «Werkszugehör» und sind damit sonderrechtsfähig.[4] Aufgrund dieser gesetzlichen Spezialnormen können somit an Leitungen Dienstbarkeiten begründet werden, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen beziehungsweise der Dienstbarkeitsbelastung eines Werks, von dem sie ausgehen oder zu dem sie führen.
Anders liegt prima vista die sachenrechtliche Qualifikation von zentralen Teilen eines Unterwerks (Transformator, Sammelschienen, Schaltfelder etc.). Es liegt auf der Hand, dass ein Unterwerk ohne Transformator seine Funktion nicht mehr erfüllen könnte, was auch für die übrigen funktionsrelevanten Teile eines Unterwerks gilt. Als Zwischenfazit ist deshalb festzuhalten, dass deren Sonderrechtsfähigkeit fehlt beziehungsweise zu fehlen scheint.
Andere Dienstbarkeiten[5]
Unter dem Begriff «andere Dienstbarkeiten» erlaubt Art. 781 Abs. 1 ZGB allerdings die Errichtung einer Dienstbarkeit zugunsten einer beliebigen Person oder Gemeinschaft an Grundstücken, «so oft diese in bestimmter Hinsicht jemandem zum Gebrauch dienen können (…)». Bei richtiger Auslegung dieser Bestimmung ist die Einräumung von Dienstbarkeiten im Gegensatz zum Beispiel zu einer Nutzniessung [6] auch an Teilen von Grundstücken möglich. Insofern handelt es sich bei dieser Bestimmung um eine Durchbrechung des Grundsatzes, wonach Bestandteile nicht sonderrechtsfähig sind.
Zur gültigen Errichtung einer anderen Dienstbarkeit bedarf es des Abschlusses eines öffentlich beurkundeten Vertrags und eines Eintrags im Grundbuch.[7]
Gemäss Art. 959 Abs. 2 OR müssen Vermögenswerte bilanziert werden, wenn aufgrund vergangener Ereignisse über sie verfügt werden kann, ein Mittelzufluss wahrscheinlich ist und ihr Wert verlässlich geschätzt werden kann.
Dienstbarkeiten an Teilen von Leitungen oder Unterwerken dürften die Voraussetzungen der Bilanzierung in der Regel erfüllen. Wichtig erscheint dabei, dass die Dienstbarkeit vom Eigentümer durch Kauf (vergangenes Ereignis) erworben wird und damit der Wert verlässlich belegbar ist. Der Mittelzufluss ist über die Nutzung der Netzinfrastruktur und die Verrechnung von Netznutzungsgebühren gegeben. Die Aktivierung von anderen Dienstbarkeiten ist unter diesen Voraussetzungen deshalb gegeben. Die Aktivierung wird auch von der ElCom akzeptiert, und die Dienstbarkeiten dürfen analog Eigentum zum Anlagezeitwert im Anlagevermögen aufgeführt, verzinst und abgeschrieben werden.
Das OR führt immaterielle Werte in der vorgeschriebenen Mindestgliederung der Bilanz explizit auf.[8] Da es sich bei anderen Dienstbarkeiten in der Regel um eine vertragliche Vereinbarung zur Nutzung einer bestehenden Infrastruktur durch den Dienstbarkeitsberechtigten über einen definierten Zeitraum handelt, jedoch kein physisches Objekt transferiert werden kann, dürfte die Klassifizierung als immaterieller Wert angemessen sein.
Die Ersterfassung anderer Dienstbarkeiten muss zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten erfolgen.[9] Bei der Folgebewertung müssen der nutzungs- und altersbedingte Wertverlust durch Abschreibungen und anderweitiger Wertverlust durch Wertberichtigungen berücksichtigt werden.[10]
Was bedeutet das für Schweizer Energieversorger?
«Eigentumsähnliche Nutzungsrechte», deren Nutzungsumfang zwischen verschiedenen Nutzern prozentual aufgeteilt wird, sind andere Dienstbarkeiten gemäss Art. 781 ZGB. Gestützt auf diese Bestimmung können Dienstbarkeiten an Teilen von Leitungen und auch an Teilen von Unterwerken eingeräumt werden.
Die gültige Errichtung einer anderen Dienstbarkeit nach Art. 781 ZGB setzt einen öffentlich zu beurkundenden Vertrag und einen Grundbucheintrag voraus.
Andere Dienstbarkeiten nach Art. 781 ZGB sind bilanzierbar, und andere Dienstbarkeiten sind bei richtiger Ausgestaltung ein geeigneter Weg, um Netzinfrastruktur gemeinsam nutzen zu können, ohne als Netzbetreiber auf strategische und unternehmerische Freiheiten verzichten zu müssen.
Referenzen
[1] Art. 642 Abs. 2 ZGB
[2] Art. 644 ZGB
[3] Art. 676 Abs. 1 ZGB
[4] vgl. auch die Spezialnormen Art. 15a EleG und Art. 4 Abs. 1 lit. a StromVG
[5] Art. 781 ZGB
[6] Art. 745 ZGB
[7] Art. 731 bis 733 sowie Art. 737 bis 740 ZGB
[8] Art. 959a Ziff. 2 lit. d OR
[9] Art. 960a OR
[10] Art. 960a Abs. 3 OR
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