Nutzen der Kabeldiagnostik
Methoden und ihre Anwendung
Seit Jahren befassen sich die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich EKZ mit der Diagnostik von Kabeln. In diesem Zusammenhang konnten umfangreiche Erfahrungen in der Beurteilung von Mittelspannungskabeln gesammelt werden, welche den nachhaltigen Einsatz der Betriebsmittel in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht ermöglichen.
Aufgrund des technisch-physikalischen Aufbaus elektrischer Betriebsmittel ist die Zustandsdiagnose anspruchsvoll und es bedarf grosser Erfahrung in der Ergebnisinterpretation. Insbesondere bei Kabeln erfolgt die Zustandsbeurteilung ausschliesslich mittels elektrischer Prüfungen. Diese müssen indirekt Aufschluss über den Zustand der Isolation, eine unzureichende Montage von Muffen und Endverschlüssen, mechanische Beschädigungen usw. ermöglichen. Zudem sind die Prüfparameter so zu wählen, dass die Messergebnisse genügend Aufschluss über den Zustand des Prüflings – in diesem Fall ein Mittelspannungskabel – ergeben, aber diesen nicht unnötig belasten.
Wie kann die «elektrische Qualität» von elektrischen Betriebsmitteln bestimmt werden? Um einen Einblick in die Techniken zu vermitteln, werden exemplarisch zwei Möglichkeiten erläutert.
Verlustfaktor (Tangens Delta, TD)
Viele kennen die Möglichkeit, eine Isolation durch Messung des Isolationswiderstandes zu überprüfen. Nimmt dieser Widerstand ab, geht man von einer Verschlechterung aus, z. B. durch Alterung oder mechanische Beschädigung der Isolation. Wenn aber der Isolationsaufbau genauer betrachtet wird, besteht er aus einer Parallelschaltung eines ohmschen Widerstandes und einer Kapazität. Der Widerstand und die Kapazität werden dabei wesentlich vom Isolationsmaterial sowie vom geometrischen Aufbau der Betriebsmittel bestimmt. Mittels Messung des Wechselstroms und der Zerlegung in einen Blind- bzw. Wirkanteil kann der Verlustfaktor «Tangens-Delta» eines Betriebsmittels ermittelt werden. Der Verlustfaktor entspricht dem Verhältnis zwischen dem Realteil (z. B. Wirkstrom) und dem Imaginärteil (z. B. Blindstrom) einer komplexen Grösse, siehe Bild 1. Vom Verhältnis zwischen Wirk- und Blindanteil kann indirekt auf den Zustand oder die Veränderung der Isolationsqualität geschlossen werden. Untersuchungen von Isolieröl haben beispielsweise gezeigt, dass eine Zunahme des Feuchtigkeitsgehalts zur Erhöhung des Verlustwinkels führt.

Diese Untersuchungen zeigen, dass die elektrische Durchschlagsfestigkeit mit der Erhöhung des Verlustwinkels abnimmt und sich das Isoliervermögen von Öl verschlechtert. Bei Feststoffisolierungen, wie vernetztem Polyäthylen oder Epoxidharz, kann sich der Verlustwinkel im Laufe der Betriebszeit durch Isolationsalterung oder temporäre Überbeanspruchung ändern. Diese Veränderung wird durch die Messung des Verlustwinkels ermittelt. Bei der Messergebnisauswertung können erfahrene Fachleute Rückschlüsse auf die Isolationsqualität ziehen.
Teilentladungen (TE)
Lokal erhöhte elektrische Feldstärken können im Isoliermaterial zu Entladungen führen. Dieser physikalische Vorgang tritt auf, wenn die maximal auftretende Feldstärke höher als die isoliermaterialspezifische Durchschlagsfeldstärke ist. In diesem Fall kommt es zu sogenannten Vorentladungen, welche dann mit der Zeit zu einem Durchschlag mit totalem Isolationsversagen führen können. Solche Teilentladungen sind Verschiebungen von Elektronen, die durch Erhöhung der Spannung zunehmen und in Amperesekunden oder Coulomb angegeben werden.
Die sehr kleinen Werte können nur mit äusserst sensiblen Messeinrichtungen erfasst werden und werden häufig in Piko-Coulomb (pC) angegeben.
Lokale Feldstärkeerhöhungen treten meist bei ungünstigen geometrischen Anordnungen der Leiter oder bei Isolationsdefekten auf. Intakte elektrische Betriebsmittel, die mit leicht erhöhter Bemessungsspannung geprüft werden, weisen in der Regel nur geringe TE auf.
TE-Messungen ermöglichen z. B. das Erkennen von Montagefehlern an Endverschlüssen oder Muffen von Mittel- und Hochspannungskabeln, Isolationsdefekte durch unsachgemässe Installationen oder Produktionsfehler von elektrischen Betriebsmitteln.
Diagnosemessungen
Eine Prüfung von Mittelspannungskabeln kann grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilt werden: Die Spannungsprüfung und die Diagnoseprüfung.
Bei der Spannungsprüfung spricht man von einer sogenannten Stehspannungsprüfung, welche mit 50 Hz oder 0,1 Hz VLF (very low frequency) erfolgen kann. Ebenfalls gehört die Mantelprüfung, die mit einer Gleichspannung durchgeführt wird, zu dieser Gruppe.
Die Diagnoseprüfung kann in eine TD- und eine TE-Messung unterteilt werden.
Stehspannungsprüfung 0,1 Hz- VLF: Die Prüfnormen DIN VDE 0276-620 HD 620 und DIN VDE 0276-621 HD 621 definieren, dass die Prüfstrecke mit 3 x U0 / 0,1 Hz-VLF für eine Stunde geprüft werden soll. Die Angabe U0 bezieht sich auf den Effektivwert der Bemessungsspannung des Betriebsmittels, in diesem Fall die Leiter-Mantel-Spannung. Sie wird zum Beispiel mit 20/12 kV angegeben, wobei 12 kV der Angabe U0 entspricht.
Da die meisten Prüfdurchschläge bereits nach kurzer Zeit erfolgen, wird in der Praxis oft mit einer Prüfzeit von 30 Minuten operiert. Somit liegt die Dauer der Prüfung bei 0,5 h bis 1,5 h reiner Messzeit, je nach Kabeltyp bzw. Kabellänge. Bei der angelegten Prüfspannung ist darauf zu achten, dass der Prüfling (Kabel) und alle weiteren Bauteile (Anlage) für diese Prüfspannung ausgelegt sind. Sonst muss das zu prüfende Kabel abgetrennt, genügend distanziert und erst dann geprüft werden.
Während der Messung werden die Stromverläufe zu den einzelnen Spannungsschritten aufgezeichnet. Bei konstantem Widerstand muss der Strom proportional zur Spannung steigen. Wenn die Amplitude von 3 x U0 erreicht wird, muss der Strom stabil bleiben. Bei einer parallelen Prüfung der drei Phasen ist keine weitere Aussage möglich. Eine Einzelprüfung der Phasen kann aber eine Differenz des Stromverlaufs zu einer anderen Phase aufzeigen. Grundsätzlich lautet das Prüfergebnis bei einer Stehspannungsprüfung: bestanden oder nicht bestanden.
Mantelprüfung: Bei dieser Prüfung wird der Mantelschirm mit einer Gleichspannung von 3 kV bis 5 kV beaufschlagt, um zu prüfen, ob die äussere Kabelisolation beschädigt ist bzw. eine Verbindung zwischen Kabelschirm und Erde besteht. Bei Papiermasse-Kabeln ist eine Mantelprüfung nur möglich, wenn das Kabel mit einem Kunststoffmantel ausgestattet ist und keine Kabelgarnitur verbaut wurde.
Für die Prüfung müssen die Kabelschirme beidseitig abgekoppelt werden. Während der Prüfdauer von fünf Minuten werden die Ströme aufgezeichnet und anschliessend ausgewertet.
Verlustfaktormessung (TD): Diese Messung ermöglicht Aussagen über den Alterungs- und den Feuchtigkeitszustand des Kabels. Die Prüfspannung liegt bei 2 x U0, die Prüfdauer beträgt zirka 45 Minuten. Jede Phase wird einzeln gemessen. Während der Prüfung müssen die zwei Phasen, die nicht gemessen werden, geerdet sein.
Eine grafische Auswertung zeigt den Verlauf der Leiter zueinander. Im Idealfall verlaufen alle Leiter symmetrisch und deckungsgleich. Papiermassekabel und Kunststoffkabel haben unterschiedliche Grenzwerte, da sich Kabelaufbau und Material unterscheiden.
Eine Beurteilung der einzelnen Kabelstrecken ist gut möglich. Bei Mischkabelstrecken (Papiermasse- und Kunststoffkabel) braucht man dazu viel Wissen und Erfahrung.
Das Prüfergebnis kann mit einem Ampelsystem dargestellt werden. Rot: Das Kabel ist ausfallgefährdet. Gelb: Das Kabel ist auffällig, eine Trendbeobachtung wird empfohlen. Grün: Das Kabel ist in Ordnung.
Teilentladungsmessung (TE): Bei dieser Messung wird geprüft, ob beim Objekt Teilentladungen auftreten. Papiermassekabel verhalten sich anders als Kunststoffkabel und weisen praktisch immer Teilentladungen auf. Diese sind aber meist Hohlraumentladungen, da die Massewanderung in den Kabeln je nach Gelände und Kabeltemperatur unterschiedlich sein kann.
Die Prüfspannung liegt bei 2 x U0, die Prüfdauer beträgt rund 45 Minuten. Jede Phase wird einzeln durchgemessen. Während der Prüfung müssen die beiden Phasen, die nicht gemessen werden, geerdet sein.
Falls Teilentladungen detektiert werden, ist primär ihre Stärke interessant, zudem sind die Einsetzspannung und der Entladungsort wichtig. Das Prüfergebnis kann mit dem zuvor beschriebenen Ampelsystem dargestellt werden.
Vorbereitungsarbeiten
Für Messungen an Kabelanlagen müssen diverse Vorbereitungen getroffen werden. Zunächst sind die Kabeldaten wie Kabeltyp (Papiermasse oder Kunststoff), Länge und Querschnitt, Kabelgarnituren (Wickel-/Guss-/Schrumpfmuffen) und Hersteller zu ermitteln.
Vor Ort ist die zu prüfende Leitung auszuschalten und beidseitig zu erden. Auf der einspeisenden Seite (Anschluss der Messung) muss das Mittelspannungsfeld bei offenen Anlagen gegenüber der Sammelschiene isoliert werden, damit ein Anschluss an das Kabel möglich ist. Die Endverschlüsse und die Stützisolatoren sind beidseitig nach Vorgaben der Lieferanten zu reinigen.
Die Überspannungsableiter und Spannungswandler müssen abgekoppelt werden, die kapazitiven Anzeigen werden kurzgeschlossen. Der Summenstromwandler für die Erdschlusserfassung beeinflusst die Messungen nicht. Bei den Phasenstromwandlern ist darauf zu achten, dass keine Sensorwandler vorhanden sind, da die TD-Messung dadurch verfälscht wird. Ist dies der Fall, muss das MS-Kabel von der Anlage abgehängt und genügend distanziert werden. Bei TD- und TE-Messungen müssen die Endverschlüsse montiert sein, damit die Aussteuerung des Halbleiters intakt ist.
Stehspannungsprüfung, Mantelprüfung, TD- und TE-Messung – welche Prüfung ist wann sinnvoll? Zwei Beispiele aus der Praxis machen dies klar.
Kunststoffkabel
Bei Messungen an einer durchgehenden Kunststoff-Kabelanlage (XKDT – 3 x 1 x 150 mm2 – 3300 m) wurde eine TD-Messung durchgeführt. Der Messwert lag bei 1,0 x 10-3, was typisch für eine reine Kunststoffkabelstrecke ist. Dann wurde die TE-Messung mit der mobilen Prüfanlage durchgeführt. Bis 1,0 x U0 (Betriebsspannung) konnten keine Teilentladungen festgestellt werden. Ab 1,2 x U0 wurden TE-Aktivitäten registriert, welche distanzmässig deckungsgleich mit einer neuen Warmschrumpf-Verbindungsmuffe waren. Die Intensität der Teilentladungen lag bei 6000 pC. Eine reine Kunststoffkabelstrecke müsste grundsätzlich praktisch TE-frei sein. Da die Verbindungsmuffe noch zugänglich war, wurde beschlossen, die Verbindung zu öffnen und die Ursache für die TE zu suchen. Dabei wurden Mängel in der Pressung (falsches Presswerkzeug) (Bild 2) und bei der «Schrumpfung» der Muffe (Einstiegsbild) festgestellt.
Die Schrumpfverbindungsmuffe wurde nochmals neu gemacht, dann wurden die TD- und TE-Messungen erneut durchgeführt. Resultat der TD-Messung: Alle Phasen verlaufen absolut symmetrisch und deckungsgleich zueinander, der gemessene TD-Wert für ein Kunststoffkabel wird eingehalten, das Kabel kann als nicht ausfallgefährdet eingestuft werden. Das Resultat der TE-Messung: Die gesamte Kabelstrecke ist bis 1,7 x U0 teilentladungsfrei. Aufgrund der Messergebnisse kann das Kabel als nicht ausfallgefährdet eingestuft werden.

Papiermassekabel
An einer Mischkabelstrecke (Papiermasse und VPE) wurden eine TD- und eine TE-Messung durchgeführt. Die TD-Ergebnisse lagen bei einem guten Wert von 2,1 x 10-3, die Phasen verliefen fast symmetrisch, aber nicht deckungsgleich. Die Teilentladungen setzten im Teilabschnitt des Papiermassekabels bereits bei 0,8 x U0 mit einer Intensität von 6000 pC ein, die VPE-Strecke war teilentladungsfrei. Aufgrund der Wichtigkeit des Kabels wurde eine Nachmessung (Trend) empfohlen.
Nach einer Wiederholungsmessung im Jahr 2019 wurden TE-Pegel von 2600 pC gemessen. Die Intensität ist zurückgegangen, zudem sind die Teilentladungen nicht mehr an derselben Stelle, sie sind «gewandert». Dieses Beispiel zeigt, dass durch die Viskosität der Haftmasse in einem Papierbleikabel Hohlräume aufgerissen und wieder geschlossen werden können.
Fazit/Ausblick
Um Mittelspannungskabel aussagekräftig diagnostizieren zu können, sind verschiedene Messungen durchzuführen und einzeln zu bewerten. Die Gesamtheit der Ergebnisse ermöglicht eine gute Zustandsbeurteilung. Beispielsweise können neu installierte Kabelleitungen auf allfällige Montagefehler hin geprüft oder bestehende Anlagen auf Funktionstüchtigkeit beurteilt werden. Eine fachgerechte Beurteilung von Kabeln kann somit dazu beitragen, die Versorgungsverfügbarkeit zu erhöhen und Ersatzinvestitionen besser planen zu können.
Literatur
- Prüfnormen DIN VDE 0276-620 HD 620 S1/2.
- Andreas Küchler, Hochspannungstechnik, Springer, 2009.
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