Interview ICT

Nun kommt 6G

Ein Terabit Daten in einer Sekunde übertragen

12.01.2021

Der Startschuss für die nächste Generation der Mobil­kommu­nika­tion ist gefallen: Ein Terabit Daten sollen innerhalb von einer Sekunde übertragen werden. Wie 6G entwickelt wird und wofür wir es brauchen, erklärt Dr.-Ing. Dr.-Ing. habil. Ivan Ndip, Experte für Antennen und Hochfrequenz-Systeme am Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin.

Was bedeutet 6G?

Dr. Ndip: 6G ist die sechste Generation der Mobil­kom­muni­ka­tion. Bei 5G reden wir über eine Datenrate von bis zu 20 Gigabit/Sekunde und eine Latenz von ca. 1 Milli­sekunde. Mit 6G haben wir das ambitionierte Ziel, ein Terabit/Sekunde und eine Latenz von ca. 100 Mikro­sekunden – also das Fünfzigfache der Datenrate und ein Zehntel der Latenz von 5G zu erreichen. Es gibt sehr viele Anwendungen im Bereich der Industrie 4.0, Medizin, Autonomes Fahren, Smart City und Entertainment die davon profitieren würden – aber eben auch grosse Heraus­for­derun­gen, die erst einmal gelöst werden müssen.

5G soll bereits Echtzeit-Kommuni­kation ermöglichen, etwa für autonome Fahrzeuge. Wofür werden wir 6G brauchen?

Was ist das Ziel des autonomen Fahrens? Man möchte die Anzahl der Unfälle stark reduzieren. Autonomes Fahren ist vor allem ein kollektiver Aspekt. Was 5G erreichen wird, ist eine maximale Datenrate von ca. 20 Gigabit/Sekunde. Wenn ein Auto autonom fährt, muss es anderen Verkehrs­teilnehmern seine Position in Echtzeit mitteilen, es muss Abstände messen und gleichzeitig 360 Grad umschauen können. Es muss auch die Strasse sehr gut kennen und in der Lage sein, in die Ferne zu schauen, natürlich aber auch ganz nah und sehr präzise. Dafür braucht es Sensoren, die wir auch am Fraunhofer IZM entwickeln: eine Kombination aus Radar und Kamera. Diese Sensoren sammeln enorm viele Daten, die gleichzeitig geteilt werden müssen. Es müssen aber auch Up- und Downloads in Echtzeit erfolgen: So werden zum Beispiel Stadtpläne in sehr hoher Auflösung herunter­geladen. 20 Gigabit/Sekunde reichen für all diese Prozesse bei Weitem nicht aus. Darüber hinaus müssen die Autos zuverlässig auf unvorher­gesehene Umstände mit extrem geringer Verzögerung autonom reagieren. Daher ist neben den sehr hohen Datenraten gleichzeitig eine sehr kleine Latenz erforderlich.

Die Spezifi­kationen von 5G ermöglichen es leider nicht, Infra­strukturen und Netze aufzubauen, die gleichzeitig Hunderte von Gigabit/Sekunde und eine extrem niedrige Latenz gewähr­leisten. Daher sind wir der Meinung, dass mit 5G wahr­scheinlich echtes autonomes Fahren gar nicht möglich sein wird. Dabei wissen wir noch nicht einmal, ob die Spezifi­kationen, die wir heute für 5G haben, überhaupt erfüllt werden. Die notwendige kollektive oder vernetze Intelligenz existiert noch nicht. 5G ermöglicht uns auch nicht, die Datenraten und Latenz, die hierfür notwendig sind. Deshalb brauchen wir 6G.

Andere Anwen­dungen finden wir in der Tele­medizin, z. B. im Bereich der Tele-Chirurgie: Dann müsste beispiels­weise der operierende Arzt nicht mehr vor Ort sein. So etwas realisiert man schon mit 5G, doch es gibt viele Einschrän­kungen durch die maximale Datenrate und Latenz, die mit 5G einhergehen. Dabei führen Roboter die Operationen durch, während der Arzt irgendwo anders ist und bestimmte Geräte steuert. Hierfür benutzt er einen ultra­hoch­auflö­senden Bildschirm oder ein Mixed-Reality-Headset, um mithilfe von 3D-Hologrammen genau zu sehen, was im Inneren des Körpers passiert. Er muss feinste Details erkennen können. Dafür braucht er Daten in Echtzeit und unkomprimiert mit einer Übertra­gungsrate von mehreren Hundert Gigabit/Sekunde bis über 1 Terabit/Sekunde sowie eine Latenz von weniger als 1 Milli­sekunde. Das schafft 5G auf keinen Fall! 6G kommt, um die Erwartungen zu erfüllen, die 5G geweckt hat.

6G wird auch die Entwicklungen hoch­minia­turisierter, tragbarer medizinischer Sensoren, in Kleidung integrierter Sensoren sowie implantierbarer Sensoren ermöglichen, die eine konti­nuierliche Überwachung der Vital­para­meter von gesunden und kranken Menschen realisieren können. Diese Sensoren könnten über ein so genanntes 6G Terahertz Body Area Network miteinander vernetzt werden. Mithilfe der Hochgeschwin­digkeits-6G-Netze können die Vital­parameter mit extrem geringer Verzögerung an Ärzte zur medizinischen Fernüber­wachung in Echtzeit übertragen werden.

Des Weiteren eröffnet sich durch 6G eine Vielzahl von Anwen­dungen, die den enormen Band­breiten­vorteil des Terahertz-Bandes und neue Methoden der künstlichen Intelligenz kombinieren. Zum Beispiel im Bereich der digitalen Zwillinge. Dabei handelt es sich um die virtuellen Gegenstücke von Geräte, Maschinen, Objekten, Prozessen oder sogar Lebewesen. Mithilfe von u.a. Sensoren, künstlicher Intelligenz, Kommuni­kations- und Lokali­sierungs­technologien werden sie als digitale Duplikate erstellt. Aufgrund der extrem hohen Datenraten und der sehr geringen Latenz, die 6G bieten wird, wäre es möglich, die Realität in einer virtuellen Welt ohne zeitliche oder räumliche Einschränkungen mithilfe digitaler Zwillinge zu überwachen, zu simulieren und zu analysieren. Dies wird in vielen Bereichen der Industrie 4.0, der Auto­mobil­industrie, der Medizin, der Bildung und der Unter­haltung erhebliche Auswirkungen haben.

Man kann also davon ausgehen, dass 6G-Anwen­dungen ermögli­chen wird, die unser Leben, unsere Gesellschaft und die Wirtschaft vollständig und auf eine Weise verändern werden, wie es die Menschheit noch nie zuvor gesehen hat.

Warum beschäftigen wir uns mit 6G, wenn wir 5G noch nicht einmal umgesetzt haben?

Zwar wird 6G voraus­sichtlich erst 2030 eingeführt, aber es gibt noch so viele offene Fragen, zum Beispiel zur Hardwareentwicklung für die Mobil­kom­muni­ka­tion über 100 GHz, da erwartet wird, dass das D-Band (0,11 THz bis 0,17 THz) voraussichtlich verwendet wird. Noch nie wurden solche Frequenzen für die Mobil­kom­muni­ka­tion verwendet. Deshalb fängt die Forschungs- und Entwick­lungs-Community viel früher an, sich mit der Beant­wortung der Software- und Hardware­fragen bis zu den Anwen­dungen zu befassen. 10 Jahre vor der Markt­einführung - das ist typisch. Ungefähr fünf Jahre vor der Einfüh­rung werden dann die Spezifi­kationen festgelegt - dann können Trials folgen. Bevor die Bevölkerung die Vorteile einer neuen Generation geniesst, gibt es sehr viel Arbeit dahinter, die von Forschenden umgesetzt wird. Unter anderem dafür wurde beispiels­weise der Innova­tions­campus Elektronik und Mikrosensorik Cottbus ins Leben gerufen, in dem Fraunhofer mit der BTU Cottbus-Senftenberg und zwei Leibniz-Instituten an Vernetzungs­techno­logien und Sensorik von morgen forscht.

Welche neuen Geschäfts­modelle werden mit 6G entstehen?

Seit 5G spielt die Aufbau- und Verbindungs­technik eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung von drahtlosen Systemen für Mobil­kom­muni­ka­tions­anwen­dungen. Da es nicht mehr trivial ist, ein Hoch­frequenz-Frontend­modul für Mobil­kom­muni­ka­tion herzustellen, sind die Material-, Leiterplatten- und Kompo­nenten­hersteller gefordert. Dies eröffnet neue Geschäfts­möglich­keiten auch für KMUs, die bei 1G bis 4G praktisch kaum eine Rolle spielten. Dadurch entstehen schon jetzt viele neue Geschäfts­modelle, und bei 6G wird es genauso sein. Wie erwähnt werden für 6G voraus­sichtlich Frequenzen im Bereich 0,11 THz bis 0,17 THz verwendet: Je höher die Frequenzen, desto kleiner die Kompo­nenten. Das heisst, wir werden in der Lage sein, sehr kleine Systeme für 6G zu bauen. Solche miniaturisierten 6G-Systeme können in bestehende Geräte/Maschinen integriert werden und neue Upgrades einführen, ohne die Ästhetik zu ändern oder den Formfaktor der Geräte/Maschinen wesentlich zu verändern. Infolge­dessen könnten sich insbe­sondere in der vertikalen Industrie unzählige neue Anwen­dungen ergeben. Dies könnte zu einer Explosion an neuen Geschäfts­modellen führen.

Welche technolo­gischen Lösungen existieren heute für 6G?

Für 6G gibt es heute noch keine vollständigen Lösungen. Es werden jedoch neue Konzepte untersucht, um grundlegende Heraus­for­derun­gen zu lösen. Zuerst muss die enorme Freiraum­dämpfung überwunden werden. Dafür müssen wir Mehr­antennen-Architek­turen mit hunderten Antennen pro Mobilfunk-Basisstation aufbauen, so genannte massive MIMO (Multiple Input Multiple Output)-Architekturen. Wir müssen klären, wie viele Grund­elemente davon wir erstmal aufbauen und wie wir diese zusammen­schalten, so dass schluss­endlich lange Übertra­gungen, sehr gute Strahl­formung und geringer Energie­verbrauch möglich sind. Ausserdem dürfen jegliche Störungen das elektro­magnetische Signal nicht einschränken.

Der erste Schritt ist also, neue massive MIMO-System­architek­turen für die effiziente Realisierung der Hardware auszuarbeiten. Der zweite Schritt ist die Umsetzung der System­architektur. Und hier kommt das Fraunhofer IZM ins Spiel: Wir werden die notwendigen Packaging-Technologien für die System­integration, neue Terahertz integrierte massive MIMO-Antennen-Arrays und neue Hochfrequenz-Design­methoden zur Verfügung stellen, damit 6G-Frontend­module aufgebaut werden können.

Dafür haben wir schon Lösungen vorge­schlagen: Unser 6G-Projekt (6GKom) - das erste vom BMBF geförderte Projekt in Deutschland zur Entwicklung von 6G-Terahertz-Module - hat am 1. Oktober 2019 begonnen. Das Fraunhofer IZM hat bereits Hochfrequenz-System­inte­grations­lösungen zur Realisierung von solchen Modulen patentiert. Sie basieren auf miniaturi­sierten Fan-Out Packaging-Platt­formen mit integrierten Antennen, die heut­zutage noch nicht existieren.

Was steckt genau hinter dem 6GKom-Projekt?

Das Projekt wird vom Fraunhofer IZM koordiniert und zusammen mit dem IHP, der TU Berlin, der TU Dresden und der Universität Ulm bearbeitet. 6GKom wird durch einen Industrie­beirat aus 15 Firmen aus den Bereichen Material­entwick­lung, Package­entwick­lung, Chipdesign und -herstellung sowie Testumgebungen begleitet. Darüber hinaus gibt es Anwender aus den Sparten Automotive, Luft-und Raumfahrt, Land­maschinen­technik und Tele­kommuni­kation.

In 6GKom wollen wir frühzeitig eine Hardware-Basis für 6G entwickeln. Wir wollen ein effizientes, breitbandiges und miniaturi­siertes MIMO D-Band-Modul mit integrierter Beamforming-Fähigkeit erforschen und entwickeln. Dieses Modul ermöglicht für die künftige 6G-Mobil­kom­muni­ka­tion Datenraten von mehreren Terabit/Sekunde sowie sehr präzise Lokalisierungs­anwen­dungen. Weiterhin wollen wir neue Basis­band­architek­turen unter Berück­sichtigung der parasitären Terahertz-Effekte in den D-Band-Modulen erforschen und zusätzlich entsprechende Test­verfahren und –umgebungen entwickeln.

Um diese Ziele zu erreichen, hat das Konsortium bereits zusammen mit dem Industriebeirat mögliche Anwendungs­szenarien analysiert und die notwendigen Spezifika­tionen ausgearbeitet. Basierend darauf wurde eine skalierbare massive MIMO-Systemarchitektur entwickelt. Momentan werden ein neuartiges Chip-Package-Antennen Co-Design und ein Integrations­ansatz erforscht, die es ermöglichen, ein breit­bandiges, miniaturi­siertes und leistungs­fähiges D-Band-Modul zu entwickeln. Für die Hardware­umset­zung des Chip-Package-Antennen Co-Designs und des Integrations­ansatzes wird die patentierte Fan-Out Wafer-Level Packaging System­integrations­plattform mit integrierten Antennen des Fraunhofer IZM verwendet. Im Gegensatz zu existierenden Package-Plattformen hat diese sehr gute Hoch­frequenz­eigenschaften und ermöglicht eine höhere System­miniaturi­sierung, Zuverlässigkeit und Kosten­reduktion. Um das Modul im D-Band hinsichtlich seiner Eignung für Mobil­kom­muni­ka­tion zu testen, werden wir neue Signal­verar­beitungs­algorith­men untersuchen und entwickeln.

Worin genau besteht der technische Unterschied zwischen 5G und 6G?

Es gibt viele Unterschiede zwischen 5G und 6G. Lassen Sie mich nur einige nennen. Zunächst das Frequenz­spektrum: Bis 4G spielte sich die gesamte Mobil­kom­muni­ka­tion im Sub-6-GHz-Bereich ab. In 5G befinden wir uns bei 26 GHz, 28 GHz und 39 GHz, also erstmals oberhalb des 6 GHz-Spektrums. Und in 6G beabsichtigen wir, wie erwähnt, in den Terahertz-Bereich zu gehen, voraussichtlich im D-Band (0,11 THz bis 0,17 THz). Darüber hinaus könnte 6G auch VLC (Visible Light Communication) verwenden, einen viel­verspre­chenden optischen Kommuni­kationsansatz für die NahbereichsKommuni­kation, bei dem sichtbares Licht zwischen ungefähr 400 und 800 THz verwendet wird. Sowohl 5G als auch 6G werden weiterhin die Frequenzen unter 6 GHz verwenden.

Zweitens die Datenrate: Es wird erwartet, dass 5G eine Spitzen­datenrate von ca. 20 Gigabit/Se­kunde erreicht, wobei 6G eine Spitzen­datenrate von mehr als 1 Tera­bit/Sekunde erwartet. Es gibt auch einen signifi­kanten Unterschied zwischen der Datenrate pro Benutzer: In 5G werden ungefähr 100 Mega­bit/Sekunde erwartet, während für 6G ca. 1 Gigabit/Sekunde erwartet wird.

Drittens die Latenz: Es wird erwartet, dass 5G eine Latenz von ungefähr 1 Milli­sekunde und höher aufweist. 6G würde weit weniger als eine Milli­sekunde, voraus­sichtlich 100 Mikro­sekunden, erreichen. Eine extrem kleine Latenz ist sehr wichtig für Anwendungen wie holografische Kommuni­kation, Virtual, Augmented und Mixed Reality sowie für die medizi­nische Fern­diagnose und -chirurgie. In diesen medizi­nischen Anwen­dungen muss das Netz gleichzeitig eine sehr hohe Zuverlässigkeit, geringe Latenz und extrem hohe Datenraten bieten. Im Gegensatz zu 5G wird 6G so entwickelt, dass alle diese Anforderungen gleichzeitig erfüllt werden.

Einen grossen Unterschied wird es auch hinsichtlich der Anzahl der angeschlos­senen Geräte pro Quadrat­kilometer ebenso wie der Energie­effizienz geben. Ich glaube jedoch, dass es noch zu früh ist, die meisten dieser Unterschiede zu quantifizieren.

Autorin
Olga Putsykina

ist studentische Hilfskraft bei Fraunhofer IZM Berlin.

Zur Person

Seit nun fast 20 Jahren ist Dr. Ivan Ndip am Fraunhofer-Institut für Zuver­lässigkeit und Mikro­integration IZM und leitet seit 2014 die Abteilung RF & Smart Sensor Systems. Dr. Ndip war mass­geblich an der Entwicklung von Hardware-Kompo­nen­ten und Modu­len für 5G-Milli­meter­wellen beteiligt.

 

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