Neue Strategien bei längeren Lieferfristen
Ersatzteilbeschaffung bei den KWO
Einige globale Ereignisse haben in den letzten Jahren Spuren bei Herstellern von Kraftwerkskomponenten hinterlassen. Eine der Folgen sind Lieferverzögerungen bei elektrotechnischen Komponenten für Kraftwerke und Netzbetreiber. Im Interview erläutern Christian Beutler und Marco Ryter, wie die Kraftwerke Oberhasli AG mit der Situation umgeht.
Die globale Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die dadurch markant gestiegenen Energiepreise sowie knappe Rohstoffe und der Fachkräftemangel haben alle dazu beigetragen, dass gewisse Komponenten nur mit langen Lieferfristen erhältlich sind. Wie sich diese Situation konkret bei einem Betreiber von Wasserkraftwerken im Berner Oberland, den Kraftwerken Oberhasli, auswirkt, und mit welchen Massnahmen die KWO auf sie reagiert, schildern Christian Beutler und Marco Ryter.
Christian Beutler, der über 20 Jahre bei der KWO ist, leitet seit drei Jahren den Fachbereich Elektrotechnik mit 18 Mitarbeitenden. Ursprünglich hat er mit Leittechnikprojekten angefangen und eine Zeit lang Retrofit-Grossprojekte geleitet. Beinahe gleich lang, nämlich fast 20 Jahre, ist Marco Ryter bei der KWO, zurzeit als Leiter Produktion. Nach Abschluss seines Betriebswirtschaftsstudiums hat er zusätzlich das Asset Management übernommen und ist seit dem Jahr 2019 zuständig für die Investitions- und Instandhaltungsstrategie. Im Gespräch geben sie Einblicke in ihre Erfahrungen.
Bulletin: Bei welchen Komponenten treten Lieferverzögerungen auf?
Christian Beutler: Es gibt eine grosse Herausforderung im elektrotechnischen Bereich bei den Transformatoren. Trafos haben mittlerweile sehr lange Lieferfristen. Es hängt von ihrer Grösse ab. Im 16-kV-Bereich der Eigenbedarfsversorgung hat man die Trafos vor Corona innerhalb von zwölf Wochen bekommen. Heute wartet man bis zu ein Jahr für Standardprodukte aus dem Katalog. Noch schlimmer ist es bei Maschinen- und Netzkuppeltransformatoren für die 150/220 kV in Innertkirchen, denn Hochspannungstrafos werden individuell gefertigt. Da müsste man bei einer Bestellung mehrere Jahre warten. Was sich auch geändert hat, ist die Tatsache, dass gewisse Lieferanten bei Anforderungen, die zu stark vom Standard abweichen, kein Angebot mehr machen. Sie setzen klare Prioritäten, und auf Bestellungen, bei denen der Aufwand für das Engineering höher ist, gehen sie nicht ein.
Marco Ryter: Die Auftragslage ist gut bei ihnen. Sie können sich die Aufträge aussuchen.
Wo werden diese elektrotechnischen Produkte hergestellt?
Christian Beutler: In Österreich zum Beispiel. Siemens, ABB usw. sind alles europäische Anbieter. Bei den Generatoren, den Statorwicklungen, ist es auch schwierig, denn wir haben diverse Generatoren, bei denen die Statorwicklungen bald erneuert werden müssen. Da sind die Lieferfristen zwar auch länger, aber es ist nicht so dramatisch.
Wird der Stator eingeschickt?
Christian Beutler: Nein, die werden vor Ort neu gewickelt.
Marco Ryter: Unsere Maschinen sind eher gross, da wäre das Einschicken schwierig. Das macht man alles vor Ort.
Was machen Sie, wenn Sie bei einem Ausfall dringend einen Transformator brauchen und die Lieferzeiten so lange sind?
Christian Beutler: Wir sind bisher vor ungeplanten Ausfällen verschont geblieben. Wichtig ist, dass dies bei der Planung berücksichtigt wird. Man muss vorausschauend planen.
Wie wird dies gemacht?
Christian Beutler: Da gibt es diverse Punkte. Man muss die Komponenten sorgfältig einsetzen und die geplanten Wartungen konsequent durchführen. Diagnosemessungen sind auch wichtig, um den Zustand zu kennen und das Risiko von Ausfällen reduzieren zu können.
Wird dann auch der Betrieb berücksichtigt? Dass man nicht immer Volllast fährt?
Christian Beutler: Die Komponenten werden heute stärker belastet, vor allem mit schnelleren und häufigeren Lastwechseln, als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Der Strommarkt hat sich verändert. Unsere Stärke sind die Systemdienstleistungen – die Maschinen werden entsprechend stärker genutzt. Das möchten wir nicht ändern, denn wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Aktionären. Das ist unser Geschäft, nicht das Produzieren von Bandlast, um die Maschinen möglichst zu schonen. Das ist natürlich ein Spannungsfeld.
Wird die Alterung durch einen flexiblen Betrieb beschleunigt?
Christian Beutler: Das ist vor allem bei Turbinen und Generatoren der Fall.
Haben Sie auch Überraschungen erlebt? Abnützungen, die stärker als erwartet waren?
Christian Beutler: Bei einer Pumpe.
Marco Ryter: Es ist schwierig, das zu quantifizieren. Wir halten uns stark an die vorgegebenen Wartungszyklen der Hersteller. Bei der Pumpe, die Christian Beutler anspricht, haben wir Diagnosemessungen gemacht, bei denen ein betriebstüchtiger Zustand attestiert wurde. Aber kurz darauf hat es geknallt. Das zeigt die Unberechenbarkeit, die bei jeder Messung oder Instandhaltung vorhanden ist. Man kann nie alles berücksichtigen – ein gewisses Restrisiko besteht immer.
Was sind die Gründe für Lieferverzögerungen? Die Corona-Welle ist vorbei, da würde man annehmen, dass sich die Situation normalisiert.
Christian Beutler: Ich glaube, das Problem ist schon vor Corona entstanden. Gewisse Firmen haben ihre Fabrikationskapazitäten über Jahre reduziert. Die Branche hat mit Investitionen und Neuerungen gebremst, und die Hersteller hatten gewisse Überkapazitäten, die sie dann abgebaut haben. Als sich die Situation verändert hat, hatten sie schlicht zu wenig Personal für die Fabrikation. Bei den Trafoherstellern ist dies der Hauptgrund.
Und gab es bei der Material- und Rohstoffbeschaffung oder bei den Energiepreisen keine Probleme?
Marco Ryter: Doch, sowohl bei den Rohstoffen als auch beim hohen Energiepreis in 2022. Das hat dazu geführt, dass man zwar ein Angebot erhalten hat, aber es war nur einen oder zwei Tage gültig. Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass man sich so schnell entscheiden musste. Ich habe zudem das Gefühl, dass dabei der Fachkräftemangel auch eine Rolle gespielt hat.
Christian Beutler: Jetzt, da die Firmen die Kapazitäten wieder erhöhen möchten, fehlen die Leute. Mit dem Material und Rohstoffen ist es nicht mehr problematisch, aber bei den Halbfabrikaten wie Trafoblechen gibt es einen Engpass. Da gibt es offenbar nicht mehr so viele Firmen, die diese herstellen. Firmen, die ganze Transformatoren herstellen, greifen auf diese Firmen zu. Kupfer für die Wicklungen ist hingegen weniger problematisch.
Gibt es durch diese Verzögerungen konkrete Probleme?
Christian Beutler: Bis jetzt glücklicherweise nicht. Es ist enorm wichtig, dass wir wissen, welche Transformatoren wir in den nächsten Jahren ersetzen müssen. Dann müssen wir die Vorlaufzeit für die Vorprojekte berücksichtigen.
Marco Ryter: Früher hat man einfach geplant und gewusst, dass man für die Ausschreibung mit der Lieferung ein Jahr braucht. Jetzt müssen wir manchmal schon drei Jahre vor dem Realisierungsbeginn bestellen. Das ist schwierig, denn die meisten Leute sind im laufenden Betrieb engagiert und man bekommt diese Ressourcen zur Erarbeitung der Ausschreibungsunterlagen nicht einfach frei. Dies ist eine echte Herausforderung. Dass diese Dringlichkeit allen bewusst ist, braucht noch einiges, damit der Fokus richtig gelegt wird.
Christian Beutler: Ich bin skeptisch, dass sich die Situation in nächster Zeit verbessern wird. Wenn ich mir vorstelle, dass der Aufbau der Ukraine vor uns steht, braucht man viele Transformatoren und Schaltanlagen. Mit diesem Zustand werden wir uns mittelfristig oder sogar langfristig beschäftigen.
Spielt der Krieg da also auch eine Rolle?
Christian Beutler: Das sind eher meine persönlichen Überlegungen. Bei den Energiepreisen hat es sich erstaunlich gut eingependelt.
Wirken sich die Verzögerungen auch auf die Projektkosten aus?
Christian Beutler: Die Preise sind teilweise deutlich gestiegen.
Marco Ryter: Früher hatten die Lieferanten auf eine Ausschreibung gewartet, damit sie endlich loslegen können. Beim Preis haben sie sich dann unterboten. Man konnte aus diversen Angeboten auswählen. Heute muss man froh sein, wenn man einen Lieferanten mit einem guten Angebot findet, mit dem man sich vorstellen könnte, zusammenzuarbeiten. Die Möglichkeit des Vergleichs ist nicht mehr vorhanden.
Haben Sie in letzter Zeit Komponenten bekommen, bei denen die Qualität nicht gestimmt hat?
Marco Ryter: Nein, mir wäre nichts bekannt, wo die Qualität nicht in Ordnung gewesen wäre. Aber die Auswahl ist eingeschränkt.
Christian Beutler: Bei zwei Transformatoren hat es Probleme bei der Werkabnahme gegeben, aber das hat der Lieferant korrigiert. Da hatten wir schliesslich gute Qualität.
Führen Sie bei der Inbetriebnahme auch Teilentladungsmessungen durch?
Christian Beutler: Ja, alles, was Stand der Technik ist, wird gemacht. Wir arbeiten da mit der Fachkommission für Hochspannungsfragen und der BKW zusammen.
Haben Sie auch Ausweichstrategien für den Fall, dass ein Produkt nicht mehr erhältlich ist?
Christian Beutler: Dass man etwas anderes einsetzt, kann man eventuell im Kleinen machen, beispielsweise bei Komponenten für den Schaltschrank, aber bei grossen Komponenten für ein neues Kraftwerk ist der Spielraum sehr klein. Die Spannungen 150 oder 220 kV sind ja vorgegeben. Auch bei den hydraulischen Komponenten ist dies der Fall, denn die Fallhöhen sind
gegeben.
Marco Ryter: Die Ausweichstrategie sieht anders aus: Man fängt jetzt eher an, das Lager aufzubauen. Früher wurde das Lager möglichst schlank gehalten. Bei Komponenten, die schwer zu beschaffen sind, kauft man heute eventuell auf Vorrat. Im schlimmsten Fall hat man sie dann für zehn oder fünfzehn Jahre und braucht sie nicht. Das macht man sicher öfter.
Christian Beutler: Eigenbedarfstransformatoren für 16 kV nehmen wir in verschiedenen Grössen ein paar an Lager. Die werden wir sicher irgendwann einsetzen können und wir verlieren nichts. Wenn sie gut gelagert werden, ist es kein Problem.
Arbeiten Sie bezüglich Ersatzteilbeschaffung auch mit anderen Partnern zusammen?
Christian Beutler: Ja, wir haben diesbezüglich gute Beziehungen zur BKW, unserem Hauptaktionär. Bei der Beschaffung gewisser Komponenten arbeiten wir eng mit ihnen zusammen – unter anderem, weil sie von günstigen Konditionen profitieren. Aber auch im technischen Bereich arbeiten wir gut zusammen.
Marco Ryter: Wir pflegen den Kontakt auch zu anderen Kraftwerken. Wenn jemand in einer Notsituation ist, unterstützt man sich gegenseitig.
Kommentare