Rückschau Energiemarkt , Regulierung

Neue Märkte, neue Chancen – aber für wen und ab wann?

Powertage 2018

05.06.2018

Energieversorger sehen sich mit einem dramatischen Wandel konfrontiert. Strom wird vermehrt von Konsumenten selber produziert, während branchenfremde Unternehmen zu neuer Konkurrenz erwachsen. Zudem gibt die Politik den grünen Rahmen für die Energiezukunft vor, und seit Januar 2018 ist das neue Energiegesetz in Kraft. Wie geht die Branche mit diesen Herausforderungen um – und wie schafft sie es, dabei die Versorgungssicherheit im Auge zu behalten? Antworten auf diese Fragen wurden in der Vortragsreihe «Neue Märkte – neue Chancen» präsentiert, welche an den Powertagen 2018 unter dem Patronat des Verbandes der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE) stand.

Da wartet noch sehr viel Arbeit auf die Energiebranche. Diesen Eindruck erhielt, wer an den Powertagen 2018 dem Eröffnungsreferat von Michael Wider folgte. Der Präsident des VSE zeigte auf, mit welchen wichtigen branchenrelevanten Themen sich die Politik in naher und mittlerer Zukunft beschäftigen muss: Strommarktdesign, vollständige Liberalisierung des Marktes, Stromabkommen mit der EU, Revision StromVG, Gas-Versorgungsgesetz, CO2-Gesetz oder die Verknüpfung des nationalen Emissionshandelssystems mit jenem der EU. Und auch die künftige Höhe des Wasserzinses steht – trotz des für die Branche negativen Entscheids des Bundesrats von Ende Mai – mittelfristig nach wie vor auf der Traktandenliste.

Um diese Herausforderungen meistern zu können, sei eine ganzheitliche Betrachtung zwingend nötig: «Alle diese Themen haben starke Interdependenzen untereinander und dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Sonst haben wir am Schluss zwar die einzelnen Puzzlesteine, welche aber nicht ineinander passen.» Michael Wider erklärte, dass der VSE weiter an diesen Themen arbeiten und Vorschläge dazu machen werde, um ein guter Sparringpartner für die Politik zu sein. «Denn wir brauchen ein Umfeld, das erlaubt, unsere unternehmerischen Interessen mit übergeordneten volkswirtschaftlichen Interessen zu verbinden.»

«Auch mit einem liberalisierten Markt geht es der Branche gut»

Pascal Previdoli, stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Energie, gab hernach eine Einschätzung der Situation aus Sicht des BFE. Er konstatierte, dass es der Strombranche grundsätzlich gut gehe. «Wer gefangene Kunden hat, kann Gestehungskosten in die Grundversorgung verschieben.» Bei solchen EVUs seien Gewinn und Eigenkapitalquoten gut. Er räumte aber auch ein, dass es bei EVUs, die keine Grundversorgung anbieten und daher am Markt verkaufen müssten, anders aussehe. Die Versorgungssicherheit – aus Sicht des BFE der zentrale Punkt beim Marktdesign – erachtet Pascal Previdoli als mittel- bis langfristig gewährleistet. Um mögliche Stromengpässe im Winter abzufedern, plant das BFE, eine ent­sprechende Speicherreserve auszuschreiben. Diese könne, müsse aber nicht zwingend in Speicherseen vorgehalten werden. «Diese Reserve ist technologie-offen. Es wäre also auch denkbar, dass beispielsweise eine Kehrichtverbrennungsanlage die ausgeschriebene Energie reserviert.» Die vollständige Marktöffnung betrachtet das BFE als wichtigen Bestandteil des Marktdesigns. Denn im offenen Strommarkt könnten Kunden besser eingebunden und abgeholt werden. Mit neuen, innovativen Dienstleistungen könne darüber hinaus zusätzliches Potenzial generiert werden.

Eine Data Policy für die Branche

Google, Apple, Facebook und Amazon machen es vor und sammeln User-Daten im grossen Stil. Auch EVUs werden in Zukunft dank digitalisierter Systeme mehr Daten ihrer Kunden sammeln als bisher. Die Frage ist nun, ob und wie EVUs diese Daten nutzen dürfen. Und überhaupt: Wem gehören diese Daten eigentlich? Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) regelt solche Fragen seit dem 25. Mai 2018 – zumindest in der EU. In der Schweiz existiert noch keine solche Verordnung. «Aber als Verteilnetzbetreiber müssen wir darauf vorbereitet sein. Daher hat der VSE die Arbeitsgruppe Data Policy gegründet», erklärte Stéphane Henry, IT Risk Officer bei Romande Energie und Leiter ebendieser Arbeitsgruppe Data Policy. Die in der Energiestrategie 2050 vorgesehenen Massnahmen wie dezentrale Produktion oder Smart Metering bedingen neue, digitale Kommunikationswege. Auf diesen werden unweigerlich Daten gesammelt. «Unsere Pflicht ist, Regeln zum Umgang mit diesen Daten und zu ihrem Schutz festzulegen. Dies geschieht in einer Data Policy.»

Analyse des Energiediskurses hilft bei der Kommunikation

Einen Ansatz aus einer ganz anderen Disziplin – der Linguistik – stellte schliesslich Peter Stücheli von der ZHAW vor: Seit 2011 untersucht er mit seinen Mitarbeitern und Studenten den Energiediskurs in der Schweiz; also wie in Schweizer Medien über die Energiezukunft kommuniziert wird. Das Departement für angewandte Linguistik der ZHAW verfügt unterdessen über eines der grössten Textkorpora europaweit bezüglich des Energiediskurses: das Swiss Applied Linguistic Corpus. Die Daten stammen aus 300 Schweizer Domains und erlauben die Erstellung einer umfassenden Übersicht. So lässt sich beispielsweise der Verlauf der Häufigkeit bestimmter Schlagworte nachweisen. «Der Begriff ‹Fukushima› hat seit 2011 eine grosse Karriere gemacht», sagt Peter Stücheli. «Aber auch der ‹Atomausstieg› taucht seit Anfang 2017 immer häufiger auf.» Die «Wasserkraft» bezeichnet Peter Stücheli sogar als «‹Rising Star›, über den wir noch viel sprechen werden». Von den Erkenntnissen dieser Analyse könnten auch EVUs respektive deren Kommunikationsabteilungen profitieren, wenn es beispielsweise darum geht, in der Öffentlichkeit einen neuen Common Sense zu kreieren.

«Die Zukunft heisst Sektor-Kopplung»

Zum Abschluss des Forum-Morgens warf Hans-Kaspar Scherrer, CEO der Eniwa AG, schliesslich noch einen Blick auf das Thema Sektor-Kopplung. Weil es bei der Energiezukunft nicht um die Technik – die sei nämlich vorhanden –, sondern eher um Glaubensfragen gehe, «hätte ich vielleicht besser Theologie studieren sollen», sinnierte Hans-Kaspar Scherrer eingangs seines Vortrags. Die Aufgaben, welche die Branche vor einem Jahr beispielsweise mit der Energiestrategie 2050 oder auch schon vor fast 30 Jahren mit dem Ziel, den CO2-Ausstoss bis 2030 zu halbieren, erhalten habe, seien zwar sehr spannend, aber beileibe keine einfache Aufgabe. Er zeigte in der Folge auf, welche Projekte Eniwa (damals noch als IBA) gestartet hat, um diese Vorgaben zu erreichen. Und Hans-Kaspar Scherrer machte deutlich, dass die Branche nicht um das Thema Sektor-Kopplung, also die Verzahnung von Strom, Wärme, Industrie und Mobilität, herumkommen werde. Die Sektor-Kopplung sei ein nötiger Schritt, um erneuerbare Energien noch besser integrieren und nutzen zu können. «Und deshalb müssen wir beim Bau neuer Anlagen bereits heute die Voraussetzungen für die Sektor-Kopplung von morgen schaffen.»

Autor
Ralph Möll

war Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

Kommentare

Was ist die Summe aus 4 und 5?