Neue Fragen bei der Wasserkraft
Forschungsthemen
Der Umbau des Energiesystems wirkt sich auch auf die Anforderungen aus, die an die Wasserkraft gestellt werden. Neue, dynamischere Betriebsarten laden dazu ein, bewährte Technologien zu überdenken.
Seit über einem Jahrhundert verlässt sich die Schweizer Energiewirtschaft auf die Wasserkraft, die den grössten Anteil an der Elektrizitätsbereitstellung liefert. In diesem langen Zeitraum wurden hydraulische Kraftwerkskomponenten kontinuierlich verbessert. Heute ist das Optimum beim Wirkungsgrad im nominalen Betrieb praktisch erreicht. Grund genug, die energietechnischen Forschungsaktivitäten auf weniger ausgereifte Technologien zu verlagern. Beispielsweise sucht man im Programm der Energy Week der ETH Zürich, die vom 5. bis 11. Dezember 2022 in Zürich stattfand, den Ausdruck «Wasserkraft» vergebens. Da werden Netto-Null-Energieszenarien diskutiert, die Rolle der Gebäude untersucht, die Sektorkopplung als Schlüsselelement der Enegiewende angepriesen und der Betrieb einer sicheren Netzinfrastruktur vorgestellt.
Dies sind zweifellos wichtige Themen. Aber ganz ausgeblendet sollte die Wasserkraft nicht werden, denn es gibt noch offene Fragen. Es gilt zu erforschen, wie sich ihre Rolle in der Transition zu einem nachhaltigeren Energiesystem verändert und welche Anpassungen nötig sind, damit sie die neue Rolle zuverlässig erfüllt. Diese Fragen sind besonders in Europa wichtig, wo das Wasserkraftpotenzial fast ausgeschöpft und wo bewährte Anlagen gelegentlich mit Retrofits aktualisiert werden. Denn als zentrales Element wird auch die Wasserkraft, insbesondere Pumpspeicherkraftwerke, wegen des wachsenden Anteils an fluktuierenden erneuerbaren Stromquellen ihren Betrieb anpassen müssen – und wird dadurch vor neue Herausforderungen gestellt. Statt einmal täglich mit Atomstrom in der Nacht zu pumpen, dürften Pumpspeicherkraftwerke beispielsweise im Sommer mehrmals täglich aktiviert werden, um überschüssigen Solarstrom sinnvoll nutzen zu können. Ein Betrieb, für den die Pumpturbinen ursprünglich nicht ausgelegt wurden.
Dynamische Belastungen häufen sich
Hydraulische Pumpen und Turbinen arbeiten im vorgesehenen Arbeitspunkt effizient und mit langer Lebensdauer. Das Aufstarten, ein Lastabwurf oder ein Teillastbetrieb vor dem Synchronisieren sind aber problematisch, da die hydraulischen Komponenten einen Arbeitsbereich durchqueren müssen, in dem oft Instabilitäten auftreten. Für Turbinen ist dies weniger kritisch, aber für Pumpturbinen schon. Die Vibrationen und Schwingungen belasten die mechanischen Teile enorm und führen zu einer deutlich verkürzten Lebensdauer des Laufrads – wenn nicht ein Schaden die Nutzungsdauer noch abrupter beendet.
Der neue Einsatz im dynamischeren Energiesystem wirft Fragen auf: Wie wirkt sich die markante Zunahme der Betriebswechsel auf die Pumpturbinen aus? Mit welchen Massnahmen können die schädlichen Auswirkungen minimiert werden? An Antworten wird in diversen Ländern gearbeitet, in der Schweiz unter anderem an der Hochschule Luzern (HSLU), wo sich Dr. Sabri Deniz, Professor am Institut für Maschinen- und Energietechnik, mit Fragen der Fluidmechanik befasst.
Sein Team untersucht, wie sich Instabilitäten in Pumpturbinen eliminieren lassen. Dabei setzen sie auf eine aktive Unterdrückung von Instabilitäten mittels Einspritzung von Wasser oder Luft in das kritische Gebiet, den unbeschaufelten Raum zwischen Leitschaufeln und Laufrad. Das Einspritzen wird aktiviert, wenn ein problematisches Strömungsverhalten auftritt. Sobald die Pumpturbine im Normalbetrieb ist, wird die aktive Unterdrückung ausgeschaltet. Im Vergleich zu passiven Methoden wie Stabilisierungsflügeln, geometrischen Anpassungen der Wand mit J-Fugen oder Ähnlichem, die auch in der Lage sind, Instabilitäten zu unterdrücken, haben aktive Methoden den Vorteil, dass sie den Wirkungsgrad im Normalbetrieb nicht reduzieren.
Diverse aktive Optionen zur Verbesserung der Kennlinie bei Pumpen und Turbinen werden an der HSLU getestet: Bei der Einspritzung wurde zunächst mit Erfolg eine externe Energiequelle verwendet. Dann wurde untersucht, ob es nicht möglich wäre, mittels Bypass das eigene Wasser der Turbine zu verwenden. Da war der positive Effekt kleiner. Diese Methoden ermöglichen einen Betrieb unter Teillast, was früher nicht möglich war.
An der HSLU wurde ebenfalls untersucht, ob die Unterdrückung mittels Einspritzung bereits ab dem Startvorgang aktiv sein soll, oder ob es genügt, sie erst zu aktivieren, wenn Instabilitäten auftreten. Fazit: Wenn die Einspritzung bereits ab dem Start eingesetzt wird, können keine Überraschungen auftreten – beispielsweise durch Asymmetrien der Strömung, die Instabilitäten in sonst stabilen Arbeitspunkten verursachen. Man braucht also mehr Energie, ist dafür auf der sicheren Seite bezüglich Instabilitäten.
Forschungstrends bei Turbinen
Es wird heute aber nicht nur am Teillastbetrieb geforscht, sondern auch an der Optimierung von Turbinen. Dies geschieht hauptsächlich in Norwegen, wo der Anteil der Wasserkraft an der Energiebereitstellung deutlich höher ist als in der Schweiz, aber auch an der EPFL und der HES-SO Wallis. Dabei stehen Hochdruckanlagen im Fokus, bei denen aus wirtschaftlichen Gründen höhere Gefälle realisiert werden sollen. Stellte früher eine Fallhöhe von rund 600 m für Francis- und Pumpturbinen einen Weltrekord dar, werden heute schon etwa 800 m erreicht. Wurden früher für diese enormen Fallhöhen ausschliesslich Peltonturbinen verwendet, geht nun der Trend in Richtung Francisturbinen.
Obwohl Peltonturbinen eine ausgereifte Technologie darstellen – ihr Wirkungsgrad erreicht bis 95 % –, wird immer noch an ihnen geforscht. Die grösste aktuelle Herausforderung ist die Erosion. Früher kannte man dieses Problem in der Schweiz kaum, da immer sauberes Wasser zur Verfügung stand. Die Forschung befasste sich mit Situationen in Ländern wie Indien und Nepal, wo die Laufräder nach einem Jahr von den Sedimenten so stark abgenützt waren, dass sie ersetzt werden mussten. Aber nun mit dem klimabedingten Rückzug der Gletscher hat es auch in den hiesigen Stauseen viel mehr Sedimente und Steine. Dieses Erosionsproblem ist somit auch in der Schweiz angekommen. In Lausanne und in Sitten forscht man an der Vorhersage der Erosion, in Luzern befasst man sich mit der Frage, wie sich ohne Demontage der Turbine feststellen lässt, wann das Laufrad ersetzt werden soll. Durch systematisches Abschneiden von Material an exponierten Stellen der Becher wird die Erosion simuliert und der entsprechende Wirkungsgrad gemessen. Anhand des Wirkungsgrads lassen sich dann Aussagen über den Erosionszustand machen.
Bei diesen Versuchen werden vermehrt Hochgeschwindigkeitskameras eingesetzt, mit denen die Strömungen unter anderem von Düsenseite her beobachtet werden können. Damit lässt sich sagen, welche Auswirkung die Erosion auf die Strömung hat.
Kavitationsforschung
Bei Pumpen und Turbinen wird auch die Kavitation untersucht, weil sie das Oberflächenmaterial deformieren und beschädigen kann. Dazu hat das Labor der HSLU einen Prüfstand, der zwar kleiner als der Kavitations-Prüfstand der EPFL ist, aber mit dem sich axiale Laufräder untersuchen lassen. Früher wurde die Leckage beim Spalt untersucht, heute eher die Wirbelbildung bei sehr kleinem Spalt, denn da können ebenfalls Kavitationseffekte auftreten. Während der Experimente sorgt ein Wärmetauscher dafür, dass die Wassertemperatur konstant bleibt, denn der Kavitationseffekt ist temperaturabhängig. Bei der Suche nach der optimalen Spaltgrösse wurde der Spalt in den Versuchen schrittweise vergrössert und der Kavitationseinfluss untersucht. Feine Löcher auf dem Flügel ermöglichen Druckmessungen, und eine Hochgeschwindigkeitskamera unterstützt die Untersuchungen.
Neue Entwurfsmethode
Numerische Strömungsberechnungen (Computational Fluid Dynamics, CFD) werden heute in der hiesigen Industrie für hydraulische Turbomaschinen (Pumpen und Turbinen) vermehrt für die Berechnung des Strömungsfeldes mit Druck- und Geschwindigkeitsverteilungen und zur Bestimmung des Wirkungsgrades und der Leistung der Maschine mit genügender Genauigkeit eingesetzt. Der nächste Schritt bezüglich solcher Anwendungen ist, CFD nicht nur für die Analyse der Strömung, sondern auch für neue, bessere Designs oder Design-Modifikationen zu verwenden. Bekanntlich werden während des Designs von Turbomaschinen immer noch viele Erfahrungswerte bzw. empirische Korrelationen verwendet, welche auf früheren «guten» Designs basieren und sich von Firma zu Firma unterscheiden. Um diese Situation zu verbessern, hat der Pumpen-Experte Johann Gülich, der ein umfassendes Kreiselpumpenbuch verfasst hat, im Rahmen eines Innosuisse-Projektes für die Pumpenindustrie eine neue Design-Methode für Laufräder entwickelt. Das Ziel ist, neue Kreiselpumpen von Grund auf zu entwerfen, ohne Rückgriff auf bestehende Pumpen. Dieser Ansatz kann besonders bei neuen Anwendungsgebieten und unüblichen Materialien nützlich sein, bei denen die empirische Basis bescheiden ist. Die Methode wird mit numerischen Strömungsberechnungen unterstützt. Die neu hergestellten Pumpen-Laufräder wurden an der HSLU getestet.
Bei neuen Entwicklungen oder bei Design-Verbesserungen von Pumpen und Turbinen ist die Diskrepanz zwischen Aufwand und Nutzen heute ein grundsätzliches Problem. Gewisse Verbesserungen können zwar bezüglich des Wirkungsgrades oder der Betriebsbereich-Erweiterung noch erreicht werden, aber nur unter erheblichen Investitionen. Deshalb orientiert sich die Forschung nun um. An der ETH Zürich hat man die Abteilung für hydraulische Maschinen schon vor Längerem geschlossen und die Turbinenprüfstände der HSLU geschenkt. «Der Wettbewerb mit Fernost spielt auch eine Rolle», sagt Sabri Deniz, «denn am Ende nimmt man eine Pumpe (oder eine kleine Turbine wie PAT ‹Pumpe als Turbine›), die zwar einen um wenige Prozente geringeren Wirkungsgrad hat, aber deutlich preiswerter ist.»
Bei Windturbinen ist die Situation vergleichbar, es gibt aber eine einfachere Methode, um die Leistung zu steigern: Statt an strömungstechnisch besseren Windturbinen-Rotoren zu forschen, macht man sie einfach grösser. Die Windkraft hat den Vorteil, dass sich ein leicht schlechterer Wirkungsgrad mühelos mit einem grösseren Rotordurchmesser kompensieren lässt. Sabri Deniz: «Warum sollen sie sich bezüglich des Wirkungsgrades den Kopf zerbrechen? Die Leistung ist wichtig, ob sie mit kleinerem Wirkungsgrad erreicht wurde, interessiert Windturbinen-Betreiber nicht wirklich.»
Die Digitalisierung hält Einzug
Eine kleine Revolution für die Pumpenforschung ist das Additive Manufacturing. Laufräder und die dreidimensionale Geometrie von Eintritt bis Austritt lassen sich nun mit dem 3D-Druck viel einfacher für Testzwecke herstellen, solange die Oberflächenrauigkeit den Vorgaben genügt. Früher war es sehr schwierig, gekrümmte Schaufeln mit Fünfachsenmaschinen zu schleifen. Kranz und Schaufeln wurden separat hergestellt und mussten verschweisst werden, was zu mechanischen Spannungen und entsprechenden Schäden führen konnte. Der 3D-Druck eliminiert heute viele dieser Probleme.
Durch numerische Simulationen, die nun mit leistungsfähigen Rechnern und Rechnerclustern möglich sind, kommt Bewegung in die Forschung. Man kann Strömungen, Wirkungsgrade oder Druckverteilungen bei komplexen Geometrien berechnen, um hydraulische Turbomaschinen zu optimieren. Sogar schnelle transiente Vorgänge wie Start/Stopp, Lastwechsel oder Lastabwurf lassen sich simulieren. Dies war laut Sabri Deniz vor fünf Jahren an der HSLU noch nicht möglich.
Die Interaktion zwischen Berechnungen und Experimenten ist da auch wichtig. Mit der numerischen Strömungsmechanik wird die Strömung und Druckverteilung berechnet und mit der Finiten-Elemente-Methode verknüpft, um das Laufrad zu modifizieren. Man berechnet ein Laufrad, erhält die Druckverteilung und kann die mechanischen Belastungen und Spannungen ermitteln, um die Geometrie des Laufrads zu modifizieren. Anschliessend kann wieder beurteilt werden, ob das neue Design den gewünschten Zielen entspricht. Am zurzeit offenen Zwischenschritt, wie man von den Simulationsinformationen zum optimalen Design kommt, arbeitet man noch. Optimierungsprogramme mit Machine Learning könnten diese Lücke künftig füllen.
Immer noch in Bewegung
Die Wasserkraft ist bewährt. Da die Situation im Stromnetz aber wegen den volatil einspeisenden erneuerbaren Energiequellen schwieriger wird, erhält sie die Aufgabe, die Schwankungen zeitnah auszugleichen – mit Komponenten, die nicht dafür konzipiert wurden. Um dieser neuen Rolle gerecht zu werden, sind die erwähnten Forschungsanstrengungen nötig. Aktivitäten, die dazu einladen, mit neuen Tools wie 3D-Druck, Hochgeschwindigkeitskameras und fluiddynamischen Simulationen an neuen Lösungen für ein nachhaltiges Energiesystem zu arbeiten.
Literatur
- Ioannis Kougias, et al., «Analysis of emerging technologies in the hydropower sector», Renewable and Sustainable Energy Reviews 113, 2019.
- Sabri Deniz, Simon in Albon, «Modification of Pump Turbine Characteristics with Fluid Injection in Pump Operating Mode», ASME Turbo Expo 2022, Paper # GT2022-82884, 13.–17. Juni 2022, NL-Rotterdam.
- André Abgottspon, David Felix, Thomas Staubli, Robert Boes, «Betriebs- und Unterhaltsoptimierung von beschichteten Peltonturbinen mit hydro-abrasivem Verschleiss», Wasser Energie Luft – 114. Jahrgang, 2022, Heft 2, S. 105–117.
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