Fachartikel Energieeffizienz

Moderne Bordnetz-Batterie

Gewichtseinsparung und längere Lebensdauer

26.02.2018

Die SBB prüfen, die Bleibatterien in den Zügen nach und nach zu ersetzen. Die neuen Akkus sollen wesentlich leichter sein und über eine deutlich gesteigerte Lebensdauer verfügen. Ein von der Berner Fachhochschule entwickelter Prototyp erfüllt diese Anforderungen – und dient nun als Referenz bei der Ausschreibung des Beschaffungsauftrags.

Das gesamte, rund 3200 km lange SBB-Schienennetz ist mit Stromleitungen ausgerüstet. Die Leitungen versorgen die Züge, die zwischen Basel und Chiasso, zwischen Genf und St. Margrethen unterwegs sind, mit 15-kV-Wechselspannung. Trotz direkter Anbindung ans Übertragungsnetz braucht jedes der rund 3500 Eisenbahnfahrzeuge – Reisezugwagen, Triebzug oder Lokomotive – eine oder mehrere Batterien. Die Batterien speisen das Bordnetz der Eisenbahnwagen in Notsituationen, aber auch bei kurzen Speisungsunterbrüchen, die beim regulären Betrieb auf der Strecke oder beim Umspannen in den Bahnhöfen auftreten. Das Bordnetz liefert die Energie für Beleuchtung, Türen und Kundeninformationssysteme. Die Batterie ist ein sicherheitsrelevantes System, da sie den Betrieb der Magnetschienenbremsen gewährleistet und bei Evakuationsfällen zum Einsatz kommt.

Heute werden zu diesem Zweck meist 36-V-Bleibatterien genutzt, jede von ihnen 334 kg schwer. Bezogen auf die gesamte Fahrzeugflotte kommen so rund 2000 t zusammen, die mit den Zügen befördert werden müssen und den Energieverbrauch entsprechend erhöhen. Die SBB will hier ansetzen und die Bleibatterien nun durch neue Batterien ersetzen. Diese sollen leichter, dank neuer Technologie energieeffizienter und – über den Lebenszyklus hinweg – günstiger sein. Die Senkung der Lebenszykluskosten (LCC) und der nachhaltige Umgang mit wertvollen Ressourcen sind die zentralen Beweggründe für diesen Technologiewechsel. Die Entwicklung einer solchen Batterie ist anspruchsvoll, weil sie ohne speziellen Anpassungsaufwand in die bestehende Umgebung der Bahnwagen eingebaut werden können muss.

Mitte 2014 haben die SBB das Projekt «Neue Batterietechnologie SBB» gestartet. Als Partner beteiligt ist das BFH-CSEM-Zentrum Energiespeicherung in Biel, eine 2015 geschaffene Gemeinschaftseinrichtung der Berner Fachhochschule (BFH) und des Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique SA (CSEM). Das Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt das Vorhaben im Rahmen seines Pilot- und Demonstrationsprogramms.

Beitrag zur effizienten Stromnutzung

Gut drei Jahre nach Projektstart liegt das Funktionsmuster einer Batterie vor, das die Anforderungen an eine moderne SBB-Batterie technisch umsetzt und zudem verschiedene Realisierungsoptionen vor Augen führt. «Diese Batterie dient als technisches Referenzobjekt bei der im Jahr 2018 geplanten Ausschreibung, mit der mittelfristig rund 2200 ältere Reisezugwagen und Lokomotiven mit neuen Batterien ausgestattet werden sollen», sagt SBB-Projektleiter Ueli Kramer. Die neue Batterie ist also zunächst für das Retrofit der älteren Bahnwagen mit 36-V-Bordsystem konzipiert. Längerfristig könnte sie in angepasster Form in den neueren Bahnwagen, deren Bordsysteme mit 110 V gespeist werden, zum Einsatz kommen. Bereits läuft ein entsprechendes Projekt mit einem Industriepartner, in das die Erkenntnisse aus dem 36-V-Prototyp mit einfliessen.

Die neue Batterie ist eine von vielen Massnahmen, mit denen die SBB mittelfristig Stromverbrauch und Betriebskosten senken wollen. 2012 hatte der Verwaltungsrat der Bundesbahn ein Programm zur Steigerung der Energieeffizienz gutgeheissen: Bis 2025 wollen die SBB jährlich dauerhaft 600 GWh elektrischer und fossiler Energie einsparen. Das entspricht 20 % des Energieverbrauchs. Gelingt die Umsetzung dieses Ziels, wären SBB-Züge künftig ausschliesslich mit erneuerbarer Energie unterwegs und kämen ohne Kernenergie aus. Dabei ist die Energieeffizienz einer von mehreren Beweggründen für die technische Neuerung. Haupttreiber sind die Steigerung der Zuverlässigkeit sowie die Senkung der Lebenszykluskosten des Batteriesystems dank der verlängerten Lebensdauer.

Robustheit als Priorität

Der oben beschriebene Batterietyp wird im SBB-Alltag nur sporadisch und in relativ geringem Ausmass beansprucht. Dies lässt sich beispielhaft an einem Niederflur-Triebzug Flirt (RABe523xxx), wie er unter anderem im Regionalverkehr zum Einsatz kommt, aufzeigen: Bei der morgendlichen Inbetriebnahme des Zuges (Aufrüsten) wird während fünf Minuten Energie (rund 570 Wh) aus der Batterie abgerufen. Über den Tag kommt die Batterie dann typischerweise 18 Mal kurz zum Einsatz, nämlich dann, wenn der Zug einen Streckenabschnitt ohne Stromversorgung und ohne Stützbremse (Schutzstrecken bei Netzabschnittwechsel) passiert; dann bezieht das Bordnetz jeweils während rund einer Minute 150 Wh aus der Batterie. Bei der Ausserbetriebnahme das Zuges am Abend (Abrüsten) liefert die Batterie nochmals während 20 Minuten ca. 1,8 kWh. Nach jeder Belastung wird die Batterie wieder nachgeladen. Während die Batterie eines Elektroautos über eine maximale Energiedichte verfügen muss, ist das bei dem sehr spezifischen Leistungsprofil der SBB-Batterie nicht erforderlich.

Wichtig ist vielmehr, dass die Batterie bei starken Vibrationen keinen Schaden nimmt und auch bei Temperaturen von bis zu –20°C verlässlich arbeitet. Die von der BFH entwickelte Batterie setzt auf die Lithium-Eisenphosphat-Technologie. Diese Chemie gewährleistet dank ihrer Beständigkeit eine hohe Sicherheit und Lebensdauer. Die Speicherkapazität ist wie bei der bisherigen Bleibatterie so gewählt, dass ein dreistündiger Notbetrieb des Fahrzeugs auch unter widrigsten Umständen gewährleistet ist. Beim Funktionsmuster entspricht das einer Kapazität von 6,5 kWh im Neuzustand.

Gesteuerter Ladevorgang

Für die Steuerung und Überwachung des Funktionsmusters sorgt ein eigens entwickeltes Batteriemanagementsystem. Dieses sorgt unter anderem dafür, dass die Batterie nach jedem Energieabruf bedarfsgerecht und schonend aufgeladen wird. Es regelt den Ladevorgang so, dass die Batterie jederzeit mindestens jene 2 kWh Energie zur Verfügung stellen kann, welche gemäss Anforderungen für den Notbetrieb bei einem Netzausfall erforderlich sind. So wird z. B. sichergestellt, dass das Licht für drei Stunden verfügbar ist. Aufgrund der chemischen Eigenschaften muss die Batterie – vor allem im Neuzustand – bei warmen Umgebungstemperaturen nicht immer voll geladen werden. Dank optimierter Steuerung und geringer elektrischer Beanspruchung dürfte die Lebensdauer der Batterie künftig mindestens zwölf Jahre betragen. Bisherige Bleibatterien müssen vorsorglich nach fünf bis sieben Jahren ersetzt werden. «Da die neue Batterie über die doppelte Lebensdauer verfügt, sind die höheren Anschaffungskosten bei angemessener Auslegung gut zu kompensieren», sagt BFH-Entwicklungsingenieur Christian Vögtli.

Das Bordnetz von Bahnwagen wird im Normalfall aus der Oberleitung gespeist, indem die 15-kV-Wechselspannung über verschiedene Stufen auf rund 42 V Gleichspannung transformiert wird. Die bisherigen Bleibatterien sind dauerhaft mit dem Bordnetz verbunden und stehen daher immer unter Ladespannung. Anders die neue Batterie: Sie kann – wenn sie z. B. voll geladen ist – zeitweilig vom Bordnetz getrennt werden. Dies ist vorteilhaft, denn im getrennten Zustand sinkt die Batteriespannung aufgrund sogenannter Relaxationseffekte leicht ab, was die Lebensdauer der Batteriezellen erhöht. Zur Abkopplung der Batterie vom Bordnetz wird ein speziell angesteuerter Halbleiterschalter verwendet. Dank diesem Halbleiterschalter bleibt die Batterie jederzeit einsatzbereit: Fällt das Bordnetz beispielsweise durch einen Netzunterbruch aus, ermöglicht der Schalter sofort und ohne aktives Eingreifen der Steuerung den Energiefluss ins Bordnetz.

Eine neue Perspektive eröffnet das in Biel entwickelte Funktionsmuster auch bei der Wartung. Heute müssen die Batterien alle sechs Monate kon­trolliert werden, beispielsweise auf allfällige Ausgasungen, und ihr Ablaufdatum wird visuell überprüft. Das könnte in Zukunft überflüssig werden, indem das Batteriemanagementsystem den «Gesundheitszustand» (State of Health / SoH) der Batterie automatisch analysiert und die Werte in regelmässigen Abständen per GSM an das Servicezentrum übermittelt (oder zumindest an der Batterie gut sichtbar angezeigt). Batterien würden dann nicht mehr vorsorglich ersetzt, wie das heute der Fall ist, sondern nur dann, wenn ihr State of Health den Anforderungen nicht mehr genügt.

Grundlage für die Beschaffung im Markt

Ursprünglich hatten die SBB geplant, mehrere Prototypen zu bauen und diese im Bahnbetrieb zu erproben, um anschliessend die Batterie selber herzustellen. Davon ist das Unternehmen unterdessen abgekommen. «Einerseits wäre der Wissenszuwachs für die technischen Belange in einem Missverhältnis zum Aufwand eines Pilotbetriebes gestanden. Andererseits sind die SBB bestrebt, modulare Produkte unter günstigen Voraussetzungen im Markt zu beschaffen anstatt selbst als Hersteller aufzutreten», sagt SBB-Projektleiter Ueli Kramer. Die neue Batterie soll nun mit den erforderlichen Spezifikationen bei Industrielieferanten bestellt werden. «Mit dem Funktionsmuster konnten wir das nötige Wissen erarbeiten, wichtige Erfahrungen sammeln und so die Spezifikation für ein bahntaugliches System gemäss Stand der Technik erarbeiten», sagt Kramer. «Jeder Hersteller kann in seinen Produkten die besten verfügbaren Technologien einsetzen und Ansätze und Ideen des Funktionsmusters übernehmen, um dadurch die vorgegebenen Spezifikationen zu erreichen.» Von der SBB-Entwicklung könnten am Ende auch weitere Bahnen im In- und Ausland profitieren, die ebenfalls an der Modernisierung ihrer Batteriesysteme arbeiten.

Vorteil

Gewicht auf ein Drittel reduziert

Das von der BFH entwickelte Funktionsmuster besteht aus elf Lithium-Eisenphosphat-Batteriezellen (LiFePO4). Jede Zelle ist mit einer Anschlussplatine ausgestattet, mit dem unter anderem die Temperatur der Zelle ermittelt werden kann. Die Steuerung und Überwachung erfolgt über das zentrale Batteriemanagementsystem (BMS).

Das Funktionsmuster toleriert eine Ladespannung zwischen 39 und 45 V. Diese Flexibilität ist nötig, weil die Ladespannung des Bordnetzes im Sinne der Ladecharakteristik von Bleibatterien temperaturabhängig in diesem Spannungsbereich variiert. Gegenüber der bisher gängigen Bleibatterie ist das Funktionsmuster noch ein Drittel so schwer (110 statt 334 kg) und verfügt über das halbe Volumen (60 statt 120 l). Die Entwickler streben einen Ersatz des brandbeständigen Stahltroges an, um das Gewicht weiter zu reduzieren. Dabei hat der Brandschutz für die Batterieentwickler höchste Priorität.

Lademanagement

Tiefen Temperaturen trotzen

Um eine lange Lebensdauer zu gewährleisten, müssen Lithium-Eisenphosphat-Batterien insbesondere bei Temperaturen von –20 °C schonend aufgeladen werden. Um dies zu meistern, wurden gleich mehrere Ansätze implementiert: Einerseits wurden spezielle Batteriezellen gewählt, welche tiefe Temperaturen gut tolerieren. Zudem wurde eine elektrische Zellenheizung implementiert, mit welcher die Temperatur der Batteriemasse mit einem Wärmeeintrag über die Pole (700 W während einer Stunde) um 20 K angehoben wurde. Schliesslich enthält das Funktionsmuster einen DC-DC-Wandler, welcher eine kontrollierte, verlangsamte und somit schonende Ladung mit bis zu 800 W unabhängig von der fixen Ladestromvorgabe des Bordnetzes ermöglicht.

Für den praktischen Betrieb der Batterie bei winterlichen Temperaturen sind nicht alle diese Vorkehrungen notwendig. Die angestrebte Lebensdauer und Verfügbarkeit lassen sich mit zwei der drei Vorkehrungen aufrechterhalten, betonen die Projektverantwortlichen. Auf welchem Weg die künftige, serienmässig hergestellte SBB-Batterie die Ladefähigkeit bei tiefen Temperaturen mit dem Ziel der Langlebigkeit in Einklang bringt, wird sich zeigen.

 

Zum Einstiegsbild: Das am BFH-CSEM-Zentrum Energiespeicherung in Biel entwickelte Funktionsmuster besteht aus elf Li-Ionen-Zellen und hat eine Speicherkapazität von 6,5 kWh. Bild: BFH

Auskünfte zum Projekt erteilen Ueli Kramer, Projektleiter Energiemanagement und Leiter Kompetenzcenter Energiespeicher SBB, und Christian Vögtli, Entwicklungsingenieur am BFH-CSEM-Zentrum Energiespeicherung in Biel.

Auskünfte vonseiten des BFE erteilen Dr. Men Wirz, BFE-Sektion Cleantech, und Roland Brüniger, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Elektrizitätstechnologien.

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

BFE-Unter­stützung

Pilotprojekte

Die Entwicklung des Funktionsmusters für eine neue SBB-Batterie gehört zu den Pilot- und Demonstrationsprojekten, mit denen das Bundesamt für Energie (BFE) die Entwicklung von sparsamen und rationellen Energietechnologien fördert und die Nutzung erneuerbarer Energien vorantreibt. Das BFE fördert Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte mit 40 % der nichtamortisierbaren, anrechenbaren Kosten. Gesuche können jederzeit eingereicht werden.

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