Kurznachricht Energieeffizienz , Mobilität

Mit weniger Treibstoff über den See

Hybridantrieb steigert Effizienz

Auch die Schifffahrt macht sich auf in eine sauberere Zukunft: Das neue Motorschiff MS Diamant, das auf dem Vierwaldstättersee unterwegs ist, verbraucht dank eines kombinierten Antriebs mit Diesel- und Elektromotoren einen Fünftel weniger Treibstoff als eines mit reinem Dieselantrieb. Die Lösung hat die Shiptec AG in Luzern gemeinsam mit Siemens-Spezialisten entwickelt.

Vor über 180 Jahren nahm das erste Dampfschiff auf dem Vierwaldstättersee seinen Betrieb auf. Mittlerweile ist die Dampfmaschine anderen Antriebslösungen gewichen, nur noch fünf Schiffe der Schifffahrtsgesellschaft Vierwaldstättersee (SGV) sind mit Dampf unterwegs. Die anderen 15 werden mehrheitlich mit Diesel betrieben. Bereits 2006 überlegte sich die SGV, welche alternativen Antriebe in der Schweizer Binnenschifffahrt möglich sind. Die Ingenieure und Maschinenbauer verfolgten verschiedene Ansätze. «Unsere Überlegungen führten uns relativ schnell zu einem dieselelektrischen System», erzählt Martin Einsiedler, Leiter Schiffsentwurf und Engineering bei der Shiptec AG, einer Tochtergesellschaft der SGV.

So ist das neue Kurs- und Bankettschiff der SGV, die MS Diamant, mit einem parallel hybriden Antrieb unterwegs, bei dem Diesel- mit Elektromotoren gekoppelt sind. Die Idee ist einfach: Im Normalbetrieb treiben zwei Dieselmotoren die MS Diamant an. Die daran gekoppelten Elektromotoren arbeiten als Generatoren und versorgen das Schiff mit elektrischer Energie oder laden die Batterien auf. Bei schwierigen Wetterbedingungen oder grosser Beschleunigung unterstützen die Elektromotoren die relativ kleinen Antriebsdieselmotoren. «Im Vergleich zu einem reinen Dieselantrieb braucht das Schiff damit weniger Treibstoff und stösst weniger CO2 aus», erklärt Einsiedler. «Die Schifffahrt hat den Ruf, dreckig zu sein. Zum Teil zu Recht.» Auch die Kosten sinken mit dem effizienten Antrieb, denn der Treibstoff macht bei einem Schiff etwa einen Drittel der Betriebskosten aus. Dass die kleineren Komponenten weniger wartungsintensiv sind, freut den Kunden zusätzlich.

Enge Zusammenarbeit mit Siemens

Umgesetzt hat Shiptec das neue Antriebssystem gemeinsam mit Siemens. Einsiedler begründet den Entscheid: «Siemens Marine Systems in Hamburg hatte Erfahrung mit ähnlichen Systemen. Das Unternehmen verfügt über ein breites Produktportfolio und die Siemens-Komponenten basieren auf bewährten Konzepten von Trolleybussen. Damit haben sie bewiesen, dass sie sehr zuverlässig sind.»

Das erste dieselelektrisch betriebene Schiff der SGV war nicht die MS Diamant, sondern das etwas kleinere Motorschiff MS Saphir, das seit 2012 auf Rundfahrten im Luzerner Seebecken unterwegs ist. Während der Inbetriebnahme des MS Saphir hat Einsiedler die «Väter» des dieselelektrischen Antriebs persönlich kennengelernt. «Beim gemeinsamen Feierabendbier haben wir uns überlegt, wie ein solches System bei einem grösseren Schiff aussehen könnte. Die ersten Skizzen habe ich immer noch», erzählt er lachend.

Als die SGV etwas später den Bau eines grösseren Schiffes ins Auge fasste, haben die Spezialisten von Shiptec und Siemens gemeinsam die Anforderungen analysiert und ein Konzept erarbeitet. Einsiedler erzählt: «Siemens sagte uns, welche unserer Wünsche technisch umsetzbar sind. So erarbeiteten wir Kompromisse und möglichst einfache Lösungen.» Fast alle Ideen konnte das Team realisieren. Auch Martin Wünsch, der das Projekt für Siemens betreut hat, ist voll des Lobes: «Wir haben unser «Siship EcoProp» genanntes Hybridsystem schon bei anderen Schiffen umgesetzt, doch in Form und Grösse ist die MS Diamant einzigartig.»

Kleiner dimensionierte Dieselmotoren

Zu Beginn fehlten wichtige Grundlagen. «Aus Schlepptankversuchen wussten wir, wie viel Widerstand der Rumpf generiert. Doch den effektiven Energieverbrauch des Antriebs kannten wir nicht, vor allem der dynamische Teil war schwer zu schätzen. Auch wussten wir nicht, wie viel Strom an Bord nötig ist. Denn der tatsächliche Verbrauch unterscheidet sich meist von den Herstellerangaben», sagt Einsiedler. Also sammelte Shiptec in ausführlichen Messungen Daten auf anderen Schiffen und kalibrierte die Ergebnisse mit den Daten des Rumpfes der MS Diamant. So wurden die dynamischen Anforderungen an das System sichtbar. «Erst damit konnten wir den Energiebedarf des neuen Schiffes und die Leistungen, welche die Propellerwelle aufnimmt, abschätzen», ergänzt Einsiedler. Messdienstleistungen bietet Shiptec mittlerweile auch extern an. «Wir haben die Ausrüstung und das Wissen, um ein System zu messen und zu simulieren.» Dies hat Shiptec auch für andere Siemens-Kunden schon übernommen. Das Unternehmen möchte den Geschäftszweig weiter ausbauen.

Die für die MS Diamant erhobenen Daten zeigten auch, wo und wie viel sogenanntes «Peakshaving» möglich ist. Einsiedler erklärt: «Peakshaving bedeutet, Spitzenlasten elektrisch zu brechen.» Braucht die MS Diamant mehr Energie, als die Dieselmotoren generieren können, liefern zwei Elektromotoren von Siemens mit je 180 kW Leistung diese aus den Batterien. So muss der Dieselmotor die Spitzen nicht abdecken können. Dank dieser Kombination reichen kleinere Dieselmotoren mit je 405 kW Leistung aus, die dafür bei einem guten Wirkungsgrad laufen. Die Batterien, die insgesamt über eine Kapazität von 84 kWh verfügen, werden über den Wellengenerator geladen: «Bei einer kontinuierlichen Geschwindigkeit benötigt der Antrieb meist nicht die ganze Energie des Dieselmotors. Mit der Differenz speisen wir das Bordnetz und laden die Batterien», erklärt Einsiedler weiter. Senkt der Schiffsführer die Drehzahl des Motors, schaltet das System um und die Batterien speisen das Bordnetz. Theoretisch kann das Schiff auch rein elektrisch fahren. Die Batterien seien dafür allerdings nicht ausgelegt, sagt Einsiedler. «Mit dem hohen Bedarf des Bordnetzes reichen sie vielleicht für eine Viertelstunde.»

Vollintegriertes Energie- und Antriebssystem

Da die Bordenergieerzeugung ins Konzept integriert ist, reden Einsiedler und sein Team nicht mehr nur von einem Antriebssystem, sondern von einem «vollintegrierten Energie- und Antriebssystem». Das macht Sinn, so Einsiedler: «Es bringt nichts, nur den Antrieb zu optimieren. Man muss das ganze System anschauen, mit allen Verbrauchern auf dem Schiff.» Da das Bordnetz seinen Strom aus dem Gesamtsystem bezieht, werden die üblichen Dieselgeneratoren mit ihrem sehr schlechten Wirkungsgrad unnötig. Für den Notfall und für Grossanlässe finde man auf der MS Diamant dennoch Generatoren, sagt Einsiedler. «Gerät das Schiff zum Beispiel in einen Föhnsturm und muss sehr harte Manöver fahren, können die Generatoren zusätzliche Leistung zur Verfügung stellen.»

Ab Oktober 2016 absolvierte Shiptec Testfahrten mit der MS Diamant. «Im April 2017 folgte die erste Optimierungsrunde», erzählt Einsiedler. Denn auch die vielen Simulationen konnten den Betrieb nicht zu 100% voraussagen. Eine zweite Runde sollte im Dezember folgen, doch kurz vorher verunfallte der MS Diamant. «Wir werden das nachholen», versichert Einsiedler. Der Fokus der zweiten Optimierungsrunde liegt auf dem Bordnetz. Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass nicht der Antrieb die grössten Herausforderungen bringt. Zahlreiche Systeme an Bord benötigen Strom. Zum Beispiel sorgen Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen von Siemens in den Innenräumen für ein angenehmes Klima. «Geheizt wird zwar mit Abwärme der Motoren, gekühlt wenn immer möglich mit Seewasser», erklärt Einsiedler. «Doch der Betrieb der Anlagen und auch der Sensoren und Geräte für die Navigation brauchen Strom.»

Den grössten Bedarf hat aber die Gastronomieküche, die für maximal 1100 Passagiere konzipiert ist. Insgesamt erreichen die Geräte eine Leistung von gegen 600 kW. Schaltet der Koch seine beiden Steamer ein, brauchen diese innert Kürze zusätzliche 70 kW. «Das Schiff muss als autarkes System absolut zuverlässig funktionieren. Treffen wir keine Vorkehrungen, überlastet dies das Stromnetz», sagt Einsiedler. Eine mögliche Lösung ist, die Geräte sequenziell anzuschalten, ohne dass der Koch es merkt. Oder der Koch fordert im System die nötige Leistung aktiv an. Dann kann das System die Energie problemlos zur Verfügung stellen. Diese dynamischen Prozesse zu regeln sei nicht einfach, sagt Einsiedler. «Doch das System ist zum Glück so ausgelegt, dass wir es weiter optimieren können.»

Erwartungen übertroffen

Der Antrieb überzeugt. Obwohl noch Optimierungen möglich sind, ist das Fazit aus den ersten Betriebsmonaten der MS Diamant durchwegs positiv. Das mehrfach redundante System ist sehr zuverlässig und sparsamer als erwartet. Shiptec sowie die ETH Zürich und die Klassifikationsgesellschaft DNV GL, bei denen Shiptec Zweitmeinungen eingeholt hatte, errechneten im Vorfeld einen 13 bis 18% tieferen Verbrauch. Dass die MS Diamant diese Prognosen übertrifft, lässt sich bereits nach der ersten Saison sagen. «Wir liegen im Bereich von 18 bis 25 Prozent», freut sich Einsiedler. Auch Siemens hat nicht mit so guten Werten gerechnet. «Die Zahlen sind beeindruckend», sagt Martin Wuensch. «Zusätzlich spart die SGV 28 bis 36 Prozent Wartungskosten.»

Auch der Bund interessiert sich für die Betriebszahlen der MS Diamant und fördert ein Projekt, in dem der Verbrauch des Schiffes gemessen und analysiert wird. «Bis Ende 2019, wegen des Unfalls vielleicht auch etwas länger, messen wir Verbrauch, Bedarf und Verteilung der Energie», erklärt Einsiedler. Die aufgezeichneten Daten werden regelmässig ausgewertet. Sie beziehen sich vor allem auf den Kursbetrieb, denn der Verbrauch bei Veranstaltungen auf dem Schiff lässt sich schlecht beziffern, da jeder Event völlig anders ist.

29.6.2018

MS Diamant

Das 63,5 m lange und 13,5 m breite Schiff wiegt etwa 400 t und ist für maximal 1100 Fahr- oder 400 Bankettgäste ausgelegt. Antrieb: Zwei Scania DI13 Dieselmotoren mit je 405 kW Leistung. Im Siship EcoProp-System von Siemens werden sie durch zwei permanent erregte Siemens-Synchronelektromotoren mit einer Leistung von je 180 kW und einem Batteriepaket von 84 kW ergänzt. Die Besatzung kann diese über zwei Panels bei der Kasse und im Oberdeck bedienen, auf die Steuerung der Systeme können die Techniker auch aus der Ferne zugreifen.

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