Mit Gelegenheitsladung unterwegs
Elektrobus-Systeme
E-Busse bieten eine effiziente Mobilität bei gleichzeitiger Minimierung unerwünschter Emissionen. Der Industriestandard OppCharge für E-Bus-Systeme reduziert mit seiner Gelegenheitsladung auf der Linie die Batteriekapazität der Fahrzeuge und damit das Eigengewicht und den Rohstoffeinsatz. Zudem können Busdepots damit einfach elektrifiziert werden.
Die Fachwelt ist sich einig, dass es nicht nur heute, sondern auch in zehn Jahren nötig sein wird, Batteriebusse bei Fahrleistungen von täglich 300 bis 350 km auf der Strecke nachzuladen. Dies geschieht mit Gelegenheitsladungen in wenigen Minuten vorzugsweise an Endhaltestellen. «Für eine einmalige tägliche Aufladung der Batterien im Depot während der nächtlichen Betriebspause kann ein Standard- oder Gelenkbus in den nächsten fünf bis zehn Jahren aus Gewichtsgründen nicht ausgelegt werden», so Prof. Andrea Vezzini von der Berner Fachhochschule in Biel und Leiter des BFH-Zentrum Energiespeicherung.
Geht man davon aus, dass ein Standardbus unter Extrembedingungen, d. h. im Winter, bis zu 200 kWh/100 km benötigt, so müsste seine Batteriekapazität mindestens 600 kWh betragen. Unter Berücksichtigung der nicht nutzbaren Reservekapazität und der Alterung der Batterie ergibt sich eine nominale Kapazität der neuen Batterie von rund 1000 kWh. Dies entspricht heutigen Batterie-Paketen mit einem Gesamtgewicht von 7 bis 8 t. Bei einem gesetzlich zugelassenen Gesamtgewicht des Fahrzeugs von 19,5 t ergibt sich mit dieser Batterie eine Nutzlast von maximal 2 bis 3 t. Um die erwünschten 100 Personen in einem 12-m-Standardbus transportieren zu können, darf das Leergewicht des Fahrzeugs höchstens 12 t betragen. Das heisst, es können maximal 250 kWh an Batteriekapazität ins Fahrzeug eingebaut werden, was eine Reichweite von rund 100 km ergibt. Dieser Richtwert passt perfekt zu einer nach OppCharge gebauten E-Bus-Linie mit einer Länge von 20 bis 30 km. Das Fahrpersonal kann bei Verspätungen bis zu zwei Ladevorgänge auslassen und so ohne Zusatzstress pünktlich verkehren.
Auch morgen wirtschaftlich unterwegs
«Im Zeithorizont 2030 kann angenommen werden, dass sich die spezifischen Kapazitäten der Batterien um Faktor 2 verbessern», so Experte Vezzini. «D. h. mit rund 4 t an Batterien im Fahrzeug wird es in diesem Falle möglich sein, eine Reichweite von 300 km zu erreichen.» Ein solcher Bus mit nur rund 60 zugelassenen Personen weist aber gegenüber dem wesentlich leichteren und auch günstigeren Bus mit 1-t-Batterie eine eingeschränkte Nutzlast auf. Zu diesem betrieblichen Nachteil kommen die höheren Beschaffungskosten von CHF 400’000 pro Fahrzeug für die zusätzlichen 800 kWh dazu. Dies unter der optimistischen Annahme, dass 2030 die Batteriepreise um die Hälfte auf CHF 500/kWh sinken werden. «Eine intelligente Kombination von Gelegenheitsladung auf der Strecke und einer Nachladung zu Betriebsschluss wird auch längerfristig die betrieblich und wirtschaftlich optimale Lösung sein. Dies weil beim Depotlade-Konzept zusätzliche Fahrzeuge für die gleiche Tagesleistung benötigt würden», so Vezzini. OppCharge-Ladestationen im Leistungsbereich zwischen 300 und 450 kW kosten mit den bauseitigen Vorbereitungen rund CHF 300’000 bis 350’000. Zudem entfallen bei einem Konzept mit Gelegenheitsladung die hohen und teuren Leistungsbezüge, wie sie bei einer nur im Depot geladenen E-Bus-Flotte unvermeidbar sind. Besteht diese z. B. aus 20 Fahrzeugen, so sind bei einer reinen Depotlösung mindestens 20 x 100 kW = 2 MW während 6 h nötig, um pro Fahrzeug die 600 kWh für eine Tagesleistung zu laden. Mittels Gelegenheitsladung fallen die Leistungsbezüge dezentral über den ganzen Tag verteilt an.
OppCharge als Standard
Bei der Entwicklung von Ladesystemen spielt die Interoperabilität eine zentrale Rolle. Der internationale OppCharge-Industriestandard (Opportunity Charging) für konduktive Ladesysteme trägt dem Rechnung. Damit kann der Betreiber von E-Bus-Systemen zwischen den Busherstellern frei wählen. Die Ladekontakte, die Anordnung des Pantographen als Teil der Ladestation, die Fahrzeugpositionierung sowie das Kommunikationsprotokoll zwischen Bus und Ladestation sind im OppCharge-Standard festgelegt. Viele Bushersteller in Europa und in Nordamerika bieten E-Busse mit OppCharge an.
Die All-In-One-Ladestation von Furrer+Frey AG zeichnet sich durch ihre einfache Konzeption aus: Alle Komponenten sind in der Ladestation integriert. Dadurch ergeben sich Kostenvorteile im Bau und im Betrieb sowie eine einfachere architektonische Integration im urbanen Umfeld. Der oft schwierige Bau eines separaten Containers für die Leistungselektronik erübrigt sich. Die Ladestation mit Leistungen zwischen 150 und 450 kW und ihrer freien Durchfahrtshöhe von 5 m ist so ausgelegt, dass selbst Doppeldeckerbusse ohne Anpassungen geladen werden können.
Doppeldeckerbusse sind auf Land-Stadt-Linien auch in der Schweiz eine interessante Lösung. Postauto und TL Lausanne setzen deshalb seit vielen Jahren diesen Bustyp ein. Der elektrische Doppeldecker stellt aber für den Konstrukteur eine grosse technische Herausforderung dar. «Deshalb ist die Gelegenheitsladung nach OppCharge-Standard für uns eine interessante Option», so Jamie Wilson, Head of Concepts & Advanced Engineering beim britischen Bushersteller Alexander-Dennis. «Dies, da die Batteriepakete nicht einfach aufs Dach des Fahrzeugs gepackt werden können.» Sie müssen im knappen Hüllraum des Busses untergebracht werden.
Vom Pilotprojekt zum E-Bus-Netz
Die Regionalen Verkehrsbetriebe Baden-Wettingen (RVBW) haben 2018 beschlossen, künftig auf elektrische Stadtbusse zu setzen. Um Erfahrungen zu sammeln, erfolgt die Einführung schrittweise mit zwei Innovationslinien. Die Linie 8 von Wettingen, Busdepot, nach Neuenhof ist die erste auf dem RVBW-Liniennetz, welche seit Dezember 2019 komplett elektrifiziert ist. Das neue E-Bus-System besteht aus einem Elektrobus des schwedischen Unternehmens Scania sowie einer All-In-One-Schnellladestation. Mit einer Reichweite von 80 bis 150 km und der Möglichkeit des schnellen Zwischenladens ist der E-Bus mit seinem 150-kWh-Batteriepaket für den zuverlässigen Betrieb ausgerüstet. Der Ladevorgang ist kurz: In 4 Minuten kann Traktionsenergie für mindestens 12 km Fahrstrecke geladen werden. Im Hinblick auf den zukünftigen Einsatz von E-Gelenkbussen verfügt die Ladestation über eine maximale Leistung von 450 kW. Mit der Wahl des Ladestandards «OppCharge» kann der Ausbau des E-Bus-Systems auch markenunabhängig vorangetrieben werden.
Depot-Retrofit
Die Komplettumrüstung eines bestehenden Busdepots und die Ausstattung jedes Stellplatzes mit einer entsprechenden Ladeinfrastruktur erscheint aufgrund von kostenintensiven Installationen unwirtschaftlich oder bei älteren Depots technisch gar nicht möglich. Um dennoch in die Elektromobilität zu investieren, ist in Zusammenarbeit zwischen Furrer+Frey AG und Walker Architekten AG das Pilotprojekt «E-Bus Servicemodul» als Annex-Baute entstanden. Der Leitgedanke: eine zentrale Schnell-Ladestation im Busdepot. Die im Servicemodul in 5 bis 10 Minuten elektrisch geladenen E-Busse können danach im bestehenden Busdepot wie ein Dieselbus garagiert werden, denn moderne E-Busse benötigen zum sog. Ausbalancieren der Batterien keine Langsamladung.
Das Servicemodul hat jedoch nicht nur die Funktion des Ladens der Batterien: Während der Ladezeit kann auch das Innere und die Frontscheibe des Fahrzeugs gereinigt werden. Versuche haben gezeigt, dass sich die Frontscheibe mittels Dampfreiniger effizient und ohne Wasser am Boden (Winter!) reinigen lässt.
Bautechnische Herausforderungen
Bei der Integration dieser Technik in bestehende Busdepotareale sind logistische, energetische, baurechtliche sowie planerische Gegebenheiten zu beachten. Deshalb ist zu Beginn eine detaillierte Standortanalyse unerlässlich. Die Auslegung der Flotte und das Lademanagement unter Berücksichtigung des Fahrplans sowie der Reichweiten sind wichtige Indikatoren für eine Modernisierung und Umrüstung des bestehenden Betriebs. Neben den logistischen Komponenten wie Liniensimulationen sind Abklärungen im Bereich der Energieversorgung und des Baurechts zu tätigen. Aus planerischer Sicht ist ein Erschliessungs- und Zirkulationskonzept zu entwickeln, das einen reibungslosen Betriebsablauf garantiert. Weiterhin sind zukünftige Entwicklungen bei der Standortwahl des «E-Bus Servicemodul» einzuschätzen und zu berücksichtigen, da die Umstellung der Busflotte auf Elektromobilität meist schrittweise erfolgt. Durch vorausschauende Planung können bei Vergrösserung der Flotte die Ladestationen problemlos erweitert werden.
Netzbaustein «E-Bus-Terminal»
So wie sich die Benzin-Tankstelle zum Tankstellen-Shop mit Bistro und Bancomat entwickelt hat, kann auch die Endhaltestelle einer Buslinie zu einer architektonischen Einheit mit einem erweiterten Dienstleistungsangebot entwickelt werden. Während der E-Bus geladen wird, erhalten Fahrpersonal und Passagiere im Terminal ein attraktives Angebot, der Betreiber damit Zusatzeinnahmen. Da Infrastrukturbauten vom Rollmaterial getrennt beschafft und betrieben werden, ergeben sich mit der Idee des Terminals neue Geschäftsmodelle für EVUs: Das EVU erstellt und finanziert den Terminal und stellt die darin generierten Dienstleistungen wie die Ladevorgänge für E-Busse und E-Lastwagen und Verkaufs- und Werbeflächen den Nutzern gegen Entgelt zur Verfügung.
Wir danken Prof. Dr. Andrea Vezzini und Christian Ochsenbein, BFH-Zentrum Energiespeicherung, sowie der RVBW für die Unterstützung bei der Erarbeitung dieses Beitrags.
Kommentare