Mit Akzeptanz zur Energiesicherheit
Schweizerischer Stromkongress 2023
Der Schweizerische Stromkongress 2023, ein jährlich stattfindender Anlass der Elektrizitätswirtschaft, wird sich mit der Verantwortung für die Energiesicherheit auseinandersetzen und aktuelle Informationen zur Strommarktliberalisierung und die Zukunft der Stromversorgung präsentieren. Im Gespräch hierzu eine der Referentinnen, Frau Prof. Dr. Isabelle Stadelmann-Steffen.
Bulletin: Frau Stadelmann, Sie sind Akzeptanzforscherin. Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?
Isabelle Stadelmann: Im Wesentlichen machen wir Umfragen, mit denen wir herausfinden möchten, wie Menschen denken, wie sie sich eine Meinung bilden, und wie Informationen aufgenommen werden. Wie entsteht Wissen oder Unwissen? Wieso glauben manche Menschen nicht an Wirksamkeiten von Massnahmen und wie beeinflusst das die Meinungsbildung? Wir machen zum Beispiel Experimente, bei denen in Umfragen einer Hälfte der Befragten andere Informationen geben werden als der anderen Hälfte, um mehr über die Mechanismen zur Meinungsbildung herauszufinden. Dabei wollen wir niemanden manipulieren, sondern verstehen, welche Argumente wichtig sind und welche weniger wichtig.
Welche Tatsachen, Massnahmen oder politischen Entscheide bzgl. Versorgungssicherheit mit Energie sind von wem in der Gesellschaft zu akzeptieren?
Mein Fokus liegt meistens auf der Bevölkerung. Es geht nicht ohne die Bevölkerung. In der Schweiz ist das besonders wichtig, weil wichtige Entscheide oft an der Urne und also von der Bevölkerung akzeptiert werden müssen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht aktiv ja sagen und die Massnahmen annehmen, dann werden diese gar nicht erst eingeführt. Manchmal braucht es diese aktive Zustimmung nicht, weil es keine Abstimmung gibt. Aber auch dann ist es wichtig, dass eine passive Akzeptanz da ist in dem Sinne, dass man sich an eingeführte Regeln oder Instrumente hält. Man kann die besten Verbote aussprechen, man kann Anreizsysteme schaffen, aber wenn sie nicht befolgt oder gebraucht werden, dann nützen sie auch nichts.
Bezüglich Stromversorgung, wie sieht die Lage da aus?
Im Moment verändert sich die Situation so rasch, dass sich auch die Meinungen der Akteure verändern. Bis vor kurzem war beispielsweise das Thema Nuklearenergie vom Tisch. Doch nun wird das Thema plötzlich wieder diskutiert. Wir haben gerade kürzlich Umfragen gemacht, die zeigen, dass die Bevölkerung die Versorgungssicherheit als wichtig erachtet und gleichzeitig dem Import vom Strom aus dem Ausland sehr skeptisch gegenübersteht, zum Beispiel von französischen Atomkraftwerken. Dabei gibt es klare Mehrheiten für erneuerbare Energien, während die Bevölkerung in der Nuklearfrage ziemlich gespalten ist.
Wo fliessen die Ergebnisse Ihrer Forschung ein? Wen beraten Sie aus der Stromwirtschaft?
Ich bin im Moment integriert in das Forschungsprogramm Swiss Energy Research for the Energy Transition, kurz Sweet, vom Bundesamt für Energie, BFE. Die durch dieses Programm geförderten Forschungskonsortien beinhalten sehr stark einen transdisziplinären Aspekt. Ansonsten bemühe ich mich, wissenschaftliche Befunde einem interessierten Publikum bekannt zu machen, zum Beispiel durch ein Interview wie dieses. Auch den Stromkongress sehe ich als Möglichkeit, unsere Erkenntnisse weitergeben zu können. Also keine konkrete Beratung, sondern Vermittlung der Ergebnisse auf Veranstaltungen, Konferenzen, durch Interviews und Medien.
Gibt es so etwas wie «Grundregeln» der Akzeptanz?
Je weiter weg von der Komfortzone, also je grösser die Veränderung, desto schwieriger wird die Akzeptanz. Das ist sicher eine Grundregel. Die zweite Grundregel ist, dass die Bevölkerung und die Akteure sehr kostensensitiv sind. Dabei ist das schwierige Verhältnis von Kosten, die gut sichtbar sind, und Nutzen, der eher diffus ist oder in der Zukunft liegt, ein prägender Akzeptanzfaktor. Gerade effektive Massnahmen beinhalten immer sichtbare «Kosten». Dabei geht es nicht nur um tatsächlich anfallende Kosten, sondern etwa auch um kurzfristig sichtbare Veränderungen, die umzusetzen sind. Gleichzeitig ist für die Bevölkerung meist viel weniger gut sichtbar, inwiefern durch eine Massnahme längerfristig Nutzen generiert wird. Die dritte Gesetzmässigkeit ist, dass die Akzeptanz mit dem Problembewusstsein zunimmt. Die Akzeptanz für effektive Massnahmen oder Projekte ist dann eher vorhanden, wenn das Problem – etwa der Klimawandel und die Notwendigkeit einer Umstellung unseres Energiesystems – als Problem wahrgenommen und als solches zudem auch priorisiert wird. Liegt diese Priorisierung vor, sind die Leute auch eher bereit, Kosten zu akzeptieren.
Wird der Stromverbrauch in den nächsten zehn Jahren zunehmen?
Dies ist grundsätzlich keine Frage, die meine Expertise betrifft. Aber meine technisch versierten Projektpartner sind sich einig, dass durch die Dekarbonisierung der Stromverbrauch zunehmen wird. Aus meiner sozialwissenschaftlichen Perspektive kann ich hinzufügen, dass auch die gesellschaftlichen Verhaltensmuster dafür sprechen, dass der Stromverbrauch zunehmen wird. Insbesondere, dass sich die Gesellschaft schwer tut mir Verhaltensänderungen. Massnahmen, die mit Einschränkungen im Lebensstil oder im gewohnten Verhalten zusammenhängen, stossen auf wenig Akzeptanz. Oder anders gesagt: «Errungenschaften», über die wir heute verfügen, kann man kaum einfach wieder wegnehmen. Zum Beispiel haben wir uns an fast grenzenlose Mobilität gewöhnt. Es ist aktuell kaum vorstellbar, dass man diese massiv einschränken könnte, was nötig wäre, wenn wir dekarbonisieren möchten ohne gleichzeitig Strom zu brauchen. Die Akzeptanz der Energietransition dürfte deshalb sehr stark davon abhängen, dass wir mehr (erneuerbaren) Strom zur Verfügung haben, um diesen «Standard», an den wir uns gewohnt sind, mehr oder weniger beizubehalten.
Glauben Sie, dass wir die Klimaziele netto 0 bis zum Jahr 2050 erreichen?
Ob wir es erreichen oder nicht, aus sozialwissenschaftlicher Sicht würde ich sagen, dass es auf jeden Fall sehr wichtig ist, daran zu glauben, dass das Ziel erreicht werden kann. Die Forschung zeigt, Hoffnung ist sehr wichtig für die Bereitschaft mitzumachen. Wenn wir alle sagen, das erreichen wir sowieso nicht, müssen wir uns diese Akzeptanzfragen gar nicht stellen.
Wie kann man die Akzeptanz von Klimaschutzmassnahmen erhöhen?
Das ist die grosse Frage, womit ich mich seit längerer Zeit beschäftige. Aber die ultimative und einfache Lösung habe ich nicht. Vielleicht ein paar Hinweise: Man sollte sicher nicht ständig die Kostenfrage ins Zentrum stellen. Damit kann man fast nur verlieren. Vielmehr würde ich argumentieren, dass man mehr über das grosse Ganze sprechen sollte, also das Ziel stärker ins Zentrum stellt. Wenn man immer über das Salzkorn spricht, diese kurzfristigen Kosten, dann kommen wir halt nicht weiter. Deswegen muss man die Leute immer wieder daran erinnern, was die Folgen sein werden des Nichts tun, oder positiv gesehen, was man gewinnen kann, wenn man das Ziel erreicht.
Welche Massnahmen sind einfach zu akzeptieren und bringen viel?
Die gibt es wahrscheinlich nicht. Das ist das Problem. Das, was gut akzeptiert wird, ist das, was meistens nicht ausreicht. Reine Informationsmassnahmen, freiwillige Massnahmen, die bringen wenig.
Unzählige Ausbauprojekte sind heute blockiert, scheitern an der Akzeptanz. Wie können Projekte vorangetrieben werden? Wie soll man die Bevölkerung und Politik überzeugen, in nachhaltige, wenn auch teurere Projekte und Forschung zu investieren?
Hier ist das Problem erkannt. Viele Verfahren sind durch Einsprachemöglichkeiten etc. sehr langwierig. Aktuell streben Bundesrat und Politik an, die Verfahren zu vereinfachen. Dabei darf aber nicht das Gefühl entstehen, nun könnten wir nicht mehr mitbestimmen. Man muss die Betroffenen früh einbeziehen und bereit zur Kompromissfindung sein. Lieber einen Kompromiss eingehen und beispielsweise die Umweltverbände im Boot haben, als dass man das ganze Projekt scheitern lässt. Auch müssen wir mehr über Alternativen diskutieren. Also weg von: Wollt ihr eine Erhöhung des Staudamms oder wollt ihr das nicht? Hin zu: Wir brauchen mehr Strom. Wollt ihr lieber ein Windrad, eine Staudammerhöhung oder wollt ihr ein grosses Solarfeld. So findet man möglicherweise Akzeptanz für eine dieser Lösungen, weil in den Köpfen das Alternativdenken stattfindet und «wir lassen es so, wie es jetzt ist» als Alternative weniger Gewicht erhält.
Das Bewusstsein, den Konsum zu mässigen, ist in der breiten Bevölkerung und der auf Konsum orientierten Wirtschaft offenbar nicht angekommen. Was läuft hier falsch?
Ich glaube schon, dass das im Bewusstsein angekommen ist. Doch das eine ist das Bewusstsein, und das andere die Verhaltensänderung. Und dort müssen wir noch einen Schritt vorwärts machen. Solange das Sparen negativ besetzt ist und es an Vorbildern fehlt, wird es schwierig. Ein Beispiel ist die Weihnachtsbeleuchtung während der Energiesparkampagne. Viele Städte sagten, wir wollen den Leuten nicht die Freude nehmen. Es erstaunt mich nicht, dass dies in der Bevölkerung teilweise schlecht aufgenommen wird und zu Reaktionen führt wie «Wenn nicht mal die öffentlichen Akteure sparen, dann muss ich noch lange nicht». Hier hätte die Botschaft eine andere sein können. Etwa indem die Beleuchtungen stärker eingeschränkt oder verringert worden wären nach dem Motto: Wir können alle die Hälfte einsparen und trotzdem noch weihnächtliche Stimmung haben.
Zur Person
Isabelle Stadelmann-Steffen ist Professorin für Vergleichende Politik an der Universität Bern. Nach dem Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre sowie der Promotion im Bereich Politikwissenschaft an der Universität Bern folgte die Habilitation am Lehrstuhl für Vergleichende Politik der Universität Konstanz. Stadelmann-Steffens Forschungsschwerpunkte liegen in der vergleichenden öffentlichen Politik.
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