Mehr Flexibilität beim Netzbetrieb
Mobile Rundsteueranlage
BKW Power Grid betreibt ein Rundsteuersystem, mit dem Tarife, Lasten und die öffentliche Beleuchtung im Netzgebiet gesteuert werden. Seit 2022 steht eine neue mobile Rundsteueranlage (RSA) in Form eines Anhängers zur Verfügung, die bei Störungen oder Bauprojekten eingesetzt werden kann und somit die Flexibilität beim Netzbetrieb erhöht.
Ursprünglich wurde die Rundsteuertechnik zur Laststeuerung in Verteilnetzen genutzt, um Lastspitzen zu Schwachlastphasen zu verlagern und Kraftwerke sowie Netzbetriebsmittel besser auszunutzen. Dabei können zeitunkritische Stromgeräte wie Boiler in Schwachlastzeiten freigegeben und träge Geräte (z. B. Wärmepumpen) in Spitzenzeiten kurz gesperrt werden. Neben dieser Laststeuerung wird die Rundsteuertechnik heute auch für die Tarifumschaltung bei Zählern und zur Steuerung der öffentlichen Beleuchtung eingesetzt. Dabei werden die Signale über das Stromnetz übertragen, indem sie mit einer Tonfrequenz von 167 Hz bis etwa 2 kHz der 50-Hz-Netzfrequenz mit einer Amplitude von 1% bis 8% überlagert werden.
Die Informationen werden in Form von Telegrammen mit einer bestimmten Codierung (Impulsen und Pausen) von einer oder mehreren Sendeanlagen zu den Empfängern der Netzanschlussnehmer gesendet. Die Verbraucherlasten bei den Kunden sind mit den Empfängern verbunden und werden über eingebaute Relais angesteuert. Jedes Relais ist auf ein bestimmtes Kommando programmiert und reagiert nur auf eine vordefinierte Codierung. Somit können in der Sendeanlage Lastgruppen gebildet und später gezielt ein- oder ausgeschaltet werden.
Eine Sendeanlage besteht aus einem Kommandogerät zur Verwaltung der Kommandos, einem Rundsteuersender zur Erzeugung der Tonfrequenzsignale sowie einer Ankopplung an das Verteilnetz. Die Ankopplung überträgt die Steuersignale je nach Einspeisepunkt in das Nieder-, Mittel- oder sogar in das Hochspannungsnetz. Da diese Technologie keinen Rückkanal von den Empfängern zur Sendeanlage aufweist, kann die Rundsteuertechnik mit einem Broadcast-System verglichen werden.
Die aktuelle Situation
Seit Ende der 1960er-Jahre steht die Rundsteuertechnik bei der BKW Power Grid im Einsatz. Die Sendeanlagen sind in den Unterstationen eingebaut und speisen in das 16-kV-Verteilnetz ein. Historisch bedingt gibt es im Verteilnetz der BKW Power Grid verschiedene Ausführungsarten von Sendeanlagen. Die Hauptunterschiede liegen bei der Tonfrequenz, der Codierung der Impulse und der Ausführungsart der Ankopplung.
Die häufigste Frequenz ist 317 Hz. Sie wird bei rund 50 Sendeanlagen eingesetzt. Jede Sendeanlage besteht aus mindestens einem Kommandogerät, einem Sender und einer Ankopplung. Alle Ankopplungen bestehen aus einem Isoliertransformator, einer Kopplungsinduktivität und Kopplungskondensatoren, die je nach Bauart unterschiedlich verschaltet werden. Sie sind jeweils über ein eigenes Schaltfeld, parallel zu den Transformatoren in den Unterstationen, mit der 16-kV-Sammelschiene verbunden; bei BKW Power Grid meistens in loser Ausführung. Eine lose Ankopplung braucht zwar weniger Platz als eine starre Ankopplung, ist aber stärker von der Netzbelastung abhängig. Im Kommandogerät sind die Schaltzeiten der Kommandos programmiert. Bild 1 zeigt ein Prinzipschema einer Rundsteueranlage mit Einspeisung ins 16-kV-Verteilnetz.
Bei einer Sendung wird zuerst eine digitale Sequenz der Impulse – bei den meisten Anlagen mit dem Semagyr-Impulsverfahren – durch das Kommandogerät erzeugt und zum Sender übertragen. Der integrierte Frequenzumrichter erstellt auf Basis der Sequenz ein Telegramm mit der eingestellten Tonfrequenz. Die Signale werden anschliessend über den Resonanzkreis der Ankopplung auf das 16-kV-Netz übertragen und gelangen somit über den Ortsnetztransformator zum Rundsteuerempfänger des Netzanschlussnehmers. Zur Überwachung, dem schnelleren Auffinden von Störungen und zum manuellen Schalten inklusive Programmwiederholungen können alle Sendeanlagen über die Zentrale ferngesteuert werden. Zusätzlich werden Störungen bei allen Anlagen in der Netzleitstelle angezeigt, und es besteht die Möglichkeit, die Programmwiederholung durch die Netzleitstelle auszuführen.
Nach heutigem Stand versorgen die BKW Power Grid mehr als 140'000 Rundsteuerempfänger im eigenen Versorgungsnetz und rund 30'000 Rundsteuerempfänger im Netz von Vertriebspartnern mit Schaltbefehlen.
Ausgangslage und Projektidee
Redundanz auf Ebene der Ankopplung ist grundsätzlich nur in solchen Unterstationen vorhanden, wo es zwei Ankopplungen gibt oder wo die Last der Unterstation vollständig über einige Wochen von einer oder mehreren benachbarten Unterstationen übernommen werden kann. Im grössten Gebiet mit der häufigsten Tonfrequenz 317 Hz ist es nicht überall bzw. nur mit Einschränkungen möglich, bei Ausfall der Sendeanlage einer Unterstation durch Umschaltungen im Mittelspannungsnetz die RSA-Signale von anderen Unterstationen zu den Kunden zu bringen. Zudem verfügt knapp die Hälfte dieser Unterstationen nur über eine Ankopplung. Seit einigen Jahren sind bei Sanierungen von Unterstationen nur dann zwei Ankopplungen vorgesehen, wenn dies für den Normalschaltzustand nötig ist. Die Redundanz nimmt also kontinuierlich ab.
Man kann auch davon ausgehen, dass Ersatzteile aufgrund des Alters und der Individualität der Hauptkomponenten zunehmend schwieriger zu beschaffen sind. Für die Tonfrequenz 317 Hz bestand also Handlungsbedarf. Neben Störungen an der Sendeanlage einer Unterstation stellen Umbauten an Anlagen oder im Leitungsnetz einen weiteren Anwendungsfall für eine provisorische Sendeanlage dar. Daher beschloss der Netzbetrieb von BKW Power Grid, eine mobile und flexibel einsetzbare Rundsteueranlage zu beschaffen.
Die mobile Anlage sollte dieselben Komponenten wie eine Unterstation umfassen und sowohl als Gesamtanlage als auch komponentenweise einsetzbar sein. Um die Anforderung «mobil» zu erfüllen, kamen deswegen ein Seecontainer oder ein LKW-Anhänger infrage. Die Entscheidung fiel auf den Anhänger, denn er kann auch mit einem kleineren LKW transportiert bzw. nahe an der Unterstation platziert werden. Ein 20-Fuss-Container bräuchte immer einen Kran-LKW.
Zufälligerweise wurde gerade bei der Tochterfirma Arnold ein Batterieanhänger ausrangiert, dessen Abmessungen und Bodenbelastbarkeit ideal für dieses Vorhaben waren. Zusammen mit dem Lieferanten der 317-Hz-Sendeanlagen fand im Jahr 2020 die erste Besprechung statt. Die konkrete Planung und der Umbau des Anhängers erfolgten 2021 durch einen Fahrzeugbauer und eigene Mitarbeiter.
Aufbau der mobilen Anlage
Der Anhänger hat ein zweiachsiges Chassis mit Kofferaufbau, dessen Rückwand komplett über zwei Flügeltüren geöffnet werden kann (Bild 2). Die Ankopplung als die grösste Einbaueinheit wird fix und daher im vorderen Bereich eingebaut und einmalig abgestimmt. Es ist gleichzeitig diejenige Einheit, die bei der Dimensionierung auf die Tonfrequenz 317 Hz festgelegt wird.
Weil beim Transport des Anhängers die Ankopplungskomponenten mechanisch stärker beansprucht werden als in einer Unterstation, wurde eine lose Parallelankopplung mit Kopplungsinduktivität (massiver dreiphasiger Trafo) und einphasigen Drosselspulen statt der bei BKW üblichen einphasigen KT-Spulen mit einstellbarem Luftspalt gewählt. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sie bei der Abstimmung weniger sensitiv auf die Umgebung (z. B. Anhängeraufbau aus Aluminium) reagiert. Da die Befestigungspunkte der Komponenten nicht gleich wie bei der ursprünglichen Nutzung waren, wurde ein passender Montagerahmen konzipiert und fest mit dem Chassis verschraubt. Dies erlaubte, die hohen Komponenten nicht nur mit dem Bodenrahmen zu verschrauben, sondern zusätzlich oben gegen Kippen zu stabilisieren sowie eine demontierbare Plexiglaswand als Abtrennung zu befestigen. Die Anschlüsse nach aussen wurden an der Frontwand vorgesehen. Die drei Durchführungen für die Mittelspannungskabel sind durch einen Wandkasten gegen Berührung und Wetter geschützt; für die Speisung mit Niederspannung ist ein 125-A-CEE-Stecker montiert. Zur mobilen RSA gehören auch 16-kV-Anschlussleitungen mit Adapterstücken passend für die gängigsten Schaltanlagen und 400-V-Kabel für die Stromversorgung des Senders und für den Eigenbedarf.
Im hinteren, zugänglichen Bereich des Anhängers sind die zwei Schränke mit Kommandogerät und Sender untergebracht. Zudem befindet sich dort ein Kleinverteiler für Hilfsverbraucher (Licht, Klimagerät, Arbeitssteckdose), der unabhängig vom Sender über ein Kabel mit handlichem Querschnitt versorgt wird. Bei längerem Stillstand im Winter lässt sich damit auch eine Schrankheizung betreiben. Ebenfalls an der Wand montiert ist ein System zur Kondensatorüberwachung, das eine Verschiebung des Spannungsdreiecks als Folge eines Defekts an einem Hochspannungskondensator feststellt und den Leistungsschalter in der Unterstation auslöst. Als Kommandogerät dient ein Gerät aus einer aufgelösten Unterstation, weshalb alle dort vorhandenen Aussensensoren für Temperatur, Dämmerung und GPS-Signal im Anhänger mitgeführt werden. Der Mehraufwand bei der Installation wird durch eine einfachere Inbetriebnahme ausgeglichen, weil keine orts- bzw. jahreszeitabhängigen Einstellungen vorgenommen werden müssen. Über ein SMS-Gateway wird der Sammelalarm des Kommandogeräts zum Netzleitsystem übertragen.
Der Sender wurde speziell für den mobilen Einsatz konzipiert. Die Komponenten sind für die grösste im Netz vorkommende Sendeleistung ausgelegt. Neben den 317 Hz sind zwei weitere Tonfrequenzen per Drehschalter anwählbar. Der Senderschrank ist auf Rollen und ganz hinten im Anhänger befestigt, so dass er herausgenommen und mit einer oder zwei Ankopplungen einer Unterstation betrieben werden kann.
Abstimmung und Inbetriebsetzung
Das RSA-Team schloss die neue mobile Rundsteueranlage Anfang Februar 2022 in der Unterstation Brügg an und testete sie ausgiebig mit der Unterstützung des Lieferanten. Als Erstes wurden alle elektrischen Verbindungen zwischen den Ankopplungskomponenten und alle Schnittstellen geprüft. In einem zweiten Schritt fand die Abstimmung der Ankopplung statt, bei der die Ströme und die Spannungen vor und nach der Ankopplung gemessen werden. Die elektrischen Komponenten wurden so eingestellt, dass einerseits die Impedanzen und Winkel die vordefinierten technischen Vorgaben einhalten und andererseits die Ausgangsströme und Spannungen symmetrisch bleiben. Diese Messung fand bei zwei Schaltzuständen der Unterstation mit unterschiedlicher Lastsituation statt (16-kV-Sammelschienen getrennt mit Speisung über einen Transformator und Sammelschienen gekoppelt mit Speisung über zwei parallele Transformatoren). Nach der Abstimmung der Ankopplung fanden die Pegelmessungen in diversen Betriebszuständen statt. Dabei ging es vor allem um eine Kontrolle der Einhaltung der minimalen Pegelwerte bei Netzumschaltungen. Zum Schluss testete das Team die im Anhänger eingebaute Kondensatorüberwachung und nahm die letzten Software-Anpassungen am Kommandogerät vor. Bild 3 zeigt die betriebsbereite mobile Rundsteueranlage.
Erster Einsatz im Berner Oberland
Historisch bedingt werden im Berner Oberland in der Region des Brienzersees zwei verschiedene Tonfrequenzen (317 Hz und 725 Hz) für Rundsteuersignale benutzt. Auf der Südseite des Sees werden Trafostationen über separate 16-kV-Abgänge der Unterstationen Brienz und Wilderswil versorgt und mit den Tonfrequenzen abgedeckt (Bild 4). Im Normalschaltzustand befindet sich die Trennstelle genau an der Grenze zwischen den beiden Frequenzen. Wegen einer grösseren Baustelle beim See musste die Trennstelle Richtung Unterstation Wilderswil verschoben werden. Da in der Unterstation Brienz keine Rundsteueranlage mit der 317-Hz-Tonfrequenz vorhanden war, wurde die mobile RSA eingesetzt. Die Erfahrung zeigt, dass sich diese zwei Frequenzen im gleichen Netz nicht stören.
Das Team fand einen geeigneten Platz für den Anhänger neben der Unterstation und schloss die 16-kV-Kabel der mobilen RSA mit dem Adapterkabel an das Reservefeld der 16-kV-Schaltanlage an. Dann wurden die Kabel für die Speisung des Kommandogeräts und des Senders angeschlossen. Nach der Verbindungskontrolle und der Umstellung der Schutzeinstellung des 16-kV-Felds für die Ankopplung wurde die mobile RSA in Betrieb genommen. Dabei wurden die Schaltzeiten auf dem mobilen Kommandogerät mit einer Verzögerung von wenigen Minuten gegenüber der 317-Hz-Rundsteuerung der Unterstation Wilderswil programmiert, um gegenseitige Beeinflussungen während der Trennstellenverschiebung zu vermeiden. Dann kontrollierte das Team die korrekte Funktion der Sensoren (GPS, Dämmerung, Temperatur), die mit dem Kommandogerät verbunden sind. Anschliessend wurde die Ankopplung unter Spannung gesetzt und die ersten Test-Sendungen mit einem tiefen Strom-Sollwert beim Sender durchgeführt. Wie bei der ersten Inbetriebsetzung der Ankopplung in Brügg prüfte das Team die Rundsteuerpegel an der 16-kV-Sammelschiene und die Symmetrie des Signals. Zum Schluss wurde der Rundsteuerpegel noch innerhalb des Verteilnetzes bei einer weit entfernten Trafostation gemessen, um sicherzustellen, dass der erforderliche Mindestpegel eingehalten wird. In diesem Fall wurden die Arbeiten zur Inbetriebnahme über mehrere Tage verteilt geplant. Im Störungsfall ist man innerhalb eines Arbeitstages operativ.
Fazit
In der Zwischenzeit wurde die Trennstelle am Brienzersee verschoben und die mobile Ankopplung hat den ersten echten Einsatz bestanden. Mit der mobilen Rundsteueranlage kann BKW Power Grid die Servicequalität hochhalten und gleichzeitig das Verteilnetz flexibler betreiben, ohne teure redundante Betriebsmittel in den Unterstationen vorhalten zu müssen. Für die nächsten Jahre sind bereits mehrere Einsätze bei Sanierungen von Unterstationen geplant.
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