Fachartikel Infrastruktur

Mehr Flexibilität beim Netzbetrieb

Mobile Rundsteueranlage

19.09.2022

BKW Power Grid betreibt ein Rund­steuer­system, mit dem Tarife, Lasten und die öffentliche Beleuchtung im Netzgebiet gesteuert werden. Seit 2022 steht eine neue mobile Rund­steuer­anlage (RSA) in Form eines Anhängers zur Verfügung, die bei Störungen oder Bau­projekten eingesetzt werden kann und somit die Flexibilität beim Netz­betrieb erhöht.

Ursprünglich wurde die Rund­steuer­technik zur Laststeuerung in Verteilnetzen genutzt, um Lastspitzen zu Schwach­last­phasen zu verlagern und Kraftwerke sowie Netz­betriebs­mittel besser auszu­nutzen. Dabei können zeitunkritische Stromgeräte wie Boiler in Schwach­last­zeiten freigegeben und träge Geräte (z. B. Wärmepumpen) in Spitzenzeiten kurz gesperrt werden. Neben dieser Laststeuerung wird die Rund­steuer­technik heute auch für die Tarif­umschaltung bei Zählern und zur Steuerung der öffentlichen Beleuchtung eingesetzt. Dabei werden die Signale über das Stromnetz übertragen, indem sie mit einer Tonfrequenz von 167 Hz bis etwa 2 kHz der 50-Hz-Netzfrequenz mit einer Amplitude von 1% bis 8% überlagert werden.

Die Informationen werden in Form von Telegrammen mit einer bestimmten Codierung (Impulsen und Pausen) von einer oder mehreren Sendeanlagen zu den Empfängern der Netz­anschluss­nehmer gesendet. Die Verbraucherlasten bei den Kunden sind mit den Empfängern verbunden und werden über eingebaute Relais angesteuert. Jedes Relais ist auf ein bestimmtes Kommando programmiert und reagiert nur auf eine vordefinierte Codierung. Somit können in der Sendeanlage Lastgruppen gebildet und später gezielt ein- oder ausgeschaltet werden.

Eine Sendeanlage besteht aus einem Kommando­gerät zur Verwaltung der Kommandos, einem Rundsteuersender zur Erzeugung der Ton­frequenz­sig­nale sowie einer Ankopplung an das Verteilnetz. Die Ankopplung überträgt die Steuersignale je nach Einspeisepunkt in das Nieder-, Mittel- oder sogar in das Hochspannungsnetz. Da diese Technologie keinen Rückkanal von den Empfängern zur Sendeanlage aufweist, kann die Rund­steuer­technik mit einem Broadcast-System verglichen werden.

Die aktuelle Situation

Seit Ende der 1960er-Jahre steht die Rund­steuer­technik bei der BKW Power Grid im Einsatz. Die Sendeanlagen sind in den Unterstationen eingebaut und speisen in das 16-kV-Verteilnetz ein. Historisch bedingt gibt es im Verteilnetz der BKW Power Grid verschiedene Ausführungsarten von Sende­anlagen. Die Hauptunterschiede liegen bei der Tonfrequenz, der Codierung der Impulse und der Ausführungsart der Ankopplung.

Die häufigste Frequenz ist 317 Hz. Sie wird bei rund 50 Sendeanlagen eingesetzt. Jede Sendeanlage besteht aus mindestens einem Kommandogerät, einem Sender und einer Ankopplung. Alle Ankopplungen bestehen aus einem Isoliertransformator, einer Kopplungs­induktivität und Kopplungs­kondensatoren, die je nach Bauart unterschiedlich verschaltet werden. Sie sind jeweils über ein eigenes Schaltfeld, parallel zu den Transformatoren in den Untersta­tionen, mit der 16-kV-Sammelschiene verbunden; bei BKW Power Grid meistens in loser Ausführung. Eine lose Ankopplung braucht zwar weniger Platz als eine starre Ankopplung, ist aber stärker von der Netzbelastung abhängig. Im Kommando­gerät sind die Schaltzeiten der Kommandos programmiert. Bild 1 zeigt ein Prinzipschema einer Rundsteueranlage mit Einspeisung ins 16-kV-Verteilnetz.

Bei einer Sendung wird zuerst eine digitale Sequenz der Impulse – bei den meisten Anlagen mit dem Semagyr-Impuls­verfahren – durch das Kommandogerät erzeugt und zum Sender übertragen. Der integrierte Frequenz­umrichter erstellt auf Basis der Sequenz ein Telegramm mit der eingestellten Tonfrequenz. Die Signale werden anschliessend über den Resonanzkreis der Ankopplung auf das 16-kV-Netz übertragen und gelangen somit über den Orts­netztrans­formator zum Rund­steuer­empfänger des Netz­anschluss­nehmers. Zur Überwachung, dem schnelleren Auffinden von Störungen und zum manuellen Schalten inklusive Programm­wieder­holungen können alle Sendeanlagen über die Zentrale ferngesteuert werden. Zusätzlich werden Störungen bei allen Anlagen in der Netzleitstelle angezeigt, und es besteht die Möglichkeit, die Programm­wieder­holung durch die Netzleitstelle auszuführen.

Nach heutigem Stand versorgen die BKW Power Grid mehr als 140'000 Rund­steuer­empfänger im eigenen Versorgungsnetz und rund 30'000 Rund­steuer­empfänger im Netz von Vertriebspartnern mit Schaltbefehlen.

Ausgangslage und Projektidee

Redundanz auf Ebene der Ankopplung ist grundsätzlich nur in solchen Unterstationen vorhanden, wo es zwei An­kopp­lungen gibt oder wo die Last der Unterstation vollständig über einige Wochen von einer oder mehreren benachbarten Unterstationen übernommen werden kann. Im grössten Gebiet mit der häufigsten Tonfrequenz 317 Hz ist es nicht überall bzw. nur mit Einschrän­kungen möglich, bei Ausfall der Sendeanlage einer Unterstation durch Umschal­tungen im Mittel­spannungs­netz die RSA-Signale von anderen Unterstationen zu den Kunden zu bringen. Zudem verfügt knapp die Hälfte dieser Unter­stationen nur über eine Ankopplung. Seit einigen Jahren sind bei Sanierungen von Unter­stationen nur dann zwei Ankopplungen vorgesehen, wenn dies für den Normal­schalt­zustand nötig ist. Die Redundanz nimmt also kontinuierlich ab.

Man kann auch davon ausgehen, dass Ersatzteile aufgrund des Alters und der Individualität der Haupt­kompo­nenten zunehmend schwieriger zu beschaffen sind. Für die Tonfrequenz 317 Hz bestand also Handlungsbedarf. Neben Störungen an der Sendeanlage einer Unterstation stellen Umbauten an Anlagen oder im Leitungsnetz einen weiteren Anwendungsfall für eine provisorische Sendeanlage dar. Daher beschloss der Netzbetrieb von BKW Power Grid, eine mobile und flexibel einsetzbare Rund­steuer­anlage zu beschaffen.

Die mobile Anlage sollte dieselben Komponenten wie eine Unterstation umfassen und sowohl als Gesamtanlage als auch kompo­nenten­weise einsetzbar sein. Um die Anforderung «mobil» zu erfüllen, kamen deswegen ein Seecontainer oder ein LKW-Anhänger infrage. Die Entscheidung fiel auf den Anhänger, denn er kann auch mit einem kleineren LKW transportiert bzw. nahe an der Unterstation platziert werden. Ein 20-Fuss-Con­tainer bräuchte immer einen Kran-LKW.

Zufälligerweise wurde gerade bei der Tochterfirma Arnold ein Batterie­anhänger ausrangiert, dessen Abmessungen und Boden­belast­barkeit ideal für dieses Vorhaben waren. Zusammen mit dem Lieferanten der 317-Hz-Sende­anlagen fand im Jahr 2020 die erste Besprechung statt. Die konkrete Planung und der Umbau des Anhängers erfolgten 2021 durch einen Fahrzeugbauer und eigene Mitarbeiter.

Aufbau der mobilen Anlage

Der Anhänger hat ein zweiachsiges Chassis mit Kofferaufbau, dessen Rückwand komplett über zwei Flügeltüren geöffnet werden kann (Bild 2). Die An­kopplung als die grösste Einbaueinheit wird fix und daher im vorderen Bereich eingebaut und einmalig abgestimmt. Es ist gleichzeitig diejenige Einheit, die bei der Dimen­sionierung auf die Tonfrequenz 317 Hz festgelegt wird.

Weil beim Transport des Anhängers die Ankopplungs­komponenten mechanisch stärker beansprucht werden als in einer Unterstation, wurde eine lose Parallelankopplung mit Kopplungs­induktivität (massiver dreiphasiger Trafo) und einphasigen Drosselspulen statt der bei BKW üblichen einphasigen KT-Spulen mit einstell­barem Luftspalt gewählt. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sie bei der Abstimmung weniger sensitiv auf die Umgebung (z. B. Anhänger­aufbau aus Aluminium) reagiert. Da die Befestigungs­punkte der Komponenten nicht gleich wie bei der ursprünglichen Nutzung waren, wurde ein passender Montagerahmen konzipiert und fest mit dem Chassis verschraubt. Dies erlaubte, die hohen Komponenten nicht nur mit dem Bodenrahmen zu verschrauben, sondern zusätzlich oben gegen Kippen zu stabilisieren sowie eine demontierbare Plexiglaswand als Abtrennung zu befestigen. Die Anschlüsse nach aussen wurden an der Frontwand vorgesehen. Die drei Durchführungen für die Mittelspannungskabel sind durch einen Wandkasten gegen Berührung und Wetter geschützt; für die Speisung mit Niederspannung ist ein 125-A-CEE-Stecker montiert. Zur mobilen RSA gehören auch 16-kV-Anschlussleitungen mit Adapterstücken passend für die gängigsten Schaltanlagen und 400-V-Kabel für die Stromversorgung des Senders und für den Eigenbedarf.

Im hinteren, zugänglichen Bereich des Anhängers sind die zwei Schränke mit Kommandogerät und Sender untergebracht. Zudem befindet sich dort ein Kleinverteiler für Hilfsverbraucher (Licht, Klimagerät, Arbeitssteckdose), der unabhängig vom Sender über ein Kabel mit handlichem Querschnitt versorgt wird. Bei längerem Stillstand im Winter lässt sich damit auch eine Schrankheizung betreiben. Ebenfalls an der Wand montiert ist ein System zur Kondensatorüberwachung, das eine Verschiebung des Spannungsdreiecks als Folge eines Defekts an einem Hoch­spannungs­kondensator feststellt und den Leistungsschalter in der Unter­station auslöst. Als Kommandogerät dient ein Gerät aus einer aufgelösten Unterstation, weshalb alle dort vorhandenen Aussensensoren für Temperatur, Dämmerung und GPS-Signal im Anhänger mitgeführt werden. Der Mehraufwand bei der Installation wird durch eine einfachere Inbetriebnahme ausgeglichen, weil keine orts- bzw. jahreszeitabhängigen Einstellungen vorgenommen werden müssen. Über ein SMS-Gateway wird der Sammelalarm des Kommandogeräts zum Netzleitsystem übertragen.

Der Sender wurde speziell für den mobilen Einsatz konzipiert. Die Komponenten sind für die grösste im Netz vorkommende Sendeleistung ausgelegt. Neben den 317 Hz sind zwei weitere Tonfrequenzen per Drehschalter anwählbar. Der Senderschrank ist auf Rollen und ganz hinten im Anhänger befestigt, so dass er herausgenommen und mit einer oder zwei Ankopplungen einer Unterstation betrieben werden kann.

Abstimmung und Inbetriebsetzung

Das RSA-Team schloss die neue mobile Rund­steuer­anlage Anfang Februar 2022 in der Unterstation Brügg an und testete sie ausgiebig mit der Unterstützung des Lieferanten. Als Erstes wurden alle elektrischen Verbindungen zwischen den Ankopplungs­kompo­nenten und alle Schnittstellen geprüft. In einem zweiten Schritt fand die Abstimmung der Ankopplung statt, bei der die Ströme und die Spannungen vor und nach der Ankopplung gemessen werden. Die elektrischen Komponenten wurden so eingestellt, dass einerseits die Impedanzen und Winkel die vordefinierten technischen Vorgaben einhalten und andererseits die Ausgangsströme und Spannungen symmetrisch bleiben. Diese Messung fand bei zwei Schaltzuständen der Unterstation mit unter­schied­licher Lastsituation statt (16-kV-Sammelschienen getrennt mit Speisung über einen Transformator und Sammelschienen gekoppelt mit Speisung über zwei parallele Transformatoren). Nach der Abstimmung der Ankopplung fanden die Pegelmessungen in diversen Betriebs­zuständen statt. Dabei ging es vor allem um eine Kontrolle der Einhaltung der minimalen Pegelwerte bei Netz­umschal­tungen. Zum Schluss testete das Team die im Anhänger eingebaute Konden­sator­über­wachung und nahm die letzten Software-Anpassungen am Kommandogerät vor. Bild 3 zeigt die betriebsbereite mobile Rundsteueranlage.

Erster Einsatz im Berner Oberland

Historisch bedingt werden im Berner Oberland in der Region des Brienzersees zwei verschiedene Ton­fre­quenzen (317 Hz und 725 Hz) für Rund­steuer­signale benutzt. Auf der Südseite des Sees werden Trafostationen über separate 16-kV-Abgänge der Unterstationen Brienz und Wilderswil versorgt und mit den Tonfrequenzen abgedeckt (Bild 4). Im Normalschaltzustand befindet sich die Trennstelle genau an der Grenze zwischen den beiden Frequenzen. Wegen einer grösseren Baustelle beim See musste die Trennstelle Richtung Unterstation Wilderswil verschoben werden. Da in der Unterstation Brienz keine Rundsteueranlage mit der 317-Hz-Tonfrequenz vorhanden war, wurde die mobile RSA eingesetzt. Die Erfahrung zeigt, dass sich diese zwei Frequenzen im gleichen Netz nicht stören.

Das Team fand einen geeigneten Platz für den Anhänger neben der Unterstation und schloss die 16-kV-Kabel der mobilen RSA mit dem Adapterkabel an das Reservefeld der 16-kV-Schaltanlage an. Dann wurden die Kabel für die Speisung des Kommandogeräts und des Senders angeschlossen. Nach der Verbin­dungskon­trolle und der Umstellung der Schutz­einstellung des 16-kV-Felds für die Ankopplung wurde die mobile RSA in Betrieb genommen. Dabei wurden die Schaltzeiten auf dem mobilen Kommando­gerät mit einer Verzögerung von wenigen Minuten gegenüber der 317-Hz-Rund­steuerung der Unterstation Wilderswil programmiert, um gegenseitige Beeinflus­sungen während der Trenn­stellen­ver­schiebung zu vermeiden. Dann kontrollierte das Team die korrekte Funktion der Sensoren (GPS, Dämmerung, Temperatur), die mit dem Kommandogerät verbunden sind. Anschlies­send wurde die An­kopplung unter Spannung gesetzt und die ersten Test-Sendungen mit einem tiefen Strom-Sollwert beim Sender durchgeführt. Wie bei der ersten Inbetrieb­setzung der Ankopplung in Brügg prüfte das Team die Rund­steuer­pegel an der 16-kV-Sammelschiene und die Symmetrie des Signals. Zum Schluss wurde der Rundsteuerpegel noch innerhalb des Verteilnetzes bei einer weit entfernten Trafostation gemessen, um sicherzustellen, dass der erforderliche Mindestpegel eingehalten wird. In diesem Fall wurden die Arbeiten zur Inbetrieb­nahme über mehrere Tage verteilt geplant. Im Störungsfall ist man innerhalb eines Arbeitstages operativ.

Fazit

In der Zwischenzeit wurde die Trennstelle am Brienzersee verschoben und die mobile Ankopplung hat den ersten echten Einsatz bestanden. Mit der mobilen Rund­steuer­anlage kann BKW Power Grid die Service­qualität hochhalten und gleichzeitig das Verteilnetz flexibler betreiben, ohne teure redundante Betriebsmittel in den Untersta­tionen vorhalten zu müssen. Für die nächsten Jahre sind bereits mehrere Einsätze bei Sanierungen von Unter­stationen geplant.

Autor
Stefan Duss

ist Projek­tierungs­inge­nieur Netz­betrieb bei BKW Power Grid.

  • BKW Energie AG, 3013 Bern
Autor
Marc Eisenreich

ist Projektie­rungs­inge­nieur Netz­betrieb bei BKW Power Grid.

  • BKW Energie AG, 3013 Bern
Autor
Bertrand Houriet

ist Projek­tierungs­inge­nieur Netz­betrieb bei BKW Power Grid.

  • BKW Energie AG, 3013 Bern

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