Marktdesign der Zukunft
Wie soll der Strommarkt von morgen aussehen?
Steigender Verbrauch, veränderte Rahmenbedingungen, ambitionierte Klimaziele: Viele Voraussetzungen, die ein neues Strommarktdesign nötig machen. Doch was muss dabei berücksichtigt werden?
Das Strommarktdesign wird derzeit vom Bundesamt für Energie (BFE) überarbeitet und geht im Rahmen des StromVG, voraussichtlich im Herbst 2018, in die Vernehmlassung. Der anhaltende Wandel in der Energiewirtschaft, die damit verbundene fehlende Wirtschaftlichkeit nicht subventionierter Kraftwerke sowie veränderte politische Rahmenbedingungen machen diese Überarbeitung notwendig. Während das Stimmvolk am 21. Mai 2017 Ja zur Energiestrategie 2050 (ES2050) gesagt hat, sagten die Eidgenössischen Räte jedoch Nein zum Klima- und Energielenkungssystem (KELS), welches als Instrument für Phase II der ES2050 vorgesehen war. Zudem hat die Schweiz im November 2017 das Klimaübereinkommen von Paris (COP21) ratifiziert. Der mit diesen Entscheiden eingeleitete Wandel führt zu weiteren neuen Aufgaben und Herausforderungen.
Sicher ist, dass die Importabhängigkeit der Schweiz im Winter markant zunehmen wird. Die Kernkraftwerke in der Schweiz werden in den nächsten Jahrzehnten vom Netz gehen. Der geplante Ausbau an erneuerbaren Energien wird diesen Wegfall nicht kompensieren können. Zudem ist die Finanzierung dieses Ausbaus noch ebenso offen wie jene der Erneuerungsinvestitionen in die bestehenden Wasserkraftwerke. Gleichzeitig sinkt die Strom-Exportfähigkeit der für die Schweiz relevanten Länder Deutschland und Frankreich. Das fehlende Stromabkommen mit der EU wird die Lage zusätzlich erschweren. Die Schweiz wird so von wichtigen und liquiden Märkten und Gremien ausgeschlossen. Die Themen Versorgungssicherheit beim Strom und Strommarktdesign rücken daher bei Politik und Verwaltung in den Vordergrund. [1]
Strommarktdesign bedarf einer Anpassung
Die Weichen für das Schweizer Strommarktdesign werden neu gestellt. Dies bietet die Möglichkeit, bestehende Marktverzerrungen aufzuheben, Systeme zu überdenken und den Blickwinkel zu öffnen. Wesentlich ist dabei, dass die Wechselwirkungen zwischen dem Strommarktdesign und den wichtigen Themen der politischen Agenda berücksichtigt werden. Eine Gesamtbetrachtung ist folglich notwendig. Aus Sicht des VSE soll das Strommarktdesign einerseits effiziente Märkte und verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Anderseits soll es zur Erreichung diverser politischer Ziele beitragen. So muss die Versorgungssicherheit in der Schweiz mit einem neuen Strommarktdesign gewährleistet werden. Ausserdem sollen sowohl die Vorgaben und Ziele der ES2050 als auch des COP21 (Klimaschutz) eingehalten respektive erreicht werden.
Die heimische Wasserkraft und der Ausbau der erneuerbaren Energien spielen bei der Erreichung dieser Ziele eine entscheidende Rolle. Das Strommarktdesign muss also Rahmenbedingungen schaffen, welche den Erhalt und den Ausbau der Wasserkraft und den Ausbau der weiteren erneuerbaren Energien gewährleisten. Die Schweiz verfügt aktuell zwar noch über eine ausgezeichnete Stromversorgung mit sehr hoher Versorgungssicherheit; auch ist diese weitgehend CO2-frei. Die heutige Stromversorgung beruht jedoch nicht auf dem aktuellen Marktdesign, sondern ist aufgrund von getätigten Investitionen in der Vergangenheit in einem anderen Ordnungsrahmen entstanden. Unter dem heutigen Marktdesign würden solche Investitionen nicht getätigt werden.
Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein
Der Anteil der wetterabhängigen Stromproduktion nimmt zwar stetig zu, jener der steuerbaren Kraftwerkskapazitäten nimmt jedoch deutlich ab. Durch die Abnahme der steuerbaren Kapazitäten in der Schweiz und in den Nachbarländern wird es vermehrt zu Engpässen und eingeschränkten Importmöglichkeiten kommen. Die Versorgungssicherheit der Schweiz soll jedoch auch dann sichergestellt sein. Dafür muss die Fähigkeit geschaffen werden, die inländische Stromnachfrage mit der inländischen Produktion über einen bestimmten Zeitraum decken zu können. Wie wichtig dabei eine langfristig gute Verfügbarkeit der bestehenden Wasserkraft ist, legt auch die neueste System Adequacy 2025 Studie [2] der ElCom dar: Im Jahr 2025 ist im Normalszenario nicht mit Versorgungsengpässen zu rechnen. Im Stressszenario 1 hingegen, in welchem die Verfügbarkeit der Kernkraftwerke Frankreichs und der Schweiz eingeschränkt ist, kann die Nachfrage während 90 Stunden (Durchschnitt) nicht gedeckt werden. Dieses Stressszenario 1 ist durchaus wahrscheinlich: Es ist nämlich in einer vergleichbaren Situation, im Winter 2016/2017, bereits eingetreten. In beiden Szenarien wird mit einer normalen Verfügbarkeit des Wasserkraftparks gerechnet. Eine verminderte Verfügbarkeit der Wasserkraft hätte somit spürbare Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit.
Mit der Energiestrategie 2050 wurden Richtwerte für die inländische Stromerzeugung festgelegt: Im Jahr 2035 sollen die Wasserkraft und weitere erneuerbare Energien 37,4 TWh respektive 11,4 TWh Strom produzieren. Zur Erreichung dieser Richtwerte sind Erneuerungsinvestitionen in die bestehende Wasserkraft sowie Investitionen in erneuerbare Energien (inklusive Wasserkraft) notwendig. Der Bundesrat rechnet mit einem Investitionsbedarf allein in Erneuerung und Instandhaltung der Schweizer Wasserkraft von 30 Milliarden Franken in den Jahren 2010–2050. [3] Diese Investitionen werden ohne geeignete Anreize im Rahmen des heutigen Strommarktdesigns kaum getätigt.
Klimaabkommen stellt hohe Anforderungen
Die Schweiz hat das Klimaabkommen (COP21) ratifiziert. Sie setzt sich damit zum Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Die Schweizer Stromversorgung ist zwar nahezu CO2-frei, die Stromwirtschaft wird jedoch massgeblich zur Erreichung des Klimaschutzziels beitragen müssen, mittels Elektrifizierung und Dekarbonisierung anderer Sektoren. Der Stromverbrauch wird folglich steigen. Dazu braucht es Rahmenbedingungen, welche den Erhalt des bestehenden, CO2-freien Kraftwerksparks und dessen Ausbau ermöglichen. Das Europäische Emissionshandelssystem (EU ETS) ist dabei ein Schlüsselelement: Nur ein wirksames EU ETS bewirkt eine Dekarbonisierung und gleichzeitig die Steigerung der Gesamtenergieeffizienz sowie den vermehrten Einsatz der erneuerbaren Energien, einschliesslich der Wasserkraft. Zurzeit ist man aber noch weit davon entfernt.
BFE setzt auf EOM
Das BFE setzt beim Strommarktdesign weiterhin auf den Energy Only Market (EOM). Auch der VSE anerkennt den EOM als wichtiges Element des Strommarktdesigns zur effizienten Preisbestimmung der gehandelten Angebote. Der EOM hat jedoch seine Limiten bei der Schaffung von Investitionsanreizen. In der Schweiz verstärken sich diese Limiten aufgrund diverser Zusammenhänge. So ist die Schweiz wegen ihrer Grösse und der starken Vernetzung mit dem Ausland Preisnehmer ohne Einfluss auf den Marktpreis. Ausserdem basiert der EOM auf einer grenzkostenbasierten Merit-Order-Kurve. Für die Schweizer Wasserkraft wird es schwieriger, die Fixkosten zu decken, aufgrund des Zubaus mit erneuerbaren Energien und ihrer Abhängigkeit von den variablen Produktionskosten der mehrheitlich preissetzenden Kohle- und Gaskraftwerke.
Weitere negative Voraussetzungen in der Schweiz sind aber auch die Gestehungskosten der Wasserkraft, die in der Schweiz im Vergleich zu den Nachbarländern hoch sind. Die Ursachen dafür sind der seit über 100 Jahren gestiegene Wasserzins, sonstige Konzessionsleistungen oder die strengen Gewässerschutzbestimmungen. Und während der EOM Preissignale und Anreize für die nächsten zwei bis fünf Jahre aussendet, hat die Wasserkraft indes sehr lange Investitionszyklen. Unsicherheiten hinsichtlich der Marktpreise und regulatorischer Rahmenbedingungen können zu einer Verschiebung oder zum Verzicht auf Investitionen führen. Schliesslich vergeht zwischen ersten Investitionssignalen und der effektiven Inbetriebnahme eines Kraftwerks sehr viel Zeit für Planung, Behandlung von Einsprachen, Abklärungen und Bau.
Für den Fall, dass der EOM nicht ausreichen sollte, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sieht das BFE die Schaffung einer Strategischen Reserve vor. Dabei handelt es sich um eine Massnahme zur Überbrückung von punktuellen Knappheitssituationen gegen Ende Winter.
Eine solche Strategische Reserve dient nur der kurz- bis mittelfristigen Versorgungssicherheit. Damit werden weder Ersatzinvestitionen in die bestehenden Kapazitäten noch Investitionen in den Ausbau von Kapazitäten beanreizt. Für diese Strategische Reserve rechnet das BFE mit jährlichen Kosten im tiefen zweistelligen Millionenbereich. [4] Langfristig geht es jedoch nicht nur um die Vorhaltung von Energie, sondern um die Sicherung der Kraftwerkskapazität, welche es auch zur Vorhaltung braucht.
Vollständige Marktöffnung und Einbindung in den Strombinnenmarkt
Das BFE will die vollständige Marktöffnung vorantreiben, um die Flexibilisierung der Nachfrage zu fördern und um den Weg für neue Dienstleistungen im Bereich der erneuerbaren Energien zu bereiten. Zudem soll die Integration des Schweizer Strommarktes in den EU-Binnenmarkt gestärkt werden, um die Voraussetzungen für den steigenden Importbedarf der Schweiz zu verbessern. Die vollständige Marktöffnung und die Flexibilisierung der Nachfrage schaffen tatsächlich gute Voraussetzungen für die Versorgungssicherheit; sie sind jedoch nicht ausreichend. Dazu reicht ein Blick über die Grenze: Auch die europäischen Nachbarländer der Schweiz haben die vollständige Marktöffnung seit geraumer Zeit implementiert und sind bestens im EU-Binnenmarkt integriert, dennoch sahen sie sich gezwungen, Massnahmen zur Sicherung der steuerbaren Kapazitäten einzuführen. Die Einbindung in den EU-Binnenmarkt dient zwar der Optimierung der Stromflüsse, sie garantiert jedoch nicht, dass unsere Nachbarn jederzeit Strom liefern können. Nicht ausser Acht gelassen werden darf zudem, dass sich mit wachsenden Stromimporten der Anteil an nicht erneuerbarem Strom in der Schweiz erhöhen wird. Eine Importstrategie läuft somit den Schweizer Klimazielen und den Zielen der ES2050 zuwider. Unklar ist ebenfalls, ob eine stärkere Integration in den EU-Binnenmarkt erzielt respektive eine Importstrategie gewählt werden kann, wenn das Stromabkommen mit der EU nicht zustande kommt.
Und nun?
Die Energiewelt der Zukunft wird bestimmt durch die zunehmend dezentralen Strukturen, die politische Absicht zur Dekarbonisierung und den Anspruch zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Diese wichtigen Themen sind untereinander vernetzt, umfassen alle Energieträger und müssen gesamthaft betrachtet werden. Die vom BFE vorgeschlagenen Massnahmen tragen zwar kurz- bis mittelfristig zur Versorgungssicherheit bei. Sie schaffen jedoch keine Anreize, um die notwendigen Erneuerungsinvestitionen in die bestehende Wasserkraft sowie Investitionen in erneuerbare Energien (inklusive Wasserkraft) auszulösen und werden den Entwicklungen der Zukunft nur begrenzt gerecht. Der VSE geht davon aus, dass unter diesen Rahmenbedingungen die Verfügbarkeit der Kraftwerke, allenfalls auch die Kraftwerkssubstanz, in der Schweiz sinken wird. Dies käme einer Wertvernichtung gleich und ist nicht mit den übergeordneten Zielen Versorgungssicherheit, ES 2050 und Klimaschutz vereinbar. Daher braucht es ergänzende Elemente, welche Anreize für langfristige Investitionen in einen heimischen, klimafreundlichen Kraftwerkspark schaffen.
Referenzen
[1] Studien des BFE und der ElCom 2017 und 2018.
[2] Schlussbericht System Adequacy 2025, ElCom, Mai 2018.
[3] Interpellation Markus Lehman.
[4] Aktuelle Überlegungen des BFE zur Ausgestaltung einer Speicherreserve, BFE, Juli 2018.
Dieser Artikel basiert auf der Arbeit und den Erkenntnissen der VSE-Arbeitsgruppe Marktorganisation.
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