Fachartikel Messtechnik

Magnet­feld­belas­tung durch Bahn­anlagen

Ortsabhängige Immissionen

29.11.2021

Wenn eine Loko­motive auf einem Strecken­abschnitt fährt, ergeben sich in den dortigen Leitern zeit­abhän­gige Magnet­felder. Um sicher­zu­stellen, dass der Anlage­grenz­wert bei komple­xeren Speise­kon­zepten einge­halten wird, sind Feld­berechnungs­verfahren nötig, die die Zeit­abhängig­keit der Strom­amplituden für die Bestim­mung der Immis­sionen berück­sichtigen.

Durch Ströme in Bahnanlagen verursachte niederfrequente magnetische Felder stehen vermehrt im Fokus bei der Planung und Genehmigung von Neubaustrecken, beim Siedlungsbau entlang bestehender Strecken sowie bei Fahrplanänderungen bzw. -verdichtungen. Ursache dafür sind die von der WHO-Kommission ICNIRP 1998 veröffentlichten Empfehlungen zur Einhaltung von Schutzwerten nichtionisierender Strahlung.[1]

Nach ihrer Veröffentlichung wurden diese Empfehlungen von vielen Ländern in nationale Gesetzgebungen aufgenommen. Verpflichtet durch das Umweltschutzgesetz (USG) erliess der Bundesrat Ende 1999 die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV).[2] Darin übernahm er den von der ICNIRP empfohlenen und für den 16,7-Hz-Bahnstrom geltenden Referenzwert für die magnetische Flussdichte von 300 μT als Immissionsgrenzwert. Zusätzlich legte er, wie vom USG gefordert, einen Vorsorge-Grenzwert von 1 μT als sogenannten Anlagegrenzwert fest. Dieser soll besonders an Orten mit empfindlicher Nutzung (OMEN) als ein über 24 h gemittelter Effektivwert eingehalten werden. Zu OMEN zählen u. a. «Räume in Gebäuden, in denen sich Personen regelmässig während längerer Zeit aufhalten».

Berechnungsgrundlagen

Jede sich bewegende elektrische Ladung verursacht ein magnetisches Feld. Insbesondere verursachen stromführende Leiter in ihrer Umgebung ein zur Leiterachse tangential verlaufendes und mit dem Abstand reziprok abnehmendes magnetisches Feld. In [3] ist die Berechnung der magnetischen Flussdichte in der Umgebung von Bahnanlagen beschrieben. Zudem werden die Resultate für verschiedene Stromverteilungen präsentiert. Dazu ging man von konstanten und praxisnah gewählten Leiterströmen aus. Die entsprechenden Darstellungen der Resultate zeigen zweidimensional die Isolinien der Flussdichte in einer senkrecht zu den Leitern gewählten Ebene. Sie sind statisch zu verstehen, d.h. sie gelten nur für die gewählten Leiterströme und berücksichtigen zeitliche Veränderungen der Stromeffektivwerte nicht. Für die Bestimmung des 24-h-Effektivwertes sind sie deshalb nur bedingt aussagekräftig. Im Ausblick dieser Arbeit wurde deshalb auch darauf hingewiesen, dass es nötig ist, die Leiterkopplungen und die örtlichen Veränderungen der Lokomotive als Last zu berücksichtigen.

Eine allgemein gültige Aussage über die Belastung durch niederfrequente Magnetfelder entlang von Bahnanlagen kann nicht formuliert werden, denn die zahlreichen Einflussfaktoren sind zu unterschiedlich. Sie umfassen beispielsweise die Spurzahl, das Speisekonzept, das Stromsystem, die Leiterkonfiguration, den Zugtyp, das Höhenprofil und den Fahrplan.

Um dennoch grundlegende Zusammenhänge aufzeigen zu können, wird hier deshalb von einer in der Schweiz häufig anzutreffenden Anlagenkonfiguration ausgegangen. Bild 1 zeigt den Querschnitt eines doppelspurigen Bahntrassees mit einer möglichen Anordnung von stromführenden Leitern.

Betrachtungen spezifischer Bahnanlagen machen es nötig, weitere Leiter wie Umgehungsleitungen, Speisekabel und spezielle Einrichtungen wie Auto- und Booster-Transformatoren zu berücksichtigen.[4] Die für die nachfolgend präsentierten Simulationen verwendeten Leiterkoordinaten entsprechen ebenso gängigen Verhältnissen wie die gewählten Leitertypen mit ihren Querschnitten und Leitfähigkeiten. Diesbezüglich sind die Resultate als eine mögliche Variante, und nicht als generell geltend zu verstehen.

Simulationen

Zunächst werden für die Bestimmung der Magnetfeldbelastung die Ströme in den Leitern von Bild 1 berechnet. Wie es der allgemeinen Praxis entspricht, werden dazu die Bahnstrecken durch Streckentrenner in einzelne Abschnitte aufgeteilt betrachtet.

Für die Netzwerkberechnungen wird ein Kettenleiterersatzschaltbild eingesetzt, das neben den resistiven und reaktiven Leiterbelägen auch die Kopplungen zwischen den Leitern berücksichtigt. Ebenso wird der Skineffekt berücksichtigt, der sich vor allem auf die Stromverteilung in den Schienen und damit auf deren Leitwertbeläge auswirkt.[5]

Die Besonderheit der Simulationen besteht nun darin, dass es sich bei diesem 7-Leiter-System um ein Netzwerk mit veränderlicher Struktur handelt. Diese wird durch die Veränderung der Position der Lokomotive verursacht. Im Kettenleiterersatzschaltbild wird die Bewegung der Lokomotive durch eine Verschiebung des entsprechenden Ersatzzweipols im Netzwerk berücksichtigt. Für die Angabe der Position der Lokomotive wird die normierte Grösse xL verwendet. Sie variiert zwischen 0% für den Anfang einer Strecke und 100% für ihr Ende. Ebenso können zwischen diesen Werten auch die Position xB des Beobachters, jenem Ort, für welchen man sich für die Magnetfeldbelastung interessiert, und die Position xV der Einspeisung des Verstärkungsleiters variiert werden.

Bild 2 zeigt das elektrische Schema für einen einspurigen 7-leitrigen Streckenabschnitt. Zur einfachen Identifikation der Leiter beim Vergleich der nachfolgenden Diagramme sind sie verschiedenfarbig dargestellt. Mit Hilfe der Leistungsschalter Q1 bis Q4 lassen sich die Speisungen beidseitig der Stecke wahlweise mit dem Kettenwerk und/oder dem Verstärkungsleiter verbinden bzw. auftrennen. Dadurch sind Simulationen sowohl für einseitige als auch für zweiseitige Speisungen mit und ohne Verstärkungsleiter möglich.

Einseitig gespeiste Strecke

Um den Einfluss der dynamischen Netzwerkstruktur erkennbar zu machen, sei zunächst der einfache Fall der einseitigen Speisung für xB=40% und inaktivem Verstärkungsleiter betrachtet. Das Resultat der Simulation lässt sich auch ohne aufwendige Rechnung einfach beschreiben: Solange sich die Lokomotive zwischen dem Anfang der Strecke und dem Beobachter befindet, fliessen in den Leitern beim Beobachter keine Ströme. Der gesamte Lokomotivstrom fliesst vom Anfang der Leitung durch das Kettenwerk zur Lokomotive und über die Schienen, die Erde und den Rückleiter zurück zur Speisung. Sobald die Lokomotive den Beobachter passiert hat, sich also zwischen dem Beobachter und dem Streckenende befindet, fliesst der gesamte Strom auch beim Beobachter.

Bild 3 zeigt den Verlauf der Leiterströme in Abhängigkeit der Position der Lokomotive. Im oberen Diagramm sind die Amplituden bezogen auf den Lokomotivstrom und im unteren die Phasen zwischen –90° und 270° aufgetragen (positive Stromrichtung in Fahrtrichtung). Der Übersichtlichkeit halber sind die sieben Leiterströme nicht einzeln, sondern teilweise zusammengefasst und mit derselben Farbe wie in Bild 2 dargestellt.

Nach der Passage beim Beobachter fliessen die Leiterströme mit konstanten Amplituden. Unter der Annahme eines Lokomotivstromes von 200 A wird mit der Stromverteilung nach Bild 3 die magnetische Flussdichte beim Beobachter in einer Ebene quer zum Trassee berechnet und im Einstiegsbild dargestellt.
Die 1-μT-Grenzwerte liegen auf Schienenhöhe bei einer Distanz von –10,4 m bzw. +12,7 m.

Wird neben konstantem Lokomotivstrom auch der Spezialfall einer konstanten Geschwindigkeit der Lokomotive vorausgesetzt, lässt sich Bild 3 auch als zeitabhängiger Verlauf interpretieren. Je näher sich der Beobachter beim Streckenanfang befindet, desto länger ist er dem Magnetfeld mit der Verteilung gemäss Einstiegsbild ausgesetzt. Für die Dauer der tatsächlichen Fahrzeit (ohne Haltezeiten, vernachlässigten Beschleunigungs-, Auslauf- und Bremsphasen) lassen sich damit relative Effektivwerte für die Ströme bestimmen. Die Beobachterposition geht dabei nichtlinear ein und ist in Bild 4 dargestellt. Mit zusätzlichen Informationen wie Zugstyp, Fahrplan, Höhenprofil etc. lässt sich auf dieser Basis auch der 24-h-Effektivwert der magnetischen Flussdichte als Funktion der Beobachterposition xB bestimmen.

Zweiseitig gespeiste Strecke

Wenn ein Streckenabschnitt beidseitig gespeist wird, bezieht die Lokomotive ihren Strom in Abhängigkeit ihrer Position entsprechend den Leiteradmittanzen, die sie mit den Speisungen verbinden. Befindet sich die Lokomotive zwischen Streckenanfang und Beobachter, fliesst beim Beobachter der Strom im Kettenwerk von der Speisung am Streckenende zur Lokomotive, also entgegen der Zählrichtung, d.h. mit einer Phase von 180°. Bis zum Beobachter nimmt seine Amplitude proportional zur Annäherung an die Speisung am Streckenende zu. Erst wenn die Lokomotive den Beobachter passiert hat, fliesst der Strom im Kettenwerk in Zählrichtung, also mit einer Phase von 0°. Vom Beobachter weg nimmt seine Amplitude proportional zur Entfernung von der Speisung am Streckenanfang ab. Für die Stromrückführung in den Schienen, der Erde und dem Rückleiter ergibt sich bezüglich der Amplitude ebenfalls proportionales und bezüglich der Phase umgekehrtes Verhalten. Bild 5 zeigt die Stromverteilung in Funktion der Position der Lokomotive.

Unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der einseitig gespeisten Strecke lässt sich Bild 5 nun auch für den Fall der zweiseitigen Speisung als zeitlicher Verlauf interpretieren. Je nach Position des Beobachters nehmen die Amplituden der Leiterströme linear zu, erfahren bei der Passage im Allgemeinen eine Unstetigkeit und nehmen danach wieder linear ab. Nur wenn sich der Beobachter genau in der Mitte der Strecke befindet, ergibt sich bei der Passage keine Unstetigkeit. Bild 6 zeigt den für die Bestimmung der Immission massgeblichen relativen Effektivwert der Ströme für die zweiseitige Speisung. Demnach ist ein Beobachter an den Enden einer zweiseitig gespeisten Strecke nur etwa 60% der magnetischen Flussdichte ausgesetzt, die er am Anfang einer einseitig gespeisten Strecke erfahren würde. Ein Beobachter in der Mitte der zweiseitig gespeisten Strecke wird sogar mit nur 30% davon belastet.

Strecke mit Verstärkungsleiter

Wenn der Verstärkungsleiter mitbenützt wird, verhalten sich die Amplituden der Leiterströme nicht mehr über den gesamten Streckenverlauf proportional mit der Position der Lokomotive.

Bild 7 zeigt die Stromverteilung einer einseitig gespeisten Strecke mit aktivem Verstärkungsleiter für xB = 30% und xV = 60%. Die Positionen der Lokomotive zwischen dem Streckenanfang und dem Beobachter sowie zwischen der Verstärkungseinspeisung und dem Streckenende führen zwar zu proportional verlaufenden Amplituden. Für diese Intervalle ist auch eine statische Feldverteilung wie beispielsweise im Einstiegsbild gezeigt gültig. Wenn sich die Lokomotive aber zwischen dem Beobachter und der Verstärkungseinspeisung befindet, verlaufen die Stromamplituden in den einzelnen Leitern nicht mehr proportional, womit die statische Feldverteilung ungültig wird. Eine Bestimmung des 24-h-Effektivwertes der magnetischen Flussdichte ist nicht mehr wie bei Strecken ohne Verstärkungsleiter möglich.

Ausblick

Für die Bestimmung des 24-h-Effektivwertes der magnetischen Flussdichte müssen die zeitabhängigen Amplituden der Ströme berücksichtigt werden. Diese Amplitudenverläufe werden basierend auf den erwähnten zusätzlichen Informationen erstellt. Mit einer Feldberechnung, welche in der Lage ist, die Zeitabhängigkeiten zu berücksichtigen, lässt sich die Immission für eine spezifische Anlagenkonfiguration und eine konkrete Beobachterposition bestimmen. Eine zusätzliche messtechnische Erfassung dieses Effektivwertes soll die Berechnung schliesslich bestätigen.

Referenzen

[1] International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection, Guidelines for Limiting Exposure to Time-Varying Electric and Magnetic Fields (1 Hz to 100 kHz), 1998.

[2] Schweizer Recht SR 814.710: Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV), 1999.

[3] K. Friedl, E. Schmautzer, L. Fickert, «Berechnung des magnetischen Feldes in der Umgebung von elektrischen Bahnanlagen in Abhängigkeit der Stromaufteilung auf Schienen, Rückleiter und Erdreich», e&i Elektrotechnik und Informationstechnik, 2009, Jg. 126/6: S. 227–233, DOI 10.1007/s00502-009-0646-0.

[4] F. Kissling, R. Puschmann, A. Schmieder, Fahrleitungen elektrischer Bahnen, Publicis Publishing, 2014, ISBN 978-3-89578-407-1.

[5] A. Zynovchenko, Ausbreitung von Stromoberschwingungen und Resonanzerscheinungen im Fahrleitungsnetz, Dissertation Universität Ulm, 2007, ISBN 978-3-86727-385-5.

Autor
Prof. Dr. Kurt Lehmann

war von 2002 bis 2021 Dozent an der BFH. Er ist heute frei­schaf­fen­der Consul­tant.

  • Lehmann Consultancy GmbH,
    8805 Richterswil

Kommentare

Bitte rechnen Sie 6 plus 1.