Lithium-Batterien sind besser als ihr Ruf
Ökobilanz von Lithium-Ionen-Batterien
Elektroautos versprechen, die Mobilität zu dekarbonisieren, nachhaltiger zu machen, denn sie sind einerseits energieeffizient und können andererseits mit Ökostrom betrieben werden. Ihr «grünes Image» wird aber durch die zentrale Komponente, die Batterie, getrübt. Wie wirkt sich die Lithium-Batterie aber tatsächlich auf die Ökobilanz aus?
Parallel zum zurzeit noch bescheidenen Wachstum der Elektromobilität wächst auch die Anzahl und Intensität der kritischen Stimmen, die auf die mutmasslich schlechte Ökobilanz der in Elektroautos eingesetzten Lithium-Ionen-Batterien verweisen. Gleichzeitig wächst auch das Bedürfnis der Bevölkerung, in einer Zeit der polarisierenden emotionalen Berichterstattung möglichst sachlich informiert zu werden. Dies ist aber nicht einfach, denn die Situation ist komplex. Zahlreiche Wissenschaftler haben in diversen Studien die Ökobilanz von Lithium-Batterien untersucht und sind zu unterschiedlichen Resultaten gekommen. Zwischen 2000 und 2016 wurden 113 entsprechende Studien veröffentlicht. Lediglich 36 davon liefern detaillierte Ergebnisse zur Lithium-Batterieproduktion und nur 11 der 36 enthalten ursprüngliche Life Cycle Inventory (LCI) Daten, d. h. Daten, die die Material- und Energieflüsse während der gesamten Lebensdauer der Batterien abbilden und die als Ausgangsdaten für Ökobilanzen eingesetzt werden.
Die meisten Ökobilanz-Studien zu Mobilitätsbatterien basieren auf LCI-Daten aus vier umfassenden Studien. Eine Studie des IVL Swedish Environmental Research Institute aus dem Jahr 2017 erwies sich dabei als besonders einflussreich, auch bezüglich medialer Präsenz. Problematisch ist bei diesen Studien, dass die verwendeten LCI-Daten nicht mehr aktuell sind, da sie auf die Anfänge der Kommerzialisierung der Batterien zurückgehen. Es werden somit ineffizientere Prozesse betrachtet, die eher einer Laborsituation statt einer ausgereiften Massenfertigung entsprechen. Ein Hauptgrund dafür ist die Schwierigkeit, an Daten von Herstellern zu kommen, die aus verständlichen Gründen kaum Einblicke in aktuelle Produktionsverfahren und die entsprechenden Daten gestatten. Die Zahlen der Studien liegen deshalb zu hoch.
Diese Diskrepanz zwischen den Studienzahlen und der industriellen Realität lässt sich anhand der erwähnten schwedischen Studie illustrieren: Kam man in der ursprünglichen Studie noch auf einen Wertebereich von 150 bis 200 kg CO2-Äquivalente pro kWh, liegt der Wert in der nun vorliegenden aktualisierten Version der Studie mit 61 bis 106 kg CO2-Äquivalente pro kWh deutlich tiefer und somit näher bei der Realität. Das grosse Spektrum der Werte lässt sich gemäss der Forscher auf den unterschiedlich grossen Anteil an erneuerbaren Energien, die die Batteriehersteller einsetzen, zurückführen.
Eine aktuelle Studie
Nebst dieser aktualisierten schwedischen Studie gibt es in dieser der aktuellen Situation hinterherhinkenden Literaturlandschaft eine weitere Ausnahme: Die Ökobilanzstudie der Forscher des Argonne National Laboratory Qiang Dai, Jarod C. Kelly, Linda Gaines und Michael Wang. Sie basieren ihre Analysen auf einem Modell aus dem Jahr 2018, das kontinuierlich mit Industriedaten gefüttert wurde, sobald sie verfügbar waren. Die Studie beschränkt sich bezüglich Kathodenzusammensetzung auf die in Elektroautos am häufigsten verwendete, nämlich Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Oxid (NMC), konkret NMC111.
Diese Studie zeichnet sich durch Aktualität und Transparenz aus. Nicht nur werden Annahmen – beim Fehlen von Praxisdaten – offengelegt, man gibt auch zu, dass die verfügbaren Daten aus der Industrie dürftig sind. Oft ist man deshalb auch hier auf möglichst plausible Schätzungen angewiesen.
Batterieherstellung detailliert
Das in der Studie untersuchte Batteriepack hat eine Kapazität von 23,5 kWh, wiegt 165 kg und hat eine Energiedichte von 197 Wh/kg (Zelle) bzw. 143 Wh/kg (Batteriepack). Das aktive Kathodenmaterial der Zellen ist das bereits erwähnte NMC111, als aktives Anodenmaterial wird Grafit eingesetzt.
Die Studie berücksichtigt den gesamten Produktionsprozess, von der Extraktion der Rohstoffe (Erze, Rohöl usw.) bis zum Zeitpunkt, wenn die fertige Batterie die Fabrik verlässt (Bild 1). Von den in der Studie untersuchten ökologisch relevanten Aspekten wie den NOx-, SOx- und Feinstaub-Emissionen, Wasserverbrauch (Bild 2) usw. beschränken wir uns hier auf den Gesamtenergieverbrauch, der sowohl fossile als auch erneuerbare Energieträger umfasst, und die Treibhausgasemissionen. Diese Einschränkung soll nicht bedeuten, dass die anderen Aspekte ökologisch vernachlässigbar sind. Die Toxizität der Emissionen ist beispielsweise ein wichtiges Umweltthema, das nur indirekt mit der Nachhaltigkeit zusammenhängt.
Den grössten Anteil am Gesamtenergieverbrauch der Herstellung der Batterien hat das NMC111-Pulver. Es ist verantwortlich für über einen Drittel des gesamten Energieverbrauchs und knapp 40% der Treibhausgasemissionen. Da die Rohmaterialien für die Pulverproduktion rund die Hälfte der Produktionskosten ausmachen, konzentrieren sich die Unternehmen bei der Herstellung des Pulvers deshalb auf eine maximale Materialausbeute statt auf eine möglichst hohe Energieeffizienz.
Beim Energieverbrauch dominieren zudem die Aluminiumherstellung und die Zellproduktion. Über die Hälfte des verbrauchten Wassers geht auf das Konto des Aluminiums, rund ein Drittel auf das des synthetischen Grafits.
Ein Vorteil der Studie ist, dass sie ihre Zahlen für die Material- und Energieflüsse der Herstellung des Kathodenpulvers NMC111 nicht aus abstrakten akademischen Schätzungen bezieht, sondern aus der Praxis: Die Forscher haben vor Ort bei einem führenden chinesischen Hersteller von Kathodenmaterialien recherchiert und dessen Daten aus dem Jahr 2017 berücksichtigt.
Sind die benötigten Materialien einmal verfügbar, kann die Zelle hergestellt werden. Dies geschieht in mehreren Schritten: Man muss die erforderliche Suspension vorbereiten, die Elektroden herstellen, die Zellen zusammenbauen und konditionieren, d. h. laden. Die Herstellung der Elektroden setzt sich dabei zusammen aus dem Beschichten der Kollektoren mit der Suspension, dem Trocknen und Schneiden. Dieser Prozess muss in einem Trockenraum geschehen, da Feuchtigkeit die elektrochemische Leistungsfähigkeit der Batterien beeinträchtigt. Der Betrieb des Trockenraums und unter Umständen das Trocknen der Elektroden sind Hauptfaktoren, die den Gesamtenergieverbrauch der Produktion prägen.
Eine Standortfrage
In der 2016 eröffneten Produktion des von den Argonne-Forschern berücksichtigten chinesischen Herstellers werden Strom und Wasserdampf eingesetzt – der Strom hauptsächlich für Entfeuchter und die Kühlung. Grundsätzlich hängt der Energieverbrauch der Produktion somit stark von den klimatischen Bedingungen ab, aber auch von der Auslastung der Anlage, denn der Energiebedarf für den Betrieb des Trockenraums ist nahezu konstant, unabhängig von der Produktionsaktivität.
Die Ökobilanz der Batterie hängt auch wegen des lokal verfügbaren Strommixes stark vom Standort der Fabrik und den Standorten der Materialbereitstellungswerke ab, denn im Vergleich mit der Herstellung der Zellen wird deutlich mehr Energie für das Bereitstellen der benötigten Materialien verbraucht (Bild 3).
Die Standorte der Produktionsstätten wirken sich zudem auf nicht-energetische Aspekte aus. Bei der Gewinnung von Kobalt aus Sulfiden entsteht viel SO2, das beispielsweise in den Fabriken in Kongo eingefangen und zu Schwefelsäure verarbeitet wird. So lässt sich ein Teil des Bedarfs an Schwefelsäure für metallurgische Prozesse abdecken und man spart Betriebskosten. Anders sieht es in Russland aus, wo das SO2 der Nickelproduktion bei Norilsk Nickel ungenutzt in die Atmosphäre entlassen wird und die Umwelt stark belastet.
Transparenz bietet Vorteile
Es ist klar, das Lithium-Ionen-Batterien bzw. ihre Herstellung die Umwelt belasten und dass bezüglich der Batterieproduktion aus Ökobilanzsicht noch einige Fragen offen sind, die sich erst klären lassen, wenn die Batterieindustrie Forschern einen Einblick in die Produktionsdaten gewährt. Aber bereits mit den vorhandenen Daten und Studien lässt sich sagen, dass der Energieverbrauch für die Produktion sinkt.
Ging man vor Kurzem noch von einer Emission von rund 150 kg CO2-Äquivalenten pro kWh aus – eine Grundannahme des Faktenblatts «Umweltauswirkungen von Personenwagen – heute und morgen» von Energie Schweiz –, liegen die Werte der Argonne-Studie bei 72,9 kg CO2-Äquivalenten pro kWh. Basierend auf einer Empa-Studie von Notter et al. liefert auch die Schweizer Ökobilanz-Datenbank Ecoinvent mit 69,1 kg CO2-Äquivalenten pro kWh einen sehr ähnlichen Wert. Mit diesem Wert wird ein elektrischer Personenwagen ungefähr ab 30 000 km aus energetischer Sicht ökologischer als ein vergleichbarer fossil betriebener Personenwagen. Bei intensiverem Gebrauch sind Elektroautos in der Schweiz somit deutlich umweltfreundlicher als Verbrenner.
Durch eine bessere Auslastung der Trockenräume, durch Optimierungen der Produktionsprozesse sowie durch den Einsatz eines ökologischeren Strommixes dürfte man bezüglich CO2-Ausstoss bei der Batterieherstellung bald in einer Region liegen, die sogar den Elektroauto-Skeptikern den Wind aus den Segeln nehmen könnte. Sofern die entsprechenden Produktionsdaten auch kommuniziert werden. Eigentlich spricht vieles für eine offene Kommunikation der Daten: Der Glaubwürdigkeitsgewinn dürfte sich positiv auf den Elektroautoverkauf auswirken und somit die Auslastung der Produktionsstätten verbessern. Wovon wiederum die Ökobilanz profitieren würde.
Literatur
- Qiang Dai, Jarod C. Kelly, Linda Gaines, Michael Wang, «Life Cycle Analysis of Lithium-Ion Batteries for Automotive Applications», MDPI, Batteries, 2019.
- Jens F. Peters, Manuel Baumann, Benedikt Zimmermann, Jessica Braun, Marcel Weil, «The environmental impact of Li-Ion batteries and the role of key parameters», Renewable and Sustainable Energy Reviews, Elesevier, 2017, Vol. 67, Issue C, S. 491–506.
- Helga Rietz, «Die Produktion von Elektroautos ist umweltfreundlicher geworden», NZZ, 4.12.2019.
- Dominic A. Notter, Marcel Gauch, Rolf Widmer, Patrick Wäger, Anna Stamp, Rainer Zah, Hansjörg Althaus, «Contribution of Li-Ion Batteries to the Environmental Impact of Electric Vehicles», Environ. Sci. Technol. 44, 2010, S. 6550–6556.
- Brian Cox, Christian Bauer, «Die Umweltauswirkungen von Personenwagen: heute und morgen», PSI, 2018.
Bild 2 wurde am 18.9.2020 korrigiert.
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