Fachartikel Beleuchtung , Installationstechnik

Lichtwirkungen besser verstehen

Bedarf an interdisziplinärer Forschung

09.12.2017

Dass sich Licht auf uns auswirkt, ist schon länger bekannt. LEDs ermöglichen nun eine tageszeitabhängige Farbtemperaturwahl, die zwar bereits den Beleuchtungsmarkt erobert, aber deren Erforschung noch nicht abgeschlossen ist. Interdisziplinäre Forschung ist nötig, um der circa­dianen Beleuchtung das nötige wissenschaftliche Fundament zu verleihen.

Wie jedes Jahr gab Anfang Oktober die Königlich- Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm die Gewinner des Nobelpreises bekannt. Auf dem Gebiet der Medizin ging die Auszeichnung an Jeffrey Hall und Michael Rosbash von der Brandeis University sowie Michael Young von der Rockefeller University. Die Forscher erhielten den Preis für die Entdeckung molekularer Mechanismen, die den circadianen Rhythmus steuern. Circadiane Uhren laufen autonom und folgen einem Rhythmus von etwa 24 Stunden, auch in Abwesenheit von den täglichen Umwelteinflüssen. Diese innere Uhr ist stark mit dem Tag-Nacht-Zyklus verbunden und beeinflusst das Leben von Pflanzen, Tieren und Menschen. Sie beeinflusst die Aktivität unserer Gene, Proteine und Hormone im Verlauf des Tages und in der Nacht und somit unsere Aktivitäten und Bedürfnisse wie Leistungsfähigkeit, Schlaf und Hunger. Für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit ist somit die biologische Uhr wichtig. Wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät, wie es bei einem Überseeflug oder bei der Zeitumstellung geschieht, macht sich dies negativ bemerkbar. Geschieht dies dauerhaft, kann es sich fatal auswirken: Psychische Erkrankungen, Schlafstörungen, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen können die Folge sein.

Tagesrhythmus-Gene

Dass in jeder Zelle eine innere Uhr tickt, konnte 1970 nachgewiesen werden, indem der circadiane Rhythmus durch eine Genmutation gestört wurde. Die erwähnten Nobel­preis­träger identifizierten 1984 das Period-Gen. Später konnten sie zeigen, dass dieses Gen ein Protein bildet, welches sich in der Nacht in den Zellen ansammelt und tagsüber wieder abbaut – in einem 24-Stunden-Rhythmus – synchron zum Tag-Nacht-Zyklus. In den folgenden Jahren wurden weitere Gene identifiziert und Wirkungs­mechanismen erkannt, beispiels­weise, dass sich die innere Uhr immer wieder über das Tageslicht synchronisiert.

Erst 2001 wurde von Brainard bzw. von Thapan der nicht-visuelle Foto­rezeptor nach­gewiesen, dessen maximale Sensitivität im Blaubereich zwischen 420 und 500 nm liegt. Die Stäbchen für das Sehen in der Nacht (hell/dunkel) und die Zapfen für das Sehen am Tage und den Farbeindruck kannte man da schon lange.

Diese Entdeckung wurde auch von der Beleuchtung­sindustrie mit grossem Interesse zur Kenntnis genommen und die biologische Wirkung von Licht wurde vermehrt bei der Entwicklung von Lichtsystemen berücksichtigt. Am Anfang wurden für die Realisierung der unter­schiedlichen Spektren Leuchtstofflampen verwendet.

Schon länger bekannt

Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einfluss des Lichts auf den menschlichen Organismus schon viel früher intensiv erforscht wurde. Die Wirkung wurde hier oft bei Beleuchtungsstärken, die weit über den Anforderungen der Normen lagen, nachgewiesen. Die Erkenntnis, dass viel Licht eine höhere Aktivität der Nutzer herbeiführen kann, war jedoch mit dem steigenden Energieeffizienz-Gedanken und den strengen Energieverordnungen nicht vereinbar. Zudem mussten die Leuchten mit dimmbaren Vorschaltgeräten ausgestattet werden. Für die Möglichkeit einer Variation des Lichts (z.B. als Indirekt-/Direkt-Leuchte oder zwei unterschiedlichen Lichtfarben) mussten zwei Systeme in eine Leuchte integriert werden, und lagen somit im Hochpreissegment. Eine Marktdurchdringung blieb zu diesem Zeitpunkt folglich aus.

Die LED-Revolution

Im Dezember 1993 stellte Shuji Nakamura die erste blaue Leuchtdiode aus Galliumnitrid vor und ermöglichte somit die Erzeugung von weissem LED-Licht. Ohne blaue LED wären heutige LED-Leuchten nicht möglich.

Am Anfang war die LED in der klassischen Beleuchtungstechnik nur eine Randerscheinung. Viele Experten haben sich mit ihren Voraussagen über die Leistungsfähigkeit der neuen Lichtquelle mehrmals geirrt. Die LED läutete eine Lichtrevolution ein, die zweite nach der Erfindung der Glühlampe in den Jahren um 1880. Daher war es mehr als gerechtfertigt, als 2014 Shuji Nakamura und seine zwei japanischen Kollegen Isamu Akasaki und Hiroshi Amano für die blaue LED den Nobelpreis für Physik erhielten.

In der Zwischenzeit sind massive Fortschritte im Bereich der LED gemacht worden. Die zweite Lichtrevolution ist kurz vor ihrem Abschluss. Einerseits werden Lichtstromausbeuten von weit über 120 lm/W erreicht und andererseits übertreffen LEDs auch klassische Lampen bezüglich Lichtqualität (Farbtemperatur und Farbwiedergabe). Gleichzeitig sinken die LED-Preise rasant.

Versprechen und Forschungsbedarf

Diese Faktoren motivieren die Beleuchtungsindustrie, Leuchten mit einem zusätzlichen Mehrwert auf den Markt zu bringen. Viele Hersteller bieten Leuchten an, die eine variable Farbtemperatur ermöglichen. Auf dem Markt haben sich solche Systeme unter dem Begriff Tuneable White etabliert. Ihr Einsatz ist vielfältig, so ermöglichen sie im Verkauf die optimale Beleuchtung der Produkte, damit diese am besten zur Geltung kommen. Es geht weniger um eine natürliche Wiedergabe von Materialien und Farbe, sondern vielmehr um eine bevorzugte bzw. vorteilhafte Wiedergabe.

In anderen Anwendungen wird die Farbtemperatur­veränderung gezielt zur Unterstützung einer bestimmten Raum­atmosphäre genutzt. Aber das grösste Vermarktungs­potenzial bietet die biologische Wirkung der unterschiedlichen Farb­temperaturen auf den Menschen. Der Begriff Human Centric Lighting oder kurz HCL wird seit der Light & Building  2016 zwar inflationär verwendet und es könnte von einem regelrechten Hype gesprochen werden. Aber es ist genau dieses Phänomen, das die beiden erwähnten, mit dem Nobelpreis ausge­zeichneten Entdeckungen verbindet.

Noch nie war es so einfach, dynamisches Licht zu erzeugen, wie mit der LED. Man kann sowohl die Lichtmenge als auch die Lichtfarbe gezielt, genau und abhängig von Zeit, Umgebung und Nutzerbedürfnis verändern. Mit dem Verschmelzen der Informations­technologien mit anderen Gewerken (Stichwort «Internet of Things») scheint technisch alles machbar. Wenn man nun den Marketingabteilungen und den «Human-Centric-Lighting-Beratern» glaubt, ist alles erforscht, erprobt und getestet. Es wird mit Versprechungen geworben, dass sich zum Beispiel die Konzentration von Personen um 36 % verbessert, als bei Vergleichsgruppen, welche unter normalem Licht arbeiten. Aber diese Angaben stammen aus Studien, die in einem anderen Kontext durchgeführt wurden und nicht ohne Weiteres übertragbar sind. Kaum ein Chronobiologe würde sich aktuell zu solchen Aussagen hinreissen lassen. Weiterhin sollte beachtet werden, dass immer wieder Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem nicht visuellen Fotorezeptor revidiert werden. Die Beurteilung der Wirkungsfunktion wurde seit den Anfängen 2001 bis heute immer wieder modifiziert.

Mit den erwähnten übertriebenen Behauptungen werden Erwartungen geweckt, die nie eingehalten werden können und zwangsläufig zu enttäuschten Kunden führen. Sie sind für einen bewussten und sinnvollen Umgang mit Licht nicht hilfreich. Zudem schädigen sie den Ruf der gesamten Branche.

Licht wirkt zweifellos

Trotz der noch nicht abgeschlossenen Forschungssituation können gewisse Grundregeln postuliert werden, wie zum Beispiel die, dass in den Abendstunden Licht mit einem zu hohen Blauanteil vermieden werden sollte. Dies hat auch Apple verstanden und seit 2016 den Light-Shift-Modus direkt in das Betriebssystem seiner iOS-Geräte integriert.

Die Vorteile von LED-Systemen, bei denen die Farbtemperatur verändert werden kann, sollen hier nicht infrage gestellt werden. Es soll vielmehr auf die nicht zu unterschätzende Komplexität hingewiesen werden, wenn diese für die Manipulation biologischer Prozesse bei Menschen verwendet werden.

Die Lichtplanung ist per se interdisziplinär, da sie Aspekte aus den Bereichen der Physiologie, Gestaltung, Technik, Architektur, Bauphysik berücksichtigt. Aber der Einbezug der biologischen Wirkung des Lichts wird viele Planer und Hersteller vor eine Herausforderung stellen. Denn die bewusste Beeinflussung von gesundheitsrelevanten Faktoren am Arbeitsplatz stellt eine neue Qualität dar und erfordert erweiterte Kompetenzen in diesem Bereich. Wir stehen erst am Anfang einer spannenden Entwicklung; viele Fragen müssen noch geklärt werden.

Deshalb wird seit einigen Jahren auch an der HSLU interdisziplinär im Gebiet der Beleuchtung geforscht. Die visuelle und nichtvisuelle Wirkung von Licht auf den Menschen bildet dabei einen Schwerpunkt. Es geht dabei um Fragen wie der Verbesserung der Lichtqualität bei Schichtarbeitern im Bereich Logistik durch eine Veränderung der Farbtemperatur oder der Optimierung von HCL-Beleuchtungsanlagen in Pflegeeinrichtungen. Zudem wurde ein Light-Dosimeter entwickelt und in einer Kleinserie gefertigt, mit dem die circadiane Lichtdosis erfasst werden kann, beispielsweise von Patienten, welche unterschiedlichen Lichtsituationen ausgesetzt sind.

Diese Forschung ist heute besonders nötig, da die Nacht zum Tag und der Tag zur Nacht gemacht wird und sich Menschen in den Industrienationen immer weniger im Freien aufhalten. Die Priorität für die Synchronisation der inneren Uhr sollte beim Tageslicht liegen. Als Ergänzung oder bei Mangel an Tageslicht können die neuen technischen HCL-Lichtlösungen eine interessante Ergänzung darstellen. Gesundheitliche Aspekte geniessen in anderen Bereichen schon länger hohe Priorität und es ist Zeit, dass die Bedeutung des Lichts auf den Menschen speziell bei der Arbeitsplatzbeleuchtung mehr Gewicht in der Planung bekommt.

Autor
Prof. Björn Schrader

ist Leiter der Themen­plattform Licht@hslu.

  • Hochschule Luzern
    Technik & Architektur
    6048 Horw

LED-Forum 2018

Das Human Centric Lighting steht im Fokus des LED-Forums vom 30. Januar 2018. Was heisst das konkret für den Lichtplaner? Wie steht es um die Lichttechnik? Wie ist HCL im Kontext der Aussen- und Strassen­beleuchtung zu verstehen? Das nun in Basel durch­geführte LED-Forum setzt sich mit diesen Frage­stellungen auseinander.

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