Rückschau ICT

L'esprit pionnier – der erfolgreiche Weg aus der Krise

Swiss Telecommunication Summit vom 24. Juni 2021

08.07.2021

Am 24. Juni 2021 fand zum 46. Mal der Swiss Tele­communi­cation Summit statt – teils vor Ort im Berner Kursaal und teils auf einer Online-Event­platt­form. Dank der hybriden Formel konnte der diesjährige Top-Anlass der Schweizer ICT-Branche trotz Corona rund 500 Teilneh­mende aus Wirtschaft, Forschung, Bildung, Verwaltung, Politik und Medien versammeln. Im Zentrum der Referate und Podiums­diskus­sionen stand der Schweizer Pionier­geist, der heute stärker gefragt ist denn je, um die anste­henden Heraus­forde­rungen erfolgreich zu bewältigen oder gar als Chance zu nutzen.

Klimawandel, Europapolitik, Kostenexplosion im Gesundheitswesen: Die Corona-Epidemie und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft sind nicht die einzigen Herausforderungen, mit denen sich die Schweiz konfrontiert sieht. Umso mehr, so die Botschaft des diesjährigen Swiss Telecommunication Summit, muss sich die Schweiz auf ihre Stärken besinnen. Auf den Pioniergeist, die Innovationskraft und die Risikobereitschaft, mit dem sie im 19. Jahrhundert Industriegeschichte schrieb. Heute kommt den digitalen Technologien die Rolle zu, die damals die Schweizer Ingenieurkunst einnahm.

Innovationsschub Corona

«Die Pandemie hatte das Potenzial, unsere Gesellschaft völlig lahmzulegen und uns 150 Jahre zurückzuwerfen», sagte Asut-Präsident Peter Grütter in seiner Eröffnungsrede. Aber die moderne Kommunikationstechnologie habe nicht nur das Schlimmste verhindert, sondern zusätzlich einen wahren Innovationsschub ausgelöst: «Namentlich KMU haben lernen müssen, mit virtuellen Mitteln umzugehen». Das werde nachhaltige Veränderungen auslösen, beispielsweise in der Arbeitswelt und im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Und den «Esprit pionnier» beflügeln, der die Grundlage für Innovation bilde.

Moderiert vom Journalisten Reto Brennwald, kam am ganztägigen Anlass eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Forschung zu Wort, die diesen «Esprit pionnier» verkörpern. So nota bene Bundesrätin Viola Amherd, die als erste Frau an der Spitze des Militärdepartements nicht nur selber eine Pionierrolle einnimmt, sondern sich auch beherzt für den Mut zu mehr Diversität und einer positiven Fehlerkultur in der Verwaltung einsetzt und im Bereich der Cybersecurity gemeinsam mit der ETH Zürich und der EPFL ein Cyber Defense Campus aufbaut, um Cyber-Entwicklungen schneller zu antizipieren.

Eine blockchainaffine Nation

Blockchainpionier Mathias Ruch, CEO und Gründer des Startups Crypto Valley Venture Capital (CV VC), war der nächste Redner. Er sprach über das immense Potenzial der Blockchain, die das Internet in ein Internet der Werte verwandelt, über das tokenisierte Vermögenswerte – von wertvollen persönlichen Daten über Geldwerte, Verträge und Grundstücke bis hin zu Kunstwerken – mit integrierter Sicherheit übertragen werden können: «Die Dimensionen sind riesig», sagte Ruch. Jeder Grosskonzern entwickle zurzeit seine eigenen Blockchainprojekte oder -dienstleistungen, sei es im Bereich der Rückverfolgung von Lieferketten, für den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten über Landes- und Silogrenzen hinaus oder zur nicht-manipulierbaren Hinterlegung der Software für autonome Fahrzeuge. Laut Ruch ist die Ausgangslage für die Blockchain-Nation Schweiz mit ihrem Cryptovalley rund um Zug nach wie vor hervorragend, um im Bereich Blockchain eine wichtige Rolle zu spielen. Nicht zuletzt sei dies darauf zurückzuführen, dass die Schweizer Politik das Potenzial der Blockchain früh erkannt und sich deshalb für fortschrittlichste Rahmenbedingungen eingesetzt habe. Umso erstaunlicher, dass dasselbe blockchainaffine Land die neue 5G-Technologie so ungeheuer restriktiv regulieren wolle. Ruch sieht dies als typisches Beispiel dafür, dass Innovationen von Ängsten begleitet seien: «Dann werden solche ‹Nebenkriegsschauplätze› gebaut», kommentierte er.

Um Innovationsbremsen und zu überwindende Bequemlichkeiten und Ängste ging es im Referat des vierten Redners. Stefan Muff, Co-Owner und Founder von Axon, bezeichnete die digitale Transformation einer Organisation als «absichtlich herbeigeführte Unternehmenskrise» und legte dar, dass man in der Schweiz vor lauter Vorsicht und «Gärtchendenken» Innovationen manchmal ganz einfach zu verpassen riskiere. Die Schweiz spiele deshalb digital «unter ihrem Potenzial», erklärte der IT-Karten-Pionier, der in der Schweiz auf so viel verzagte Skepsis gestossen war, dass er 2006 seine digitale Kartentechnologie in einem spektakulären Deal schliesslich an Google verkauft hatte – sie bildete später die Grundlage für Google Maps.

Neue Wege in unbekanntem Terrain

Auf Muff folgte Nathalie Wappler, Direktorin des SRF, das vor der schwierigen Aufgabe steht, das unter 45-jährige Fernsehpublikum zurückzugewinnen. Denn in deren Leben spiele SRF zurzeit keine relevante Rolle mehr, sagte Wappler und berief sich dabei auf eine vor Kurzem durchgeführte Nutzungsanalyse: «Wir erreichen die immer Gleichen und die immer Gleichen nicht», so Wappler. SRF müsse sich, ohne mehr Mittel und ohne das bestehende Angebot journalistisch zu schmälern, der veränderten Mediennutzung anpassen und ein attraktives Online-Angebot schaffen, nicht nur auf seinen eigenen, sondern auch auf Drittplattformen wie Youtube, Instagram und Tik Tok. Beispiele sind eine 10-minütige unterhaltsam-verständliche Abhandlung von Alltagsfragen aus philosophischer Sicht in «Bleisch & Bossart», der werbefreie Youtubekanal «SRF Kids» oder «We, Myself and Why», ein Kanal von Frauen für Frauen. Als Pionierleistung mag Wappler all diese Neuerungen allerdings nicht bezeichnen: «Es ist eine Evolution, keine Revolution», sagt sie.

Den Abschluss des Vormittagsprogramms bildete ein Diskussionspanel mit Schweizer Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich mit Pioniergeist auf unbekanntes Terrain wagen. Um dort mit disruptiven Innovationen etablierte Ideen und Märkte aufzubrechen und zu verändern oder durch die Digitalisierung verursachte Umbrüche abzufedern. So der Wissenschaftsjournalist Beat Glogger, der auf die Veränderungen der Medienlandschaft mit der Gründung von higgs.ch reagiert hat, einer Online-Plattform für Wissenschaftsjournalismus oder besser «evidenzbasiertes Storytelling». Die Jungunternehmerin Dalith Steiger, Mitbegründerin des mehrfach ausgezeichneten AI-Hubs «SwissCognitive». Sowie Sylvia Stocker, vom KI- und Robotik-Unternehmen Arabesque, und Jörg Sandrock, CEO des Banking-App-Unternehmens Neon. Als gemeinsamer Nenner stellte sich der Mut heraus, den ersten Schritt zu wagen – und wieder aufzustehen und weiterzumachen, wenn man hinfalle. Es sei wie im Spitzensport, meinte Beat Glogger. Dort gehe schliesslich auch nicht nur an den Start, wer sicher sei, Gold zu gewinnen.

Innovation braucht Freiheit

Der Nachmittag startete mit Christian Keller, dem Vorsitzenden der Geschäftsleitung von IBM Schweiz. Er erläuterte, wie die Schweizer Spitzenforschung durch immer neue Pionierleistungen die Erkenntnisse bereitstellt, die Voraussetzung für neue Technologien sind. Vanessa Wood, Vizepräsidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen an der ETH Zürich zeigte, dass innovative Spin-off-Gründerinnen und -Gründer mit Kreativität, Leidenschaft und harter Arbeit den Transfer von der Wissenschaft zur erfolgreichen Anwendung ermöglichen. Allein 2020 gab es an der ETH Zürich mehr als 30 Spin-offs. Als besonders eindrückliche Beispiele zitierte Wood das Halbleiter-Unternehmen U-Blox, das das kleinste GPS der Welt entwickelt hat, und die digitale Kommunikationsplattform für Unternehmen Beekeeper. Was der Schweiz hier entgegenkomme, sei ihre Forschungspolitik, die nicht von oben verordnet werde, sondern von unten organisch wachse: «Für mich war das der Grund, aus den USA in die Schweiz zu kommen», sagte die ETH-Professorin, «denn Innovation beruht auf Freiheit und Offenheit».

Zur Sprache kamen am Asut-Seminar aber auch die Hürden, die sich dem Pioniergeist entgegenstellen können. Ständerätin Johanna Gapany beschrieb den Balanceakt der Politik, deren Aufgabe es sei, mögliche Risiken der Digitalisierung abzufedern ohne ihr Fortschrittspotenzial zu hemmen. Wie ungemein wichtig das sei, ist Gapany klar: «Wir sind ein kleines Land, aber wir haben uns durch unsere Stabilität, unsere Innovations- und Schaffenskraft weltweit Gehör verschafft. Denn Fortschritt macht einflussreich», sagte die FDP-Politikerin.

Die Krise als Innovationsbeschleuniger

Bea Knecht, Gründerin und Verwaltungsratsmitglied von Zattoo, einem Pionierunternehmen im Bereich TV-Streaming, schilderte die Corona-Krise aus ihrer Sicht und kam noch einmal darauf zu sprechen, wie die ICT-Branche als «unbesungene Heldin der Stunde» die Ausnahmesituation als Ansporn genutzt und damit ihren Nutzen für die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft ein für alle Mal bewiesen habe; «Covid hat uns 10 Jahre in die Zukunft gebeamt», sagte Knecht, «wir haben online gearbeitet, sozialisiert, eingekauft, unsere Bankgeschäfte erledigt, Versicherungen abgeschlossen und an Konferenzen teilgenommen». Jetzt gehe es darum, die durch die Krise in Gang gesetzte Beschleunigung der Digitalisierung zu bewahren und nicht in alte Muster zurückzufallen: «Wenn wir das schaffen, dann können wir die Verluste der Krise mehr als wettmachen», zeigte sich Knecht überzeugt.

Beim nicht-offiziellen Höhepunkt des Nachmittags, dem Diskussionspanel, das Pascal Grieder, André Krause und Urs Schaeppi, die CEOs von Salt, Sunrise UPC und Swisscom und Bakom-Direktor Bernard Maissen vereinte, war das Hauptthema die noch immer umstrittene Pioniertechnologie 5G. Aus Sicht der grossen Telkos sei es eine «Bankrotterklärung, den Datenstau abzuwarten», damit der Nutzen der fünften Mobilfunk-Generation auch der Bevölkerung und der Politik klar werde und hier endlich etwas gehe, fasste Swisscom-CEO Urs Schaeppi das Unverständnis der Branche zusammen.

Den sympathischen Abschluss des Programms lieferte Oliver Hess, Gründer von Wiesenschwein, der dank dem cleveren Einsatz von Radartechnologie, Sensoren und Algorithmen auf derselben Fläche wie klassische Schweinezüchter glückliche Ferkel aufzieht, die über Grünflächen, genügend Auslauf und Wühltröge verfügen.

Aber nicht nur den Schweinen, auch den Menschen eröffnet die ICT mit ihren Innovationen ein Leben, das ihren natürlichen Neigungen entspricht. Dies das Fazit von Asut-Präsident Peter Grütter: «Wir Menschen sind im Grunde audiovisuelle Lebewesen, für die die Schrift nur eine Hilfskonstruktion, eine Krücke ist», sagte Grütter. Aber dank der Digitalisierung würden wir schon in naher Zukunft hauptsächlich über bewegte Bilder kommunizieren und damit endlich wieder so funktionieren können, wie wir eigentlich «gestrickt» seien, sagte Grütter zum Abschluss des Asut-Seminars, das selbst Pioniergeist bewiesen hatte. Denn der strengen Corona-Auflagen wegen musste der Anlass hybrid organisiert werden und fand gleichzeitig vor Ort in Bern und auf einer Online-Eventplattform mit einem vielfältigen Zusatzangebot statt: Wer aus der Ferne teilnahm, konnte nicht nur virtuell mit den übrigen Teilnehmenden networken, sondern auch die Begleitausstellung im Kursaal Forum virtuell besuchen.

Autorin
Christine D'Anna-Huber

ist freie Wissen­schafts­jour­nalistin und Redak­torin des Asut-Bulletins.

  • CDH Wissenschaft im Text, 6900 Paradiso

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