Fachartikel Energienetze , Infrastruktur , Software

Leistungsfähige Tests für smarte Verteilnetze

Verteilnetze der Zukunft

28.04.2017

Neue Anforderungen und Digitalisierung sorgen dafür, dass die Verteilnetze in Zukunft viel dynamischer und «smarter» sein werden als heute. Diese höhere Komplexität der Netze bedingt auch effizientere Test-Tools.

Die Verteilnetze der Zukunft werden viel dynamischer sein als heute. Die treibenden Kräfte hierbei sind sowohl die dezentrale und wechselhafte, von Sonne und Wind abhängige Stromerzeugung, als auch die dezentralen Batteriespeicher, die alle über hochdynamische Wechselrichter mit dem Netz verbunden sind. Dazu kommen auch Smart Relais mit komplexen Kommunikationsnetzwerken. Zusätzlich verlangen Überlegungen zur Ausfallsicherheit gegen Cyber-Attacken und Naturereignisse nach einer zellulären Gestaltung der Verteilnetze, und zwar so, dass die verschiedenen Teile des Netzes als unabhängige Inseln funktionieren und ihre eigene Spannung und Frequenz steuern können.

Unabhängig davon, wohin diese Evolution der Verteilnetze führt – netzförmig oder radial, AC oder DC –, ist absehbar, dass die Netze «smarter» sein und immer mehr IKT-Komponenten und Subsysteme beinhalten werden. Mit den durch IKT-Technologien geschaffenen Möglichkeiten wird auch die Komplexität innerhalb der Netze steigen, was wiederum effizientere Test-Tools bedingt.

Ein gutes Test-Tool, das die Eindämmung der wachsenden Kosten für Engineering und Tests zukünftiger Verteilnetzkonfigurationen unterstützen soll, muss ein breites Spektrum relevanter Zeitkonstanten abdecken: von Sub-Mikrosekunden bis zu Minuten und sogar noch länger (vgl. Bild unten). Entscheidend ist bei einem solchen Test-Tool, dass damit sowohl die Steuerungs- und Kommunikations-Software als auch die entsprechende Hardware ohne jegliche Modifikationen getestet werden kann.

Hardware-in-the-Loop für Umrichter

Fast jede dezentrale Energiequelle ist über einen hochdynamischen Wechselrichter mit dem Netz verbunden, was vollkommen neue Möglichkeiten der digitalen Steuerung und Kommunikation ermöglicht. Zusätzlich besitzen solche Geräte immer ausgefeiltere netzunterstützende Funktionen. Zum Beispiel spezifizieren die deutsche BDEW-FGW-TR3-Richtlinie oder die Richtlinie UL 1741 SA in den USA detailliert die Voraussetzungen, die Solarwandler für den Betrieb im Netz erfüllen müssen. Die Überprüfung dieser Funktionalität ist kostspielig und sehr zeitintensiv, was wiederum die Markteinführung verzögern kann. Zum Testen von leistungselektronischen Systemen hat Typhoon HIL daher einen anderen Ansatz gewählt.

Der Unterschied der HIL-Technologie im Vergleich zu einer Computersimulation ist ihre Fähigkeit, die vorhandene Steuerungs- und Kommunikations-Hardware und -Software mit einem Modell der Leistungskomponenten zu verknüpfen und innerhalb des HIL-Gerätes in Echtzeit laufen zu lassen. In einer Simulation könnten lediglich vereinfachte Leistungs- und Steuerungsmodelle betrachtet werden.

Ein Beispiel aus der Windindustrie

Die Woodward Kempen GmbH in Kempen, Deutschland, ist der grösste unabhängige Hersteller von Frequenzumrichtern für Windkraftanlagen zur regenerativen Energieerzeugung. Das Unternehmen unterhält über 16 000 Umrichter in Onshore- und Offshore-Anwendungen, die doppelt gespeiste, synchrone und asynchrone Generatoren an das Netz anschliessen. Um neue Software-Versionen schneller in den Markt zu bringen und gleichzeitig die Qualität zu verbessern sowie die Kommunikation mit ihren Kunden zu erleichtern, arbeitet die Woodward Kempen GmbH mit einem HIL-Testlabor (vgl. Bild unten).

Die Test-Setups sind im Woodward-HIL-Labor über das unternehmensinterne Intranet zugänglich. Software-Entwickler können so von ihren Büros aus auf das Testlabor zugreifen und Tests vornehmen, deren Durchführung im Labor respektive im Feld kostspielig oder gar nicht praktikabel wäre. Ist das HIL-Modell im Labor einmal erfolgreich verifiziert worden, kann die Steuerungs-Software ohne Labor durch das HIL-Modell mit einem geringeren Aufwand verifiziert werden.

Hardware-in-the-Loop für Microgrids

Ursprünglich wurden Microgrids als Backup-Stromversorgung für kritische Belastungen wie Krankenhäuser, Datenzentren und Fabriken mit unterbrechungsfreien industriellen Prozessen genutzt. Typischerweise beinhalten sie einen oder mehrere interne Verbrennungsmotoren mit eingekoppelten elektrischen Generatoren, die kritische Lasten einspeisen.

Heutzutage werden Microgrids auch mit Solar- und Windenergie sowie Energie aus Batteriespeichern gespeist. Dadurch weisen solche Microgrids nur geringe oder gar keine Trägheit auf, was sie wesentlich dynamischer macht. Zusammen mit den entsprechenden Schutz-Relais, Kommunikationsnetzwerken und Microgrid Controllern bilden sie komplexe Energiesysteme (vgl. Bild unten), die allerdings gründlich getestet werden müssen, bevor ihre sichere und verlässliche Anwendung unter allen Betriebsbedingungen garantiert werden kann.

Erkenntnisse vom Microgrid & DER Controller Symposium

Auch auf dem diesjährigen Microgrid & DER Controller Symposium, welches vom Massachusetts Clean Energy Center und den MIT Lincoln Laboratories organisiert wird, standen reale, unveränderte industrielle Microgrid Controller im Fokus. Dabei wurde die Leistungsfähigkeit solcher Controller demonstriert. So steuerten sie beispielsweise drei Einspeiser mit 24 Bussen, einem Dieselgenerator, einem Naturgasgenerator mit Wärme-Kraft-Kopplung, einem Batteriespeicher, einem PV-Wechselrichter und zahlreichen Lasten, die im Rahmen einer Micro­grid-Testumgebung liefen. Dabei wurde gezeigt, dass Microgrid Controller mit einem breiten Spektrum an Störungen und Einflüssen, wie Sonnenstrahlungsprofile, Belastungsprofile oder Anfragen des Distribution-Management-Systems (DMS) an den Microgrid Controller, beispielsweise zum Export der aktiven respektive reaktiven Leistung, zur Inselbildung, zurechtkommen.

Als Erkenntnis lässt sich festhalten, dass sowohl die Konstruktion als auch das Testen von Microgrid-Steuerungssystemen mit der heutigen Technologie schwierig und kostspielig sind. Konstruktion und Testen ist ohne die richtigen Tools aber nicht praktikabel.

Verteilnetze durchlaufen rasante Veränderungen, die durch die Einführung von dezentralen und wechselhaften Energiequellen und durch die weitreichende Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien angetrieben werden. Solche Veränderungen bieten Möglichkeiten, ein Verteilnetz sicherer und flexibler zu machen. Gleichzeitig werden aber auch fortschrittliche Testwerkzeuge benötigt, um das Verhältnis von Kosten zu Qualität in einem vernünftigen Rahmen zu halten.

Links

Autor
Nikola Fischer Celanovic

ist CEO der Typhoon HIL GmbH.

  • Typhoon HIL GmbH, 8005 Zürich
Autor
Aiko Classe

ist  Software-Ingenieur bei der Woodward Kempen GmbH.

  • Woodward Kempen GmbH, D-47906 Kempen

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