Ladeinfrastruktur für Akku-Bahnfahrzeuge
Entwicklungen und Möglichkeiten
Wurden früher Bahnstrecken, deren Elektrifizierung zu aufwendig war, mit Dieselloks versorgt, stehen heute Bahnfahrzeuge mit Traktionsakku und Stromabnehmer zur Verfügung. Ihre Reichweite liegt zwischen 50 und 120 km. Für die erforderliche Ladeinfrastruktur kann sogar die 50-Hz-Wechselspannung eingesetzt werden.
Eine der grossen Hürden bei der Einrichtung eines elektrischen Bahnbetriebs stellt der Bau der nötigen Infrastruktur dar. Die Errichtung und der Betrieb von Unterwerken und Fahrleitungsanlagen sind aufwendig und kostspielig. Daher ist es naheliegend, dass der Wille zur Elektrifizierung nur dort gegeben ist, wo ein genügend hohes Verkehrsaufkommen diese Ausgaben auch rechtfertigt.
Aber gerade auf Strecken, die abseits der grossen Magistralen ins Hinterland führen, ist die Verkehrsdichte gering. Bereits unsere Vorfahren hatten sich Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Gedanken dazu gemacht, wie auf solchen Strecken ein möglichst wirtschaftlicher Bahnbetrieb möglich ist. Denn der damalige Dampfbetrieb ging mit hohen Kosten – insbesondere für die Wartung – für die Maschinen einher, die auf den geringen Verkehrsbedarf umgelegt werden mussten.
So lag die Entwicklung der ersten Akkutriebwagen nahe. Auf Basis der damit gemachten Erfahrungen wurde in Deutschland in den 1950er-Jahren die Baureihe ETA 150 entwickelt, die später als Baureihe 515 bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich um einen 23,4 m langen Triebwagen mit bis zu 86 Sitzplätzen, der eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und eine Reichweite von etwa 300 km erreichte [1]. Über 200 dieser Triebwagen wurden gebaut und gelegentlich durch antriebslose Steuerwagen ergänzt, um die Fahrgastkapazität zu erhöhen.
Im Vergleich zu heute war die damalige Akkutechnologie rudimentär, die Leistungs- und Energiedichten gering und der Unterhalt der Akkus wartungsintensiv. So mussten die Fahrzeuge an einer speziellen Ladeinfrastruktur aufgeladen werden und alle drei Tage mussten die Akkus mit destilliertem Wasser versorgt werden. Unterm Strich war diese Fahrzeuggeneration den gleichzeitig aufkommenden Dieseltriebwagen in wirtschaftlicher Hinsicht unterlegen, sodass sie folgerichtig 1995 in Deutschland ausstarb.
Heute sind u. a. Klimaanlagen nicht mehr wegzudenken. Gesteigerte Anforderungen, welche auch durch die im Vergleich zu früher anspruchsvolleren Crashnormen entstehen, führen ferner zu schwereren Fahrzeugen. Gleichzeitig möchte man mit Geschwindigkeiten von 140 km/h, oder besser 160 km/h, unterwegs sein. Diese Bedingungen konnten bis vor Kurzem auf nicht elektrifizierten Strecken nur durch Dieselzüge erfüllt werden.
Durch die Fortschritte in der Akkutechnologie, welche vor allem durch den Automotive- und Consumer-Electronics-Sektor getrieben wurden, hat sich das Blatt allerdings gewendet. So haben alle namhaften Fahrzeughersteller in Europa elektrische Triebzüge in ihrem Portfolio, die in einem modularen Konzept zusätzlich mit Traktionsakkus ausgestattet werden können. Solche Triebzüge werden bisweilen als BEMU (battery electrical multiple unit) bezeichnet. Ihre Reichweite variiert abhängig von der Anzahl der auf den Fahrzeugen installierten Akkupacks und bewegt sich in der Grössenordnung zwischen 50 km und 120 km.
Aufladung während der Fahrt
Im Gegensatz zu ihren früheren Pendants verfügt die neue BEMU-Generation über einen Stromabnehmer, über den das Fahrzeug während der Fahrt auf elektrifizierten Strecken versorgt wird. Zeitgleich werden die Traktionsakkus geladen. Die Ladeleistung liegt hierbei zwischen einem und zwei Megawatt. Bevor das Fahrzeug nun in einen nicht elektrifizierten Bereich einfährt, wird einfach der Stromabnehmer gesenkt, und das Fahrzeug zehrt von der in den Akkus gespeicherten Energie. Die Fahrgäste bekommen von dieser Transition nichts mit.
Trotz der neusten Akkutechnologie bleibt aber eine wesentliche Einschränkung: Die Energiemenge und damit die Reichweite sind beschränkt. Der Zug kann sich also nur so weit ins nicht-elektrifizierte Terrain wagen, wie sichergestellt ist, dass er es wieder in den nächsten elektrifizierten Abschnitt schafft. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, braucht es eine zusätzliche Ladeinfrastruktur. Diese besteht aus einer Oberleitungsanlage, die von einem Unterwerk gespiesen wird. In Deutschland wäre zunächst die Versorgung des Fahrzeugs mit einer Wechselspannung von 15 kV und 16,7 Hz naheliegend.
Blickt man auf die Grundlagen der Bahnantriebstechnik, stellt man aber fest: Charakteristisch für die auf Drehfeldmaschinen basierende moderne Triebwagentechnik ist die Leistungselektronik. Die an der Oberleitung abgegriffene einphasige Spannung wird auf dem Fahrzeug zunächst gleichgerichtet, um damit einen Gleichspannungszwischenkreis zu laden. Traktionsumrichter wandeln die Gleichspannung anschliessend in eine mehrphasige Wechselspannung um, die die Fahrmotoren je nach gewünschter Drehzahl mit einer variablen Frequenz speist. Es entsteht dadurch eine völlige Entkoppelung der Frequenz des speisenden Netzes von der an den Antriebsmotoren anliegenden Spannung.
Aus dieser Tatsache konnte eine wichtige Erkenntnis abgeleitet werden: Anstatt das Fahrzeug, wie bislang üblich, mit einer Spannung zu versorgen, bei der die Frequenz auf 16,7 Hz reduziert wird, kann – eingespeist über den Stromabnehmer – auch die 50-Hz- Netzspannung verwendet werden. Durch den Verzicht auf die infrastrukturseitige Frequenzumrichtung ergeben sich grosse Kostenvorteile. Es konnte in diversen Versuchen nachgewiesen werden, dass eine auf diese Weise eingerichtete Versorgung eines Akkuzugs für das Mittelspannungsnetz, an dem die Ladestation angeschlossen ist, netzverträglich ist [2]. Für das Fahrzeug beschränken sich die Auswirkungen im Wesentlichen auf die Software des eingangsseitigen Gleichrichters. Die bei BEMU zusätzlich eingebaute Traktionsbatterie wirkt während des Ladevorgangs lediglich als zusätzlicher Verbraucher auf dem Fahrzeug.
Deshalb findet in Fachkreisen aktuell eine intensive Diskussion um die Einführung eines neuen Bahnspannungssystems AC 15 kV 50 Hz statt (Bild 1). In der Cenelec-Arbeitsgruppe TC 9X/SC 9XC/SG 25 werden hierzu alle Aktivitäten gebündelt.
Aufladung der Akkus ausserhalb des Betriebs
Es wäre aber zu kurz gesprungen, die Errichtung von Ladeinfrastruktur nur dort zu sehen, wo sie für die Abwicklung des täglichen Betriebsprogramms mit Fahrgästen gebraucht wird. Denn damit der erste Zug des Tages gegen 5 Uhr morgens auch bei Minusgraden mit einem auf angenehme Temperaturen vorkonditionierten Fahrgastraum in Betrieb gehen kann, ist die Versorgung der Fahrzeuge durch eine externe Spannungsquelle in den Abstellbereichen sinnvoll. Gleichzeitig lassen sich auch die Akkus während der längeren Standzeit mit einer relativ geringen Ladeleistung im Bereich einiger Hundert Kilowatt aufladen. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass in solchen Abstellbereichen auch mehrere Züge stehen können, sodass die kumulierte Leistung aller Züge durchaus im Megawatt-Bereich liegen kann. Hier bietet sich, analog zur Diskussion um die Aufladung von Elektroautos, ein intelligentes Lademanagement an.
Als konkretes Beispiel hierfür hat sich die Niederbarnimer Eisenbahn dafür entschieden, an vier Standorten ihres Liniennetzes im Raum Berlin – Ostbrandenburg Ladestationen vom Typ Voltap zu installieren, an denen bis zu fünf BEMU gleichzeitig versorgt werden können. Bei den Fahrzeugen handelt es sich um zweiteilige Mireo Plus B von Siemens (Bild 2). Die Speisespannung der Oberleitungsanlagen beträgt auf Wunsch des Fahrzeugherstellers 25 kV 50 Hz. Auch wenn die Aufladung in diesem Fall nur während der Nachtstunden stattfinden soll, dienen die Ladestationen auch der Erhöhung der Betriebsstabilität.
Weitere Entwicklung und neue Freiheiten
Die derzeitige Marktentwicklung der Akkuzüge ist als sehr dynamisch zu bezeichnen. Praktisch alle der für die Organisation des Regionalverkehrs verantwortlichen Aufgabenträger möchten nach Ablauf der aktuell laufenden Verkehrsverträge, die noch mit Dieselzügen bedient werden, auf den neuen Akkuzug aufspringen. Da die Akkuzüge aber andere Anforderungen an die Infrastruktur stellen, sind im Vorfeld etliche Fragen zu beantworten.
Viele Aufgabenträger beauftragen daher derzeit Studien bei externen Fachinstituten, die sie bei der Gestaltung eines Betriebskonzepts unterstützen sollen. Dabei ist es essenziell, die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen, bei denen es sich um topografische Herausforderungen in Form einer starken Steigung handeln kann, aber auch um fahrplantechnische Zwangspunkte. Auch die Fahrzeughersteller unterstützen ihrerseits mit Simulationen, aus denen hervorgeht, welche Energieverbräuche je Streckenabschnitt unter anderem in Abhängigkeit der Temperatur zu erwarten sind.
Teil der Studien ist auch die Analyse von Notkonzepten. So muss untersucht werden, welche Streckenabschnitte bei Ausfall einer Nachladeinfrastruktur noch bedient werden können und wie der Zugbetrieb organisiert werden kann, um eine möglichst hohe Resilienz gegenüber externen Störgrössen zu erreichen.
Die nächsten Jahre werden in vielerlei Hinsicht spannend werden. Während die neuen Akkuzüge ein grosses Potenzial versprechen, die alten Dieselzüge aufs Abstellgleis zu schieben, müssen sie sich erst im Realbetrieb noch beweisen. Denn, wie beim Fussball, liegt die Wahrheit auf dem Platz.
Aber auch für Fahrleitungsbauer in der vollelektrifizierten Schweiz bieten die Akkuzüge neue Chancen, Oberleitungsinfrastruktur völlig neu zu denken. Denn mit den neuen Akkuzügen ist es nicht mehr nötig, jeden Gleismeter überspannen zu müssen. So ist es denkbar, komplizierte und teure Stellen – beispielsweise Weichennester in einem Bahnhof – von der üblichen Elektrifizierung auszuklammern. Dies würde die spezifischen Investitionskosten je Kilometer Fahrleitung deutlich senken.
Referenzen
[1] «Frühe Umweltschützer: die Akku-Triebwagen», Takt – Die Bahn in Ihrer Region, September 2009.
[2] Felix Dschung, «50-Hz-Zugladestation für batterieelektrische Züge», Elektrische Bahnen 119 (2021), Heft 3, S. 100–108.
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