Fachartikel Installationstechnik

Kurz­schluss­schutz von Sekun­där­ver­teilungen

SNG 481449:2023

05.04.2024

Unerwünschte Kurzschlüsse und daraus entstehende Störlicht­bogen können verheerende Auswir­kungen auf Personen und Sachwerte haben. Technische Schutz­mass­nahmen wie Kurzschluss­schutz­ein­richtungen oder licht­bogen­sichere Anlagen können diese zerstö­reri­schen Wirkungen eines Kurzschlusses wesentlich begrenzen.

Im Auftrag des Eidgenössischen Stark­strom­inspekto­rates ESTI erarbeitete das TK 121B (technisches Komitee des CES), das für die technische Normung von Nieder­spannungs-Schalt­geräte­kombi­nationen zuständig ist, ab 2018 eine Schweizer Guideline SNG zum Thema «Kurz­schluss­schutz von Sekun­där­ver­teilungen». Unter dem Begriff «Sekun­där­ver­teilung» versteht die SNG eine Nieder­spannungs-Schalt­geräte­kombi­nation SK, die direkt von einem oder mehreren Transformatoren gespeist ist.

Eine SNG ist eine Publikation mit Erläuterungen zur Erstellung und Anwendung von Normen und Regeln und enthält keine normativen Festlegungen. Die SNG 481449:2023 ist bis auf Weiteres nur in deutscher Sprache erhältlich und kann im Electrosuisse-Normenshop bezogen werden.

Die SNG hat einen Umfang von insgesamt 62 Seiten. Sie definiert den Anwendungsbereich, stellt die gesetzlichen Grundlagen für ihre Anwendung vor, beschreibt die Auslegung des Kurz­schluss­schutzes in Abhängigkeit vom Ort der Fehlerstelle sowohl für Primärschutz als auch für Sekundärschutz. Auf detaillierte Weise wird anschliessend die mögliche Beurteilung und Umsetzung von Massnahmen erläutert, wobei auch auf das mögliche Schadens­ausmass gemäss Auswertung der Übersichtstabelle und die Eintritts­wahrschein­lichkeit eingegangen wird.

Ziel der Guideline

Die in der SNG enthaltenen Erläuterungen und Bestimmungen gelten sowohl für die Erstellung neuer Starkstromanlagen wie auch für bestehende Starkstrom­anlagen, wenn diese:

  • vollständig umgebaut werden,
  • in bedeutendem Mass verändert werden und die Sicherheit dadurch wesentlich beeinträchtigt wird,
  • für Menschen und Umwelt eine drohende Gefahr darstellen oder andere elektrische Anlagen in erheblichem Masse störend beeinflussen.

 

Die hier vorgestellte SNG enthält Erläuterungen und Anwendungen zur Beurteilung und Umsetzung des Kurz­schluss­schutzes mittels geeigneter Risikobeurteilung. Betriebsinhaber von Sekun­där­ver­teilungen können damit ihre Verantwortung bezüglich des sicheren Betriebes ihrer Anlagen wahrnehmen.

Anforderungen

Zum Thema Kurz­schluss­schutz von Sekun­där­ver­teilungen sind folgende gesetzliche Anforderungen (technisch) aus der SR 734.2 (Starkstromverordnung) und SR 734.26 (Verordnung über elektrische Niederspannungserzeugnisse NEV) umzusetzen:

  1. SR 734.2 Starkstromverordnung
Art. 47 Überstromschutz
Art. 62 Schutz­mass­nahmen bei Kurz- und Erdschluss
Art. 63 Abschaltung
Art. 64 Änderung der Verhältnisse
  1. SR 734.26 NEV
Art. 3 Sicherheit
Art. 10 Erfüllung der Anforderungen

Anwendungsbereich

Bei der SNG 481449 berücksichtigt der Anwendungsbereich (Bild 1) insbesondere den Art. 47 der SR 734.2, der besagt, dass die hoch­span­nungs­seitigen Schutzeinrichtungen (Primärschutz­einrichtungen) für den Transformator auch den Kurz­schluss­schutz bis und mit den ersten Nieder­span­nungs­schutz­ein­richtungen gewährleisten müssen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, um den Kurz­schluss­schutz der Sekun­där­ver­teilung zu realisieren, wobei aus Erkenntnissen der SNG 481449 die Variante B zu bevorzugen ist.

Variante A: Die Sekun­där­ver­teilung ist mittels Primärschutzeinrichtung geschützt und basiert auf dem Art. 47 der SR 734.2, wobei die Kurzschluss­schutz­ein­richtung hoch­span­nungs­seitig angeordnet ist (Bild 2).

Variante B: Die Sekun­där­ver­teilung ist mittels Sekundärschutzeinrichtung geschützt, wobei die Kurzschluss­schutz­ein­richtung in der Einspeisung der Sekun­där­ver­teilung angeordnet ist (Bild 3).

Die Anforderungen sowie die Umsetzung des Kurz­schluss­schutzes sind detailliert in Tabelle 1 aufgeführt.

Beurteilung des vorhandenen oder geplanten Schutzes

Im Abschnitt 6 der SNG 481449 wird anhand eines Beispiels eine mögliche Beurteilung und Umsetzung erläutert, welche in diesem Beitrag nicht 1:1 wiedergegeben wird. Es sind die in den Bildern 4 und 5 gezeigten Situationen zu beurteilen. Zur Beurteilung des Kurz­schluss­schutzes kann das Schema in Bild 6 angewendet werden.

Geeignete Risikobeurteilung

Die Risikobeurteilung bewertet auf Grundlage der Risikoanalyse, ob das Risiko unter den gegebenen Rahmen­bedingungen akzeptabel und even­tuelle Restrisiken vertretbar sind. Eine Risikobeurteilung wird nicht nur einmalig für Neuanlagen gemacht, sondern ist Teil der Instandhaltung und muss in festgelegten Zyklen in Abhängigkeit der Alterung und der Umgebungs­bedingungen wiederholt werden.

In der SNG 481449 wurde im Beispiel bezüglich des möglichen Schadensausmasses und dessen Auswirkungen ein Index erstellt. Bei diesem Index reicht der voraussichtliche Sachschaden von «Kein Schaden, uneingeschränkter Betrieb nach dem Fehler möglich» bis zu «Totalschaden. Ganze Sekundär­verteilung muss ersetzt werden». Entsprechend reichen die möglichen Auswirkungen von «Auswirkungen auf Personen sind ausgeschlossen» bis zu «Es ist mit Verbrennungen, Schädigungen der Atemwege und Verletzungen durch abgesprengte Anlagenteile der Sekun­där­ver­teilung zu rechnen.»

Schadensausmass mindernde Massnahmen

Um das Schadensausmass an der Sekun­där­ver­teilung und auf Personen in unmittelbarer Nähe zur Sekun­där­ver­teilung auf ein akzeptables Ausmass zu begrenzen, können verschiedene Massnahmen umgesetzt werden wie strombegrenzende Kurzschluss­schutz­ein­richtungen, licht­bogen­sichere Sekun­där­ver­teilungen nach IEC TR 61641 oder kurze Abschaltzeiten unter Störlichtbogenbedingungen.

Eintritts­wahr­schein­lichkeit

Entscheidend für eine Risikobeurteilung ist nicht nur das mögliche Schadensausmass, sondern auch die Eintritts­wahr­schein­lichkeit. Diese ist wiederum abhängig von den möglichen Ursachen zur Entstehung eines Kurzschlusses oder eines Störlichtbogens innerhalb einer geschlossenen Sekun­där­ver­teilung während des Betriebes und den realisierten Schutz­mass­nahmen bezüglich dieser Ursachen (Tabelle 2). Wesentliche Faktoren sind dabei die Umge­bungs­bedingungen und die Alterung.

Fazit

Die SNG 481449:2023 ist eine Guideline, die dafür sorgen soll, dass Kurzschlüsse in Sekun­där­ver­teilungen nicht zu schwer­wiegenden Folgen führen. Dies tut sie, indem sie die Auslegung des Kurz­schluss­schutzes in Abhängigkeit vom Ort der Fehlerstelle für Primär- und Sekundär­schutz definiert. Zudem beschreibt sie die Beurteilung und Umsetzung von Massnahmen, unter Berücksichtigung des möglichen Schadens­ausmasses und der Eintritts­wahr­schein­lichkeit. Es lohnt sich, diese Guideline sowohl für die Erstellung neuer Starkstrom­anlagen wie auch beim Umbau bestehender Starkstrom­anlagen zu berücksichtigen.

Autor
Marcel Schellenberg

ist Ingenieur Elektro- und Sicher­heits­technik bei Electrosuisse sowie Mitglied des TK 121B.

  • Electrosuisse, 8320 Fehraltorf

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