Rückschau Infrastruktur , Smart Grid

Kupfer oder Intelligenz im Verteilnetz?

Netzimpuls-Tagung 2017

27.06.2017

Der Saal des Kongress- und Kulturzentrums in Aarau war am 27. Juni 2017 nahezu voll: Rund 150 Interessierte nahmen an der jährlichen, von der Energietechnischen Gesellschaft von Electrosuisse organisierten Tagung teil, um neue Smart-Grid-Trends kennenzulernen und den Kontakt zu Experten und Gleichgesinnten zu pflegen. 

Den Auftakt machte Andreas Breuer, Innogy SE, der zunächst die aktuelle Verteilnetzsituation in Deutschland schilderte, um dann auf eine Ausschreibung mit fünf Projekten einzugehen, die das ganze Deutschland abdecken. Sein Statement, «Die Energiewende findet im Verteilnetz statt», begründete er mit den entsprechenden Zahlen: 95 % der erneuerbaren Energien werden in Deutschland in Verteilnetze eingespiesen. Die dezentrale Einspeisung von Solarstrom sei heute eine Herausforderung, weil man einerseits zu wenige Sensoren im Verteilnetz hat, um über alle relevanten Informationen zu verfügen, die für die Spannungshaltung benötigt werden. Andererseits wisse man heute oft nicht, wohin mit dem überschüssigen Solarstrom. Er ging auf das grosse Designetz-Projekt ein, das weniger eine technologische Herausforderung darstellt als eine organisatorische – was bei 46 Projektpartnern kaum überrascht.

Flexibilitäten optimal nutzen

Breuer plädierte für lokale Energiezellen, bei denen möglichst viel eingespiesene Energie auch örtlich genutzt wird. Dabei müssen vorhandene Flexibilitäten möglichst gut genutzt werden. Einige Fragen sind da noch zu klären: «Wie lange muss die Flexibilität vorgehalten werden? Und welchen Preis hat die Flexibilität?»

Grundsätzlichere Gedanken machte sich der Delegierte des Bundesrats für wirtschaftliche Landesversorgung BWL, Werner Meier. Er machte auf den Unterschied zwischen «Blackout» – eine technische Störung im Stromnetz – und einer Mangellage – es ist zu wenig Energie vorhanden – aufmerksam, um anschliessend auf die in solchen Situationen nötige koordinierte Bewirtschaftung einzugehen. Die entsprechenden Massnahmen werden gestuft: Zunächst wird an das Sparen appelliert, dann die Verwendung eingeschränkt, eine Kontingentierung eingeführt und schliesslich das Netz abgeschaltet. Dabei geht das BWL subsidiär vor, d.h. die Wirtschaft wird so genommen, wie sie sich entwickelt.

Auf die Erfahrungen mit Microgrids im Allgäu, bei denen auch Batterien für das Energiemanagement bei Spitzenlasten integriert wurden, ging Thomas Duerr, Siemens, ein. Eine offene Frage ist der regulatorische Konflikt, ob man mit Microgrids Regelleistung anbieten kann. Das interne Gegenregeln müsste dann geklärt werden.

Digitalisierung als Hilfe

Marc Eisenreich, BKW, gab einen Überblick über die Digitalisierung im Verteilnetz. Das Ziel: Die Netzanalyse soll automatisiert werden, damit sich die Netzingenieure auf Spezialfälle konzentrieren können. Netzstörungen sollen den Kunden auf einen Blick präsentiert werden können. Dies verbessert das Kundenerlebnis und reduziert die Anzahl Anrufe bei der Leitstelle.

Smart-Grid-Pilotprojekte in der Schweiz

Am Nachmittag wurden drei in der Schweiz entwickelte bzw. in Pilotprojekten eingesetzte Smart-Grid-Techno­logien – Gridbox, Grideye (vorgestellt durch Marc Schreiber, Depsys SA, im Bild oben) und das dezentral agierende Gridsense – vorgestellt. Alle konnten Erfolge vorweisen bezüglich einer optimierten Ausnutzung der Netzkapazitäten und der Reduktion der Spannungs­problematik. Der Leidensdruck bei den Schweizer Verteilnetzen ist aber noch zu klein, um einen flächendeckenden Einsatz solcher Technologien zu rechtfertigen. Der Einsatz wird erst erwogen, wenn man sich zwischen einem Netzausbau oder dem Einsatz von Intelligenz zur Entschärfung der Situation entscheiden muss. Dies dürfte aber erst bei einem deutlich höheren Anteil dezentral einspeisender Stromquellen der Fall sein.

Heute sieht man die Herausforderung eher im Bereich der wachsenden Elektro­mobilität, die zu bestimmten Tageszeiten hohe Leistungen, womöglich einphasig, erfordern wird. Da können intelligente Lösungen die Situation entschärfen und dafür sorgen, dass das Verteilnetz nicht an seine Grenzen stösst.

Das Optimum mit Simulationen finden

Einen interessanten Ansatz zur Netzplanung stellte Stephan Koch, Adaptricity, vor: Da das Netz immer dynamischer wird, kann man mit Simulationen, die u.a. dynamische Modelle nutzen, die Netzvorgänge detailliert – bis auf Haushaltsebene – modellieren, Netzver­stär­kungen planen oder Topologie­anpas­sungen zur gleichmässi­geren Belastung von Trafos ermitteln. Die von ihm vorgestellte Cloud-basierte Simulations­plattform für Verteilnetz­betreiber stellt ein nützliches Werkzeug dar zur Beantwortung der zentralen Frage der Tagung: «Kupfer oder Intelligenz?»

Autor
Radomír Novotný

ist Chefredaktor des Bulletins Electrosuisse.

  • Electrosuisse
    8320 Fehraltorf

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