Meinung Energienetze , VSE

Kupfer oder Digitalisierung?

Eine Meinung zur Entwicklung der Energienetze

03.05.2021

Die Netzbetreiber in Europa erwarten gemäss dem Branchenverband Eurelectric einen um 50 bis 70 % höheren Investitionsbedarf, um die Verteilnetze für die Energiezukunft fit zu machen. Doch warum? Sollte die dezentrale Stromproduktion die Netze nicht entlasten oder sogar überflüssig machen? Drei Punkte sind dafür wichtig:

Erstens führt der Umbau des Energiesystems auch zu einer neuen Elektrifizierungswelle, insbesondere mittels Elektroautos und Wärmepumpen. Damit verändern sich die Lastflüsse in den Verteilnetzen. Die maximale Belastung steigt, sei es wegen massiver Rückspeisung der PV-Produktion an einem Sonnentag, sei es wegen gleichzeitiger Ladung von zahlreichen Elektroautos nach einem Ausflugswochenende. Und auf diese erwartete maximale Belastung muss das Netz ausgelegt werden.

Zweitens werden für eine sichere und kontinuierliche Versorgung rund um die Uhr alle Netz­ebenen zum Beispiel für Spannungs- und Frequenzhaltung beansprucht. Die Leistung der Netzbetreiber liegt nicht mehr nur im Transport der elektrischen Energie, sondern in der Möglichkeit, die Kapazität jederzeit nach Bedarf zu nutzen. Die Netze stellen eine Versicherungsleistung bereit.

Drittens können Endverbraucher auf Anreize reagieren, um ihre Bezugsleistungen auch bei zunehmender Elektrifizierung gering zu halten und insbesondere in potenziellen Engpasssituationen das Netz nicht zusätzlich zu belasten. Dies gelingt sicherlich besser, wenn diese Anreize automatisiert von einem Steuerungssystem übernommen werden, das zum Beispiel den Ladevorgang vorübergehend drosselt.

Was heisst das nun für Netzausbau? Kapazitätserhöhungen sind bei der erwünschten Elektrifizierung unumgänglich, wenn gemäss Energieperspektiven des BFE im Jahr 2050 gegen 40 TWh Strom aus Photovoltaik produziert und PWs nur noch als Steckerfahrzeuge verkauft werden. Aber Überwachung und Steuerung der Verteilnetze sowie eine Leistungsbegrenzung für dezentrale Produktionsanlagen haben das Potenzial, die Lastkurven zu glätten und den Ausbau so gering wie möglich zu halten.

Der Umbau unserer Energieversorgung erfordert auf jeden Fall einen erheblichen Investitionsbedarf in die Verteilnetze. Die relevante Frage lautet dabei nicht, ob in Kupfer oder in die Digitalisierung, sondern wie die effiziente Kombination für jeden Netzbetreiber aussieht.

Autor
Michael Paulus

ist Bereichsleiter Netze und Berufsbildung des VSE.

Kommentare

Alfred Weidmann,

Ich finde schön, dass Sie mit einem Ausbau auf 40 TWh erneuerbarem Strom rechnen. Der grösste Teil wird PV-Strom mit Produktionsmaximum im Sommer sein. Sie schreiben kaum etwas über die nötige Langzeitspeicherung, zB mit Methanol, womit Sommerüberschüsse für WKK Anlagen im Winter verschoben werden können. Dieses Thema sollte rechtzeitig angegangen werden. Denn Produktion und Verbrauch, sowohl für Gewebe,Wärme/Kälte und E-Mobilität werden lokal sein und bei guter Steuerung keine Leitungsausbauten benötigen.

Was ist die Summe aus 6 und 9?