Fachartikel Energieeffizienz , Gebäudeautomation

Kühle Luft für weniger Geld

Optimale Regelalgorithmen für Lüftung und Klima

01.08.2017

Heizungs-, Lüftungs- und Klimasysteme exakt zu regeln, ist nicht einfach. Ein selbstlernender, adaptiver Regler ermöglicht nun eine nahezu optimale Regelung, die auch die Luftfeuchtigkeit oder wechselnde Luftströme berücksichtigt. In zwei Gebäuden konnten die Energiekosten bei vergleichbarem Komfort um rund 20 % gesenkt werden.

Die fünf Schweizer Atomkraftwerke würden wohl kaum ausreichen, um die 26 TWh zu erzeugen, die Schweizer Unternehmen jedes Jahr für Heizung, Lüftung und Klimatisierung verbrauchen. Rund 20% dieser Energie werden allein für die Raumlufttechnik (Klima- und Lüftungssysteme) benötigt, die somit Platz zwei hinter der Heiztechnik belegt. Klima- und Lüftungsanlagen haben auch den grössten Anteil (ca. 30%) am Stromverbrauch der Schweizer Firmen.

Es gibt viele Energiesparmassnahmen (ESM), die sich für eine Nachrüstung eignen. Nicht alle sind jedoch gleich effizient. Auch die Amortisa­tionszeiten variieren. Als kostengünstige und leistungsfähige Alternative hat sich in jüngster Zeit die Verbesserung der Regellogik von vorhandenen HLK-Systemen erwiesen, da sie kaum oder keine Hardware-Änderungen erfordert. In der Wissenschaft stiessen die modernen Regelalgorithmen auf grosses Interesse, und einige Systeme sind bereits auf dem Markt.

In Bestandsgebäuden sind überwiegend die herkömmlichen, nicht-prädiktiven PID-Regler zu finden. Diese haben u.a. den Nachteil, dass sie keine Klimaprognosen berücksichtigen können. So fällt die Energieabrechnung höher aus als nötig, während die Nutzer oft über ein schlechtes Raumklima klagen.

Als Alternative zu den üblichen PID-Reglern bietet sich die modellprädiktive Regelung (MPC) von HLK-Systemen an. MPC basiert auf einem mathematischen Modell des zu regelnden Systems und bezieht bei der Berechnung der optimalen Regelstrategie auch Klimaprognosen mit ein. Sowohl hinsichtlich ihres Kosten-Nutzen-Verhältnisses als auch bezüglich der Zufriedenheit der Nutzer haben sich diese modellprädiktiven Systeme als die bisher beste Lösung erwiesen.

Aber bei der nachträglichen Ausstattung eines Gebäudes mit modellprädiktiver Regeltechnik (MPC) stellen sich folgende zentrale Fragen: Wie lassen sich Gebäude exakt modellieren? Wie kann man sicherstellen, dass die Algorithmen für eine Echtzeit-­Regelung genügend schnell ausgeführt werden? Wie können die Regelwerte dem bestehenden System zur Verfügung gestellt werden?

Neurocool, eine modellbasierte Regelungslösung für Belüftungs- und Klimasysteme, liefert die Antworten auf diese Fragen. Dieses durch die Neurobat AG und dem CSEM im KTI-Projekt 15954.1 PFEN-IW entwickelte System wird künftig vermarktet [1].

Automatisch adaptierende Modelle

Jede modellprädiktive Regelung setzt ein Modell des zu regelnden Systems voraus, mit dem das Verhalten des Systems bei bestimmten Input-Werten prognostiziert wird. Hier ist dieses System ein Innenraum, in dem eine bestimmte Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit vorliegen. Einige der verfügbaren MPC-Systeme arbeiten mit Modellen, die mit einer speziellen Software (wie Energyplus oder IDA-ICE) erstellt wurden, aber dies treibt die Kosten für die Inbetriebnahme in die Höhe. Bekanntermassen reicht auch eine genaue Kenntnis der Gebäudemerkmale (wie Abmessungen und Materialeigenschaften) nicht aus, sodass gewisse Anpassungen in der Regel unumgänglich sind.[2]

Diese Probleme lösen selbstlernende Modelle, die sich selbsttätig kontinuierlich an das kontrollierte Gebäude anpassen, mit minimalen Eingriffen, die von den Bewohnern nicht bemerkt werden. Dies geschieht mithilfe regelmässiger Vorhersagen der Innenraumbedingungen (Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit) für bestimmte Input-Werte, wobei die Prognosen kontinuierlich mit den real gemessenen Werten abgeglichen werden. Das System passt seine internen Parameter solange an, bis die vorhergesagten und die tatsächlichen Werte übereinstimmen.[3] Die Modelle, die für den Neurocool-Regler entwickelt wurden, basieren auf der Neurobat-Regeltechnik für Raumheizungen. [4, 5]

Eine verteilte Architektur

Modellprädiktive Systeme lösen die Optimierungsprobleme üblicherweise in regelmässigen Abständen. Die Physik der Lüftungsanlagen ist aber so, dass diese Optimierungsprobleme schwierig zu lösen sind, da sie weder linear noch konvex sind. Der Regelhorizont muss zudem mindestens mit der Gebäudezeitkonstante (d.h. wie schnell das Gebäude auf eine schnelle Änderung der Aussentemperatur reagiert) übereinstimmen und in Zeitschritten, die nicht länger als einige Minuten sind, diskretisiert werden. Damit ergibt sich ein komplexes Optimierungsproblem.

Die heutigen Industriecomputer sind nicht leistungsfähig genug für die erforderlichen Rechenvorgänge. Zur Lösung dieses Problems wurde eine Cloud-basierte Architektur entwickelt, bei der die meisten dieser Operationen von einem Server ausgeführt werden. Dieser Server berechnet laufend die optimalen HLK-Regelparameter anhand der Sensordaten, die ihm über ein Gateway – ein einfaches Gerät, das im Technikraum des Gebäudes installiert ist – geliefert werden.

Gateway für die Integration

Mit dem vor Ort installierten Gateway wurde das Integrationsproblem elegant gelöst: Angesichts der grossen Vielfalt von Lüftungsanlagen und ihrer jeweiligen Regelsysteme war nicht abzuschätzen, wie sich die berechneten Regelwerte ohne Austausch der vorhandenen Hardware integrieren liessen. Das Gateway als Bindeglied zwischen dem lokalen Gebäudemanagementsystem und den serverbasierten Neurocool-Algorithmen löste dieses Problem. Es kann die gängigsten der in Gebäudemanagementsystemen eingesetzten Kommunikationsprotokolle (z.B. Bacnet) ausführen, die vom lokal installierten System gesendeten Sensordaten empfangen und die Regelwerte zurücksenden (Bild 1).

Die Architektur aus lokalem Gateway und Cloud-basiertem Server hat gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie stellte genug Rechenleistung bereit, um eine beliebige Anzahl von Gebäuden abzuwickeln, und sie vereinfachte die Integration in die vor Ort vorhandene Infrastruktur.

Von der Klimakammer in die Praxis

Bevor das System in der Praxis erprobt wurde, wurde es in einer von der Fachhochschule Westschweiz bereitgestellten Klimakammer getestet. Dort konnten verschiedene Szenarien unter kontrollierten Bedingungen durchgespielt werden, um das adaptive Gebäudemodell und die Optimierungslösung zu validieren.[6]

Bild 2 zeigt beispielsweise, wie weit der Gebäudemanager den Komfort zugunsten der Energieeinsparung anpassen kann, indem er einen Parameter, der diesen Konflikt regelt, verändert: Neurocool hat festgestellt, dass es teurer ist, die relative Raumluftfeuchtigkeit zu halten als die Raumtemperatur. Daher lockert er diesen Wert zuerst und dann erst die Temperatur, wobei die Werte stets innerhalb der harten Komfort-Grenzlinien bleiben. Bei weiteren Tests wurden mit regelbaren Wärmequellen unterschiedliche Raumbelegungen simuliert. [6]

 

Danach wurde das System in zwei Bürogebäuden installiert.[7] Diese Tests zeigten, wie sich die Algorithmen an die tatsächliche Raumbelegung anpassen und Energieeinsparungen erzielen, ob dies durch eine Verringerung des Luftstroms möglich ist oder durch die Belüftung mit Aussenluft: Bild 3 zeigt das Beispiel eines voll besetzten Konferenzraums mit hohem CO2-Gehalt in der Raumluft. Der Regler beschleunigte den Lüfter, solange sich Personen im Raum befanden und drosselte die Geschwindigkeit danach. Durch die Personen im Raum stieg die Temperatur zwar an, aber der verstärkte Luftstrom hielt diesen Anstieg in Grenzen.

Bild 4 zeigt ein Beispiel, bei dem das System am Morgen und am Nachmittag für die Zufuhr von (nicht aufbereiteter) Aussenluft sorgte.

Kosten senken ohne Aufwand

Neurocool ist als «Drop-in-Ersatz» für vorhandene HLK-Systeme konzipiert und erfordert – abgesehen von der Installation eines Gateways vor Ort – keine Hardware-Änderungen. Das in umfangreichen Testreihen validierte Produkt senkt die Betriebskosten um rund 20%.

Die schon heute zur Regelung von Heizungsanlagen eingesetzte modellprädiktive Regeltechnik wird sich bald auch bei den Klima- und Lüftungsanlagen durchsetzen. Gebäudemanager dürfen sich also freuen, dass sie bald eine Sorge weniger haben, weil sie die Betriebskosten ihrer Liegenschaften bei vergleichbarem Komfort für die Nutzer senken können.

Referenzen

[1] Neurocool ist Teil der von Neurobat vorgeschlagenen Produktfamilie NOL (Neurobat Online): www.neurobat.net/de/nola-nold

[2] Daniel Coakley et al.: A review of methods to match building energy simulation models to measured data. Renewable and Sustainable Energy Reviews 37, pp. 143–141, 2014.

[3] Y. Stauffer et al.: NeuroCool: an adaptive, model-­predictive control algorithm for ventilation and air conditioning systems. Clima 2016, Aalborg, Denmark, May 22-25, 2016.

[4] D. Lindelöf et al.: Field tests of an adaptive, model-predictive heating controller for residential buildings. Energy and Buildings 99, pp. 292–302, 2015.

[5] neurobat.net/uploads/media/Bulletin_SEV_AES_1208_033-037_Neurobat_04.pdf

[6] Y. Stauffer et al.: NeuroCool: field tests of a model-­predictive controller for VAC systems. Energy for Sustainability International Conference, Funchal, Madeira Island, Portugal, February 8–10, 2017.

[7] Y. Stauffer et al.: NeuroCool: field tests of an adaptive, model-predictive controller for HVAC systems. CISBAT 2017, Lausanne, Suisse, September 6–8, 2017, accepted.

Autor
David Lindelöf

ist Chief Technology Officer von Neurobat AG.

  • Neurobat AG
    1217 Meyrin
Autor
Dr. Yves Stauffer

ist Projekt-Manager am CSEM.

  • CSEM SA
    2002 Neuenburg

Kommentare

Bitte addieren Sie 2 und 8.