Fachartikel Eigenverbrauch , Erneuerbare Energien , Infrastruktur

Kostenoptimierung von Off-Grid-Anlagen

Dimensionierungstool

09.08.2023

In manchen Regionen der Welt ist der Anschluss an ein Stromnetz entweder nicht möglich oder sehr aufwendig. Selbst­versor­gende Off-Grid-Anlagen bieten da eine Möglichkeit, um elektrische Energie zumindest für gewisse Zeiträume verfügbar zu machen. Ein neues Auslegetool zur Dimen­sio­nierung kosten­günstiger Off-Grid-Systeme unterstützt dies nun.

Im Jahr 2020 hatten nur 91% der Weltbevölkerung Zugang zu Elektrizität [1]. Der Fortschritt der Elektrifizierung verlangsamte sich in den letzten Jahren jedoch und würde bei gleichbleibender Entwicklung dazu führen, dass bis 2030 nur 92% der Weltbevölkerung Zugang zu Strom hätten. 679 Millionen Menschen wären ohne Strom. Damit wäre die Umsetzung eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen gefährdet, welches «bis 2030 den Zugang zu erschwinglicher, zuverlässiger, nachhaltiger und moderner Energie für alle sicherstellen» möchte [2].

Selbstversorgende Off-Grid-Anlagen bieten für gewisse Anwendungen eine Alternative zum Anschluss an ein Verteilnetz und können relativ einfach und kostengünstig realisiert werden. Mögliche Anwendungen sind die Energie­ver­sor­gung eines Messsensors in einer Wüstenregion oder der Antrieb einer Wasserpumpe zur landwirtschaftlichen Bewässerung. Auch die temporäre Energie­ver­sor­gung einer Hirtenhütte oder einer Wetterstation sind Einsatzmöglichkeiten.

Der prinzipielle Aufbau einer Off-Grid-Anlage wird in Bild 1 am Beispiel einer Webcam mit PV-Strom­versorgung gezeigt. Der Stromfluss wird mit einem Solarladeregler (hellblaues Gerät) im System geregelt und der eingebaute Maximum-Power-Point-Tracker (MPPT) sucht den optimalen Arbeitspunkt des PV-Moduls. Zudem hat die Anlage eine Batterie. Als Last sind ein Mobil-Router sowie ein USB-Hub zur Spannungs­versorgung eines Raspberry Pi mit Webcam an den Solarladeregler angeschlossen.

Am Institut für Elektrische Energietechnik der FHNW wurde nun ein Tool zur Dimensionierung von Off-Grid-Anlagen entwickelt, das ihre Attraktivität steigert. Für Anlagen mit einer Architektur wie in Bild 1 (PV, Speicher, Last) berechnet das Tool die kostengünstigste Kombination aus benötigter PV-Leistung und Speicherkapazität der Batterie, mit der die gewünschte Verfügbarkeit erreicht werden kann. Die Batteriekapazität wird sowohl für Lithium- als auch für Bleibatterien berechnet. Für die Berechnungen werden der Standort der Anlage sowie eine konstante Lastleistung und die gewünschte System­verfüg­barkeit über ein Jahr vorgegeben.

Weitere optionale Einstellungen wie die Ausrichtung und Neigung der PV-Anlage können vorgenommen und sämtliche Standard­einstellungen überschrieben werden. Wird auf die Angabe der Ausrichtung bzw. des Neigungswinkels der PV-Anlage verzichtet, ermittelt das Tool die idealen Ausrichtungs- und Neigungswinkel für die PV-Module.

Die PV-Produktionsdaten werden aus dem PV-Geoinformationssystem (PVGIS) des EU Science Hub [3] bezogen. Das PVGIS stellt Zeitreihen zur PV-Leistung einer Anlage mit einer stündlichen Auflösung über mehrere Jahre zur Verfügung. Die Berechnungen des PVGIS basieren auf Satellitenbildern. Die mehrjährigen Datensätze nutzt das Tool, um die Langzeit-Performance einer Off-Grid-Anlage am vorgegebenen Standort zu simulieren.

Ausserdem wurde im Rahmen des Projekts ein Testsystem aufgebaut, um Messungen am Solarladeregler durchzuführen und die Ergebnisse (die gemessenen Verluste) in den Berechnungen nutzen zu können. Es wurden der Eigenverbrauch sowie der Wirkungsgrad des Ladereglers gemessen und festgestellt, dass zusätzliche Verluste auftreten, wenn der Laderegler den optimalen PV-Arbeitspunkt sucht (Maximum Power Point Tracking). Die Erkenntnisse bzw. Messwerte aus dem Testsystem sind als Standardwerte im Tool hinterlegt und werden in den Berechnungen verwendet, sofern der Nutzer keine eigenen Werte vorgibt.

Optimale Auslegung einer Off-Grid-Anlage

Wie zuvor erwähnt, werden dem Tool für die Berechnungen zumindest der Standort der Anlage, die Lastleistung und die gewünschte Systemverfügbarkeit über ein Jahr vorgegeben. Zur Dimensionierung der Anlage aus Bild 1 wird von einer Lastleistung von 15 W ausgegangen, was dem erwarteten Leistungsbedarf zum Betrieb des Mobil-Routers, des USB-Hubs und des Raspberry Pi mit Webcam entspricht. In diesem Beispiel soll die Anlage auf dem Campus der FHNW in Brugg-Windisch aufgebaut werden und während 90% eines Jahres verfügbar sein. Zudem wurde vorgegeben, dass das PV-Modul nach Süden ausgerichtet und in einem Winkel von 30° aufgestellt wird.

Um das Kostenminimum für ein autarkes System zu bestimmen, werden diverse Kombinationen aus PV-Leistung und Batteriekapazität betrachtet. Bild 2 zeigt die Resultate mehrerer Kombinationen für die Off-Grid-Anlage mit Webcam (15 W Lastleistung) und mit einer Lithiumbatterie auf dem FHNW Campus Brugg-Windisch.

Bei rund 140 W PV-Nennleistung würde für dieses System eine Lithiumbatterie mit mindestens 600 Wh Kapazität benötigt werden. Mit einer nur um 30 W höheren PV-Leistung würde sich die benötigte Batteriekapazität bereits auf etwa 300 Wh reduzieren. Zusätzliche PV-Leistung führt wie erwartet dazu, dass die Batteriekapazität weiter verringert werden könnte. Mit der Vorgabe, dass die Webcam während 90% der Zeit zur Verfügung stehen soll, wird gemäss den Berechnungen des Tools das Kosten­optimum bei einer PV-Nennleistung von 170 W und mit einer Batteriekapazität von 300 Wh erreicht.

Die Zyklen­festigkeit der Batterie und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Lebensdauer werden in der jetzigen Version des Tools noch nicht berücksichtigt. Dies könnte jedoch dazu führen, dass sich Anlagen mit einer etwas grösseren Batterie langfristig als günstiger herausstellen.

Differenzierung zu anderen Tools

Das Auslegetool wurde spezifisch für selbst­versorgende Anlagen entwickelt. Dank den Messungen am eigenen Testsystem konnten zusätzliche Erkenntnisse zum Verhalten und zur Modellierung des Solarladereglers gewonnen werden, welche aus dem Datenblatt des Geräts nicht ersichtlich sind. So wurde beispielsweise erkannt, dass zusätzliche Verluste auftreten, sobald das Tracking des PV-Arbeitspunktes mit maximaler Leistung bei der aktuellen Einstrahlung beginnt.

Neben den Solarladereglerverlusten (Eigenverbrauch, Trackingverluste und Wirkungsgrad) werden auch die Batterie­verluste (Selbstentladung und Wirkungsgrad) einzeln berücksichtigt. In den Daten des PVGIS sind zudem weitere Eigenschaften der PV-Anlage wie der Wirkungsgrad und die Temperaturabhängigkeit des eingesetzten Modultyps berücksichtigt.

Durch die separate Betrachtung der verschiedenen Verlust­komponenten werden die Berechnungs­ergebnisse genauer als bei Tools, in denen sämtliche Verluste unter einem Wirkungsgrad zusammengefasst werden.

Natürlich kann der Nutzer auch Systeme berechnen lassen, welche nicht über einen Solarladeregler betrieben werden, sondern den Einsatz eines herkömmlichen Wechselrichters erfordern. Die Einstellungen können für die Berechnungen anlagespezifisch angepasst werden. Je mehr Informationen zu den Eigenschaften der Geräte bekannt sind, desto genauer kann die Anlage abgebildet und berechnet werden. Dies ermöglicht beispielsweise die Berechnung der benötigten PV-Leistung und der Batteriekapazität für einen gewissen Selbst­versor­gungs­grad eines Eigenheims (aktuell noch für die vereinfachende Annahme eines konstanten Leistungsbezugs).

Weitere Funktionen

Durch den Export der berechneten Datensätze des Tools werden zusätzliche Analysen möglich. So kann zum Beispiel geprüft werden, welche Eigenschaft des Ladereglers wie stark zu den Verlusten beiträgt oder wie viel Energie effektiv in der Last genutzt werden kann.

Bild 3 zeigt die durch­schnittliche jährliche Verteilung der Energie des Webcam-Off-Grid-Systems auf dem FHNW Campus Brugg-Windisch. Dabei wird zwischen genutzter Energie der Last (Webcam) sowie dem PV-Überschuss, also derjenigen Energiemenge, die aufgrund einer vollgeladenen Batterie nicht mehr zwischengespeichert werden konnte, und allen anderen Verlusten unterschieden. Es ist deutlich zu erkennen, dass neben der genutzten Energie zum Betrieb der Webcam die meiste Energie verloren geht, weil sie nicht in der Batterie zwischengespeichert werden kann (41,9%). Die Verluste der eingesetzten Geräte sind mit 3,6% vergleichsweise gering. Die einfachste Variante, um einen grösseren Anteil der PV-Energie zu nutzen, wäre also der Einsatz einer grösseren Batterie, was aber zu höheren Anlagekosten führen würde.

Bild 4 schlüsselt die Verluste von 3,6% auf. Der grösste Anteil an den Verlusten wird den «weiteren Verlusten» zugeteilt, die unter anderem den Wirkungsgrad sowie die Selbstentladung der Batterie umfassen. Für das Beispiel der Off-Grid-Webcam betragen diese Verluste 2,7 kWh pro Jahr.

Der grösste Anteil der Solar­lade­regler­verluste wird durch den Wirkungsgrad des Geräts (gemessener Wirkungsgrad im Testsystem: 98%) verursacht und beträgt im Durchschnitt 2 kWh jährlich. Der geringste Anteil an den Verlusten ist auf das MPP-Tracking zurückzuführen, wofür in diesem Beispiel 1,46 kWh pro Jahr benötigt werden.

Die Auswertungen weiterer Berech­nungen mit unter­schied­lichen Vorgaben bezüglich Lastleistung, System­verfüg­barkeit und Standort haben gezeigt, dass sich die eindeutige Verteilung der Energie im System sowie der Verluste weiter akzentuieren. Mit zunehmender Lastleistung nimmt der Anteil der genutzten Energie und des ungenutzten PV-Überschusses weiter zu, und der Anteil der Systemverluste wird noch geringer als die 3,6% aus dem gezeigten Beispiel. Durch den Einsatz eines leistungsstärkeren Solarladereglers bei höheren PV- und Lastleistungen könnten die Verluste allenfalls zusätzlich reduziert werden. Zudem wurde klar, dass der Standort der Anlage sowie der Batterietyp (Lithium- oder Bleibatterie) einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Verteilung der Energie und der Verluste haben. Berechnungen mit identischen Vorgaben in Windisch, Helsinki und Lissabon haben eine ähnliche Verteilung der Verluste ergeben.

Einfach realisierbare Alternative

Die Energiekrise und die schleppende Entwicklung in der Elektrifizierung sowie die angestrebte Dekarbonisierung der Energie­ver­sor­gung stellen grosse Herausforderungen dar. Eine Alternative zum aufwendigen Ausbau bestehender Stromnetze können selbstversorgende Off-Grid-Systeme sein.

Das am Institut für Elektrische Energietechnik der FHNW entwickelte Tool hilft bei der Dimen­sionierung möglichst kostengünstiger Off-Grid-Anlagen. Dank der viel­fälti­gen Einstel­lungs­möglich­keiten kann die Performance unter­schied­lichster Anlagen mit mehrjährigen PV-Produktions­daten simuliert werden. Neben der Auslegung der Off-Grid-Systeme ermöglicht das Tool weitere Analysen der berechneten Datensätze, wodurch zusätzliche Erkenntnisse über eine Anlage gewonnen werden können.

Zurzeit ist das Tool noch nicht öffentlich verfügbar, es ist aber geplant, das Tool nach einigen Anpas­sungen interes­sierten Nutzern online zur Verfügung zu stellen.

Referenzen

[1] Gerhard Hofmann, «SDG-7 – 733 Millionen Menschen weltweit ohne Stromversorgung», Solarify, 10. 6. 2022.

[2] «SDG Goal 7 | United Nations», United Nations – Department of Economic and Social Affairs.

[3] EU Science Hub, «Photovoltaic Geographical Information System (PVGIS) – EU Science Hub».

Autor
Simon Strebel

war Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Elektrische Energietechnik der FHNW.

  • FHNW, 5210 Windisch

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