Fachartikel Electrosuisse , Installationstechnik , Sicherheit

Konsequenzen einer mangelhaften Kontrolle

Gerichtspraxis

02.12.2020

Wenn auf einer Baustelle Kabel verlegt werden, müssen sie geprüft werden. Bei Unfällen, die durch korrekte Prüfungen hätten verhindert werden können, droht den an den Kontrollen beteiligten Personen nicht nur eine Geld- oder Freiheitsstrafe, sie müssen auch mit Schadenersatz- und Genugtuungs­forderungen rechnen. Ein Beispiel aus der Praxis illustriert dies.

Ein Baumeister hat ein TT-Kabel für den Anschluss eines Baustrom­provisoriums verlegt, das für umfangreiche Renovationsarbeiten in einem Mehrfamilienhaus benötigt wurde. Ein Elektrounternehmer wurde beauftragt, das durch den Baumeister bereits verlegte Kabel an den Baustromverteiler anzuschliessen.

Nach dem Anschluss des Kabels am Baustromverteiler führte der Elektro­installateur die Erstprüfung durch. Zwei Tage nach dem Kabelanschluss hat der Sicherheitsberater der Elektrofirma die Schlusskontrolle durchgeführt. Der unterschriebene Sicherheitsnachweis wurde dem Baumeister übergeben.

Am darauffolgenden Samstag vernahm ein Nachbar ein seltsames Geräusch. Er betrat den Gartensitzplatz und sah seine Nachbarin bäuchlings neben dem Lichtschacht auf dem Boden liegen. Die verunfallte Frau wurde mit einem Rettungshelikopter ins Spital geflogen, wo sie wenige Stunden später verstarb.

Untersuchung

Das Kabel führte vom Innenbereich über einen Lichtschacht in den Aussenbereich. Weil sich das Lichtschachtgitter verschoben hat, entstand ein Spalt zwischen dem Gitter und der Schacht­umrandung, die eine Absplitterung aufwies. Durch diesen Spalt hat der Baumeister das Elektrokabel gezogen. Später wurde ein Baugerüst erstellt. Eine Fussstütze des Baugerüstes wurde auf dem Lichtschacht­gitter befestigt. Eine Schaltafel zwischen dem Gerüstfuss und dem Lichtschacht­gitter schützte dabei das Lichtschacht­gitter mechanisch.

Durch die Abstützung des Baugerüstes auf dem Lichtschacht wurde das TT-Kabel gequetscht. Die Quetschung und die brüchige Isolation des TT-Kabels verursachten einen kleinen Riss in der Kabelisolation, der dazu führte, dass das Lichtschachtgitter unter Spannung gesetzt wurde.

Es kam schliesslich zu einer tödlichen Durchströmung des Unfallopfers, da es zufällig das unter Spannung stehende Lichtschacht­gitter mit den Füssen und gleichzeitig das Baugerüst berührt hat, welches teilweise direkt auf dem Boden stand.

Vor Gericht

Der gelernte Elektroinstallateur und der Sicherheitsberater (Kontrolleur) hätten wissen müssen, dass für eine provisorische Installation ein TT-Kabel ungeeignet ist. Obwohl sie «nur» das Kabel anschliessen mussten, war es ihre Pflicht, auch die Verlegung des Kabels auf der ganzen Länge zu begutachten.

Das Gericht kam zum Schluss, dass mit einem flexiblen Zuleitungskabel (NIN 7.04.5.2.2) dieser Unfall hätte verhindert werden können. Es war der Auffassung, dass bei einer korrekt durchgeführten Erstprüfung und Schluss­kontrolle das falsch verwendete Kabel entdeckt worden wäre. Dabei hätten die beiden Elektrofachkräfte auch die mechanische Einwirkung des Schachtdeckels auf das Kabel sehen müssen (Sichtprüfung).

Urteil

Der Elektroinstallateur und der Sicherheitsberater wurden im Strafprozess wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung wird grundsätzlich eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe ausgesprochen. Die Geldstrafe entspricht einer bestimmten Anzahl Tagessätze, jedoch maximal 180 Tagessätze. Die Höhe des Tagessatzes richtet sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldigen, wobei der Höchstsatz bei CHF 3000 liegt. Bei einer fahrlässigen Tötung kann eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren ausgesprochen werden, sofern nicht weitere Delikte gleichzeitig beurteilt werden.

Die beiden Verurteilten mussten zusätzlich zu einer hohen Geldstrafe die Prozesskosten (Gerichtskosten und Partei­entschädigung) in der Höhe von CHF 23'000 übernehmen.

Neben dem Strafprozess, der durch die Staatsanwaltschaft bzw. die Strafgerichte geführt wird, könnten der Elektroinstallateur und der Sicherheitsberater weiter auf dem zivilen Weg belangt werden. Im sogenannten Zivilprozess werden z. B. Schadenersatz- und Genugtuungszahlungen geltend gemacht. Diese Forderungen können bis zu mehreren Millionen Schweizer Franken betragen.

Fazit

Ziel einer korrekt durchgeführten Erstprüfung und Schlusskontrolle ist es, einen Elektrounfall zu verhindern. Denn elektrische Installationen, die nicht dem Stand der Technik entsprechen, können Mensch, Tier und Sachen gefährden. Werden die vorgeschriebenen Kontrollen nicht oder in schwerwiegender Weise nicht korrekt ausgeführt, kann es schnell zu einer lebensbedrohenden Situation mit allenfalls tödlichen Folgen kommen. Eine vernachlässigte Kontrolle wird so zu einer persönlichen Katastrophe aller am Unfall beteiligten Personen inkl. ihres familiären Umfelds.

Neben der Geld- oder Freiheitsstrafe muss der Unfallverursacher auch mit den moralischen Folgen seines Tuns resp. seiner Unterlassung leben. Er muss es schliesslich mit seinem Gewissen vereinbaren, dass eine vollständige und korrekte Kontrolle einen schrecklichen Elektrounfall hätte verhindern können.

Es kann an dieser Stelle nicht genug betont werden, wie wichtig es im Inte­resse der Elektrosicherheit ist, dass die vorgeschriebenen Kontrollen sorgfältig und gewissenhaft durchgeführt werden. Um dieses Bewusstsein zu schärfen, braucht es eine kontinuierliche Weiterbildung im Berufsfeld des Elektroinstallateurs, damit seine Kenntnisse der Normen und ihrer korrekten Anwendung immer auf dem aktuellen Stand sind.

Rechtliche Grundlagen

Verordnung über elektrische Niederspannungs­installationen SR 734.27 (NIV)

Baubegleitende Erstprüfung (Art. 24 Abs. 1)

Eine baubegleitende Erstprüfung ist vor der Inbetrieb­nahme von Teilen oder einer ganzen elektrischen Installation vorzunehmen und zu dokumentieren. Alle Mitarbeitenden eines Elektro­installations­unternehmens, welche Elektro­installateur EFZ (Elektromonteur) sind oder über einen gleichwertigen Abschluss verfügen, sind berechtigt, eine Erstprüfung durchzuführen.

Betriebsinterne Schlusskontrolle (Art. 24 Abs. 2)

Vor der Übergabe der elektrischen Anlage an den Eigentümer muss eine fachkundige Person nach Art. 8 NIV oder eine kontrollberechtigte Person (Elektro­sicherheits­berater) eine Schlusskontrolle durchführen und die Ergebnisse in einem Sicherheits­nachweis nach Art. 37 NIV festhalten.

Strafbestimmungen (Art. 42 Auszug)

Nach Artikel 55 Absatz 3 EleG wird bestraft, wer:

  • c. die mit einer Bewilligung verbundenen Pflichten verletzt, insbesondere:
  • 5. die vorgeschriebenen Kontrollen nicht oder in schwerwiegender Weise nicht korrekt ausführt (Art. 24 und 25).

 

Bundesgesetz betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen SR 734.0 (EleG)

Art. 55 Abs. 3

Der Bundesrat kann Widerhandlungen gegen Aus­führungsvorschriften, durch welche bestimmte Tätigkeiten bewilligungspflichtig erklärt werden, mit den gleichen Strafen bedrohen.

  • Mit «gleichen Strafen» ist nach Art. 55 Abs. 1 und 2 Folgendes gemeint:
  • Mit Busse bis zu 100'000 Franken wird bestraft, sofern nicht nach dem Strafgesetzbuch eine schwerere Strafe verwirkt ist (…).
  • Wird die Tat fahrlässig begangen, so kann die Strafe/Busse bis zu 20'000 Franken betragen.

 

Niederspannungs-Installations­norm SN 411000 (NIN)

Die baubegleitende Erstprüfung (6.1) beinhaltet eine Sichtprüfung (6.1.2), die wenn möglich an einer abgeschalteten Anlage durchgeführt werden sollte. Hinzu kommen eine Funktionsprüfung und verschiedene Messungen (6.1.3).

Autor
Thomas Hausherr

ist Projektleiter im Team «Bildungsmedien» bei Electrosuisse.

  • Electrosuisse, 8320 Fehraltorf

Kommentare

Marco Casari,

Es kann an dieser Stelle nicht genug betont werden, wie wichtig es im Inte­resse der Elektrosicherheit ist, dass die vorgeschriebenen Kontrollen sorgfältig und gewissenhaft durchgeführt werden. Richtig!

Bitte rechnen Sie 4 plus 7.