Können wir von den Vereinigten Staaten lernen?
Energiewende in Europa und den USA
Das Energiesystem, der Umgang mit der Energiewende und die politischen Rahmenbedingungen in den Vereinigten Staaten unterscheiden sich deutlich von der Situation in Europa. Im Interview weist Bri-Mathias Hodge auf konkrete Unterschiede hin und betont, wie wichtig es ist, voneinander zu lernen.
Bulletin: Was unterscheidet die Schweiz von den USA bezüglich der Energiewende?
Bri-Mathias Hodge: Die Situation ist vergleichbar. In den USA haben wir unterschiedliche politische Ansätze von Staat zu Staat, in Europa von Land zu Land. Dabei ist die Koordination zwischen den einzelnen Ländern in Europa besser als in den USA. In europäischen Ländern gibt es eine konsequente nationale Politik und eine einheitlichere gesellschaftliche Akzeptanz der Notwendigkeit, Netto-Null zu erreichen. Es ist wichtig, eine langfristige Vision zu etablieren und diese Vision in den einzelnen Ländern zu verankern. Das geschieht in Europa besser.
Wie wird sich die Wahl von Donald Trump auf die Energiewende auswirken?
Trump hat über die Aufhebung des Inflationssenkungsgesetzes und anderen energierelevanten Gesetzen gesprochen, was die Energiewende in den USA verlangsamen könnte. Aber der Haupttreiber bei der Transition sind rein wirtschaftliche Gründe. Wind und Solar sind die kostengünstigsten Erzeugungstechnologien, gekoppelt mit der Energiespeicherung. Der Umbau des Energiesystems könnte sich zwar verlangsamen, aber gestoppt wird er nicht. In der letzten Trump-Administration war die Veränderung auch nicht so dramatisch, unter anderem weil sich die Staaten und gewisse Firmen für die Energiewende einsetzen.
Nimmt die Nutzung fossiler Energie durch den Ausbau der Erneuerbaren in den Vereinigten Staaten ab?
Ja, primär, weil Wind- und Solarenergie in vielen Teilen der USA die wirtschaftlichsten Optionen zur Stromerzeugung sind und somit fossile Brennstoffe verdrängen, am schnellsten im Umfeld des Grosshandelsmarktes.
Gibt es ein Übertragungsnetz in den Vereinigten Staaten, das einen Austausch der Energie ermöglicht und für Resilienz sorgt?
Wir haben drei verschiedene Übertragungsnetze: eines im Osten, eines im Westen und eines für Texas. Für diese Aufteilung gibt es historische Gründe, unter anderem das Gesetz über den zwischenstaatlichen Handel, damit sie nicht unter die Bundesgerichtsbarkeit fallen. Die dünne Besiedelung stellt eine weitere Herausforderung dar.
Würde es Sinn machen, in dünn besiedelten Gegenden Inselnetze zu verwenden?
Ja, das geschieht in gewissen Landesteilen bereits. Beispielsweise in Hawaii. Jede dazugehörende Insel hat ein Inselnetz. Das sind auch die Orte, an denen sehr interessante Entwicklungen stattfinden. Bezüglich erneuerbarer Energien ist Hawaii den anderen Staaten voraus. Aber auch Kalifornien und Alaska sind bezüglich Microgrids, die die Zuverlässigkeit erhöhen, weiter. Andere Staaten wie New York haben zwar nicht die gleichen geografischen Voraussetzungen für Wind- und Sonnenkraft, sind hingegen führend in ihrer konkreten politischen Zielsetzung, beispielsweise der Reduktion von Erdgas bis 2050.
Erhöhen die Microgrids die Zuverlässigkeit und Resilienz?
Das hängt davon ab, wie viel man bereit ist, zu investieren. Es gibt ein Spektrum von möglichst preisgünstig bis maximal zuverlässig. Die Prioritäten werden von Ort zu Ort unterschiedlich gesetzt. Wenn das Energiesystem von erneuerbaren Energien dominiert wird, braucht es auch eine gewisse Energiespeicherkapazität für die Dunkelflaute, wobei es hier unterschiedliche Technologiepräferenzen gibt: Einige möchten auf Wasserstoff und Brennstoffzellen setzen, andere bevorzugen Kernkraftwerke, beispielsweise neue kleine Kernreaktoren, wieder andere wollen Biogas zu diesem Zweck nutzen.
Wie sieht die Interaktion zwischen den USA und Europa auf technologischer und politischer Ebene im Bereich der Energiesysteme aus?
Wir brauchen viel mehr Interaktion! Ich denke, wir könnten beide voneinander lernen. Ich reise gerne zu europäischen Konferenzen und höre mir die vorgeschlagenen Lösungen an. Manchmal wird eine Lösung als neu vorgestellt, die wir schon lange haben. Beispielsweise der Einsatz von Windkraft zur automatischen Stabilisierung des Stromnetzes. Diese Lösung wird in Colorado bereits seit 15 Jahren eingesetzt. Umgekehrt sind in Europa gewisse Lösungen bereits implementiert, die wir am Entwickeln sind. Das Rad müsste aber nicht neu erfunden werden. Bessere Kommunikation und Wissensaustausch würden helfen.
Was sind die grössten Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt?
Ein Mangel an einheitlichen und konsistenten nationalen Richtlinien. Dies ist schwer zu überwinden und überlässt den Bundesstaaten den Grossteil der Arbeit. Wir könnten auch viel besser arbeiten, wenn wir von den Erfahrungen anderer Bundesstaaten lernen würden. Energieversorger sprechen oft von «Problemen», die Hawaii vor 10 bis 15 Jahren gelöst hat. Darüber hinaus müssen wir die Dynamik des Stromversorgungssystems und die Schutzprobleme im Zusammenhang mit Wechselrichtern lösen und die Sektorenkopplung besser fördern.
Gibt es Akzeptanzprobleme bei erneuerbaren Energien oder Übertragungsnetzen?
Ja, es gab einige Akzeptanzprobleme bei erneuerbaren Energien, aber ich würde sagen, dass sie bei den meisten Wind- und Solarenergieprojekten relativ gering waren, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen. Der Bau von Übertragungsnetzen in den Vereinigten Staaten ist sehr schwierig, und neue Grossprojekte werden oft jahrelang vor Gericht verhandelt.
Zur Person
Dr. Bri-Mathias Hodge ist Professor an der Abteilung für Elektro-, Computer- und Energietechnik sowie stellvertretender Direktor und Mitarbeiter des Renewable and Sustainable Energy Institute (RASEI) an der University of Colorado Boulder. Zuvor war er leitender Wissenschaftler am National Renewable Energy Laboratory (NREL). Er beschäftigt sich hauptsächlich mit der Integration erneuerbarer Energien in Stromsysteme und mit der Frage, wie das Stromsystem zur Dekarbonisierung anderer Sektoren genutzt werden kann.
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University of Colorado, Boulder, CO 80309, USA
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