Fachartikel Integration ins Netz , Smart Grid

Können Verteilnetze schwingen?

Erkenntnisse aus dem Projekt «Swinging Grids»

09.12.2016

Die optimale Nutzung der Verteilnetze setzt möglichst genaue Kenntnisse der Zusammenhänge zwischen Netzauslegung, Netzbelastung und Phänomenen in der Netzspannung voraus. Im Projekt «Swinging Grids» wurden kritische Netze erfasst und gründlich untersucht. Es konnten stabilitätsrelevante Zusammenhänge aufgezeigt und Empfehlungen zur Gewährleistung eines stabilen Betriebs von Verteilnetzen abgegeben werden.

Dezentrale Einspeisungen, elektrische Energiespeicher und steuerbare Lasten stellen neue Anforderungen an Verteilnetze dar. Einige Auswirkungen sind bereits heute messbar, die Grenzen der Belastbarkeit sind aber wenig transparent. Hier setzt das BFE-Projekt «Swinging Grids» an, indem es kritische Netze erfasst, vorhandene Auswirkungen quantifiziert und die Grenzen der Belastbarkeit mittels Simulationen auf der Basis von geeigneten Modellen aufzeigt. Anhand der Untersuchungsergebnisse wurden Empfehlungen für die Beurteilung von Anschlussgesuchen in Bezug auf Regelkreise bzw. moderne Leistungselektronik erarbeitet.

Das Projektteam setzte sich zusammen aus Experten der Berner Fachhochschule, der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO Wallis) und Power-Quality-Experten der TU Dresden sowie den Netzbetreibern AEW Energie AG, BKW Energie AG, Energie Service Biel / ­Bienne, Energie Thun AG, EWZ und ­Repower AG. Diese Partnerschaft sorgte für Praxisnähe und einen effizienten Einsatz von Ressourcen und Know-how.

Aufgrund von zahlreichen Veröffentlichungen zu Stabilitätsproblemen in NS-Netzen in Zusammenhang mit PV-Anlagen sollte insbesondere mittels Schwingungsanalysatoren aufgezeigt werden, unter welchen Bedingungen Oszillationen entstehen. Bei den Feldmessungen wurden über einen Zeitraum von zwei Wochen möglichst flächendeckend bis zu 50 PQ-Analysatoren und 2 Schwingungsanalysatoren installiert sowie temporär Netzimpedanzmessungen durchgeführt.

Spannungsqualität

Die Messungen haben gezeigt, dass die Qualität der Spannung an den Messstellen auch in den «kritischen» Netzen sehr hoch ist. Grenzwertverletzungen wurden nur bei speziellen Anlagen (Stahlwerk, ungefilterte Kälteanlage) verzeichnet und konnten somit einzelnen Verursachern zugeordnet werden. Die Statistik zeigt, dass die im Niederspannungsnetz gemessenen Werte der gesamtharmonischen Verzerrung, Unsymmetrie und Spannungsanhebung doch um einiges tiefer sind als die Grenzwerte nach EN  50160. Der Grenzwert des Flickers repräsentiert die Netze jedoch sehr gut.

Einzelne harmonische Oberschwingungen befanden sich in mehreren Netzen nahe am Grenzwert. Dies betrifft vor allem Schwingungen mit durch 3 teilbaren Ordnungszahlen und korreliert mit dem Nullsystem (Erdungsverhältnisse). So konnte in einem Industriegebiet mit einem hohen Anteil an 3*n. Harmonischen beobachtet werden, dass Grenzwertverletzungen für die 15. und 21. Spannungsharmonische auftraten, sobald einer der beiden parallel einspeisenden Transformatoren ausgeschaltet wurde. Dabei war die Belastungsgrenze des Transformators noch nicht erreicht. Solche Grenzwertverletzungen erscheinen weder für Netz noch Kundenanlagen problematisch, sollten aber unter Beobachtung bleiben.

Frequenzabhängige Netzimpedanz

Im Projekt wurde die frequenzabhängige Netzimpedanz (fNI) umfassend untersucht, wobei im Fokus der Messungen der Einfluss von Wechselrichtern (WR) stand. Mit zunehmendem Einsatz nichtlinearer Geräte wie Wechselrichtern sowie ähnlicher Leistungselektronik und weiterer gesteuerter Anlagen wird das Wissen über die Ausprägung der fNI und ihrer Einflussfaktoren immer wichtiger. Die fNI überträgt erstens die stromharmonischen Verzerrungen in die Spannung und bestimmt zweitens die Ausbreitung der Stromharmonischen in einem Netzwerk. Ist beispielsweise die fNI an einem Netzknoten im Vergleich zum Innenwiderstand eines Wechselrichters hoch, kann es sein, dass der Wechselrichter die Stromharmonischen «absaugt» (bezieht). Dies bedeutet, dass der grösste Teil der Stromharmonischen nicht in das Netz fliesst, sondern in den Wechselrichter, wodurch dessen interne Bauteile stärker belastet werden.

Die Messungen haben gezeigt, dass der Einfluss einer grösseren Anzahl an Umrichtern des gleichen Typs oder leistungsstärkerer Umrichter auf die fNI markant ist und stark von der Anzahl und vom Typ der Umrichter sowie von der Kurzschlussleistung des Netzes am Anschlusspunkt abhängt. Zwei Beispiele hierfür sind in Bild  1 zu sehen. Die roten Kurven zeigen jeweils den Verlauf der fNI an verschiedenen Netzknoten ohne Wechselrichter. Die schwarzen Kurven stellen die fNI mit einer unterschiedlichen Anzahl angeschlossener Wechselrichter dar. Wird die gemessene Netzimpedanz mit der Prüfimpedanz nach EN  61000-4-7 verglichen, ist die Prüfimpedanz über den gesamten Frequenzverlauf von 50  Hz bis 2,5  kHz fast doppelt so gross und rein ohmsch-induktiv. Die gemessene fNI weist teils ein kapazitives Verhalten auf. Es hat sich gezeigt, dass die lokal teilweise ausgeprägten Resonanzstellen über die Niederspannungsverkabelung gut gedämpft werden und meist an einem benachbarten Anschlusspunkt nicht mehr zu sehen sind.

Instabilitäten im Netz

Eine Veränderung der Netzkonfiguration und die entsprechende Veränderung der frequenzabhängigen Netzimpedanz können einen Einfluss auf die Stromregelung eines Frequenzumrichters oder Wechselrichters haben. Je nach Betriebspunkt des Umrichters bewirkt die Erhöhung der fNI eine Veränderung der Stromharmonischen bis hin zu einem instabilen Betrieb des Umrichters. Bei Wechselrichtern in einem ländlichen Netz wurde die Resonanzstelle der fNI (Bild  2) durch einen Einzelstrangregler so verschoben und erhöht, dass dadurch die Stromkurvenformregelung nicht mehr korrekt arbeitete und sich die Wechselrichter vom Netz trennten (Bild  3).

 

 

Eine extreme Veränderung der fNI ergibt sich auch beim Umschalten zwischen Netzverbund und Inselbetrieb. Bei Tests mit den Anlagen der Kraftwerke Oberhasli im November 2015 zeigte der 100-MVA-Frequenzumrichter in der Zentrale Grimsel 2 im Inselbetrieb ebenfalls ein instabiles Verhalten. Durch die Stromregelung des Umrichters wurden Leistungspendelungen im gesamten Inselnetz mit einer Frequenz von rund 12 Hz und Schwebungen in den Knotenspannungen von bis zu 10% verursacht. Die Regelparameter wurden für einen stabilen Verbundbetrieb definiert und führen im Inselnetz zur Abschaltung.

Subsynchrone Schwingungen

Mit den Messungen der subsynchronen Schwingungen konnte ein Überblick gegeben werden, was in Niederspannungsnetzen zum aktuellen Zeitpunkt messbar ist. Es hat sich gezeigt, dass die meisten Moden, d.h. Oszillationen, die konstant oder mit einem bestimmten Muster über eine längere Periode immer wieder auftreten, mit Anlagen auf den NE  3 und 5 zusammenhängen und im Niederspannungsnetz (NE  7) nur bei leistungsgeregelten Anlagen mit einer hohen Leistung, wie beispielsweise bei der Leistungsbegrenzung einer 1-MW-PV-Anlage oder bei grösseren Batteriespeichern, Oszillationen messbar sind. Durch Messungen konnte auch aufgezeigt werden, dass bestehende subsynchrone Schwingungen durch eine schwache Netzanbindung verstärkt werden. Die erfassten subsynchronen Schwingungen haben im Normalfall auch bei Amplituden von bis zu 1 % keine registrierbaren Rückwirkungen gezeigt.

Modellierung von dynami­schen Phänomenen

Für die Modellierung von Oszillationen wurden unterschiedliche Simulationsarten und Tools eingesetzt. Beim quasistationären harmonischen Lastfluss erfolgt die Berechnung im Frequenzbereich, was in Netzen mit vornehmlich linearem Verhalten belastbare Ergebnisse liefert. Diese Methode ist vor allem bei Netzen mit einer hohen Anzahl an Wechselrichtern und kurzen Leitungen zu ungenau, da der Einfluss von nichtlinearen Knotenelementen auf die Netzimpedanz nicht korrekt abgebildet wird. Zudem werden diese Elemente als reine Stromquellen angesehen, was in der Realität im höherfrequenten Bereich nicht zutrifft.
Bei der dynamischen Berechnung wird zwischen Effektivwert- (RMS) und Momentanwertsimulation (EMT) unterschieden. RMS-Modelle lassen sich in modernen Netzanalysetools detailgetreu implementieren, und die Simulationen liefern verlässliche Ergebnisse. Die erstellten Dynamikmodelle decken alle wesentlichen Funktionalitäten moderner Netzkomponenten ab, wie z.B. die Spannungsregelung und das Verhalten im Fehlerfall. Anders ist die Situation bei der EMT-Simulation, mit der Verzerrungen in der Kurvenform dynamisch berechnet werden könnten. Diese Modelle benötigen einen hohen Detaillierungsgrad im Bereich der Topologie von Wechselrichtern, welcher auch bei modernen Netzanalysetools nicht gegeben ist. Die Instabilitäten konnten aber mit einem Tool für die Simulation elektronischer Schaltungen nachgebildet werden. Von einer Nachbildung ganzer Niederspannungsnetze mit diesem Tool, was sehr aufwendig und rechenintensiv würde, hat das Projektteam abgesehen.
Die dynamischen Simulationen haben gezeigt, dass Spannungsschwankungen der überlagerten Netzebene am besten mit einer zentral platzierten Regelung, beispielsweise einem regelbaren Ortsnetztransformator (Ront) oder einem Einzelstrangregler (ESR) in der Trafostation, aufgefangen werden können. Die Q(U)-Funktion der Wechselrichter wird dezen­tral angewendet und konzentriert sich auf die lokalen Gegebenheiten, was nur einen beschränkten Einfluss auf das gesamte Netz hat. Bei einer Q(U)-Regelung nimmt die Belastung von Kabelleitungen und Transformatoren durch die zusätzliche Blindleistung zu und diese muss am Einspeisepunkt bereitgestellt werden. Dies könnte bei starker Sonneneinstrahlung und tiefer Spannung auf der MS-Seite zu einer Überlastung des Transformators führen. Die Kombination von Wechselrichtern mit Q(U)-Funktion und einem NS-Regler für das Gesamtnetz bringt nur einen geringen zusätzlichen Nutzen.
Eine bei der Projektvorbereitung vermutete gegenseitige Beeinflussung oder gar ein instabiles Verhalten beim Zusammenspiel von unterschiedlichen NS-Reglern konnte nicht bestätigt werden. Durch das relativ träge Verhalten von Ront und ESR (Zeitkonstanten von einigen Sekunden bis Minuten) im Vergleich zu den schnellen Reglern der Wechselrichter (Zeitkonstanten von einigen Millisekunden bis Sekunden) sind die beiden Regelkreise quasi entkoppelt.

Wesentliche Erkenntnisse

Im Projekt «Swinging Grids» wurde das quasistationäre und das dynamische Verhalten von Verteilnetzen im Frequenzbereich von quasi 0  Hz bis 150  kHz untersucht. Das Projekt sollte Interaktionen zwischen Reglern, Lastpendelungen oder natürliche Oszillationen analysieren.
Grundsätzlich sind Niederspannungsnetze auch mit der Integration verschiedener Spannungsregler oder Wechselrichter mit Regelfunktionen stabil. Die Messungen zeigten, dass in heutigen Verteilnetzen auch mit einer relativ hohen PV-Einspeisung selten subsynchrone Schwingungen auftreten. Sie sind zwar messbar, die dabei auftretenden Instabilitäten korrelieren aber kaum mit diesen. Es konnte zudem aufgezeigt werden, warum bei ungünstigen Netzverhältnissen elektronische Umrichter so stark gestört werden, dass sie sich vom Netz trennen. Der Schlüssel liegt in der lokalen Ausprägung der frequenzabhängigen Netzimpedanz.
Die Wechselwirkung zwischen fNI und Umrichterregelung kann mit den verwendeten Netzanalyseprogrammen nicht nachgestellt werden, da notwendige Zusammenhänge bei der Netzmodellierung nicht berücksichtigt werden. Das Zusammenwirken der lokalen Regelsysteme im Netz wurde hingegen relativ gut im dynamischen Netzmodell abgebildet. Das im Rahmen des Projektes entwickelte generische Netzmodell wird dem Forschungsnetzwerk SCCER-FURIES für weitere Analysen zur Verfügung gestellt.
Für Kundenanlagen mit nichtlinearer Technologie sind einige einfache Zusatzempfehlungen formuliert worden, welche für die Beurteilung von Netzen mit einer grossen Anzahl an elektronischen Umrichtern dienlich sind. Zum Beispiel sollten Anlagen, die ein definiertes Verhältnis der Kurzschluss- zur Anlagenleistung (SK/SA) unterschreiten, nur mit nachträglicher Kontrolle der Strom- und Spannungsharmonischen an das Netz angeschlossen werden. Wenn möglich, ist zudem eine kleinere Anzahl an Wechselrichtern mit einer entsprechend grös­seren Nennleistung zu installieren oder mit Zentralwechselrichtern zu arbeiten.

 

Literatur

BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., «Stromzahlen 2015 – Der deutsche Strommarkt auf einen Blick», BDEW 2015, shop.wvgw.de/Produkte/Informationsmedien/Erdgas-Energie/Broschueren-und-weitere-Printmedien/Stromzahlen-2015.

Referenzen

[1]    Stefan Fassbinder: «Euroverbundnetz – wie funktioniert das?», ET Elektrotechnik 11/2009, S. 55

[2]    «Stresstest bestanden». Bulletin SEV/VSE 6/2015, S.  51, www.bulletin-online.ch/de/themen/artikel-detailansicht/news/13222-stresstest-bestanden.html.

[3]    Z.B. www.avacon.de/cps/rde/xchg/avacon/hs.xsl/786.htm für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

[4]    Energieversorgung Weser-Ems, www.ewe-netz.de/strom/1988.php

[5]    Eine ausführliche Darstellung der Möglichkeiten und Grenzen bekannter Speichertechnologien findet sich in der Vollversion dieser Abhandlung, verfügbar beim Deutschen Kupferinstitut, Düsseldorf, sowie auf www.elektropraktiker.de und in der Zeitschrift «Galvanotechnik».

[6]    Benedikt Vogel, «Netzwerk steuert Strom im ­Sekundentakt», ET HK extra 2015, S. 138.

[7]    www.strompreis.elcom.admin.ch/Map/­ShowSwissMap.aspx.

[8]    Erwin Kaltenbach, Uwe Maassen, «Braunkohle»,  BWK – Das Energie-Fachmagazin 4/2014.

[9]    «Rekordwert bei regenerativen Energien», «eb» Elektrische Bahnen – Elektrotechnik im Verkehrswesen 6/2016, S. 346.

[10]    Alfons Kather: «Aschenputtel der Energiewende». VDI-Nachrichten 31-32/2016, S. 2, www.vdi-nachrichten.com/Technik-Gesellschaft/Aschenputtel-Energiewende

[11]    VDE/ETG-Studie «Batteriespeicher in der Nieder- und Mittelspannungsebene» (Energietechnische Gesellschaft im VDE) Mai 2015; Zusammenfassung «Stromspeicher in der Nieder- und Mittelspannungsebene», in: ETG-Mitgliederinformation 2/2015, S. 29.

[12]    ecomento.tv/2016/05/11/neuer-deutschland-rekord-oeko-energie-deckt-strombedarf-fast-komplett.

[13]    VDE/ETG-Studie «Der Zellulare Ansatz», S. 62, www.vde.com/de/InfoCenter/Seiten/Details.aspx?eslShopItemID=285c9c8d-a1bb-4463-af26-cf1d3a53a93a.

[14]    VDE/ETG-Studie «Der Zellulare Ansatz», S. 24.

[15]    «HGÜ Norwegen – Deutschland und Norwegen – Grossbritannien», «eb» Elektrische Bahnen – Elektrotechnik im Verkehrswesen 10/2015, S. 527.

[16]    www.zukunftsnetz.net/programm.html

[17]    «e-Highway 2050 – Modular Development Plan of the Pan-European Transmission System 2050 – D3.2: Technology innovation needs». www.entsoe.eu

Autor
Prof. Michael Höckel

ist Dozent für Energiesysteme an der BFH.

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