Fachartikel Unternehmensorganisation

Klare Strategie als Basis erfolgreicher Zukäufe

Mergers and Acquisitions

31.03.2019

Schweizer EVUs suchen neue Geschäftsmodelle und Ertragsquellen, und sie wollen ihre Kostenstrukturen optimieren. Dies führte in den letzten Jahren zu regen Aktivitäten im Bereich Mergers & Acquisitions (M&A). Welche M&A-Trends lassen sich im Schweizer Energiemarkt beobachten, welche Risiken bestehen und welches Vorgehen hat sich in der Praxis bewährt?

Schweizer Stromproduzenten sahen sich seit einiger Zeit mit gesunkenen Grosshandelspreisen konfrontiert. So lagen die Gestehungskosten schweizerischer Wasserkraftwerke lange Zeit über den Grosshandels­preisen, was zahlreiche Akteure am Energiemarkt unter erheblichen wirtschaftlichen Druck setzte. Dieser wiederum resultierte einerseits in der Beschleunigung von Desinvestitionen, anderseits im Bestreben von EVUs, neue, ertragsstärkere Geschäftsfelder zu entwickeln. Auch EVUs ohne Kraftwerkspark sehen sich zunehmend gezwungen, die immer grösser werdende strategische, prozessuale und technische Komplexität in der Energiebranche mit geeigneten Partnern anzugehen.

Das Ergebnis ist eine seit mehreren Jahren andauernde, rege M&A-Aktivität. So haben seit 2008 total 231 Transaktionen1) im Schweizer Energiesektor stattgefunden. Das Jahr mit der höchsten Anzahl war nach der ersten Stufe der Strommarktöffnung 2009, in welchem ein Spitzenwert von 36 Transaktionen erreicht wurde. Aber auch 2016 und insbesondere 2017 waren mit 26 respektive 29 Transaktionen sehr aktive Jahre.

M&A-Transaktionen im Schweizer Energiesektor sind eine überwiegend nationale Angelegenheit, wurden doch 168 (72%) aller Transaktionen durch Käufer in der Schweiz getätigt. 2018 war die grösste Transaktion der im März 2018 kommunizierte Verkauf des Engineering-Services-Geschäfts der Alpiq Holding AG an die Bouygues Construction SA für 850 Millionen Franken.

Aktuelle M&A-Trends im Schweizer EVU-Sektor

Betrachtet man die Transaktionen der letzten drei Jahre im Detail, lassen sich fünf interessante Trends feststellen. Während die Trends «Divestments» und «Ausbau Kerngeschäft & Kooperationen» das bisherige Kerngeschäft der Schweizer EVU adressieren, fokussieren die Themenbereiche «Smart & Renewable Energy», «Gebäudetechnik» und «ICT» auf den Aus- und Aufbau neuer Geschäftsfelder.

Im Trend «Divestments» sehen sich vor allem die grossen EVUs ohne gebundene Kunden gezwungen, aufgrund tiefer Grosshandelspreise ihr Portfolio zu bereinigen. Primäre Ziele sind dabei die Reduktion von Nettoschulden und die Sicherung der Refinanzierungsfähigkeit am Kapitalmarkt. Je nach Unternehmen lassen sich dabei unterschiedliche Ansätze beobachten: einerseits eine energiewirtschaftliche Konsolidierungsstrategie und die damit verbundene Veräus­serung von Geschäftsfeldern wie der Gebäudetechnik und anderseits Divest­ments in der Energieproduktion. Typische Beispiele in diesem Trend sind der oben erwähnte Verkauf von Alpiq Intec an Bouygues oder der Verkauf einer Beteiligung an EKS durch Axpo an den Kanton Schaffhausen (Dezember 2017).

Im Trend «Ausbau Kerngeschäft & Kooperationen» nutzen insbesondere mittelgrosse EVUs opportunistisch die Gelegenheit, ihr Kerngeschäft auszubauen, indem sie zusätzliche Netz- und Produktionskapazitäten oder Kunden erwerben. Parallel hierzu werden im Kerngeschäft zur Kostenoptimierung Kooperationen etabliert. Beispiel ist die Übernahme des 38,7-%-Anteils an der Solothurner Energieversorgerin AEK Energie durch die BKW (April 2016).

Das strategische Ziel dieser Aktivitäten ist einerseits die Stärkung der eigenen Marktpositionierung im Kerngeschäft durch den zusätzlichen Verkauf bestehender Produkte an eine breitere Kundengruppe. Anderseits sollen durch Kooperationslösungen Kosten optimiert und Skaleneffekte genutzt werden.

Der Trend «Smart & Renewable Energy» adressiert den Aufbau neuer Geschäftsfelder und fokussiert auf die selektive Erweiterung des Produktportfolios um neue Dienstleistungen im Bereich «Smart and Renewable Energy». Mehrheitlich handelt es sich hier um verschiedene Firmenakquisitionen im Wind- oder Solarbereich. Beispiele sind der Kauf des Solaranlagenanbieters Genos Energie durch die Regio Energie Solothurn (Februar 2017) sowie die Akquisition des Photovoltaik-Spezialisten Winsun durch die Energiedienst Holding (August 2017).

Strategisches Ziel ist einerseits der Ausbau von Kompetenzen, insbesondere hinsichtlich neuer Technologien. Anderseits geht es um die Nutzung des Wachstumspotenzials im neuen Markt der dezentralen Energieversorgung.

Der Trendbereich «Gebäudetechnik» beinhaltet die Akquisitionsanstrengungen diverser EVUs im Umfeld von Gebäudetechnikfirmen, insbesondere im Bereich Gebäudeinstallation und -automatisierung, um ihre bestehenden Positionen auszubauen. Beispiele sind etwa die über 20 Transaktionen der BKW in diesem Geschäftsfeld.

Ziel ist die Diversifikation der Ertragsbasis, die Partizipation am Wachstumsmarkt Gebäudetechnik, die Realisierung von Synergien mit dem Energiegeschäft sowie die schrittweise Konsolidierung des stark fragmentierten Gebäudetechnikmarktes.

Der Trendbereich «ICT» schliesslich beschreibt die Akquisition von Unternehmen im Schweizer ICT-Sektor. Beispiele sind die Übernahme des Internet-Service-Providers I-Way durch SAK (November 2017) oder die Akquisition des Softwareherstellers Girsberger Informatik durch EBS (Januar 2017).

Oftmals verfügt das akquirierende EVU bereits über bestimmte ICT-Assets wie Glasfasernetze oder Rechenzentren. Typisch ist auch, dass bereits vorgängig etablierte Partnerschaften zwischen Käufer und Kaufobjekt bestehen. Strategisches Ziel ist letztendlich die Realisierung von Marktsynergien durch eine vertikale Vorwärtsintegration und durch eine Partizipation am starken Wachstum im ICT-Markt.

Handlungsempfehlungen

Nicht alle Transaktionen im Schweizer EVU-Sektor können aus finanzieller oder strategischer Sicht als Erfolg bewertet werden. Vielmehr kommt es immer wieder vor, dass die Rendite- und Wachstumserwartungen sowie die mit der Transaktion gesteckten Ziele nicht erreicht werden.

Untenstehend folgen vier Handlungsempfehlungen und Hinweise auf typische, jedoch vermeidbare Fehler. Als Orientierungsgrundlage dient ein systematischer M&A-Prozess, wie er im untenstehenden Bild dargestellt ist. Dabei werden sowohl die Phasen eines proaktiven als auch eines rein passiven M&A-Ansatzes abgebildet.

Definition und Implementation einer M&A-Strategie

Oftmals verfügen Käufer entweder über keine klare M&A-Strategie, oder diese existiert zwar auf dem Papier, wird aber in den M&A-Aktivitäten nicht gelebt. Die Konsequenz ist, dass der Kauf eines Objekts rein taktisch und opportunistisch vorgenommen wird. Allenfalls erfolgt sogar ein rein kommunikatives «Reverse Engineering» der M&A-Strategie. Die Strategie wird also erst nach dem Kauf passend erstellt. Im Ergebnis kommt es so zu Investition in Geschäftsfelder, die keinen ausreichenden strategischen Fit mit dem Käuferunternehmen aufweisen, nur geringes Wachstumspotenzial versprechen oder aufgrund ihrer Branchenstruktur (Wettbewerbsintensität, Verhandlungsmacht der Kunden) nur über eine geringe Marktattraktivität und geringes Renditepotenzial verfügen.

Aus diesem Grund sollte in einem ersten Schritt stets und zwingend eine klare M&A-Strategie entwickelt werden. Diese leitet sich einerseits aus der Unternehmensstrategie des EVU ab und umfasst anderseits eine systematische Analyse und Bewertung möglicher Produktmarkt-Zielsegmente (Phase 1 in obenstehendem Bild). Basierend hierauf lassen sich dann Long- und Short-Lists möglicher Kaufobjekte erstellen (Phasen2 und 3) sowie die für den Kauf relevanten Entscheidungskriterien definieren.

Verständnis Geschäftsmodell

Vor allem für die Expansion in neue Geschäftsfelder wie ICT, Gebäudetechnik oder Smart & Renewable Energy ist ein vertieftes Verständnis der entsprechenden zu akquirierenden Geschäftsmodelle zentral. Ohne dieses besteht das Risiko, dass in wenig attraktive Marktsegmente investiert oder die falsche Produkt- und Dienstleistungspallette erworben wird (beispielsweise Life-Cycle, obsolete Technologie etc.) und dass das Geschäftsmodell nicht in der gewünschten Form skaliert.

Insbesondere in den Phasen 3 und 4 ist daher darauf zu achten, dass die Geschäftsmodelle potenzieller Kaufobjekte gut verstanden werden. Voraussetzung ist die systematische Analyse der Produkte, ­Kundensegmente, Vertriebskanäle, Schlüsselpartner sowie der Kosten und der Ertragsstruktur, beispielsweise mit etablierten Methoden wie dem Business-Modell Canvas. Zudem ist zu beachten, dass die gleichzeitige Expansion in neue Produkte und neue Märkte mit höheren Risiken verbunden ist als die Akquisition angrenzender Geschäftsmodelle.

Sorgfältige Due Diligence und Bewertung

Häufig wird gerade bei kleineren und mittelgrossen Akquisitionen auf eine gründliche Due Diligence (Phasen 4 und 5) verzichtet, oder diese wird nur in einzelnen Teilbereichen durchgeführt, zum Beispiel für Finanzen und Legal. Auch wird für kleine Kaufobjekte der Kaufpreis oft aufgrund von Faustregeln und nicht auf der Basis einer systematischen Bewertung festgelegt. In der Konsequenz können dann hohe Folgekosten aufgrund nicht erkannter Risiken entstehen. Ebenso kann es zu Wertberichtigungen kommen, da Kaufobjekte überbezahlt wurden.

Daher sollte auch bei kleinen und mittelgrossen Objekten eine sorgfältige Due Diligence durchgeführt werden, welche neben den klassischen Themen wie Finanzen, Legal und Human Resources auch die Bereiche Markt und Wettbewerb, Strategie, IT und Operations umfasst. In der Regel empfiehlt sich, für Due-Diligence-Bereiche ausserhalb des unternehmens­eigenen Kompetenzfeldes externes Know-how hinzuzuziehen. Grundlage für eine fundierte Due Diligence ist zudem ein klar strukturierter Due-Diligence-Prozess und eine dezidierte Due-Diligence-Projektorganisation.

Für die Unternehmensbewertung wiederum ist der Businessplan des Kaufobjektes sorgfältig zu hinterfragen und mit eigenen Alternativszenarien zu überprüfen. Gleichzeitig sollten neben der etablierten Discounted-Cash­flow-Bewertung weitere Methoden wie beispielsweise der Vergleich mit branchenüblichen EV-/Ebitda-Mutliples eingesetzt werden. Ebenso sind für die Bewertung die erwarteten Markt- und Kostensynergien sowie die Integrationskosten zu berechnen.

Planung und Durchführung Post-Merger-Integration (PMI)

Eine mangelhafte Post-Merger-Integration gilt als eine der Hauptursachen gescheiterter M&A-Projekte (Phasen 5 und 6). Typische Defizite sind eine rein rudimentäre PMI-Planung, eine unklare PMI-Projektorganisation und fehlende Management-Aufmerksamkeit in der Umsetzung. Konsequenzen sind typischerweise steigende Personalfluktuationen aufgrund personeller Unsicherheiten und Unzufriedenheiten, hohe Integrationskosten, nicht-realisierte Synergien und zeitliche Verzögerungen bei der Integration.

Die Energieunternehmen sollten daher bereits frühzeitig mit der Planung des gesamten PMI-Prozesses beginnen sowie eine klare Vision hinsichtlich des zukünftigen sogenannten «Target-Operating-Modells» entwickeln und kommunizieren. Dieses definiert das Zielbild hinsichtlich der Customer Journey, der Organisation und Prozesse, der Mitarbeiter sowie der technischen Architektur und des Ökosystems des integrierten Unternehmens. Neben der oftmals offensichtlichen Integration der Supportprozesse (IT, Finanzen, HR) ist insbesondere zu überlegen, inwieweit und auf welche Weise die Kernprozesse des gekauften Unternehmens integriert werden sollen, um Synergien zu realisieren. Gleichzeitig ist in der PMI-Umsetzung die Aufmerksamkeit des Top-Managements sicherzustellen und der abschliessende Erfolg der Integration anhand klarer KPIs zu überprüfen.

Klare Strategie und fundiertes Geschäftsverständnis

Schweizer Energieversorgungsunternehmen werden auch in den kommenden Jahren aktiv in der Akquise von Unternehmen sein. M&A-Aktivitäten stellen dabei eine Grundlage zur Aneignung neuer Ertragsquellen, Absatzmärkte und Geschäftsmodelle sowie zur Erzielung von Kostenoptimierungen dar. Zwecks Vermeidung typischer Risiken, welche die nachhaltige Zielerreichung oft gefährden, gilt es, eine klare M&A-Strategie zu formulieren, die möglichen Zielkandidaten basierend auf einem fundierten Geschäftsverständnis zu identifizieren und die Post-Merger-Integration umsichtig zu planen.
Letztendlich muss es das Ziel jeder Transkation sein, dass aus 1+1 mehr als 2 wird.

1) Als Transaktionen werden Akquisitionen, der Eingang von Joint-Ventures oder der Erwerb von Minderheitsanteilen bezeichnet. Berücksichtigt werden dabei nur Transaktionen, deren Zielobjekt sich in der Schweiz befindet. Transaktionen von Schweizer EVUs im Ausland sind in dieser Analyse explizit nicht enthalten.
Autor
Dr. Schmuel Holles

ist Leiter Energieversorger bei der AWK Group AG.

  • AWK Group AG, 8050 Zürich
Autor
Boris Ricken

ist Head of Business Consulting bei der AWK Group AG.

  • AWK Group AG, 8050 Zürich

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