Fachartikel Infrastruktur , Sicherheit

Keine Angst vor Stromleitungen

Literaturstudie des BFE

29.01.2018

Elektromagnetische Felder wecken Befürchtungen wegen möglicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen – sowohl hochfrequente (z. B. Mobilfunk) als auch niederfrequente Felder (Hochspannungsleitungen). Eine Literaturstudie zu niederfrequenten Feldern relativiert die Befürchtungen: Von ihnen geht nach heutigem Wissen keine wesentliche Gesundheitsgefahr aus.

Elektromagnetische Felder sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken: Sie machen es möglich, in induktiven Ladestationen elektrische Energie kabellos zu übertragen. Oder sie übertragen Gespräche und andere Informationen. Bei Telekom-Anwendungen schwingen elek­tromagnetische Felder mit hoher Frequenz (30 kHz bis 300 GHz). In der Stromversorgung dagegen sind niederfrequente Felder im Spiel (unter 1 kHz). So verwendet unsere Stromversorgung 50 Hz (USA: 60 Hz). Die zugehörigen niederfrequenten elektrischen und magnetischen Felder begleiten uns im Alltag. Abgestrahlt werden sie vom Trafo im Radiowecker, von konventionellen Ladegeräten, von der Wärmespule der Kaffeemaschine, aber auch vom Staubsauger und der Bohrmaschine und von den in den Wohnungswänden verlegten Stromkabeln.

In den meisten Fällen und in üblichem Gebrauchsabstand haben diese Felder eine geringe Stärke. Niederfrequente Felder begleiten uns auch unterwegs; dann stammen sie etwa von den Oberleitungen von Tram, Bus und Eisenbahn. Wer sich direkt unter einer Hochspannungsleitung aufhält, ist ebenfalls einem elektrischen und einem magnetischen Feld, die vergleichsweise stark sind, ausgesetzt. Mit der Distanz nimmt die Feldstärke aber schnell ab, so dass die Felder schon in geringer Entfernung vergleichbar sind mit denjenigen, die in Haushalten vorkommen.

Keine grossen Risiken entdeckt

Elektromagnetische Felder wecken mitunter Besorgnis wegen möglichen Gesundheitsbelastungen. Eine Literaturstudie im Auftrag des Bundesamts für Energie hat diese Frage nun für niederfrequente Felder, wie sie für unsere Stromversorgung typisch sind, bestmöglich zu klären versucht. Die Arbeit konzentrierte sich auf Magnetfelder und liess elektrische Felder aussen vor, weil sich diese gut abschirmen lassen und als gesundheitlich unbedenklich gelten. Durchgeführt hat die Untersuchung die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM). Die FSM hat in ihrer Untersuchung die wissenschaftliche Literatur zu niederfrequenten magnetischen Feldern (insbesondere 50/60 Hz und 16,7 Hz Bahnstrom) ausgewertet, die zwischen 2010 und März 2017 veröffentlicht wurde. Der Schwerpunkt lag auf Gesundheitsstudien. Die berücksichtigten Studien waren fast alle «peer reviewed», ihre Qualität wurde also gesichert durch Wissenschaftler, die in diesem Feld tätig sind.

In der Zusammenfassung der Studie resümieren die Autoren: «Insgesamt zeigt die Literaturanalyse, dass die Wissenschaft in den letzten Jahren keine grossen gesundheitlichen Risiken identifiziert hat.» Im Zentrum der Diskussion um die möglichen Risiken niederfrequenter Magnetfelder stehen seit längerem Leukämieerkrankungen bei Kindern. Neuere Studien untersuchten insbesondere das Risiko für Kinder, die vergleichsweise starken Magnetfeldern ausgesetzt sind. Gemeint sind hier Belastungen grösser als 0,4 mT, wie sie z. B. unter und nahe bei einer Hochspannungsleitung oder in der Nähe eines Quartiertrafos auftreten. Neuere ­Studien bestätigen, was die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehörende Krebsforschungsagentur IARC bereits im Jahr 2001 festgestellt hatte: niederfrequente Magnetfelder sind «möglicherweise kanzerogen». Das heisst, dass die vorliegenden Studien zwar auf ein erhöhtes Risiko hinweisen, dieses sich aber nicht wissenschaftlich erhärten lässt (Tabelle 2). Um dem Problem eine Grössenordnung zu geben: Falls dieses Risiko tatsächlich besteht, würden in der Schweiz nach Berechnung der Wissenschaftler jährlich 1 bis 2 Leukämiefälle bei Kindern mit Magnetfeldern zusammenhängen.

Wirkungsmechanismus unbekannt

«Zwischen Magnetfeldern von über 0,4 Mikro-Tesla und Leukämie scheint es einen Zusammenhang zu geben, aber wir verstehen ihn noch nicht», sagt FSM-Geschäftsleiter und Co-Studienautor Gregor Dürrenberger. Bislang ist insbesondere offen, ob der Zusammenhang kausal ist, Leukämie also durch Magnetfelder verursacht wird. Laut Dürrenberger ist bis anhin kein Wirkungsmechanismus bekannt, wie ein magnetisches Feld Leukämie verursachen könnte. Der Zürcher Forscher plädiert für vertiefte Untersuchungen: «Gefragt sind neue Ansätze, z. B. Kohortenstudien mit vulnerablen Populationen (beispielsweise Kinder mit Down-Syndrom) oder mit hohem Anteil an hoch exponierten Kindern (z. B. Kinder in Gebäuden mit Transformatoren). Ebenfalls interessant sind Gen-Umwelt-Interaktionsstudien, da diese Hinweise auf mögliche biologische Wirkungsmechanismen geben könnten.»

Die FSM-Untersuchung hat auch für andere mögliche Krankheiten die vorhandenen Studienergebnisse ausgewertet. Hier lauten die Befunde stark verkürzt: Bei Hirntumoren und Brustkrebs besteht nach heutigem Wissensstand kein erhöhtes Risiko durch ­niederfrequente Magnetfelder, bei Leukämien und Lymphomen (Lymphknotentumoren) sind die Forschungsergebnisse uneinheitlich. Bei Parkinson und Multipler Sklerose ist ein erhöhtes Risiko unwahrscheinlich, während bei Demenzerkrankungen wie ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) und Alzheimer bei stark exponierten Personen die Studien tendenziell ein leicht erhöhtes Risiko zeigen.

Elektromagnetisch sensible Personen

Die FSM-Studie hat auch Untersuchungen zum Thema elektromagnetische Sensibilität ausgewertet. Bezeichnet ist hiermit das Phänomen, dass Personen Schlafstörungen, Kopfweh, Konzentrationsschwäche, Rheuma, Juckreiz und weitere Beeinträchtigungen auf die Anwesenheit elektromagnetischer Felder zurückführen. Dazu der Befund der FSM-Studie: «Möglicherweise gibt es eine kleine Gruppe von Personen, die gewisse elektromagnetische Felder physiologisch besser wahrnimmt als andere Menschen. Die vorliegenden Provokationsstudien zeigen insgesamt, dass es keinen Bezug gibt zwischen Wohlbefinden und der An- oder Abwesenheit von elektromagnetischen Feldern. Hingegen ist das Symptomniveau fast immer mit der Überzeugung verknüpft, ob man gegenüber einem Feld exponiert ist oder nicht – ein deutlicher Hinweis auf die Wirksamkeit von Nozebo-Effekten. Es ist somit wahrscheinlich, dass Elektrosensibilität eine mentale und nicht eine physikalische Ursache hat.»

Gregor Dürrenberger hat die bisherigen wissenschaftlichen Einschätzungen zur gesundheitlichen Wirkung von niederfrequenten Magnetfeldern in einer Tabelle zusammengefasst (Tabelle 2). Dabei zeigt sich, dass die Wissenschaft für etliche Bereiche noch keine abschliessende Risikobeurteilung vorlegen kann. Dennoch hat Dürrenberger keinen Zweifel, dass die Wissenschaft das einzig taugliche Instrument zur sachlichen Beurteilung von Gesundheitsrisiken im Bereich der Elektrizitätsversorgung darstellt: «Wissenschaftliche Studien sind die einzige Quelle, um Gesundheitsrisiken verlässlich beurteilen zu können, die Intuition hilft uns in diesem Bereich nicht weiter», sagt der an der ETH ausgebildete Naturwissenschaftler.

Erdverlegung von Hochspannungsleitungen

Beim Bau bzw. der Erneuerung von Hochspannungsleitungen wird heute meist auch über eine mögliche Erdverlegung diskutiert. Der unterirdische Leitungsbau hat aber durchaus problematische Seiten: Aus Sicht des Landschaftsschutzes etwa sind in Wäldern breite Freihaltekorridore nötig, oder hinsichtlich Strahlenschutz erhöhen sich in unmittelbarer Nähe der Leitung die magnetischen Feldstärken. Das Erdreich schirmt magnetische Felder nämlich wie Luft praktisch nicht ab, ein Mensch ist dem Magnetfeld einer unterirdischen Leitung also mitunter stärker ausgesetzt als dem einer Überlandleitung, weil der Abstand zur erdverlegten Leitung kleiner ist als zur Freileitung. Bei einer Erdverlegung kommen die Leitungsstränge aber näher beieinander zu liegen, was aus physikalischen Gründen dazu führt, dass sich das Magnetfeld auf einen kleineren Raum konzentriert.

Eine Reduktion der magnetischen Felder wird hingegen erzielt, wenn eine gegebene Leistung mit höherer Spannung transportiert wird, zum Beispiel mit 380 kV statt mit 240 kV. Überträgt man eine bestimmte Leistung mit einer höheren Spannung, sinkt der Stromfluss – und damit auch das von der Hochspannungsleitung ausgehende Magnetfeld.

Literatur

Schlussbericht zum Forschungsprojekt «Elektromagnetische Felder von Stromtechnologien»

Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demon­strations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Elektrizitätstechnologien.

Weitere Auskünfte zu dem Projekt erteilt Gregor Dürrenberger (gregor@emf.ethz.ch), Geschäftsleiter der Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation.

Einstiegsbild: FSM-Geschäftsleiter und Hauptautor der Literaturstudie zu den niederfrequenten Magnetfeldern: Dr. Gregor Dürrenberger. Bild: Landbote/Johanna Bossart

Autor
Dr. Benedikt Vogel

ist Wissen­schafts­journalist.

  • Dr. Vogel Kommunikation
    DE-10437 Berlin

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