Integration in den Regelenergiemarkt
Dezentrale Ressourcen nutzen
Die Wärmepumpe im Garten, die PV-Anlage auf dem Dach, die Speicherbatterie im Keller, das Elektroauto oder Kleinwasserkraftwerke: Sie alle können zur Stabilisierung des Übertragungsnetzes beitragen. Swissgrid hat dazu Ende April eine Plattform lanciert, die die Integration von dezentralen Stromerzeugern und Verbrauchern in den Markt für Regelenergie erlaubt.
Die Energiewirtschaft der Schweiz und anderer europäischer Länder erfährt einen tiefgreifenden Wandel. Während in der Europäischen Union der Green Deal umgesetzt wird, arbeitet die Schweiz an der Implementierung der Energiestrategie 2050. Damit gehen zum einen zunehmend neue erneuerbare Energiequellen ans Netz und erhöhen die Volatilität in der Energieproduktion. Zum anderen werden traditionelle thermische Grosskraftwerke sukzessive abgeschaltet. Der Rückbau des Kernkraftwerks Mühleberg, das Ende 2019 vom Netz ging, ist ein aktuelles Beispiel aus der Schweiz. Der Beitrag von thermischen Grosskraftwerken zur Produktion von Strom und Regelenergie nimmt also ab.
Gleichzeitig wird gemäss Energieperspektiven 2050 des Bundes der Stromverbrauch tendenziell wachsen und die typischen Lastflussmuster verändern sich, beispielsweise durch eine steigende Anzahl von Wärmepumpen oder mit der zunehmenden Elektrifizierung der Fahrzeugflotte. Dieser Wandel macht die Steuerbarkeit des Netzes anspruchsvoller.
Es werden heute viele dezentrale Einheiten zur Stromproduktion mit erneuerbaren Energiequellen zugebaut. Damit wird das Elektrizitätssystem fragmentierter – viele Partner haben jeweils einen verhältnismässig kleinen Anteil. Das führt zu einem komplexeren Systembetrieb, der auch einen erhöhten Koordinationsbedarf zwischen den Marktakteuren benötigt.
Es braucht deshalb neue Quellen für flexibel einsetzbare Regelleistung im Netz. Dank der Plattform Equigy können in naher Zukunft Installationen in Privathaushalten, Kleinwasserkraftwerke, Elektrofahrzeuge oder die Steuerung der Nachfrage auf Konsumentenseite in den Regelleistungsmarkt integriert werden.
Blockchain-Technologie
Nicht die einzelne Batterie oder PV-Anlage ist dabei für die Netzstabilisierung von Interesse, sondern die grosse Masse. Je mehr solcher dezentralen Quellen für die Flexibilität genutzt werden können, desto besser. Die Verwaltung einiger grosser Kraftwerke ist aber deutlich einfacher als einer Vielzahl von kleinen, dezentralen Ressourcen. Genau hier setzt die neue Crowd Balancing Platform an, indem sie neue Akteure und Technologien technikneutral in die Elektrizitäts-Wertschöpfungskette integriert. Sie ermöglicht und erleichtert dabei den Datenaustausch grosser Datenmengen zwischen allen Beteiligten.
Die Blockchain-Technologie und das Internet of Things (IoT), die zum Einsatz kommen, erlauben die Abwicklung Zehntausender kleiner Transaktionen. Die Plattform wurde mit der Hyperledger Fabric Software entwickelt, die alle Transaktionen rollenbasiert mittels Blockchain-Technologie überprüft. Im Log der Distributed-Ledger-Technologie werden alle Informationen und Energietransaktionen im System validiert. Über Equigy wird also die Kapazität sichtbar, die jede einzelne angeschlossene Flexibilitätsquelle zur Verfügung stellen kann sowie die tatsächlich durchgeführte Transaktion. Dadurch entsteht eine einzige, unveränderliche und sichere Datenquelle, von der alle Parteien profitieren können.
Hyperledger ist ein Projekt der Linux Foundation und verfolgt das Ziel, die Open-Source-basierte Blockchain zu verbessern. Der Hauptfokus liegt auf der Eliminierung der Schwächen von Blockchain, wie sie im Kontext von Cryptocurrencies bekannt sind, insbesondere die Leistungsfähigkeit, die Effizienz und die Zuverlässigkeit. IoT erlaubt im Kontext von Equigy den verschiedenen Geräten die Kommunikation, den Datenaustausch und die Ausführung automatisierter Abläufe ohne menschliche Intervention. Damit die Geräte so miteinander kommunizieren können, müssen ihre Schnittstellen und Kommunikationsprotokolle mit den Vorgaben von Equigy kompatibel sein. Deshalb ist die Zusammenarbeit zwischen den Herstellern von den Geräten (Elektroautos, Batterien etc.) und Equigy von zentraler Bedeutung.
Europäische Zusammenarbeit setzt Standards
Die Crowd Balancing Platform wird von einem Konsortium von Swissgrid, Tennet und Terna in der Schweiz, den Niederlanden, Deutschland und Italien lanciert. In den Niederlanden und Deutschland wurden bereits Pilotprojekte erfolgreich abgeschlossen. Alle Unterzeichner des Konsortiums können vom Wissenstransfer und der Teilung der Entwicklungskosten profitieren. Zudem ist Equigy so ausgelegt, dass weitere europäische Übertragungsnetzbetreiber Teil des Konsortiums werden und die Plattform in ihrem Systemdienstleistungsmarkt lancieren können.
Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene treibt eine Standardisierung voran. Dadurch entstehen die Voraussetzungen, dass die Technologie für Hersteller von Geräten, beispielsweise Elektrofahrzeugen und eine Partizipation bei Equigy überhaupt interessant wird. Weltweit führende Hersteller entsprechender Geräte haben denn auch beratend beim Aufbau der Plattform mitgearbeitet.
Die Entwicklung der Plattform ist gut skalierbar. Die Plattform ist so gestaltet, dass sie mit der Zunahme von erneuerbaren Energien und nachhaltigen Energielösungen wächst. Je mehr Technologien, auch traditionelle, in dem Netzwerk verbunden werden, umso grösser wird der verfügbare Pool von flexibler und erneuerbarer Elektrizität, was langfristig die europäische Netzstabilität stützt.
Nutzen für die Schweizer Energiewirtschaft
Aufgrund des fehlenden Stromabkommens bleibt die Anbindung an den europäischen Strommarkt eine der grössten Herausforderungen. Die Schweiz wurde bereits vom Day-Ahead und Intraday Market Coupling ausgeschlossen. Dank einem starken Engagement in der ersten Phase der Internationalisierung der Balancing-Märkte konnte Swissgrid verhindern, bei Balancing-Themen ausgeschlossen zu werden. Deshalb ist es gerade bei Equigy wichtig, dass Swissgrid von Anfang an dabei ist, um den Anschluss in einem Bereich, in dem potenziell neue Marktmechanismen am Entstehen sind, nicht zu verpassen.
Das Sammeln von Erfahrungen mit neuen technologischen Ansätzen wie der Blockchain-Technologie und Internet of Things ist wichtig. Mit Equigy kann Swissgrid diese Themen mit einem bereits erprobten Ansatz und mit internationalen Partnern in der Anwendung kennenlernen. So können neue Ansätze getestet werden, andere Marktteilnehmer können die Crowd Balancing Platform dank einer Open-Source-Strategie selber nutzen oder darauf basierend neue Lösungen entwickeln.
Open Source
Die Technologie und Software sind Open Source und werden kostenlos zur Verfügung gestellt. Damit wird die Entwicklung sekundärer Applikationen in der Energiewertschöpfungskette gefördert. Mit dieser Strategie wird eine schnellere Verbreitung der Plattform erwartet und Diskriminierungsfreiheit garantiert. Als Übertragungsnetzbetreiberin verfolgt Swissgrid mit Equigy keine kommerziellen Interessen, sondern einzig das Ziel, die Eintrittsbarrieren für dezentrale Energieressourcen zu senken. Mit diesem Ziel und mit dem Einbezug so vieler kleiner Akteure wie möglich wird die Umsetzung der Energiestrategie 2050 gefördert. Equigy ergänzt die bereits bestehenden Produkte im Regelenergiemarkt und erweitert die zur Verfügung stehenden Netzstabilisierungstechnologien. Das Gesamtsystem wird durch Vielfalt gestärkt.
Pilotprojekte
Equigy wurde Ende April in der Schweiz lanciert. Swissgrid arbeitet mit namhaften Partnern aus der Schweizer Energiewirtschaft an der Implementierung der Plattform im Bereich der Primärregelleistung. Das bis Ende 2020 laufende Pilotprojekt verfolgt das Ziel, die Anwendbarkeit von Zukunftstechnologien zu prüfen. Bewährt sich die Plattform, soll das Projekt unmittelbar in den normalen Betrieb der operativen Einheiten des Schweizer Übertragungsnetzbetreibers implementiert werden.
Nachdem die Pilotprojekte in Deutschland und den Niederlanden erfolgreich abgeschlossen wurden, arbeitet Tennet nun in Deutschland an einem Projekt von BMW für bidirektionales Laden mit. Tennet führte zudem ein weiteres Projekt mit dem Unternehmen Sonnen durch, in dem Heimbatteriespeicher im Regelenergiebereich eingesetzt werden. In Deutschland gibt es Pilotprojekte in Zusammenarbeit mit Nissan zur Erprobung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen für die Netzstabilisierung.
Die Equigy-Plattform stellt primär eine Chance dar, den aus einer fragmentierten, volatilen Produktion inhärenten Herausforderungen für die Netzstabilität mit einem zukunftsorientierten Ansatz zu begegnen. Das begünstigt den Zubau erneuerbarer Energiequellen und unterstützt somit die Energiepolitik des Bundes. Equigy ist überdies eine Chance für die Akteure in der Schweizer Energiewirtschaft, Erfahrungen mit der Blockchain-Technologie und dem Internet of Things zu sammeln und dabei von der Innovationskraft aller am Projekt beteiligten europäischen Partner und dem entsprechenden Know-how-Transfer zu profitieren.
Hintergründe
Wieso bauen Übertragungsnetzbetreiber eine solche Plattform? Sollten sie das nicht den Verteilnetzbetreibern überlassen?
Die Übertragungsnetzbetreiber sind aus mehreren Gründen die richtigen Initianten der Crowd Balancing Platform. Sie haben die Fähigkeit, die dezentrale Produktion mit dem Strommarkt zu verbinden. Zudem agieren sie frei von kommerziellen Interessen und fokussieren sich auf den sicheren und stabilen Netzbetrieb in Europa. Jetzt schaffen die europäischen Übertragungsnetzbetreiber einen neuen Standard, der es Dritten wie Batterie- oder Elektrofahrzeugherstellern ermöglichen wird, mit einer solchen Plattform zusammenzuarbeiten.
Welche anderen Rollen gibt es bei Equigy?
Es gehören verschiedene Stakeholder zur Initiative. Es braucht einen Original Equipment Manufacturer, beispielsweise einen Zählerhersteller oder einen Hersteller von Elektroautos. Ein technischer Aggregator nimmt die Aktivierung der einzelnen Quellen vor und aggregiert Flexibilität. Im Beispiel von Elektrofahrzeugen könnte das der Fahrzeughersteller oder der Betreiber von Ladestationen sein.
Zudem braucht es den kommerziellen Aggregator, der die aggregierte Flexibilität Swissgrid als Primärregelleistung anbietet. Er entspricht in etwa dem heutigen Pooler, der ein Systemdienstleistungsverantwortlicher ist. Die verschiedenen Rollen können auch kombiniert werden, sodass beispielsweise ein Stakeholder als technischer und auch als kommerzieller Aggregator auftritt.
Wieso sollte der Besitzer eines Elektroautos oder einer Wärme pumpe Kapazitäten für die Netzstabilisierung zur Verfügung stellen?
Für den Betreiber einer solchen Flexibilitätsquelle ist die Partizipation bei Equigy aus zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen kann er zur Umsetzung und zum Gelingen der Energiestrategie 2050 des Bundes und somit zum Wandel hin zu einer grünen und dekarbonisierten Energieversorgung beitragen. Zum anderen bietet die Vergütung der eingesetzten Kapazitäten einen monetären Anreiz.
Kommentare