Installationen nach Nullung Schema III
Bestandesschutz vs. technische Anpassung
Elektroinstallationen befinden sich stets im Spannungsfeld zwischen technischer Anpassung und dem sogenannten Bestandesschutz, d.h. den Rechten des Anlageneigentümers. Was hat aber Priorität? Dies wird häufig kontrovers diskutiert – sowohl in juristisch-technischen Fachkreisen wie auch zwischen Installations-/Anlagenbesitzern und Sicherheitsberatern sowie Elektroinstallateuren.
Die Kontroverse «Bestandesschutz vs. technische Anpassung» führt oft zu Lösungen, die nicht optimal oder fachlich nicht korrekt sind. Die Frage, ob eine bestehende Elektroinstallation bei einer Erweiterung oder Modernisierung dem technischen Stand angepasst werden muss, ist nicht nur eine Sache des Rechtes, sondern auch des Geldes. Finanzielle Überlegungen alleine dürfen jedoch bei diesem Entscheid nie ausschlaggebend sein.
Vorrang sollten ausnahmslos sicherheitstechnische Überlegungen haben – dahinter steht das Recht auf optimale Sicherheit: Der gleiche minimale Sicherheitsstandard gilt für alle Nutzer alter und neuer elektrischer Anlagen. Oberstes Ziel ist immer, eine sichere Anlage zu betreiben. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist ein möglichst hoher Fach- und Sachverstand aller Beteiligten.
Bestandesschutz
Zum Bestandesschutz gehört ein grundsätzliches Rückwirkungsverbot von neuen Vorschriften, welche das Eigentum bzw. die Ausübung des Eigentums einschränken. Dies bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Anpassung bzw. Verschärfung der anerkannten Regeln der Technik nicht automatisch auch die Anpassung bestehender Anlagen zur Folge haben muss. Andererseits dürfen «alte» Installationen nach Nullung Schema III nur dann belassen werden, falls sie mängelfrei sind, keine Gefahr für Leib und Leben oder für Sachen darstellen und den aktuellen Nutzungs- und Umgebungsbedingungen entsprechen.
Rückblick
Die Anwendung der Elektrizität hat sich in den letzten Jahrzehnten stark entwickelt. Bis zirka 1960 wurden Installationen ohne separaten Schutzleiter erstellt. Seit 1974 ist die Nullung Schema III in Neuanlagen nicht mehr zulässig. Dies bedeutet, dass solche Installationen bestimmt über 40 Jahre alt sind.
Obwohl sich in den 1950er- und 1960er-Jahren der Wandel der Elektrogeräte von Luxusartikeln zu Gebrauchsgegenständen vollzog, wurden im Vergleich zu heute lediglich wenige Haushaltgeräte elektrisch betrieben.
Im Gegensatz zu Installationen im System TN-C, für die nach NIN 5.2.4.3 Mindestquerschnitte definiert wurden, sind bei «alten» Installationen nach Nullung Schema III auch kleinste Querschnitte, z.B. Cu 1 mm2, verlegt worden. Zudem sind die Gummi-/ Baumwoll-Isolationen über die Jahrzehnte brüchig geworden.
Gemäss der Starkstromverordnung müssen Niederspannungsinstallationen so erstellt werden, dass weder im normalen Betrieb noch im voraussehbaren Störungsfall eine gefährliche Situation entsteht (Art. 4 Abs. 1 StV). Bei Installationen nach Nullung Schema III kann jedoch bereits ein einzelner Fehler zu einer gefährlichen Situation führen. Heute sind Elektroinstallationen so ausgeführt, dass eine gefährliche Situation erst beim Auftreten eines zweiten Fehlers entstehen kann. Zudem ist seit dem Inkrafttreten der SEV 1000-1 1985 die Fehlerstrom-Schutzeinrichtung als zusätzliche Schutzmassnahme bei bestimmten Anwendungen vorgeschrieben (NIN 4.1.5.1).
Junge Elektroinstallateure kennen diese Art der Installation kaum noch. Zudem sind die jahrzehntealten Leiterisolationen nicht farbecht. Deswegen lässt sich die ursprüngliche Farbe der Aderisolation meist nicht mehr erkennen – dies kann zu falschen Anschlüssen und somit zu sehr gefährlichen Situationen führen.
Gefährliche Zustände
Leider führen Installationen nach Nullung Schema III immer wieder zu Unfällen. Dafür gibt es diverse Ursachen:
- Im Gegensatz zu Installationen im System TN-S, wo nach NIN 4.1.0.3.2 in jedem Fall eine Basis- und eine Fehlerschutzmassnahme gegen den elektrischen Schlag getroffen werden müssen, kann sich bei Installationen nach Nullung Schema III schon eine erhebliche Gefährdung durch einen einzelnen Fehler ergeben.
- Bei einem Unterbruch des Neutralleiters, welcher auch die Funktion des Schutzleiters erfüllen sollte, wird auch der zum Schutz dienende Leiter unterbrochen.
Werden die beiden Leiter vertauscht – z.B. da die Aderfarbe nicht mehr erkennbar ist, entsteht eine äusserst gefährliche Situation, indem Schutzleiter-Anschlüsse, Schutzleiterkontakte an Steckdosen und somit auch leitende Gehäuse von Geräten der Schutzklasse 1 unter Spannung gesetzt werden. Dies hat in den letzten Jahren zu mehreren tödlichen Unfällen geführt.
Isolationswiderstandsmessung nicht möglich
Wegen der vielen «natürlichen» Verbindungen zwischen dem Neutralleiter und der Gebäudekonstruktion kann eine Isolationsmessung kaum durchgeführt werden – und dies ausgerechnet bei Installationen nach Nullung Schema III, wo die Überprüfung der Isolationswerte wertvolle Hinweise auf beschädigte Isolationen und damit auf mögliche Zündquellen (Kriechstrecken) liefern würde. Die Isolationsfestigkeit von alten Anlagen, in denen Isolationsfehler in Leitungen und an Anschlussstellen besonders häufig sind, kann somit nicht vollständig geprüft werden.
Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen kaum möglich
Als zusätzliche Schutzmassnahme zum Basis- und Fehlerschutz wird die Fehlerstrom-Schutzeinrichtung seit den 1970er-Jahren erfolgreich und immer breiter eingesetzt. Dank dieser Schutzeinrichtung, welche auch eine lückenlose Überwachung der Isolationswerte sicherstellt, können viele Unfälle und Brände vermieden werden.
Wegen dem «fehlenden» Schutzleiter – d.h. wegen dem gemeinsamen Neutral- und Schutzleiter – kann die Fehlerstrom-Schutzeinrichtung jedoch nur sehr eingeschränkt, z.B. bei Steckdosen mit integrierten Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen, angewendet werden.
Installationen sanieren
Installationen, die vor über 40 Jahren erstellt wurden, entsprechen kaum mehr den heutigen Nutzungsbedingungen. Allein schon die geringe Anzahl der damals installierten Steckdosen reicht nicht, um die Vielzahl an heutigen elektrischen Geräten ausreichend abzudecken.
Mängel an elektrischen Anlagen, von denen eine Gefahr für Personen und Sachen (z.B. Brandgefahr) ausgeht, müssen unverzüglich durch eine Fachperson beseitigt werden (Art. 3 NIV). Der Eigentümer einer Anlage ist nach Art. 5 NIV in jedem Fall – auch wenn diese einem anderen Benutzer vermietet ist – für die Erhaltung des ordnungsgemässen Zustands der Elektroinstallation verantwortlich. Dies bedeutet, dass eine Anpassung dann erforderlich ist, wenn Sicherheitsmängel bestehen oder sich die Nutzungsbedingungen im Laufe der Jahre geändert haben.
Die Schutzziele der Sicherheitsnormen unterscheiden nicht zwischen Eigentümer und Nutzer einer elektrischen Anlage. Zudem liegt es bestimmt auch im Interesse des Benutzers, den Inhaber auf veränderte Betriebs- oder Nutzungsbedingungen und auf bestehende Mängel oder Gefahren hinzuweisen.
Fazit
Im Zweifelsfall geniessen die Sicherheit und Zuverlässigkeit einer elektrischen Anlage Vorrang vor dem Bestandesschutz.
Der Einsatz von Fehlerstrom-Schutzeinrichtungen sowie der Umbau von Installationen nach Nullung Schema III dienen der Prävention von schweren oder gar tödlichen Unfällen.
In Installationen nach Nullung Schema III kann bereits ein Fehler zu einer sehr gefährlichen Situation führen. Aufgrund des hohen Gefahrenpotenzials sind solche Anlagen auf den aktuellen Stand der Technik zu bringen und wo immer möglich zu ersetzen.
Mit der getrennten Verlegung von Neutral- und Schutzleitern im System TN-S fliessen keine betriebsmässigen Ströme über leitende Gebäudeteile. Dies trägt zu einer Verminderung der EMV-Probleme bei, die nach Art. 4 NIV wenn möglich zu vermeiden sind.
Literatur
- Amstutz, P. Bryner, D. Hofmann, J. Schmucki, Gefährliche Elektroinstallationen im Altbau. 2015.
- P. Bryner, J. Schmucki. Sicherheit in elektrischen Anlagen. 2013
- D. Hofmann, «Fokus Elektrosicherheit. Installationen nach Nullung Schema III», ET Elektrotechnik. 4/2012. S. 66f.
- SEV 1000-1 Hausinstallationsvorschriften des SEV (HV)
- SN 41100:2015 Niederspannungs-Installationsnorm (NIN)
- SR 734.2 Verordnung vom 30. März 1994 über elektrische Starkstromanlagen (Starkstromverordnung, StV).
- SR 734.27 Verordnung vom 7. November 2001 über elektrische Niederspannungsinstallationen (Niederspannungs-Installationsverordnung, NIV).
Kommentare
Roman Rieger,
Vielen Dank für den ausgezeichneten Artikel. Auch ich hatte aufgrund der beschriebenen Problematik (Vertauschung Polleiter/Nullleiter) tödliche Unfälle abzuklären. Ich würde eine systematische Umstellung alter Installationen auf TN-S begrüssen (in den 1950er- Jahren hatten sich die EVUs in der Umstellung von Schutzerdung auf Nullung engagiert).
Roman Rieger, ESTI-Gebietsinspektor a.D.
tobias munz,
Überall steht, FI könnten in TN-C-Systemen (Nullung SchIII) zwar nachgerüstet, aber nur sehr bedingt eingesetzt werden. Vor- und Nachteile werden aber nie genannt.
Man kann doch ganze TN-C-Gruppen schon im Sicherungskasten mit einem FI massiv sicherer machen, falls die Geräte nicht über andere Wege geerdet sind. Vorteile:
- Brandschutz
- Schutz vor Unfällen bei Neutralleiterunterbruch (natürlich kein Schutz vor kurzer Elektrisierung)
- Schutz vor Unfällen bei Vertauschung von P und N.
Einziges neues "Risiko":
Überflüssige Fehlauslösungen (wenn z.B. das Gehäuse eines genullten Geräts extern geerdet wird (z.B. ein Bügeleisen mit einer Wasserleitung in Berührung kommt und mind. ein Verbraucher in der Gruppe aktiv ist).
Verboten ist das ja nicht, wenn auch ungebräuchlich. Aber doch ev. eine einfache Möglichkeit, die Sicherheit eines TN-C-System massiv zu verbessern.
Entgegnungen nehme ich gerne entgegen.
Freundliche Grüsse
T. Munz