Fachartikel IT für EVU , Software , Unternehmensorganisation

Innovationen dank smarter Digitalisierung

IT-Strategien im Zeitalter der Digitalisierung

01.10.2018

Die digitale Transformation ist eine der grössten Herausforderungen der Energiebranche. Um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten, sind individuelle IT-Strategien nötig, welche Geschäftsmodelle, Prozesse und Produkte berücksichtigen.

Das neue Energiegesetz ist per 1.  Januar 2018 in Kraft getreten. Ergänzend liegen der Schweizer Strombranche die Verordnungen dazu vor, um die Bestimmungen des Energiegesetzes umzusetzen. Weitere, zum Teil von der Branche gemäss dem Prinzip der Subsidiarität erstellte Dokumente sollen zusätzliche Orientierung und Umsetzungshilfe geben. Auch wenn noch Unsicherheiten verbleiben, die im Zweifelsfall gerichtlich geklärt werden müssen, ist doch sicher, dass die Schweizer Energieversorgung durch eine wachsende dezentrale Stromproduktion und starke technologische Veränderungen einem grossen Wandel unterliegt.

Dieser Wandel wird zum Beispiel durch die zunehmende Bedeutung der dezentralen, solaren Produktion gefördert. Nach Erkenntnissen aus einer Umfrage der BET Suisse AG geht die Schweizer Solarbranche auch künftig von einem deutlichen Zubau der dezentralen Produktion aus. Dies bedeutet eine wachsende Rolle des Eigenverbrauchs, was an der «klassischen Energiewirtschaft» nicht spurlos vorbeigehen wird. Die Lastflüsse in den Netzen werden sich durch die dezentrale Produktion verändern, aber auch Preise und Preismuster werden durch die solare dezentrale Stromproduktion künftig noch stärker als bisher beeinflusst.

Einen zusätzlichen Einfluss wird auch die Elektromobilität auf die Netze haben, vor allem dann, wenn die Ladeeinrichtungen räumlich geballt auftreten und zeitgleich genutzt werden. Faktoren wie Energieeffizienz und -einsparung wirken ebenfalls, Batteriespeicher mit ihrer Flexibilität kommen hinzu. Es wird schliesslich auch über Strom-Communitys nachgedacht, nicht nur im Ausland, sondern auch in der Schweiz und von Schweizer Versorgern. Zu guter Letzt wird auch wieder intensiver diskutiert, ob, wann und wie eine vollständige Marktöffnung stattfinden soll. Diese Aufzählung liesse sich weiter fortsetzen.

Viele Veränderungen, seien sie nach aussen oder innen gerichtet, treten nur langsam auf, zum Beispiel, weil die Schweizer Stromnetze gut ausgebaut sind. Bestehendes wird keineswegs völlig abrupt entwertet. Vieles hat bis auf Weiteres auch künftig im «klassischen» Energie- und Netzgeschäft seine Berechtigung. Grundsätzlich wollen viele Schweizer Versorgungsunternehmen aber neue Geschäftsmodelle und Produkte hervorbringen, Innovationen fördern, ihre Prozesse anpassen, sich verändern.

Neue Strategien, Produkte und Geschäftsmodelle entstehen

Die Unternehmen überdenken ihre künftige Positionierung. Sie passen ihre individuellen Strategien an. Ihre Strategien können aus dem unternehmerischen Handeln heraus bottom-up entstehen, oder top-down von der Unternehmensleitung vorgegeben werden. Auch Mischformen kommen vor. Wichtig ist unabhängig von der Entstehung der Strategie, dass die verschiedenen Strategie­ebenen wie Eigner-, Unternehmens- und Bereichsstrategie aufeinander abgestimmt sind, dass sie kohärent sind und ineinandergreifen. Diese Abstimmung ist in der dynamischen Zukunft viel komplexer und folglich anspruchsvoller als bisher. Der Umgang mit Veränderungen und Innovationen ist zukünftig wichtiger Inhalt der verschiedenen Strategien. In der Vergangenheit war das meist nicht der Fall (untenstehendes Bild).

Beispielsweise können sich Netzbetreiber strategisch auf das Kerngeschäft im eigenen Netzgebiet fokussieren und darin eine «Business Excellence» in Form einer Kosten-, Effizienz- oder Technologieführerschaft anstreben. Sie können dazu unter anderem Prozesse und Organisation optimieren. Dienstleistungsorientierte Versorgungsunternehmen hingegen könnten strategisch danach streben, neue Trends in Technologie und Gesellschaft aufzugreifen und hieraus neue Geschäftsmodelle und Produkte respektive Dienstleistungen für ihre Kunden hervorzubringen.

Versorgung und Versorger werden digitaler

Viele Innovationen gehen mit einer starken IT- beziehungsweise Digitalisierungskomponente einher. Die Digitalisierung steht für die weitreichende Veränderung von Geschäftsmodellen, Produkten, Leistungen, Prozessen und Kundenschnittstellen durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien. Isolierte Betrachtungen einzelner Neuerungen oder technischer Lösungen greifen oft zu kurz. Die Neuerungen und die relevanten Technologien werden miteinander in Wechselwirkung stehen.

Der Blick auf einen Markt wie Deutschland mit einem deutlich fortgeschrittenen Grad der dezentralen Energieerzeugung und einer vollständigen Marktöffnung lässt bereits heute viele Entwicklungen erkennen, die auch in der Schweiz zu erwarten sind. Es entstehen wachsende Anforderungen an die bestehenden Prozesse und damit an die IT-Architektur. Eigenverbrauch und Eigenverbrauchsgemeinschaften müssen abgerechnet, die Flexibilitäten von Batterien (zeitnah) gesteuert und Betriebszustände fortlaufend überwacht werden. Im Netzbereich der EVUs werden zunehmend Hilfsmittel wie Mobile Workforce Management eingesetzt, um die Equipen optimaler zu steuern. Es gibt Schnittstellen, zum Beispiel zum GIS, aber «im Graben erfasste Daten» sind am Ende auch für die Finanzbuchhaltung relevant. Prozessautomatisierung ist im Massenkundengeschäft zentral, um bei einer vollständigen Marktöffnung mit niedrigen Cost-to-serve wettbewerbsfähig zu sein. Diese Prozesskosten rund um die vorhandene Kundenbeziehung müssen minimiert werden.

Ähnliches gilt auch für die Kosten der Kundengewinnung. Eine Strategie kann sein, sich frühzeitig durch Effizienz (Standardisierung und Automatisierung) und Skalierbarkeit Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Niedrige Cost-to-serve lassen sich auch durch digitale Geschäftsprozesse «as a Service» erreichen. In dem Fall kann sich der Anbieter zum Beispiel auf die Strombeschaffung und den Vertrieb konzentrieren, statt auf die Abwicklung von (eigentlich nicht wertschöpfenden) Marktprozessen. Aber soll gemäss der unternehmerischen Strategie wirklich die Abwicklung standardisierter Massenprozesse im Mittelpunkt stehen? Oder soll nicht doch eher ein höchstmögliches Mass an Flexibilität angeboten werden, um neue Produkte in hoch dynamischen Märkten abrechnen zu können? Auch hierfür können IT und Digitalisierung Lösungsansätze bieten.

Grundverständnis zur Digitalisierung

Das Thema «Digitalisierung» ist für viele neue Geschäftsmodelle und Produkte ebenso wie für Prozess- und Organisationsverbesserungen zunehmend relevant und betrifft die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zur Interaktion mit dem Kunden. Neue Technologien und Anwendungen tragen zur «digitalen Transformation» des Unternehmens bei. Zeitgleich darf nicht der Eindruck entstehen, dass Innovation singulär von digitaler Transformation abhängt. Digitalisierung respektive die «digitale Transformation» des Unternehmens bedeutet weder die (ausschliessliche) Einführung einer einzelnen, neuen digitalen Technologie noch ist diese Transformation ein Selbstzweck. Sich ziellos der Digitalisierung zu widmen, führt nur zur Verschwendung von Ressourcen und zu Ineffizienz. Wichtig ist ein zielgerichteter und bedachter Einsatz von Digitalisierung. Eine solche zielgerichtete Digitalisierung kann in drei Abstufungen gegliedert werden:

  • Optimierung bestehender Prozesse: Bewährte Prozesse werden durch Digitalisierung effizienter gestaltet.
  • Erweiterung von Geschäftsmodellen und Eintritt in neue Tätigkeitsfelder: Der Mehrwert von Daten wird durch Digitalisierung überhaupt erst nutzbar beziehungsweise genutzt.
  • Ausrichtung auf neue Kundenbedürfnisse: Die neuen, digitalen Technologien ermöglichen eine neuartige Interaktion mit dem Kunden, und zwar über zahlreiche Kanäle.

 

Wie erwähnt, muss die «digitale Transformation» mit dem strategischen Vorgehen des Unternehmens kohärent sein. Es ist die Gesamtheit, die mit der digitalen Transformation optimiert werden muss. Die Strategie des Unternehmens, seine Prozesse und seine Organisation müssen unterstützt werden. Auch der Faktor «Mensch» ist nicht zu vernachlässigen.

Von der Kostenstelle zum Digital Business Enabler

Ein Weg zur zielgerichteten, digitalen Transformation ist, eine IT-Strategie zur Unterstützung der Transformation zu erarbeiten. Mit der «digitalen Transformation» wird die IT immer mehr Gewicht gewinnen. Die «digitale Transformation» bewirkt, dass IT nicht mehr eine reine Kostenstelle ist, sondern zum Business Enabler der «digitalen Transformation» avanciert.

Ausgangspunkt ist die mit Fach- und IT-Experten sowie mit dem Management erarbeitete IT-Strategie. Dabei werden Aspekte der Digitalisierung der Geschäftsprozesse kombiniert mit der Transformation der IT im Unternehmen. Die Schritte zur Erarbeitung der künftigen IT-Strategie des Unternehmens sind einfach und systematisch und lassen sich in fünf Phasen unterteilen (untenstehendes Bild).

Zentral in diesem Vorgehen steht der digitale Reifegrad der Kernprozesse im Unternehmen, basierend auf einem Reifegrad-Modell. Dieses unterscheidet vier Niveaus (siehe Bild unten). Einige Kernprozesse könnten stärker digitalisiert werden, bei anderen könnte sich im Gegenteil die Frage nach einer neuen Abwägung von Kosten und Nutzen bestehender digitaler Lösungen stellen.

Das Verständnis dieser vier Stufen kann helfen, zu entscheiden, wie sich das Unternehmen im Einzelfall mit seiner IT positionieren will.

Auf dem ersten Niveau werden Digitale Technologien (DT) als Kostenfaktor verstanden. In diesem Fall dient Digitalisierung der optimalen Umsetzung der bestehenden Geschäftsprozesse. Die IT wird so gestaltet, dass die Kosten im Vordergrund stehen, die Risiken der Digitalisierung sind eher sehr gering. Ein Beispiel wären digitale Workflows bestehender Prozesse.

Auf dem zweiten Niveau sind Digitale Technologien essenzielles Werkzeug. Sie dienen der Verbesserung der Geschäftsprozesse. Es werden IT-Standardprodukte eingesetzt mit Fokus auf Kosten und Nutzen. Es finden also keine umfangreichen Eigenentwicklungen statt. Die Risiken sind eher gering, allenfalls im mittleren Bereich. Ein Beispiel für dieses Niveau wären Digital-Workforce-Management-Lösungen zur Steigerung der Effizienz.

Auf dem dritten Niveau transformieren Digitale Technologien das Geschäft. Gewisse Wertschöpfungsschritte des Produkts respektive der Leistungen werden digital erbracht. Es findet eine fundamentale Umgestaltung von Geschäftsprozessen statt. Dazu werden sowohl individuelle Lösungen, als auch stark konfigurierte Standardprodukte zum Einsatz kommen. Die Risiken hierbei sind hoch und zum Beispiel durch die Entwicklung der individuellen Lösungen gegeben, denn Entwicklungsprojekte können scheitern. Als ein Beispiel für das dritte Niveau wäre die Entwicklung einer eigenen Lösung zur Abrechnung von Eigenverbrauchsgemeinschaften oder zur Steuerung von Batterien und PV-Anlagen zu sehen.

Auf dem vierten und höchsten Niveau definieren digitale Technologien das Geschäft. Produkte und Leistungen sind mehrheitlich digital oder werden digital erbracht. Es erfolgt die volle Ausrichtung der Geschäftsprozesse auf die Erbringung der digitalen Produkte und Leistungen. Dezidierte Finanzmittel werden für Digitalisierung und Entwicklung neuer Geschäftsfelder zur Verfügung gestellt, die neue Umsätze und Margen bringen (sollen), die Risiken sind oft hoch. Zur Realisierung der Geschäftsfelder bedient man sich starker Produkt- oder Software-Partner. Beispiel wäre eine Digitale-Data-Plattform, welche die Daten von Smart Meter, Sensoren, Wetterberichten, Marktpreisen usw. zentralisiert und nutzt, um Added Values anbieten zu können. Big Data und Artificial Intelligence wären die neuen Kernkompetenzen auf Basis der Daten.

Wechselspiel Digitalisierung, IT und Kundenorientierung

Digitalisierung hat noch einen weiteren Mehrwert, der oberhalb von einzelnen Prozessen, Geschäftsmodellen oder Produkten liegt. Wenn das Versorgungsunternehmen «Customer Relation Management» nicht nur als IT-Applikation versteht, sondern als eine Denkhaltung, kann mit den Möglichkeiten der Digitalisierung eine neue Kundenorientierung entstehen.

Wird der Kunde mit einer Reihe von Produkten und Dienstleistungen, von der Energielieferung über den Verkauf von Solaranlagen bis hin zur Abrechnung von Abwasser bedient, handelt es sich immer wieder um den gleichen Kunden, der mit diesen verschiedenen Produkten und Serviceleistungen angesprochen wird.

Werden beispielsweise georeferenzierte Daten zu PV-Potenzialen oder zur Elektromobilität mit Daten aus dem GIS und dem CRM verbunden, können neue Produkte dann nicht mehr nur «mit der Giesskanne» verkauft werden, sondern zielgerichtet und effizient. Und hat das Wohnquartier ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein, so kann man den passenden ökologischen Mehrwert bei der Energielieferung mitverkaufen.

Zugleich entstehen neue Anforderungen aus dieser konsequenten Kundenorientierung. IT-Architekturen müssen sich nach aussen öffnen. Schnell stellen sich zum Beispiel Fragen zum Sicherheitsmanagement, zum Zugang Dritter, aber auch zur Fähigkeit des Kunden, selbstständig Transaktionen mit den Systemen des Energieversorgungsunternehmens durchzuführen. Diese Öffnung nach aussen wirft natürlich auch die Frage nach der Qualität der Daten, ihrer Lokalisierung und Richtigkeit auf. Auch eine, zum Beispiel hinsichtlich Bandbreite, geeignete und angemessen verfügbare Infrastruktur muss genutzt werden können, mit welcher die Daten übertragbar sind.

Die Lösung kann konkret darin liegen, dass man nicht nur auf ein einzelnes Projekt fokussiert (eben nicht nur auf die Einführung eines CRM), sondern auf eine umfassende IT-Strategie, welche diese neuen Anforderungen berücksichtigt. Die Transformation einer IT-Architektur verlangt wie jede Transformation Zeit und sollte etappiert erfolgen. Ein Kundenportal, das falsche Daten oder zu langsame Interaktionen anbietet, ist kein Fortschritt für den Kunden.

Daten werden ein Asset der Zukunft

Punktuelle Lösungen im IT-Umfeld greifen oft zu kurz. «Bastelarbeit» und unkoordinierte Ansätze im IT-Umfeld können in vielen Fällen zwar kurzfristig zum Erfolg führen, mittel- oder langfristig bleiben sie jedoch nutzlos. Eine nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen im Markt wird somit verpasst. Bei solch unbedachtem Vorgehen werden nur punktuelle Lösungen geschaffen, Wechselwirkungen unter Umständen nicht berücksichtigt, und eine zielgerichtete Entwicklung des Unternehmens, seiner Prozesse, Produkte, Geschäftsmodelle etc. ist gefährdet.

Daten und der Umgang mit ihnen werden künftig wichtiger. Ähnlich wie heute Netze oder Produktionsanlagen Assets für EVUs sind, könnten künftig Daten ein solches Asset werden. Eine zielgerichtete Digitalisierung und eine zielgerichtete IT-Strategie helfen, dass das Management der Daten, das Data-Asset-Management, den Anforderungen der Stakeholder und der Regulierung entspricht.

Das Business muss der Treiber bleiben

Digitalisierung steht an der Kreuzung von Business, Strategie und IT. Die digitale Transformation muss als ein neuer Pfeiler der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wahrgenommen werden. Das bedeutet, dass eine Digitalisierungsstrategie stets die Strategie des Unternehmens, sein Geschäft, aber auch seine IT berücksichtigen muss.

Autor
Dr. André Vossebein

ist Geschäftsführer der BET Suisse AG.

  • BET Suisse AG, 4800 Zofingen
Autor
Nicolas Isnard

ist Senior Manager bei Elca Informatique SA.

  • Elca Informatique SA, 1211 Genève
Autor
Stefan Brühl

ist Senior Manager von BET Büro für Energiewirtschaft und Technische Planung.

  • BET Büro für Energiewirtschaft und Technische Planung, D–52070 Aachen

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