Innovation muss möglich bleiben
Stromnetze
Damit die Schweiz auch in Zukunft auf eine sichere Stromversorgung zählen kann, muss die Weiterentwicklung der Netze möglich sein. Die dazu nötigen Freiheiten müssen aber noch geschaffen werden.
Im Sommer 1879 wurde in St. Moritz das erste Kraftwerk der Schweiz in Betrieb genommen, um den Speisesaal vom Kulm Hotel St. Moritz mit Energie für die Beleuchtung zu versorgen. Seither wurden viele Kraftwerke und vor allem auch die Stromnetze aufgebaut. Diese Netze entstanden, weil die gemeinsame Versorgung mit Elektrizität günstiger und zuverlässiger war als der Bau von eigenen Inselkraftwerken für jedes Dorf oder sogar jeden einzelnen Endverbraucher.
Diese Netze verbinden zum einen die grossen Kraftwerke und Speicher in den Alpen mit den Verbrauchern im Unterland. Zum anderen verbinden sie aber auch eine Vielzahl von Endverbrauchern in ganz Europa untereinander, wodurch das System einfacher zu handhaben ist. Der Ausfall eines einzelnen Kraftwerks oder eines grossen Endverbrauchers fällt in einem Netz mit vielen Kraftwerken und Endverbrauchern weniger ins Gewicht und kann dank Massenträgheit mit Systemdienstleistungen einfacher ausgeregelt werden. In einem kleinen Netz könnte ein solcher Ausfall hingegen schnell zum Blackout führen. Auch der Verbrauch ist in einem Netz mit vielen Kraftwerken und Endverbrauchern einfacher zu prognostizieren. Während es fast unmöglich ist, für jeden Endverbraucher eine genaue Prognose zu erstellen, kann für eine Gruppe von mehreren Tausend Endverbrauchern eine ziemlich genaue Vorhersage gemacht werden. Zu guter Letzt kann die sichere Energieversorgung insbesondere in den Wintermonaten abgesehen vom Import nur dank der Grosswasserkraft und Kernkraftwerken sichergestellt werden. Diese können aber nur in einem grossen Verbund finanziert werden.
Ohne Strom läuft nichts mehr
Die hohe Zuverlässigkeit der Schweizer Stromversorgung ist ein sehr grosser Standortvorteil. Das Gewerbe, die Industrie und alle anderen Netzanschlussnehmer verlassen sich darauf, dass diese hohe Qualität auch in Zukunft sichergestellt wird. Die Schweiz ist völlig von einer sicheren Stromversorgung abhängig. Ohne Strom lassen sich beispielsweise keine Logistiksoftware und automatisierten Hochlager betreiben. Die Folge: leere Regale im Supermarkt. Auch Kläranlagen können ohne Strom nicht betrieben werden, und in der Industrie führen schon kürzeste Ausfälle zu teurem Ausschuss und Stillstandzeiten der Maschinen. Sogar Gas-, Pellet- oder Ölheizungen fallen aus, da weder die Steuerung noch die Wasserpumpen zur Energieverteilung über Radiatoren oder Bodenheizung funktionieren. Die Versorgungssicherheit ist aus diesem Grund in den politischen Entscheidungsprozessen auch in Zukunft mit höchster Priorität zu berücksichtigen.
Die Energiestrategie 2050 hat zum Ziel, eine zuverlässige, klima- und umweltverträgliche Energieversorgung zu vernünftigen Kosten sicherzustellen. Der Erfolg der Massnahmen der ES 2050 sollte daher an ihrer Effektivität bei der Erreichung dieser Ziele gemessen werden. Die kostendeckende Einspeisevergütung und die Einmalvergütung für neue Produktionsanlagen führen beispielsweise zu einem Ausbau der erneuerbaren Produktionsanlagen und somit zu einer klima- und umweltverträglichen Energieproduktion. Ob die Kosten dafür gerechtfertigt sind, müssen aber andere beurteilen. Die Zuverlässigkeit des Gesamtsystems würde aber verbessert, wenn sich geförderte Anlagen stärker an den Prozessen zur Systemsicherheit (insbesondere SDL) beteiligten.
Es dürfen aber nicht nur einzelne Massnahmen isoliert betrachtet werden, da die Energieversorgung durch ein komplexes System sichergestellt wird. Dieses System muss als Ganzes verändert und optimiert werden, um optimale Lösungen zu finden. In den letzten Jahren haben aber immer mehr Partikularinteressen den Weg in die Gesetzgebung gefunden. Einzelne Punkte wurden angepasst, ohne dass die Auswirkungen auf andere Aspekte des Systems berücksichtigt werden. Der ganzheitliche Blick auf die Energieversorgung ging verloren.
Entsolidarisierung beim Tragen der Netzkosten
So führen die Vorgaben zur Netztarifierung (hoher Anteil Arbeitspreis) in Kombination mit der Eigenverbrauchsregelung nicht nur zu einer Förderung des Ausbaus der Photovoltaik, sondern auch zu einer Entsolidarisierung bei der Tragung der Netzkosten. Simulationen von Planair – einem Ingenieurbüro – sagen aufgrund dieser Umverteilungen bis 2035 Tarifsteigerungen um über 35% voraus. Umverteilungen stellen zwar ein einfaches Mittel dar, um Solaranlagen zu finanzieren, ohne die Abgaben zur Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien (KEV) zu erhöhen. Da die Netzentgelte aber steigen und dies vor allem die Endverbraucher ohne eigene Produktion betrifft, ist der Effekt der gleiche: Endverbraucher werden mit Zusatzkosten belastet, um die Installation von PV-Anlagen zu fördern. Es fehlt aber die Transparenz und die unbeabsichtigten Auswirkungen auf die Netze sind gravierend.
Entgegen dem Grundgedanken des StromVG wird der Bau von Parallelnetzen aktiv gefördert. Private werden durch die gesetzlichen Vorgaben animiert, in private Netze zu investieren, um weniger Netznutzungskosten bezahlen zu müssen. Diese Endverbraucher nutzen das Netz gleichwohl als Absicherung für jene Phasen, in denen die eigene Produktionsanlage nicht genügend Energie produziert, beteiligen sich aber nur begrenzt an den Kosten. Da die Netze für die langfristig zu erwartende Leistungsspitze (üblicherweise in der Heizperiode im Winter) ausgelegt werden müssen, sinken die Kosten durch den Ausbau der dezentralen Produktion nicht. Die Kosten für Bau und Unterhalt der Netze steigen sogar, um den Zubau der dezentralen Produktion zu bewältigten. So hat die ElCom bis Ende 2017 678 Verfügungen für Netzverstärkungen im Umfang von über 70 Mio. CHF erlassen. Diese Preissteigerung wird die Verbreitung von Speichern und PV weiter fördern, was wiederum die Netztarife ansteigen lässt. Ständig steigende Netzkosten verringern aber die Akzeptanz der Endverbraucher für die Finanzierung der Netze.
Der Atomausstieg und die Dekarbonisierung können auf unterschiedlichen Wegen angestrebt werden. Eine zentrale Frage wird sein, ob dieser Umbau der Energieversorgung mit oder ohne Stromnetze umgesetzt werden soll. Falls die Zukunft in dezentralen und energieautarken Ortsnetzen oder sogar energieautarken Gebäuden liegt, sollten beispielsweise dezentrale Speicher aktiv gefördert werden. Die Netze müssten dann aber konsequenterweise bis 2050 kontinuierlich zurückgebaut werden. Es ist aber zweifelhaft, dass dies der richtige Weg ist. Die Endverbraucher schätzen die Sicherheit, sich auch in einem langen, hochnebelreichen und kalten Winter immer auf eine sichere Stromversorgung verlassen zu können. Technisch ist es heute relativ einfach möglich, ein Gebäude energieautark zu betreiben – im Sommer. Soll die autarke Energieversorgung auch für jede Stunde in einem sehr kalten Winter, wie er einmal alle 20 Jahre vorkommt, sichergestellt werden, wird es sehr aufwendig und anspruchsvoll. Es ist eher unwahrscheinlich, dass viele Endverbraucher bereit sind, alle paar Jahre für ein paar Stunden oder sogar Tage im Winter vollständig auf elektrische Energie zu verzichten. Die meisten Endverbraucher werden aus diesem Grund auch zukünftig kaum auf einen Netzanschluss verzichten.
Netze effizient und sicher bauen
Eine zuverlässige Versorgung zu vernünftigen Kosten ist vermutlich nur mit den Netzen erreichbar, insbesondere da diese schon gebaut sind. Soll die Energiestrategie aber mit den Netzen umgesetzt werden, dann müssen wir auch alle Massnahmen treffen, um die Netze effizient und sicher auszubauen sowie langfristig und nachhaltig zu finanzieren. Wenn das Netz aber neben der dezentralen, teilautarken Energieversorgung als Absicherung bestehen bleiben soll, muss sowohl in die teilweise Autarkie der Energieversorgung als auch in die Netze als Rückfallebene investiert werden. Das kann aber nicht effizient sein.
Die Förderung der erneuerbaren Energieproduktion darf denn auch nicht blind die Dezentralisierung fördern, sondern muss die Steigerung der Produktion (nicht unbedingt der Produktionsleistung) und im Besonderen der steuerbaren Produktion im Fokus haben. Eine staatliche Förderung von dezentralen privaten Kleinspeichern wäre beispielsweise unangebracht, da diese weder die Produktion von erneuerbaren Energien fördern noch die Netzkosten verringern. Werden die Netztarife jedoch verursachergerecht gestaltet, rentieren die dezentralen Speicher automatisch dort, wo sie volkswirtschaftlich Sinn machen. Netzbetreiber müssen die Möglichkeit bekommen, die Netztarife aufgrund Ihrer lokalen Gegebenheiten zu definieren und die «richtigen» Anreize zu setzen. Bei einem Netzbetreiber kann das die Verminderung der Lastspitze am Abend im Winter sein, bei einem anderen sollen die Endverbraucher insbesondere im Sommer über Mittag möglichst viel Energie beziehen.
Leistungstarife für alle Endverbraucher
Auch die indirekte Förderung über die Eigenverbrauchsregelung könnte zu einer Effizienzsteigerung bei den Netzen führen, wenn die möglichen Einsparungen der Endverbraucher an die Einsparungen beim Bau und Unterhalt der Netze gekoppelt werden. Die Eigenverbrauchsregelung müsste dazu mit Leistungstarifen für alle Endverbraucher kombiniert werden. Eigenverbraucher (aber auch alle anderen Endverbraucher), welche das Netz weniger in Anspruch nehmen und so den Ausbau minimieren, würden so belohnt. Ob dieses Ziel mit Speichern oder einer intelligenten Hausautomation erreicht wird, soll den Marktkräften und innovativen Unternehmen überlassen werden. Endverbraucher, welche hohe Kosten verursachen, müssten einen grösseren Teil der Netzkosten tragen. Dazu werden vermutlich auch Schnellladestationen für die Elektromobilität gehören, welche durch die hohen Bezugsleistungen entsprechend hohe Kosten verursacht und ihren Anteil selber tragen sollte. Autofahrer, welche ihr Fahrzeug zu Hause laden, müssten sich dann entscheiden, ob sie zu Hause eine Schnellladung nutzen möchten oder ob sie ein paar Stunden Zeit haben. Auf Autobahnen spielen die Kosten für die Schnellladung eine geringere Rolle. Autofahrer akzeptieren ja schon heute höhere Benzinpreise auf Raststätten. Eine verursachergerechtere Kostenverteilung entspräche auch eher dem Willen des Gesetzgebers, der die Tarifvorgaben im Rahmen der ES 2050 netzfreundlicher gestalten wollte.
Die Netzbetreiber müssen daher die Freiheit erhalten, um intelligente und verursachergerechte Tarife festzulegen, welche ihnen erlauben, den zur Umsetzung der ES 2050 notwendigen Netzausbau sicher und effizient zu planen. Schon heute stellen regulatorische Vorgaben sicher, dass keine Kundengruppe mehr für das Netz bezahlt, als sie Kosten verursacht hat. Ein Netzbetreiber kann somit nicht zu viel einnehmen und muss, falls er sich beispielsweise verrechnet hat, allfällige zu hohe Einnahmen in den Folgejahren kompensieren. Ein übermässiger Verbraucherschutz durch detaillierte Vorgaben zur Tarifierung ist daher völlig unnötig.
Innovation muss möglich sein
Vor 100 Jahren haben die Schweizer Energieversorger mit sehr grosser Innovationskraft nicht nur Staumauern gebaut, sondern auch Technologien entwickelt, um die Energie über dazumal nicht für möglich gehaltene Distanzen zu transportieren. In den letzten Jahrzehnten hat die Innovation eher im Bereich Handel stattgefunden, wo sich – im europäischen Vergleich eher kleine – Unternehmen wie Alpiq (respektive Atel) und Axpo (respektive EGL) als Händler in ganz Europa etablieren konnten. Seit ein paar Jahren ist klar, dass Innovation in der nächsten Dekade oder gar in den nächsten Jahrzehnten einen grossen Stellenwert haben wird. Insbesondere die Digitalisierung wird vieles völlig verändern. Neue Konzepte, Technologien und Unternehmen werden sich durchsetzen. Aber auch die Dekarbonisierung und der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie werden viele Paradigmen auf den Kopf stellen.
Die heutige Regulierung wird dieser Entwicklung jedoch nicht gerecht und erinnert je länger, je mehr an ein Mikromanagement der Behörden. In den Verordnungen ist beispielsweise genau festgeschrieben, was ein intelligenter Zähler ist oder eine intelligente Steuerung genau sein soll. Wenn der Funktionsumfang solcher Zähler aber genau vorgeschrieben wird, bleibt kaum Raum für Innovationen; insbesondere nicht in der kurzen Umsetzungszeit. Die Hersteller werden also möglichst schnell ein Produkt entwickeln, welches die Anforderungen der Behörden erfüllt und es dann vermarkten. Wirkliche Innovationen werden aufgrund des zeitlichen Drucks und des engen funktionalen Korsetts wahrscheinlich ausbleiben. Start-ups und EVUs müssen aber innovativ sein können. Behörden sollten sich daher auf die Schaffung eines guten Umfelds zum Testen von Innovationen beschränken. Dazu gehört neben entsprechenden Freiheiten für die Energieversorger auch eine gewisse Stabilität bei der Regulierung. So waren intelligente Zähler bis Ende 2017 nur in Ausnahmefällen anrechenbar, ab 2018 sind sie aber zum Teil zwingend vorgeschrieben.
Regulierungsdichte verhindert effiziente Netze
Sollen die Netze effizient und innovativ fit für die Zukunft werden, darf die Regulierungsdichte nicht weiter zunehmen. Sie müsste eigentlich sogar reduziert werden, um Platz für Innovationen und neue Ideen zu schaffen. Anstatt detailliert zu beschreiben, welche Schnittstellen und Kommunikationswege ein intelligenter Zähler haben muss, soll das Ziel (Information der Endverbraucher über ihren Energieverbrauch) formuliert werden. Die starken Einschränkungen bei der Definition von Tarifen sind ein weiteres Beispiel dafür, dass die Gesamtsicht verloren geht. Die Politik spricht von Digitalisierung und Smart Grids, verhindert mit diesen Einschränkungen bei der Tarifierung aber, dass Anreize für innovative Ideen wie beispielsweise Smart-Home-Lösungen gesetzt werden können. Würden Leistungstarife angewendet, könnte sich der Einbau von Hausautomationssystemen schneller lohnen und diese somit fördern.
Kaum jemand zweifelt am Nutzen, den die Stromnetze der Schweiz bringen. Ihr guter Zustand muss daher erhalten bleiben, um die hohe Versorgungssicherheit auch weiterhin zu gewährleisten. Dazu müssen aber stabile und netzfreundliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um einerseits den notwendigen Ausbau effizient zu ermöglichen und anderseits die langen Abschreibedauern abzubilden. Die staatliche Vorgabe von Innovation führt selten zum Ziel, daher sollte der Freiraum für Unternehmen vergrössert werden, um so die nötige Innovation zu ermöglichen. Die Energieversorgungsunternehmen leisten seit 1879 eine sehr gute Arbeit und können heute eine der höchsten Verfügbarkeiten weltweit zu vergleichsweise tiefen Kosten garantieren. Sie sind in der lage und bereit, diese Verantwortung auch in Zukunft zu übernehmen.
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