Innovation für Energieversorger
Open-Source-Software
Kritische Infrastrukturen stehen vor einer Herausforderung: die Energiewende effizient mit konventionellen und proprietären Technologien zu meistern. Die Digitalisierung mit Open Source könnte dies beschleunigen.
Betreiber von kritischen Infrastrukturen, insbesondere Energieversorger, stehen vor einer doppelten Herausforderung: Auf der einen Seite verlangt der Klimawandel eine rasche und umfassende Energiewende. Auf der anderen Seite hindern starre Marktstrukturen, konventionelle Technologien und die Abhängigkeit von wenigen Softwareherstellern die notwendige Innovationsgeschwindigkeit. Die Digitalisierung dieser Systeme wird zum entscheidenden Schlüssel, um Flexibilität, Transparenz und Effizienz zu gewährleisten.
Ein Lösungsansatz liegt im verstärkten Einsatz von Open-Source-Software (OSS). OSS kann nicht nur Innovationshindernisse aufbrechen, sondern auch den technologischen Fortschritt in der Energiebranche beschleunigen.
Hemmnisse in der Softwareentwicklung
Die Energiewende erfordert die Koordination komplexer, dezentraler Systeme. Erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie speisen zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Mengen ins Netz ein. Gleichzeitig steigt durch Elektromobilität und Wärmepumpen der Strombedarf. Netzbetreiber benötigen daher Softwarelösungen, die Netzzustände in Echtzeit analysieren, Engpässe prognostizieren und Prozesse automatisieren.
Doch genau hier zeigt sich das Dilemma: Die für die Netzführung eingesetzte Software stammt meist von wenigen spezialisierten Herstellern und ist oft nicht auf die Anforderungen der dezentralen Energieversorgung vorbereitet. Diese Hersteller setzen neue regulatorische Anforderungen und technische Herausforderungen nur schleppend um.
Innovationsgeschwindigkeit versus Umsetzungsgeschwindigkeit
Der Innovationsdruck in der Energiebranche ist enorm und steigend. Gesetzliche Vorgaben wie Redispatch 2.0, der Zuwachs erneuerbarer Energien und der wachsende Strombedarf verlangen nach kurzfristigen Anpassungen und Erweiterungen der IKT- und Software-Systeme zur Netzsteuerung. Proprietäre Softwarelösungen, die in der Branche vorherrschen, können diesen Bedarf jedoch oft nicht decken. Zudem können herstellerspezifische Lösungen ein Hemmnis bei Integration, Anpassung und Weiterentwicklung sein.
Konkret gibt es drei zentrale Herausforderungen: Erstens die langsamen Entwicklungszyklen – Hersteller benötigen oft Jahre, um neue Funktionen zu entwickeln und in ihre aktuellen Softwareprodukte zu integrieren. Zweitens der Vendor-Lock-in. Netzbetreiber sind stark von den Herstellern abhängig und können keine eigenständigen Software- und Systemanpassungen vornehmen. Drittens kommen Skalierungsprobleme hinzu, denn die wenigen Anbieter können den steigenden Bedarf an Software und damit verbundenen Dienstleistungen kapazitätsbedingt nicht bedienen.
Open-Source-Software als Schlüssel
OSS bietet hier eine Alternative, um die Digitalisierung der Systeme für kritische Infrastrukturen zu beschleunigen. In diesem Umfeld bietet Open Source folgende Vorteile:
- Transparenz: Betreiber können den Code selbst prüfen und anpassen. Dies reduziert Sicherheitsrisiken.
- Kollaboration: Netzbetreiber, Softwareentwickler und andere Stakeholder können gemeinsam an Lösungen arbeiten.
- Flexibilität: OSS lässt sich leichter an spezifische Anforderungen anpassen als proprietäre Software und auch mit proprietärer Software kombinieren.
- Unabhängigkeit: Netzbetreiber vermeiden die Abhängigkeit von wenigen Herstellern.
Die Grundidee: Der Quellcode ist offen zugänglich und kann von jedem genutzt, überprüft und weiterentwickelt werden.
Ein herausragendes Beispiel für die Umsetzung von Open-Source-Prinzipien in der Energiebranche ist die Genossenschaft OpenKonsequenz eG. Diese wurde von deutschen und niederländischen Verteilnetzbetreibern gegründet, um innovative OSS-basierte Lösungen speziell für Netzbetreiber zu entwickeln.
Die Genossenschaft entwickelt praxisorientierte OSS-Module, fördert Standards und Interoperabilität, sichert die Unabhängigkeit der Netzbetreiber und verbessert die Effizienz und Transparenz in der Energiewirtschaft. Sie vereint Experten aus der Energiewirtschaft, Softwareentwicklung und Forschung. Mitglieder sind Netzbetreiber, die ihre spezifischen Anforderungen einbringen, und Entwickler, die diese Anforderungen in Form von Open-Source-Modulen umsetzen.
Transparenz für die Energiewende
Das Niederspannungsnetz ist der Bereich, in dem die meisten Endverbraucher direkt an das Stromnetz angeschlossen sind. Hier zeigt sich der Wandel der Energieversorgung besonders deutlich, weil immer mehr Haushalte Solarstrom in das Netz einspeisen und gleichzeitig neue Verbraucher wie E-Ladesäulen und Wärmepumpen das Netz zusätzlich belasten. Erschwerend kommt die mangelnde Transparenz hinzu, denn viele Netzbetreiber haben bislang keinen umfassenden Einblick in die Netzzustände auf der Niederspannungsebene.
Diese Situation führt oft zu nicht rechtzeitig erkannten Netzengpässen und Ineffizienzen, beispielsweise durch einen zu spät erfolgten oder nicht bedarfsorientierten Netzausbau, die sich mit steigender Dezentralisierung verstärken.
Die Lösung: Das Niederspannungscockpit
Das Niederspannungscockpit ist eines der Software-Entwicklungsprojekte von OpenKonsequenz. Es handelt sich um ein Softwaremodul, das Netzbetreibern einen umfassenden Überblick über die Zustände im Niederspannungsnetz gibt.
Das Cockpit schafft Transparenz, indem es Echtzeitdaten über Netzlasten, Engpässe und verfügbare Kapazitäten in Niederspannungsnetzen sammelt und sie auswertet. Die Software erkennt Grenzwertverletzungen rechtzeitig, alarmiert die Benutzer und kann Gegenmassnahmen entsprechend den regulatorischen Vorgaben einleiten. Sie fördert die Integration erneuerbarer Energien, indem sie einen beschleunigten Zubau dezentraler Erzeugungsanlagen ermöglicht.
Flexibilität und Skalierbarkeit sind dabei von zentraler Bedeutung: Als Open-Source-Lösung kann das Cockpit leicht an zukünftige Anforderungen angepasst und mit weiteren Modulen kombiniert werden.
Die Entwicklung des Niederspannungscockpits erfolgte in enger Zusammenarbeit zwischen Netzbetreibern, Softwareentwicklern und Forschungseinrichtungen. Der offene Entwicklungsprozess ermöglichte es, die Anforderungen der Praxis direkt in die Software einfliessen zu lassen.
Ein besonderer Fokus lag auf der Sicherheit: Die Einhaltung von BSI-Standards sowie umfassende Tests und Audits garantieren, dass die Lösung den hohen Anforderungen von kritischen Infrastrukturen genügt.
Die Deutsche Bundesnetzagentur sieht keinen Hinderungsgrund beim Einsatz von OSS, solange ausreichend technische und organisatorische Massnahmen (TOM) zum sicheren und zuverlässigen Betrieb der Software durch den Betreiber ergriffen werden.
Praxisbeispiele und Erfolge
Bei den Netzbetreibern EWE Netz GmbH und Netz Leipzig GmbH kommt das Niederspannungscockpit bereits als Prototyp zum Einsatz und zeigt Messdaten von ausgewählten Ortsnetzstationen an. Zudem wird die automatische Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen über Smart-Meter-Gateways im Laborbetrieb getestet. Die Netzbetreiber sind von den Visualisierungen und Funktionen des Niederspannungscockpits begeistert: Betriebszustände des Verteilnetzes werden endlich transparent dargestellt und Engpässe werden unverzüglich erkannt und behoben. Gleichzeitig können Kosten und Ressourcen eingespart werden, da eine optimierte Netzplanung auf Basis dieser verbesserten Datengrundlage Investitionen in zusätzliche Infrastruktur reduziert oder zeitlich nach hinten verschiebt. Auch das Integrationspotenzial ist höher: Betreiber können zusätzliche Verbraucher und Erzeuger in das Netz integrieren, da ihre Anlagen durch die Überwachung geschützt sind.
Das Niederspannungscockpit ist Teil eines grösseren OSS-Ökosystems, das von OpenKonsequenz vorangetrieben wird. Bereits existierende OSS-Module wie Betriebstagebuch, Bereitschaftsplanung, Störungsinformationstool oder Träger öffentlicher Belange werden schon von Netzbetreibern täglich genutzt. Weitere Module, etwa für die Netzleittechnik oder die Marktkommunikation, befinden sich in der Entwicklung. Ziel ist es, eine umfassende, modular aufgebaute Softwareplattform zu schaffen, die die Anforderungen der Energiewende an Netzbetreiber ganzheitlich adressiert.
Open-Source als Beschleuniger der Energiewende
Die Digitalisierung der Energiewirtschaft ist eine zentrale Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende. Open-Source-Software bietet hier eine echte Alternative zu proprietären Lösungen, indem sie Transparenz, Flexibilität und Innovationskraft fördert.
Mit Initiativen wie OpenKonsequenz zeigt die Branche, wie durch Zusammenarbeit und Offenheit zukunftsfähige Lösungen entstehen können. Das Niederspannungscockpit ist ein gutes Beispiel dafür, wie OSS dazu beitragen kann, die Herausforderungen der Energiewende zu meistern.
Der Erfolg von OpenKonsequenz und seiner Mitglieder beweist, dass Open-Source-Ansätze nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich tragfähig sind – und dass sie der Schlüssel sein können, um die Innovationsgeschwindigkeit in der Energiewirtschaft nachhaltig zu steigern.
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