Rückschau Erneuerbare Energien , Märkte und Regulierung , Sicherheit

Impressionen vom Stromkongress

Versorgungssicherheit im Fokus

26.01.2023

Rund 400 Interes­sierte trafen sich am 18. und 19. Januar zum 16. Schwei­ze­rischen Strom­kongress in Bern. Das Bran­chen­treffen stand aufgrund der Ereignisse im ver­gan­genen Jahr so stark wie nie zuvor im Zeichen einer sicheren Strom­versorgung. Erstmals sprach bei dieser Gelegen­heit auch der neue Uvek-Vorsteher Albert Rösti zu «seiner» Branche

Die Energiekrise meistern wir nur gemeinsam», eröffnete Energieminister Albert Rösti seine Grussbotschaft an die Branche. Er dankte den Anwesenden zudem dafür, dass sie sich der hehren Aufgabe annähmen, die Versorgungs­sicherheit sicherzustellen. Der Neo-Bundesrat machte klar, dass er die eingeschlagenen Pfade zumeist weiterverfolgen wolle, denn «wir werden mehr Energie brauchen, und zwar vor allem Strom. Und dieser Strom sollte in der Schweiz produziert werden». Eine Strom­import­strategie sei keine langfristige und nachhaltige Strategie für die Schweiz, weshalb der massive Zubau von Produktions­anlagen für Energie aus erneuerbaren Quellen vorangetrieben werden müsse. «Wir brauchen diese Zubauten. Und wir haben mit der Beschleu­nigungs­vorlage ein gutes Mittel, um allfällige Hinder­nisse aus dem Weg zu räumen, natürlich innerhalb des rechtlichen und politischen Rahmens.» Es müsse allen klar werden, dass solche Ausbau­projekte von nationalem Interesse seien und dass der Landschafts­schutz dabei u. U. hintanstehen müsse. Der Bedarf nach Strom nehme zwingend zu, wenn die Energie­produktion dekarbonisiert werde. Und diese Dekarbonisierung sei nötig, um den Klima­wandel aufzuhalten und um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. «Auch wenn es für diesen Winter gut aussieht, müssen wir kurzfristig alles tun, um genügend Strom produzieren zu können, denn der nächste Winter kommt bestimmt.» Langfristig gelte es aber, Klarheit zu schaffen, wo der Strombedarf effektiv anfalle und wo und wie dieser Strom hergestellt werden solle. «Und in dieser Frage bin ich durchaus Technologie-offen.»

Jetzt vorwärtsmachen

In seiner Begrüssungs­rede hatte VSE-Präsident Michael Wider den Anwesenden zuvor eine Fülle von Abhängigkeiten – wie beispielsweise das Verhältnis der Schweizerischen zur europäischen Stromwirtschaft, die Inter­dependenzen zwischen Markt und Regulierung oder die Bedeutung des Heute für die Zukunft – aufgezeigt, welche die Schweiz mehr oder weniger stark beeinflussen und reduzieren kann. Allesamt seien diese Abhängig­keiten zwar altbekannt, räumte Michael Wider ein, «ihre Effekte haben sich im letzten Jahr aber so deutlich gezeigt wie nie zuvor. Wir haben – als Branche, Gesellschaft, Politik – akuten Handlungs­bedarf in allen diesen Dimensionen». Wichtig sei nun jedoch, dass alle Beteiligten das Tempo verschärften: «Die Zeit rennt uns davon: Gelingt es uns nicht jetzt, die richtigen Priori­täten zu setzen, schaffen wir nicht nur keine Dekar­bonisierung, sondern gefährden die Versorgungs­sicherheit der Schweiz.» Der Präsident des VSE rief die Anwesenden auf, darob nicht den Mut zu verlieren: «Das soll uns nicht entmutigen, sondern ermutigen, unsere Zukunft jetzt zu gestalten.»

Ulrich Schmid, Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, ordnete dann den Angriffs­krieg Russlands gegen die Ukraine ein. Er zeigte dabei ebenso die Beweg­gründe des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf wie die Gründe, warum er damit keinen Erfolg haben werde. Besonders spannend waren seine Ausführungen zu den Auswirkungen des Konflikts auf die Energie­versorgung im Rest von Europa und in der Schweiz. So haben sich die Importe Europas von fossilen Energie­trägern aus Russland massiv reduziert. Kristian Ruby, Generalsekretär von Eurelectric, erläuterte, wie Europa wieder auf den vor der Energie­krise und dem Krieg in der Ukraine eingeschlagenen «grünen Pfad» des Green Deal einlenken kann. «Der Green Deal war und ist der Ausweg aus dieser Situation.» Es werde zwar eine holprige Fahrt, «aber es ist alternativlos – und wir können es».

Kurt Rohrbach, Delegierter der Wirtschaftlichen Landesversorgung ad interim, erläuterte den Anwesenden schliesslich, wie sich die Schweiz auf eine Mangel­lage vorbereitet. Und er mahnte, nun, da das Risiko einer solchen Strom­mangel­lage kleiner werde, nicht ins alte Fahrwasser zurückzukehren, denn «bloss, weil es ein Jahr lang nicht gebrannt hat, lösen Sie die Feuerwehr ja auch nicht auf.»

Von Rettungs­schirmen und Domino­effekten

Abschliessend diskutieren Roger Baillod, Johannes Teyssen und Thomas Sieber, die Verwaltungsratspräsidenten von BKW, Alpiq und Axpo, mit Moderator Urs Gredig über die momentane Situation in der Branche. Johannes Teyssen legte den Finger dabei auf viele wunde Punkte. So kritisierte er beispielsweise die Interpretation von rezessionsbedingtem Minderverbrauch als «Sparerfolg» und betonte, dass man beim Umbau des Energie­systems bereits viel weiter sein könnte, ja müsste. Auf die Frage nach der Verantwortung für die Versorgungs­sicherheit waren sich die drei Verwaltungsratspräsidenten einig, dass der Branche ein grosser Anteil daran zukomme. Bezüglich des Rettungs­schirms, den das Parlament im vergangenen Jahr beschlossen hatte, stimmten Johannes Teyssen und Thomas Sieber überein, dass das der richtige Schritt gewesen sei. Beide waren aber auch froh darüber, dass sie die Staats­unter­stützung letztlich nicht beziehen mussten. Roger Baillod – die BKW lehnte den Rettungs­schirm stets ab – ärgerte sich, dass sein Unternehmen nun auch für diesen Rettungs­schirm aufkommen muss, worauf Johannes Teyssen erwiderte, dass es zu einem Domino­effekt gekommen wäre, der auch die BKW betroffen hätte, wenn Axpo oder Alpiq effektiv nicht mehr genügend Liquidität zur Deckung des Handels am Strom­markt hätten aufbringen können. Alle drei waren sich schliesslich einig, dass der Umbau des Energie­systems nur gemeinsam zu bewältigen sei.

Gleiche Buchstaben, andere Aussage

Den zweiten Kongresstag eröffnete traditioneller­weise der Präsident der Eidgenössischen Elektrizitäts­kommission ElCom. Werner Luginbühl betonte, dass die ElCom in der Vorwoche keineswegs eine «Entwarnung» in der Frage nach der Energie­verfügbarkeit kommuniziert habe, sondern lediglich von einer «Entspannung» gesprochen habe. «Bei beiden Begriffen stehen am Anfang und am Ende viele gleiche Buch­staben. Was dazwischen steht unter­scheidet sich aber deutlich.» Der Winter dauere an, die Schweiz sei definitiv noch nicht über den Berg. Die Preise seien von den Rekord­höhen, welche sie im letzten Herbst erreicht hatten, zwar wieder herunter­gekommen, doch die Unsicher­heiten blieben hoch. «Vor allem im Hinblick auf den nächsten Winter bestehen immer noch sehr viele Unwägbarkeiten.» Thomas Marti, Leiter Netze und Berufsbildung beim VSE, erläuterte anschliessend die Erkenntnisse aus der VSE-Studie «Energiezukunft 2050». Diese untersucht mögliche Optionen zum Umbau des schweizerischen Energie­systems und deren Auswirkungen, insbesondere in Bezug auf die Erfüllung der Energie- und Klimaziele der Schweiz. Diese Branchen­studie wurde von der Empa als wissenschaftlicher Partnerin begleitet. Im Sommer soll die Studie um weitere Resultate zum Thema Netz ergänzt werden.

VSE-Präsident Michael Wider, Nationalrat Jürg Grossen sowie Jan Flückiger, Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Energie­direktoren (EnDK), diskutierten anschliessend, ob «wir die Kurve kriegen». Unbestritten war für alle drei, dass die Schweiz auch künftig Strom aus dem Ausland importieren und exportieren müsse. «Diesen Austausch müssen wir unbedingt beibehalten», betonte Grossen. «Denn er erlaubt uns, unsere Kraft­werke mit Exporten zu vergolden. Aber wir müssen unsere Verhandlungs­position mit der EU für Strom­importe stärken. Und das geht einfacher aus einer Position der Stärke, weshalb wir die heimischen Erneuerbaren unbedingt massiv ausbauen müssen.» Dass 2022 in der Schweiz 1 TWh PV-Produktion zugebaut werden konnte, verkündete der Präsident von Swissolar denn auch sichtlich erfreut. Michael Wider erklärte, dass die Produktion der Schweizer Gross­kraftwerke nicht auf die Grund­versorgung sondern systemisch ausgelegt sei. Im Insel­betrieb könne die Schweiz ihre Strom­versorgung nicht sicherstellen, zumal die Nachbar­länder der Schweiz ihre Infrastruktur derart ausbauten, um den Strom künftig um die Schweiz herum nach Süden zu transportieren. «Wir haben während der Monate Februar bis April Schwierigkeiten, weil unsere Stauseen dann leer sind. Diese Lücke müssen wir mit Zubau von Produktion aus erneuerbaren Quellen füllen.» Jan Flückiger rief in diesem Zusammen­hang in Erinnerung, dass zwei Drittel der Windkraft in den Winter­monaten geerntet werden könne und dass diese Energie­form daher eine gute Ergänzung sei.

Innovation in der Praxis

Peter Richner, stv. Direktor der Empa, machte den Auftakt zu einem Praxisblock zum Thema Innovation. Der Umbau des Energie­systems könne funktionieren, er sei aber anspruchsvoll. «Um ein resilientes Energie­system zu gestalten, gibt es nicht den einen Weg, sondern ganz viele verschiedene Ansätze.» Die angestrebte Elektrifi­zierung sei aber sicher richtig, denn Elektrizität sei nicht nur viel effizienter als fossile Energien, mit der Digitali­sierung stehe zudem ein echter Effizienz-Booster zur Verfügung. André Bally (Valion AG), Gerhard Salge (Hitachi Energy) sowie Tanja Vainio (Schneider Electric Schweiz) gaben anschliessend einen Einblick in die vielfältigen Tätigkeiten im Bereich der Energie­wende in ihren Unternehmen. Christoph Beuttler (Climeworks), Sébastien Cajot (Urbio) und Julian Münzel (Regli Energy Systems) vertraten mit ihren Start-ups anschliessend quasi die «jungen Wilden» und legten den Fokus speziell auf ihren inneren Antrieb, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Gemeinsam mit dem Freiburger Grünen-Nationalrat und Unternehmer Gerhard Andrey­diskutierten Richner und die sechs Referenten über das Thema Innovation.

Animierte Debatte

Bevor Zukunftsforscher Matthias Horx abschliessend auf das schaute, was uns künftig (wohl) erwartet, duellierten sich auf der Bühne Stella Jegher (Pro Natura), Jacques Mauron (Groupe E), Isabelle Stadelmann-Steffen (Professorin an der Universität Bern) sowie der FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen und Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder durchaus lustvoll zum Thema des Dilemmas der Akzeptanz bei Ausbauprojekten für erneuerbaren Energien. Weil diese Projekte oft einen Einfluss auf die Landschaft haben, plädierte Stella Jegher dafür, die Krise des Artensterbens als effektive Bedrohung anzuerkennen. «Die Bevölkerung steht hinter dem Landschaftsschutz. Punkto Akzeptanz muss man den Fokus möglicherweise erweitern und schauen, wo und wie wir weniger Energie verbrauchen können.» Isabelle Stadelmann ging mit ihr insofern einig, dass Infrastruktur­projekte, die der Bevölkerung breit abgestützt präsentiert werden, von dieser besser angenommen werden: «Daher finde ich, dass das Parlament mit der Solar­offensive einen verantwortungs­vollen demokratischen Entscheid gefällt hat.» Christian Wasserfallen betonte, dass er froh darüber sei, dass die Versorgungs­sicherheit nun endlich auf dem Tisch liege und dass das Parlament mit seinem Beschluss pro alpine Solar­produktion dieser Heraus­forderung Rechnung getragen habe.

Dieter Reichelt, Präsident von Electrosuisse, beendete den Kongress formell und äusserte den Wunsch, man möge sich am nächsten Stromkongress, der am 17. und 18. Januar 2024 stattfindet, wiedersehen.

Autor
Ralph Möll

war Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

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