Impressionen des neuen IEC-Generalsekretärs
Interview
Am 1. Februar 2020 trat der frühere Bakom-Direktor Philipp Metzger die Stelle des Generalsekretärs der Internationalen Elektrotechnischen Kommission IEC an. Im Interview gewährt er Einblicke in diesen Einstieg, der durch die Corona-Situation zusätzliche Herausforderungen bot. Und geht dabei unter anderem auf die Rolle der Digitalisierung ein.
Bulletin: Hat der Lockdown Ihren Einstieg erschwert?
Philipp Metzger: Ja und nein. Einerseits konnte ich nicht alle persönlichen Kontakte in dem Ausmass knüpfen, wie ich mir das vorgenommen hatte. Zwar hatte ich das Glück, das Management-Team und die meisten Mitarbeitenden während mehreren Wochen kennenzulernen, bevor wir in den Lockdown gingen. Was die Mitglieder der IEC angeht, besteht hingegen Nachholbedarf.
Andererseits konnten wir dank der Tatsache, dass die IEC schon seit vielen Jahren elektronisch arbeitet und Teile unserer IT-Infrastruktur vor nicht allzu langer Zeit neu aufgesetzt wurden, immerhin praktisch nahtlos weiterarbeiten. Hier spielt auch unsere interne Business Continuity Taskforce eine wichtige Rolle, welche wir kurzfristig aufgesetzt haben und welche sehr agil agiert.
Der praktisch komplette Wegfall der Dienstreisen gab mir grundsätzlich mehr Zeit zur Einarbeitung und für Führungsarbeit. Die Umwandlung der physischen in virtuelle Meetings war aber anspruchsvoll und aufwendig und bleibt mit gewissen Defiziten verbunden. Seit Anfang Juli sind die meisten unserer Mitarbeitenden mindestens zwei Tage pro Woche im Büro und ab Mitte September werden wir hoffentlich wieder alle mehr oder weniger vollzählig zusammenführen können.
Schliesslich hinterlässt die Pandemie auch bei uns finanzielle Spuren, aber die IEC steht auf einem soliden Fundament. Ich empfinde die Zusammenarbeit zwischen dem Treasurer, den Mitgliedern und dem Central Office gerade in diesem Bereich als äusserst konstruktiv, ja vorbildlich.
Wodurch unterscheiden sich Ihr Führungsstil und Ihr Fokus von dem Ihres Vorgängers Frans Vreeswijk, der ab 2012 als IEC General Secretary und CEO aktiv war?
Zum Führungsstil von Frans kann ich mich nicht direkt äussern. Ich habe ihn als offenen und zuvorkommenden Menschen kennengelernt, der die IEC nach bestem Wissen und Gewissen geführt hat.
Für mich sind eine klare, dezentralisierte Führungsstruktur sowie die Delegation von Aufgabenerfüllung und Rechenschaftspflicht besonders wichtig. Nur so können die Chefs stufengerecht agieren und die Mitarbeitenden sich entfalten und entwickeln, und nur so können wir als Team die sich stellenden Herausforderungen gesamtheitlich lösen. Gleichzeitig bin ich ein überzeugter Silo-Brecher, ich erwarte jederzeit abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Agilität, damit bestehende Strukturen und Prozesse bei Bedarf rasch angepasst werden können. Meine Erfahrung ist, dass in einem solchen Umfeld grosse Synergiegewinne anfallen und Teams sich in einen eigentlichen «Flow» steigern können. Gerade mit Blick auf die Digitalisierung ist dies matchentscheidend. Ich habe ein professionelles Team von Mitarbeitern geerbt, das auch während der Covid-19-Krise gezeigt hat, dass es voll für die IEC da ist. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir gemeinsam in die von mir skizzierte Richtung marschieren können. Gemessen werden wir letztlich an den Leistungen, welche wir für unsere Mitglieder erbringen
Wie hat sich die IEC unter Ihrer Führung verändert?
Ich bin jetzt sieben Monate im Amt, das ist eine relativ kurze Zeit. Ich bin nicht mit dem Anspruch angetreten, sogleich alles auf den Kopf zu stellen. In der Beantwortung Ihrer Frage muss man unterscheiden zwischen der IEC als mitgliedergetriebene Gesamtorganisation und dem Sektretariat, dem sogenannten Central Office. In Letzterem werden wir uns in Kürze eine neue Managementstruktur und neue Führungs- und Zusammenarbeitsprozesse geben; zudem müssen zahlreiche Abläufe digitalisiert werden.
Was die Organisation insgesamt angeht, war in den letzten Monaten natürlich die Anpassung an Covid-Bedingungen prägend. Ein zentraler, bereits vor meiner Wahl angedachter potenzieller Change-Vektor ist zudem die Überprüfung unserer Gouvernanz. Dieses Projekt ist von grosser Bedeutung und beansprucht mich zeitlich stark. Es geht darum, dass wir über zukunftsträchtige Entscheidungsstrukturen und -Prozesse verfügen. Die IEC ist ein Verein gemäss Schweizer Recht, unsere Mitglieder müssen sich in den Statuten und im Verfahrensreglement aufgehoben und in die Entscheidungsfindung einbezogen fühlen. Hier zeichnet sich Anpassungsbedarf ab, um die Entwicklungen in der Zusammensetzung und im Umfeld der IEC gebührend abzubilden und festgestellte Unzulänglichkeiten unserer heutigen «Verfassung» zu beheben.
Welche Entwicklungen stehen bei der IEC noch an?
Wir werden uns vermehrt mit der Ansprache und Motivierung von zusätzlichen Interessengruppen befassen müssen, wobei wir den Bekanntheitsgrad der IEC sowie die Nutzung von IEC-Standards und Konformitätsüberprüfungssystemen in der IEC fördern möchten.
In diesem Rahmen muss auch die gesellschaftliche Bedeutung der IEC stärker hervorgehoben werden. Dafür müssen wir klare Zusammenhänge zwischen breiten Öffentlichkeitsthemen und der Arbeit der IEC – dank des enormen Wissens unserer rund 20 000 Experten unser eigentliches Markenzeichen – schaffen und die Mitglieder in diese Kommunikation einbinden.
Sodann müssen wir unseren Blick bereits heute auf die Zeit über 2021 hinaus richten. Dies deshalb, weil die laufende Umsetzung unseres IEC-Masterplans nur bis Ende nächsten Jahres geplant ist. Unser Vorstand hat deshalb im Juni auf meinen Vorschlag hin eine Taskforce eingesetzt, welche den Masterplan und dessen Umsetzung evaluiert und Vorschläge machen soll, wie die künftige Strategie und die sich daraus ergebenden Aktionen aufzugleisen sind.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der IEC?
Ich habe oben bereits verschiedene digitale Herausforderungen skizziert. Digitalisieren ist schon lange ein Thema bei der IEC. Seit 1998 arbeitet die IEC elektronisch und war darin sozusagen ein Pionier unter den Standardisierungsorganisationen. Wir haben schon früh unseren Mitgliedern und Experten neue Applikationen per Internet angeboten, um die Zusammenarbeit, Konsensfindung und Abstimmungen zu vereinfachen. Wir tun dies natürlich weiterhin; im Rahmen von Covid hat sich dieser Trend noch beschleunigt. Gerade im IT-Bereich arbeiten wir seit mehreren Jahren vermehrt mit der ISO zusammen, um unseren Mitgliedern auch in der Zukunft effiziente und kostengünstige, State-of-the-Art digitale Lösungen anbieten zu können.
Digitalisierung ist ein zentrales Thema für unseren «Maschinenraum», d. h. die vielen technischen Standardisierungskomitees und die Konformitätsüberprüfungssysteme. Diese tragen sowohl im Bereich Hardware als auch bei der Software massgeblich zum sicheren digitalen Wandel der Energie, Gesellschaft, Gesundheit, Industrie und Transport bei. Wichtige Stichworte sind hier etwa «online authoring» und «machine readable standards».
Welche Themen werden bei der IEC heute besonders intensiv diskutiert?
Die Zusammenarbeit mit anderen Stakeholdern, ob Foren, Konsortien oder andere Standardisierungsorganisationen, nimmt an Bedeutung zu. In diesem Rahmen haben wir die Normalisierung auf Systeme ausgeweitet und erlauben Interessengruppen, direkt ihr Wissen und ihre Kenntnisse einzubringen, um gemeinsam die bestmöglichen Lösungen zu erarbeiten. Dieser Ansatz betrifft eine steigende Anzahl von Systemen, von der intelligenten Stadt über intelligente Transportwesen, Smart Grid, bis hin zu Industrie 4.0. Tatsache ist: Keine der Standardisierungsorganisationen kann im Alleingang alle Normen erarbeiten, die benötigt werden.
Vermehrt sind auch weniger technische Themen, insbesondere die Sustainable Development Goals und der Klimawandel, auf unserem Radar, sowohl in unserem technischen Schaffen, als auch auf Stufe Policy und in der externen Kommunikation.
Was erwarten Sie vom 84. General Meeting, das in reduzierter Form in Genf stattfinden wird?
Dass die IEC einmal mehr unter Beweis stellt, wie handlungsfähig sie auch unter sich verändernden Bedingungen bleibt. Noch vor ein paar Wochen hatten wir gehofft, unsere Mitglieder in Genf persönlich begrüssen zu dürfen. Trotz des wegen Covid reduzierten Umfangs hätten wir einen attraktiven Ablauf unseres General Meetings anbieten können – auch dank tatkräftiger Unterstützung durch Electrosuisse. Leider haben aber die neusten weltweiten Entwicklungen der Pandemie einen Strich durch unsere Rechnung gemacht, wir werden nun ein rein virtuelles Meeting abhalten. Dass dies auch für die statutarische Generalversammlung möglich ist, ist dem gemeinsamen Willen der IEC-Mitglieder und den guten, von den Schweizer Behörden angesichts der aktuellen Krise sehr rasch verabschiedeten Rechtsgrundlagen zu verdanken.
Zur Person
Philipp Metzger ist seit Februar 2020 Generalsekretär und CEO der Internationalen Elektrotechnischen Kommission IEC. Bis Ende Januar 2020 war er Direktor des Bundesamts für Kommunikation (Bakom). Metzger war 2007 als Vizedirektor ins Bakom eingetreten und 2012 stellvertretender Direktor geworden. Nach einem Einsatz bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) im Jahr 2013 ernannte ihn der Bundesrat auf Anfang 2014 zum Direktor des Bakom.
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IEC, 1211 Geneva
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