Interview Energiemarkt , Erneuerbare Energien , IT für EVU

«Ich will wirklich nicht von Disruption sprechen, aber ...»

Interview mit Philipp Elkuch

04.09.2019

Philipp Elkuch ist IT-Manager und Präsident des Verwaltungsrats eines Energieversorgungsunternehmens. Er kennt die Branche und ihre Nöte folglich sowohl von operativer als auch von strategischer Seite her. Im Interview legt er dar, welchen Weg die Energieversorger gehen müssen, um ihr Geschäft weiterbetreiben zu können.

Bulletin: Philipp Elkuch, von der Digitalisierung zur Disruption ist es nicht weit. Sind Energieversorgungsunternehmen bedroht?

Philipp Elkuch: Die Angst, dass morgen aufgrund der Digitalisierung alles anders ist, kann ich in vielen Bereichen nachvollziehen. Den inflationären Gebrauch des Begriffs der Disruption halte ich jedoch für übertrieben. Eine differenzierte Betrachtung ist hierbei angezeigt.

Aber die Situation für EVUs wird sich verändern?

Ich gehe von zwei parallel existierenden Energiesystemen aus: Wir werden einerseits das bisherige, vertikal aufgebaute System haben. Darin produzieren im Wesentlichen grosse Kraftwerke Strom, der anschliessend gehandelt, übertragen und verteilt wird. Daneben wird es aber auch ein neues, dezentrales, horizontal ausgerichtetes System geben. In Letzterem werden sehr viele kleine, smarte Komponenten unterei­nander Energie und Informationen austauschen.

Wo sehen Sie beim horizontalen System die Herausforderungen?

Hier tauscht eine Vielzahl an Teilnehmern und Komponenten viel mehr Informationen miteinander aus als im vertikalen System. Diesen Austausch technisch und kommerziell zu ermöglichen, ist die grosse Herausforderung.

Wie können die Marktteilnehmer diese Herausforderung bestehen?

Um Energie direkt mit anderen Teilnehmern auszutauschen, bieten sich entsprechende Peer-to-Peer-Plattformen an. Eine solche Plattform ist aber sehr komplex. Denn sie muss die Koordination von sehr vielen Teilnehmern ermöglichen. Die Blockchain-Technologie eignet sich hierfür sehr gut. Sie ist im Wesentlichen eine verteilte Datenbank mit Daten darüber, welche Transaktionen bisher zwischen den Marktteilnehmern ausgeführt wurden. Zu dieser Datenbank kann im Prinzip jeder Akteur neue Informationen hinzufügen, aber die bestehenden Daten können nicht verändert werden.

Wo stehen wir in dieser Entwicklung in der Strombranche?

Wir sind noch lange nicht dort, wo wir hinwollen. Im Moment erschweren zwei Faktoren den grossflächigen Einsatz solcher Plattformen: regulatorische Barrieren einerseits sowie das Fehlen einer smarten Infrastruktur auf der Verteilnetzebene anderseits.

Welche regulatorischen Hindernisse meinen Sie?

Wir bewegen uns nach wie vor in einem nur teilliberalisierten Strommarkt. Damit eine solche Plattform wirtschaftlich betrieben werden kann, ist aber die volle Marktöffnung nötig, damit der freie Netzzugang für alle Kunden gewährleistet wird.

Zum zweiten Kriterium: Der Smart-Meter-Rollout ist in der Energiestrategie 2050 explizit vorgesehen.

Er ist auch dringend nötig. Wenn der Energieaustausch automatisiert werden soll, muss er gemessen werden können – und zwar automatisch und absolut präzise. Nur wenn exakte Daten in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden, kann eine solche Plattform funktionieren.

Gibt es schon Test-Erfahrungen mit solchen Plattformen?

Im Moment finden sehr viele Versuche und Tests auf der Ebene eines Proof of Concepts oder eines Pilotprojekts statt, allerdings in sehr begrenztem Umfang. Das Quartierstrom-Projekt in Walenstadt ist ein gutes Beispiel dafür. Solche Projekte sind notwendig, um zu lernen, wie diese Plattformen funktionieren und wie sie beim Endkunden Mehrwert schaffen. Damit sie aber wirtschaftlich betrieben werden können, braucht es Skalen, also eine bestimmte Grösse.

Sind diese geforderten Dimensionen in einem durch und durch kleinteilig organisierten Land wie der Schweiz überhaupt möglich?

Damit Skaleneffekte in der Schweiz möglich sind, müssen in der Tat die grossen Akteure zusammenspannen. Oder es gelingt einem Marktteilnehmer, eine dominante Plattform zu etablieren. Diese muss aber allen zur Verfügung stehen und darf folglich keinen regulatorischen Einschränkungen unterliegen. Wird eines dieser beiden Szenarien Realität, kann dies das Wachstum des horizontalen, sprich dezentralen Anteils an der Energiewirtschaft stark fördern. Das wäre ja auch ganz im Sinne der Energiestrategie 2050.

Auf Kosten des vertikalen Anteils?

Wir werden auch in Zukunft Grosskraftwerke sowie den Handel und den Austausch auf der Hochspannungs­ebene haben. Gleichzeitig müssen wir aber Handel und Austausch auf den tieferen Spannungsebenen ermöglichen. Die automatisierte Optimierung des Energieverbrauchs auf unteren Spannungsebenen wäre ein zusätzlicher Mehrwert des «horizontalen» Systems. Beispiele dafür wären, den Strom dann zu nutzen, wenn er vorhanden ist, oder etwa die dezentrale Speicherung des Stroms in Elektrofahrzeugen.

Ein zentrales Thema bei solchen Lösungen ist jeweils die Sicherheit. Wo liegen da die grössten Herausforderungen?

Das ist ein spannendes Feld. Denn hier wachsen die bisher hardware-lastige Operational Technology (OT) und die IT zusammen. Das müssen sie auch, damit ein EVU sein übergeordnetes Ziel – Energie zu produzieren und Energiedienstleistungen anzubieten – weiterhin verfolgen kann. Die Sicherheitsmassnahmen für meinen persönlichen Arbeitsplatz unterscheiden sich natürlich von jenen für das Leitsystem in einem Kraftwerk. Aber die übergeordnete Strategie, welche die grundsätzliche IT-Sicherheit sowohl in einem Kraftwerk als auch am Arbeitsplatz sicherstellt, muss eine gemeinsame sein.

Stellen Sie da ein Umdenken fest?

Ja. Früher schaute jeder für sich. Die eine Division kümmerte sich um die Wirtschafsinformatik, die andere um die Leittechnik in Kraftwerks- und Netzanlagen. Heute wachsen diese Welten zusammen – einerseits getrieben von der Horizontalisierung, anderseits aber auch von der Digitalisierung im vertikalen System.

Was kann die Blockchain, was andere Technologien nicht können?

Grundsätzlich ist die Blockchain eine «enabling Technology». Sie ermöglicht, dass all die vielen Teilnehmer und Komponenten, die in einem dezentralen System miteinander funktionieren sollen und aufeinander abgestimmt werden müssen, zusammenspielen können.

Also Stromerzeugung, -handel und -versorgung via Internet of Things?

Lassen Sie mich etwas fantasieren: Alle technischen und regulatorischen Schwierigkeiten sind gelöst, und nun baut jemand eine solche Plattform. Auf dieser kann ich zentral kaufen, was dezentral produziert worden ist. Ich will wirklich nicht von Disruption sprechen, aber ein solches horizontales System wächst unweigerlich auf Kosten des vertikalen Systems.

Welche Auswirkungen hätte das?

Als grosser Player am Energiemarkt muss ich mich fragen: «Was geschieht, wenn jemand eine solche Plattform etabliert und ich nicht dabei bin?» Über kurz oder lang werden mir Anteile an Erzeugung und Übertragung aus meinem Geschäftsmodell wegbrechen. Die grossen Player in diesem Bereich sollten sich daher intensiv mit diesen Möglichkeiten befassen – und das Ganze als Chance betrachten. Denn, dass es so kommen wird, davon bin ich überzeugt.

Passt auch die Elektromobilität in dieses System?

Selbstverständlich. Neben den wachsenden horizontalen Systemen spielt die individuelle Mobilität eine wichtige Rolle. Ein Auto ist dabei nichts anderes als eine elektrische Komponente, welche Informationen in beide Richtungen austauscht. Die Bedeutung horizontaler Systeme wird so zusätzlich verstärkt. Ich kann beispielsweise die Kapazität meiner Autobatterie über eine Plattform anbieten, welche diese dann verwertet.

Ein solches Szenario hat aber einschneidende Auswirkungen auf das bestehende Netz. Es wäre keine Einbahnstrasse mehr.

Das ist eine Herausforderung. Bisher wurde das Verteilnetz punktuell verstärkt, wo es nötig war: beispielsweise, wenn in einer Stadt ein neues Quartier entstand. Neu kann es aber sein, dass etwa ein Landwirtschaftsbetrieb, der bisher fünf Kilowatt Anschlussleistung bezog, plötzlich ein Vielfaches davon aus Photovoltaik ins Netz zurückspeist. Dabei entstehen komplett andere Lastflüsse. Sie bedingen, dass das Verteilnetz nicht nur verteilt, sondern auch überträgt. Dank der Digitalisierung können wir diese neuen Lastflüsse aber besser kontrollieren und in Echtzeit effizient steuern. Ich bin also optimistisch, dass wir diese Herausforderung meistern werden.

Autor
Ralph Möll

war Kom­mu­ni­kations­spezia­list beim VSE.

Zur Person

Philipp Elkuch ist seit 2013 Managing Partner und Geschäftsführer von DXC Technology Switzerland GmbH. Seit 2016 ist er ausserdem Präsident des Verwaltungsrats der Liechtensteinischen Kraftwerke LKW. Daneben nimmt er auch Einsitz im Vorstand von ICT Switzerland, dem Dachverband der ICT-Wirtschaft in der Schweiz. Philipp Elkuch ist diplomierter Maschinenbauingenieur ETH und verfügt ausserdem über einen MBA.

pelkuch@dxc.com

Kommentare

Was ist die Summe aus 6 und 2?