Interview

«Ich bin genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen»

Interview mit Benoît Revaz

01.10.2017

Seit einem Jahr ist der Walliser Direktor des Bundesamtes für Energie BFE. Zeit, um auf seine ersten zwölf Monate im Amt zurückzublicken, und willkommener Anlass, um einen Blick in die Zukunft zu wagen.

Bulletin: Am 1. Oktober 2016 haben Sie die Leitung des BFE übernommen. Welche Erwartungen hatten Sie an Ihre neue Aufgabe?

Benoît Revaz: Ich wollte zur Umsetzung der Energiewende beitragen. Das Parlament hat am Tag vor meinem Stellenantritt die Energiestrategie verabschiedet. Ich bin also genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

Sind Ihre Erwartungen bisher erfüllt worden?

Ja, es ist eine spannende Zeit.

Wie haben Sie den Wechsel von der Privatwirtschaft zur Bundesverwaltung erlebt?

Ich war überrascht, wie viele Dossiers in der Verwaltung bearbeitet werden – und wie rasch. Die Intensität, die Vielfältigkeit der Themen und der Umfang der Aufgaben des Staates haben mich ebenfalls beeindruckt. Die Umsetzung eines Gesetzes zu gewährleisten und dabei dem Geist des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers Rechnung zu tragen, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Welches waren Ihre grössten Herausforderungen in diesem ersten Jahr?

Am herausforderndsten war zu Beginn, mich in die verschiedenen Dossiers einzuarbeiten und Prioritäten zu setzen.

Was freute Sie am meisten?

Ein Erfolg war eindeutig der positive Ausgang der Abstimmung über das neue Energiegesetz mit dem klaren Ja an der Urne am 21. Mai. Dieses Gesetz stellt die Weichen für die Energiestrategie 2050 und ist seit mehreren Jahren die grösste Baustelle des Bundesamtes. 230 Stunden wurde es im Parlament diskutiert und 500 Anpassungen sowie 25 Berichte hat es zur Umsetzung bis heute gebraucht.

Welche Dossiers liegen Ihnen besonders am Herzen? Und warum?

Die Umsetzung des Energiegesetzes per 1. Januar 2018, das künftige Modell des Strommarktes sowie die Revision des Wasserzinsregimes. Diese drei Dossiers werden in der Zukunft wegweisend für unser Land sein.

Eine Ihrer Haupttätigkeiten besteht darin, die Energiezukunft der Schweiz umzusetzen. Wie sieht diesbezüglich Ihre Vision aus?

Die Schaffung der Voraussetzungen zur Konsolidierung einer sicheren und nachhaltigen, wirtschaftlich tragbaren Energieversorgung ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag. Dessen Umsetzung ist jedoch komplex: Es ist eine riesige Herausforderung, eine wichtige Energiequelle wie die Atomkraft aufzugeben, die Energieeffizienz zu steigern, die Entwicklung erneuerbarer Energieträger anzukurbeln und gleichzeitig die energetische Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren.

Wie viele Personen beschäftigen sich beim BFE mit der Energiestrategie  2050?

Mehrere Dutzend Fachleute arbeiten an den Verordnungen, aber das ganze Bundesamt ist irgendwie involviert, zum Beispiel in Bezug auf die Entwicklung von Netz und Infrastrukturen, die Zukunftsforschung betreffend die Digitalisierung oder bei Klimafragen.

Die Strombranche leidet unter den tiefen Marktpreisen. Denken Sie, dass sich hier etwas ändern wird?

Nicht die ganze Branche leidet gleich unter den tiefen Preisen auf dem Markt. Die Situation variiert je nach Wertschöpfungskette und Unternehmensstrategien. Zahlreiche Faktoren wirken sich auf die Preismechanismen aus. Das BFE führt bei den Wasserkraftproduzenten momentan eine Umfrage zu ihrer wirtschaftlichen Situation durch.

Gibt es Neuigkeiten zum Stromabkommen mit der EU? Wer könnte diese Diskussionen vorantreiben?

Seit zehn Jahren wird über ein Stromabkommen diskutiert. Einige Punkte müssen angepasst werden, damit es unterschriftsreif wird. Der Abschluss eines institutionellen Abkommens mit der Europäischen Union bleibt aber zentral, um weiter voranzukommen.

Sie verfügen über langjährige Erfahrung auf dem internationalen Parkett. Inwiefern könnte diese Erfahrung zur Schaffung eines Stromabkommens beitragen?

Es handelt sich bei den Arbeiten zum Abkommen um Teamarbeit, aber internationale Erfahrung ist tatsächlich nützlich, um diese Diskussionen voranzutreiben.

Und wie sieht es punkto Marktöffnung aus? Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Die Marktöffnung wird weiterhin angestrebt. Sie hängt aber sehr stark mit einem allfälligen Stromabkommen zusammen. Das BFE wird Ende Jahr einen Bericht zu diesem Thema vorstellen.

Welche weiteren Massnahmenpakete sieht die Energiestrategie  2050 vor?

Die Strategie Stromnetze ist eines davon. Auch die Revision des CO2-Gesetzes oder das Marktdesign sollen dazu beitragen, die gesteckten Ziele zu erreichen.

Welchen Grad der Selbstversorgung sollte die Schweiz im Jahr 2035 erreichen?

Wenn man von Selbstversorgung spricht, meint man vor allem die Selbstversorgung mit Elektrizität. Die Fragestellung ist aber umfassender. Die Schweiz deckt zwei Drittel ihres Energieverbrauchs aus fossilen Energieträgern, was sie stark vom Ausland abhängig macht. Die Selbstversorgung hängt von der Flexibilität der Produktion sowie von den Kapazitäten bei Speicherung, Transport und Vernetzung ab. Das proaktive Nachfragemanagement und die neuen dezentralen Speichermöglichkeiten werden zur Versorgungssicherheit beitragen. Problematisch wird es nur während einigen Dutzend Stunden im Winter. Es gibt Notstromaggregate, bestehende Kapazitäten, die momentan nicht genutzt werden, deren Flexibilität aber bei Bedarf eingesetzt werden könnte.

Welches sind die wichtigsten Herausforderungen, denen sich das BFE in den nächsten Jahren stellen muss?

Die Digitalisierung eröffnet neue Perspektiven. Es sind Rahmenbedingungen zu formulieren, die einen sicheren Regulierungsrahmen für diese rasche Entwicklung gewährleisten, ohne sie damit zu bremsen. Das ist eine komplexe Angelegenheit. Die Konvergenz von Energien und Infrastrukturen bildet ebenfalls ein umfangreiches Dossier. Nicht vergessen werden dürfen auch die Verwaltung des Gasmarktes sowie die Mobilität.

Welchen Wunsch hegt der Direktor des BFE für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass wir den gleichen Mut wie unsere Vorfahren im 20. Jahrhundert haben. Denn sie haben die Infrastrukturen geschaffen, auf die wir uns noch heute verlassen können. Unsere Generation muss den Übergang zu einem effizienteren Ansatz mit klar definierten, möglichst geringen Auswirkungen auf die Umwelt schaffen, der für unser Land wirtschaftlich sinnvoll ist. Es geht um die Kombination verschiedener Lösungen und nicht um einen Wettbewerb.

Autorin
Céline Reymond

war vom 1. Januar 2013 bis 31. Januar 2020 Mediensprecherin und Redaktorin VSE.

  • VSE, 5000 Aarau

Zur Person

Benoît Revaz arbeitete in verschiedenen Funktionen in den ehemaligen Entreprises Electriques Fribourgeoises (heute Groupe E). Zudem war er Mitglied der Generaldirektionen der EOS Holding und der Alpiq Holding SA sowie Senior Advisor des auf Energie- und Umweltfragen spezialisierten Beratungsunternehmens E-Cube Strategy Consultants. Er verfügt über ein Lizenziat in Rechtswissenschaften und einen Executive Master of Science in Communications Management.

www.bfe.admin.ch

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