Hohes Einsparpotenzial in Verteilnetzen
SAK und ABB Technikerschule untersuchen in einer Diplomarbeit die Vorteile amorpher Transformatoren.
Untersuchungen der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke AG (SAK) haben die Energieübertragung im Verteilnetz der Netzebenen 4 bis 7 untersucht. Dabei sind sie auf erhebliches Einsparpotenzial gestossen.
Mit dem Ziel, das Verteilnetz auf mögliches Einsparpotenzial hin zu überprüfen, haben die SAK vor rund drei Jahren ein strategisches Projekt lanciert. Dabei ermittelte das Engineering der SAK die einzelnen Netzverluste verteilt auf die Netzebenen und hielt gleichzeitig das mögliche Optimierungspotenzial fest.
Die Ermittlung der gesamten Übertragungsverluste war aufgrund der installierten Energiemessungen an den Ein- beziehungsweise Ausspeisepunkten unproblematisch. Die Verlustverteilung auf die einzelnen Netzebenen konnte hingegen nur mittels aufwendiger Berechnungen festgestellt werden. Die Ergebnisse zeigten insbesondere in den Transformationsnetzebenen (NE 4 und 6) hohe Verluste. Aufgrund dieser Untersuchungsergebnisse lag der Fokus in erster Linie auf den rund 1200 installierten Ortsnetztransformatoren, welche wesentliches Energieeinsparpotenzial versprachen. Dies veranlasste die SAK, das Einsparpotenzial der Netzebene 6 an der ABB Technikerschule im Rahmen einer Diplomarbeit [1] eingehender untersuchen zu lassen.
Theoretisches zu Transformatoren
Klassische Drehstromortsnetztransformatoren bestehen in der Regel aus einem magnetisch leitfähigen Eisenkern mit drei Schenkeln, auf welchen sich je eine Ober- beziehungsweise Unterspannungswicklung befindet. Diese sind den Bedürfnissen entsprechend auf der Oberspannungsseite in Dreieck und auf der Unterspannungsseite in Stern geschaltet. Transformatoren sind keine idealen Maschinen und weisen Übertragungsverluste auf. Diese setzen sich aus den belastungsabhängigen Wicklungs- respektive Kurzschlussverlusten und den belastungsunabhängigen Eisenverlusten zusammen. Die Eisenverluste im Transformatorenkern lassen sich wiederum in Hysterese- beziehungsweise Ummagnetisierungsverluste sowie die durch die Wechselfelder entstehenden Wirbelstromverluste unterteilen. Der Einsatz ferromagnetischer Werkstoffe beeinflusst die Hystereseverluste positiv. Eine Reduktion der Wirbelstromverluste erreicht man durch die Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit des magnetischen Eisenkerns durch die elektrisch isolierte Schichtung von Trafoblechen (lamellierter Eisenkern). Während die belastungsabhängigen Wicklungsverluste quadratisch mit der Transformatorenbelastung zunehmen, bleiben die Eisenverluste während des Betriebes konstant. Unbelastete Transformatoren weisen entsprechend hauptsächlich Eisenverluste auf. Mit zunehmender Belastung steigen die Wicklungsverluste quadratisch und liegen bei rund 25 bis 35 % der Bemessungsbelastung in der Grössenordnung der Eisenverluste.
Die Eisen- und insbesondere die Wirbelstromverluste lassen sich durch die Dicke der eingesetzten Trafobleche beeinflussen. Die meistens verwendeten kornorientierten Standardbleche sind 0,25 bis 0,35 mm stark und werden mit einer Silikat-Phosphatschicht gegenseitig isoliert. Amorphe Kernbleche haben eine Dicke von rund 0,025 mm. Sie sind im Vergleich zu den klassischen Trafoblechen viel dünner, was die Wirbelstrombildung im Eisenkern reduziert. Zudem wird bei der Herstellung amorpher Bleche die Schmelze sehr schnell abgekühlt, wodurch sich die einzelnen Atome nicht mehr strukturiert anordnen können. Dadurch entsteht eine ungeordnete (amorphe) Kornstruktur, welche sich auch positiv auf die Hystereseverluste auswirkt. Durch Einsatz von Trafokernen mit amorphen Blechen lassen sich die Eisenverluste gegenüber konventionellen Trafoblechen signifikant um bis zu 70% reduzieren.
Aufgrund der nur geringen Dicke amorpher Bleche sowie deren Sprödheit ist die Verarbeitung im Vergleich zu herkömmlichen Kernblechen aufwendiger. Zudem sind besondere Massnahmen bei der Kernkonstruktion erforderlich, damit sich die extrem dünnen Trafobleche bei Kurzschlüssen infolge magnetischer Kräfte nicht lösen, was zu möglichen Teilentladungen führen kann. Ein weiterer Nachteil amorpher Bleche ist deren höherer Geräuschpegel, welcher durch die netzfrequente Ummagnetisierung – sogenannte Magnetstriktionen – entsteht und ausgeprägter als jener klassischer Kernmaterialien ist. Die Vergrösserung des Eisenkerns und die damit verbundene Reduktion der magnetischen Flussdichte sowie die besondere Berücksichtigung der mechanischen Eigenschwingungsfrequenz des Transformators beeinflussen den Geräuschpegel auch bei amorphen Transformatoren positiv.
Der maximale Wirkungsgrad eines Transformators wird dann erreicht, wenn die belastungsunabhängigen Eisenverluste gleich hoch wie die belastungsabhängigen Wicklungsverluste sind. Aufgrund dieses physikalischen Zusammenhangs besteht ein Wirkungsgradvorteil der amorphen Technologie insbesondere bei niedrig belasteten Transformatoren.
Aufschlussreiche Untersuchungsergebnisse
Die Studenten der ABB Technikerschule haben sich in diesem Projekt mit dem möglichen Optimierungspotenzial bei Ortsnetztransformatoren von SAK auseinandergesetzt. Dabei waren unter anderem Antworten auf diese beiden Leitfragen gesucht:
- Wie hoch ist das jährliche Energieverlusteinsparpotenzial, wenn sämtliche Ortsnetztransformatoren bei SAK mit amorphem Kernmaterial konstruiert würden?
- Soll die SAK zukünftig Ortsnetztransformatoren mit amorphem Kernmaterial einsetzen?
In einem ersten Schritt wurden die Altersstruktur sowie das Ortsnetztransformatoren-Portfolio der SAK analysiert. Auffallend in dieser Analyse ist insbesondere die Altersverteilung, welche eine überdurchschnittliche Anzahl alter Transformatoren im Verteilnetz der SAK aufzeigt . Die ältesten Geräte stammen aus dem Jahr 1966 und sind somit bereits 50 Jahre alt. Ebenfalls zeigt die Verteilung, dass rund 450 der insgesamt 1215 Transformatoren, welche die SAK einsetzen, in den 1980er-
Jahren oder früher produziert worden sind. Diese Betriebsmittel weisen im Vergleich zu den später produzierten wesentlich höhere Verluste auf, da erst danach ein Entwicklungssprung bezüglich der Verlustreduktion bei Ortsnetztransformatoren gelang.
Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse gruppierten die Diplomanden die Ortsnetztransformatoren bezüglich ihrer Verluste und ordneten ihnen die entsprechenden Eisen- beziehungsweise Belastungsverluste bei Bemessungsbetrieb zu. Um die belastungsabhängigen Wicklungsverluste quantifizieren zu können, mussten sie die entsprechenden Lastprofile ermitteln. Aufgrund fehlender Lastgangdaten innerhalb der einzelnen Transformatorenstationen, welche eine einfache Ermittlung der einzelnen Transformatorenlastprofile ermöglicht hätte, mussten die Lastprofile berechnet werden. Dazu wurden die Lastprofile jener 110-/20-kV-Unterwerke herangezogen, von welchen aus die einzelnen Transformatorenstationen versorgt werden. Die Kombination der Unterwerkslastprofile mit den einzelnen maximalen Belastungswerten der Ortsnetztransformatoren, welche im Rahmen der ordentlichen Inspektion erfasst werden, gestattete eine realistische Lastprofilnachbildung und somit die Feststellung der lastabhängigen Verluste der installierten Transformatoren. Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurden die gesamte Verlustleistung sowie die jährliche Verlustenergie der heute installierten Ortsnetztransformatoren berechnet. Zudem berechneten die Diplomanden die Verlustwerte folgender zwei Szenarien:
- klassisch: Ersatz der «alten» beziehungsweise der mit grossen Verlusten behafteten Ortsnetztransformatoren durch heutige Geräte klassischer Bauart
- amorph: Ersatz sämtlicher Ortsnetztransformatoren durch solche mit amorphen Kernblechen
Auffallend an dieser Untersuchung sind insbesondere die massiven Auswirkungen auf die Eisenverlustleistungen, welche mittels Einsatz moderner Ortsnetztransformatoren stark zu reduzieren wären. Beim Szenario «klassisch» ist eine jährliche Verlustenergieeinsparung von rund 2200 MWh gegenüber heute möglich, und sogar 4300 MWh beim Szenario «amorph». Um diese Energieübertragungsverluste mittels Photovoltaikanlagen zu decken, wären zirka 27 000 Quadratmeter Photovoltaikpanelflächen notwendig.
Investieren oder nicht?
Die strategische Zielsetzung der SAK sieht eine Minimierung der Energieübertragungsverluste vor, sofern die dazu nötigen Massnahmen wirtschaftlich tragbar sind. Vor diesem Hintergrund und auf der Basis der neu gewonnenen Erkenntnisse überprüfte das Unternehmen im Anschluss, ob die Modernisierung des Geräteparks umsetzbar ist. Zur Überprüfung der Lärmemissionen und der Abmessungen installierte die SAK in einem ersten Schritt zu Testzwecken je einen 400- beziehungsweise 630-kVA-Transformator mit amorphen Trafokernen von zwei unterschiedlichen Lieferanten. Ziel dieses Tests war, herauszufinden, ob ein genereller Einsatz solcher Betriebsmittel überhaupt möglich ist. Die Ergebnisse zeigten, dass die anfängliche Skepsis insbesondere bezüglich der Lärmpegel amorpher Ortsnetztransformatoren unbegründet ist und einem generellen Einsatz nichts im Wege steht.
Um die Wirtschaftlichkeit zu überprüfen und um die Beschaffungspreise sowohl für die klassische als auch amorphe Bauart zu erhalten, schrieben die SAK die Transformatoren öffentlich aus. Mit dem Ziel, die gesamtwirtschaftlich beste Lösung zu finden, führte das Asset Management der SAK umfangreiche Analysen durch. Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und als Vergleich der verschiedenen Einsatzvarianten der Transformatoren zogen die Verantwortlichen die Lebenszykluskosten über 40 Jahre, welche mittels Barwertmethode berechnet worden waren, heran. Nebst den Beschaffungspreisen spielen auch der Zinssatz zur Diskontierung sowie die Kostengrundlage zur Bewertung der Transformatorenverluste eine entscheidende Rolle.
Die Schwierigkeit liegt insbesondere in der Einschätzung der Energie- und Netznutzungspreisentwicklung innerhalb der nächsten 40 Jahre. Um trotzdem einen Systementscheid treffen zu können, wurde mittels Sensitivitätsanalyse und auf Basis firmeninterner Energiekostenentwicklungseinschätzungen verschiedene Lebenszyklusberechnungen für klassische und amorphe Ortsnetztransformatoren durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass sich der Einsatz von Transformatoren mit geringen Eisenverlusten im Versorgungsgebiet der SAK auch bei unterschiedlichen Verlustenergieansätzen innerhalb eines Lebenszyklus lohnt. Deshalb stand einem generellen Einsatz amorpher Ortsnetztransformatoren in neuen Anlagen nichts mehr im Wege. Es stellte sich nur noch die Frage, was nun mit den «alten» und ineffizienten Transformatoren geschehen soll. Auch in diesen Fällen hat die Wirtschaftlichkeitsanalyse eindeutige Ergebnisse zugunsten neuer verlustarmer Transformatoren geliefert. Aus diesem Grund werden die alten Geräte im Rahmen der Möglichkeiten systematisch ersetzt und der Ortsnetztransformatorenpark insgesamt modernisiert.
Fazit/Ausblick
Der Einsatz von Ortsnetztransformatoren mit amorphen Kernblechen und somit geringen belastungsunabhängigen Eisenverlusten kann gesamtwirtschaftlich und innerhalb eines Betriebsmittellebenszyklus von 40 Jahren vorteilhaft sein. Insbesondere lohnt es sich, diesen Sachverhalt bei niedrig belasteten Transformatoren eingehender zu prüfen. Ausserdem muss berücksichtigt werden, dass die steigende Zahl dezentraler Energieerzeuger die Belastung der Ortsnetztransformatoren reduziert. Dies führt im Endeffekt zu einer Erhöhung der Effizienz amorpher Geräte.
Die Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass es unter Umständen wirtschaftlicher und sinnvoller sein kann, energieeffiziente Betriebsmittel zur Deckung der Übertragungsverluste im Netz statt in Energieproduktionsanlagen einzusetzen.
Referenz
[1] Diplomarbeit «Analyse des Verlustoptimierungspotenzials von Ortsnetztransformatoren bei der SAK AG», 2014, J. Rüegg, B. Meier, R. Biland, J. Knecht, ABB Technikerschule.
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