Fachartikel Energieeffizienz , Mobilität

Historisches Kursschiff fährt jetzt elektrisch

e-Mobility in der Schifffahrt

27.04.2022

Eine kleine Passagierfähre auf dem Greifensee tritt als erstes Schiff in der Deutschschweiz mit einem elektrischen Antrieb eine Reise an: weg von den fossilen Brennstoffen, hin zu mehr Nachhaltigkeit. Nicht nur reduziert sich durch die Umrüstung der CO2-Ausstoss, die Fahrt wird auch vibrationsärmer.

Der Greifensee ist der grösste See im Kanton Zürich, der gänzlich innerhalb der Kantonsgrenzen liegt. Er ist bekannt für seine unverbauten Ufer und das Verbot von Motor- und Elektrobooten, ausser von Kurs- und Ausflugsschiffen. Auch ein kleines Motorboot, das für die ETH Zürich zu Forschungs­zwecken auf dem See kursiert, ist vom Verbot ausgenommen. Unter Seglern und Freundinnen artenreicher Natur­schutz­zonen ist der Greifensee schon lange kein Geheimtipp mehr. So ist es nicht verwunderlich, dass an diesem idyllischen See das erste rein elektrisch betriebene Kursschiff der Deutschschweiz liegt. Überraschend ist allerdings, dass es sich dabei um die «MS Heimat», ein historisches Passagierschiff aus dem Jahr 1933, handelt, dessen Dieselmotor nun durch einen Elektroantrieb mit modernster Batterie­technologie ersetzt wurden.

Shiptec AG und ZEM erhielten den Auftrag

Für die Realisierung des umwelt­freundlichen Pilotprojekts bekam die Schifffahrts-Genossen­schaft Greifensee (SGG) finanzielle Unterstützung von Bund, Kanton, Gemeinden und Privaten. Den Zuschlag für das Projekt erhielten nach einer öffentlichen Ausschreibung die Firma Shiptec, die für ihren innovativen Schiffbau bekannt ist – sie hat schon das Ausflugsschiff «MS Diamant» und das Katamaran-Kursschiff «MS Bürgenstock» gebaut −, sowie das norwegisch Unternehmen ZEM, das auf die Umrüstung von Schiffen auf Elektroantrieb spezialisiert ist.

Das Batteriesystem ist redundant ausgelegt

Um den Strom für die täglich etwa 20 km langen Fahrten bereitzustellen, wurde die «Heimat» mit einem 99-kWh-Lithium-Ionen-Batteriesystem ausgerüstet, das aus drei Batterien mit je 33 kWh besteht. Diese Akazem-Batterien sind ursprünglich Akasol­batterien, welche durch ZEM für nautische Zwecke angepasst wurden. Das Akazem-System hat sich bereits in vielen kleineren Schiffen und Fähren bewährt, darunter in elektrischen Rettungsbooten für die Offshore-Indus­trie und in rund 30 Hybridschiffen für die Fischzucht.

Das Laden in der Nacht reicht für den Betrieb nicht aus, sondern erfordert eine Nachladung während des Tages. Zwischen den stündlichen Rundfahrten verbleiben gut 30 Minuten Nachladezeit. Bei einer Ladeleistung von 30 kW wäre so eine Energieladung von 15 kWh oder 15% SOC (State of Charge) möglich. Die SGG betreibt das System mit einer Ladeleistung von 12 kW.

«Es wäre möglich, ein System mit zwei Batterien von je 33 kWh auszustatten. Die Wahl von drei Batterien ermöglicht jedoch ein höheres Mass an Redundanz, denn wenn eine Batterie ausfällt, kann man ohne Einschränkungen mit zwei Batterien weiterfahren. Ausserdem erwarten wir eine längere Lebensdauer der Batterien und eine grössere Flexibilität beim Einsatz auf Schiffen. Die Variante mit drei Batterien stellt sich als eine Optimierung zwischen Redundanz, Kosten und Gewicht dar», erklärt Allen Fuchs von der SGG, der das Projekt von Anfang an betreut hat.

Eigentlich war geplant, die Batterien zu 100% mit erneuerbarem, lokal erzeugtem Strom zu laden, einschliesslich der Aufrüstung durch Photo­voltaik­anlagen, aber auf dem Pier von Maur war dafür nicht genügend Platz vorhanden. Die Anbringung von Solarpanels auf dem Dach des Schiffes war aus Gründen der Stabilität und der Erhaltung seiner äusseren historischen Authentizität nicht möglich. Der Strom stammt nun aus der elektrischen Grundversorgung von Maur und kommt zu 100% aus Wasserkraft.

SGG und Shiptec benötigten robuste Komponenten mit einem hohen Sicherheitsniveau. «Dies passt perfekt zu den Werten von ZEM und unserem Systemdesign», sagt Sebastian Wang- Hansen, der Projektleiter bei ZEM. Neben dem Batteriesystem von Akazem wurde für die Nachrüstung ein 40-kW-Elektromotor von Danfoss Editron ausgewählt. «Der Permanent­magnet­motor liefert ein hohes Dreh­moment und ist daher in der Lage, die Propellerwelle ohne Unter­setzungs­getriebe anzutreiben. Das Ergebnis ist ein leichterer, effizienterer und weniger wartungs­intensiver Antriebs­strang», betont Wang-Hansen.

Die Transportkapazität ist gleich geblieben

Der Oldtimer-Umbau hat an der Nutzung der MS Heimat kaum etwas verändert. Das elektrisch angetriebene Motorschiff hat neu zwar ein Leergewicht von 11,3 t (bisher 10,2 t), aber die Transportkapazität von 60 Personen, bei 20 Passagieren in der Kabine, blieb unverändert. Die geforderte Geschwindigkeit beträgt nach wie vor 15 km/h, und die Notbremsung darf dreieinhalb Schiffslängen, also rund 52 m, nicht überschreiten.

Das Gesamtsystem benötigt täglich 85 kWh Energie und verfügt über eine 10-kWh-Reserve. Darin enthalten sind 14 Kursfahrten (ZVV) über den See und zurück, zwei Transferfahrten von Maur nach Greifensee und zurück sowie eine zusätzliche Fahrt am Abend mit geringerer Geschwindigkeit. Für einen Kilometer benötigt das Schiff 1,6 kWh.

CO2-Ausstoss um 10 Tonnen pro Jahr reduziert

Im Mai 2022 soll nun die «e-MS Heimat» ihre erste elektrisch betriebene Passagierfahrt im ZVV zwischen Maur und Uster aufnehmen. Zweieinhalb Monate war sie in der Werft in Luzern gewesen, um den Dieselmotor durch einen Elektromotor zu ersetzen.

Dabei stellten sich den Fachleuten Fragen: Bleibt die Schiffsstabilität auch bei einer grösseren Belastung erhalten? Oder: Wie lange am Stück kann eine Fahrt dauern? Die erste Frage konnte bereits positiv beantwortet werden, die Antwort auf die zweite steht noch aus. Eine weitere Herausforderung war die Wahl des Unternehmens, das die Aufrüstung durchführte. Hier wählte Fuchs bewusst ein Unternehmen, das bereits Erfahrung in der Praxis gesammelt hatte, damit die Abnahme durch die Behörden gewährleistet war.

Nach ihrer Umrüstung in Luzern wurde das Schiff über die Autobahn zurück in den heimatlichen Hafen am Greifensee gefahren. Für den letzten Schritt vor der Inbetriebnahme muss noch die Software an das Schiff angepasst werden. Zum Beispiel darf der Notstopp maximal 52 m betragen, wodurch die Ansteuerung verlangsamt oder beschleunigt werden muss beziehungsweise die Software individualisiert.

Ein Schritt in die richtige Richtung ist gemacht, denn «Mit der Elektrifizierung des Kursschiffes sollen in Zukunft zehn Tonnen CO2-Ausstoss pro Jahr gespart werden», so Projektleiter Allen Fuchs. Und die Fahrt auf dem Greifensee wird leiser, vibrationsärmer und einfach noch schöner.

Autorin
Marianne Kürsteiner

ist Redaktorin bei Electrosuisse.

  • Electrosuisse, 8320 Fehraltorf

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