High-End-Lautsprecher mit Schweizer Software
Digitale Signalverarbeitung
Im Gegensatz zur Hi-Fi-Branche, in der digitale Audiokomponenten fest etabliert sind, steht man in der Welt von High-End-Audio den numerischen Techniken oft skeptisch gegenüber. Sie könnten ja unerwünschte Artefakte erzeugen. Dass es aber auch in diesem Segment möglich ist, das Hörerlebnis mit digitalen Mitteln zu verbessern, zeigt eine kleine Firma aus Uster.
Bereits fünfzehn Jahre befasst sich Illusonic, ein in Uster angesiedeltes Kleinunternehmen, mit digitaler Signalverarbeitung im Akustikbereich. Als Basis, auf der kontinuierlich aufgebaut wird, dient den Klanginformatikern die Forschung des Firmengründers Christof Faller, die sich mit Aspekten der Akustik und mit Audiothemen befasst. Das Besondere daran ist, dass auch die Psychoakustik berücksichtigt wird, also auch die menschliche Wahrnehmung von Schall.
Mit diesem Wissen kann das Team die Signalverarbeitung mit dem gewünschten Ziel im Blick gestalten. Wie diese Ziele formuliert sind, hängt primär vom Einsatzzweck ab: Im Bereich der Kommunikation geht es um die Unterdrückung störender Geräusche oder die Eliminierung von Echo, im Audiobereich hingegen darum, ein Gefühl des Eintauchens in die Klangwelt zu ermöglichen. Die Musik soll möglichst präsent sein. Dazu sollen die Auswirkungen des Raums, in dem man sich befindet, reduziert werden, und die räumliche Wahrnehmung soll der ursprünglichen Situation des Raums, in dem die Musik entstand, entsprechen. Wenn man die Augen schliesst, soll man das Gefühl haben, im Konzertsaal zu sitzen.
Die meisten Produkte und Lizenzen der Firma liegen im Kommunikationsbereich. Audio ist sozusagen ein Nebenerwerb, der sich zwar finanziell noch nicht lohnt, aber der die eigentliche Leidenschaft des Teams verkörpert.
Den Einstieg ins Audiogeschäft machte die Firma mit einem Produkt, bei dem sie Hardware und Software entwickelte: den IAP, den Immersive Audio Processor. Dies ist ein Vorverstärker mit digitaler Signalverarbeitung, der, basierend auf einem akustischen Ausmessen eines Raums, störende Resonanzen, Frequenzdämpfungen oder Nachhall eliminiert. Aber der IAP kann noch mehr: Er ist in der Lage, der Musik die Räumlichkeit des ursprünglichen Raums zu verleihen. Die Lösung eliminiert also nicht nur Fehler, sondern ermöglicht es dem Hörer, in den Klang einzutauchen. Mit konventioneller analoger Elektronik ist dies nicht möglich.
Der verschlungene Weg nach Italien
Diese Möglichkeiten der Signalverarbeitung sind nicht nur zu Hause nützlich, sondern auch in Personenwagen, bei denen die Lautsprecher um die Insassen herum verteilt sind. Bei Luxusautos kann man schon mal zwanzig Kanäle mit zahlreichen Frequenzweichen haben. Wegen den unterschiedlichen Laufzeiten zum Hörer ist der Klang für audiophile Ohren unbefriedigend.
Beim Fahrzeug eines norditalienischen Sportwagenherstellers werden fünf Hochtöner, sieben Mitteltonlautsprecher und zwei Subwoofer eingesetzt. Diese so anzusteuern, dass man das Gefühl hat, die Musik komme homogen aus einem Lautsprecher, ist eine Kunst. Da Illusonic über die nötigen Werkzeuge verfügt, um solche Herausforderungen zu meistern, vermittelte Joseph Szall, ein Lautsprecherexperte im High-End-Bereich, Christof Faller eine Möglichkeit, das immersive System einem Sportfahrzeughersteller in Norditalien vorzustellen. Weil die Automobilfirma keinen geeigneten Raum dafür hatte, fand die Demo im Frühsommer 2020 in einem lokalen Hi-Fi-Geschäft statt. Christof Faller richtete ein achtkanaliges IAP8-Immersiv-System ein und tunte es – unterstützt von Joseph Szall – auf die klanglichen Bedürfnisse des Automotive-Markts. Der markanteste Unterschied zu Heim-Audiosystemen ist dabei der wuchtigere Bass. Schon am nächsten Tag konnten sich die Automotive-Leute die Demo anhören. Nach einer Abnahme Anfang 2021 hat sich daraus ein Projekt für einen Sportwagen-Audio-Demonstrator entwickelt.
Eine kleine Soundbar akustisch erweitern
Der Besuch in Norditalien ergab sogar eine zweite Chance: eine lokale Lautsprecherfirma im High-End-Sektor. Diese Firma wollte eine Soundbar für das High-End-Segment entwickeln. Eine Soundbar ist eine langgezogene, liegende Lautsprechereinheit, die ein herkömmliches Surround-Sound-System ersetzt. Bei Standard-Soundbars hat man eine Matritze mit (oft aus Marketinggründen) verschiedenen Lautsprechern, mit denen man nur eine geringe räumliche Wirkung erzielt.
Joseph Szall, der für die Lautsprecherfirma auch als Consultant tätig ist, lud den Chief Designer für die Demo ins gleiche Hi-Fi-Geschäft ein. Christof Faller stellte das Setup für die Bedürfnisse dieses Herstellers um und imitierte eine Soundbar mit vorhandenen kleinen Lautsprechern aus Finnland. Der Lautsprecher-Designer war vom frappanten Kontrast zwischen dem Klang des normalen Bypass-Signals und dem des aufbereiteten Signals sofort begeistert.
Ein paar Wochen später wurde eine weitere Demo organisiert, an der diesmal ein Audio-Consultant mit Produktionserfahrung in China beteiligt war. Im Gegensatz zu den teureren Lautsprechern der Firma, die in Italien gebaut werden, sollte die Soundbar nämlich aus Kostengründen in China hergestellt werden. Da musste man prüfen, ob das Konzept auch unter fernöstlichen Produktionsbedingungen realisiert werden kann.
Die Demo überzeugte und der Hersteller entschloss sich, eine solche High-End-Soundbar zu produzieren, mit der gestreamt werden kann.
Eine universelle Streaming-Plattform
An der Demo wurde zunächst eine bestehende Hardware mit einem Sigma- DSP von Analog Devices eingesetzt. Dieser lässt sich mit einer Maus mittels grafischer Benutzeroberfläche (GUI) programmieren. Da eine spätere Feasability-Studie zeigte, dass man damit das gewünschte Ziel nicht erreichen konnte, wollte man sehen, ob statt eines DSP der ARM-Prozessor der bereits vorgesehenen Streaming-Plattform eingesetzt werden kann. Der Prozessor hat dann den Performance-Test bestanden. Die ARM-Plattform des auf hochwertige Streaming-Lösungen spezialisierten Anbieters StreamUnlimited aus Wien basiert auf Linux. Mit dieser war das Team schon vertraut, denn Anfang 2020 wurden in Wien Tests mit der Illusonic-Software darauf gemacht. Man hatte also für das Soundbar-Projekt nützliche Vorarbeit geleistet und somit eine gute Verhandlungsposition.
Für Streaming-Anwendungen ist eine solche Plattform sehr praktisch, denn viele Audio-Unternehmen können es sich heute nicht leisten, der sich ständig verändernden Vielfalt an Streaming-Systemen in ihren Produkten zu folgen. Christof Faller betont: «Die Entwicklung von Grund auf überfordert viele Hersteller, da die Ansprüche der Kunden beispielsweise an die Netzwerkkarte sehr vielseitig sind und sich schnell ändern.» Gemäss Faller brauche man Personenjahre an Software-Entwicklungsarbeit, um die Technologien und Dienste von Airplay, Qobuz, Tidal, Roon (ein Allround-Tool, das Musikstreaming, digitalisierte Musik, heruntergeladene sowie physische Musikkäufe kombiniert) und weiteren in seinen Produkten implementieren zu können.
Direktes Tuning möglich
Ein Vorteil dieser Kombination aus ARM-Streaming-Plattform mit der Software von Illusonic liegt darin, dass man den Klang der Produkte auf einfache Weise in Echtzeit tunen kann. Der Schritt vom Prototyp zum serienmässig hergestellten Produkt kann Anpassungen erfordern, weil sich der Prozessor, die industriell gefertigten Verstärker und die Treiber eventuell anders verhalten, als die im Prototyp verwendeten. Für diesen Feinschliff stehen in der Software zwischen 200 und 300 Parameter zur Verfügung. Zudem gibt es einen Messmodus mit sechs Kanälen – einen Kanal pro Lautsprechertreiber –, die mit der ARM-Plattform individuell angesteuert werden können.
Ein weiterer Vorteil ist der geringere Programmieraufwand. Der ARM-Prozessor stellt eine signifikante Rechenleistung zur Verfügung, wodurch sich der Einsatz eines Digitalen Signalprozessors erübrigt, dessen Parameteraustausch mit dem Mikrocontroller anspruchsvoll ist. Faller präzisiert: «Eine solche Programmierung kostet schnell einmal 50 000 Franken. Das können sich die Hersteller nicht leisten. Geschweige denn den Zeitaufwand, den es braucht, um eine Fehlerfreiheit der Software zu erreichen.»
Den Parameteraustausch für das System, das im Streaming-Lautsprecher eingesetzt wird, haben die Illusonic-Ingenieure selber entwickelt: Sie haben den Code für das Parsen und Umwandeln ihrer bestehenden Library geschrieben. Somit sind sie bei Bedarf in der Lage, in einer Stunde hundert Parameter hinzuzufügen – und bleiben unabhängig von externen Ingenieuren, wodurch Engpässe vermieden werden. Faller spricht aus Erfahrung: «Mit anderen Produkten wie Webcams hatten wir diese Abhängigkeiten und konnten testweise nicht einmal zehn Parameter hinzufügen.»
Auch eine US-Firma zeigt Interesse
Durch die Vermittlung von StreamingUnlimited bot sich fast parallel zum Projekt in Norditalien eine weitere Chance: Ein vergleichbares Projekt bei einem High-End-Audiohersteller in den Vereinigten Staaten.
Zunächst kam von der Firma eine 30-seitige Spezifikation der Wünsche aus den USA: Sie wollten unter anderem 15 Input-Equalizer, Crossover, Limiter und Compressor. Christof Faller konnte sie davon überzeugen, dass es sinnvoller ist, statt alles neu zu entwickeln, die bereits existierende Illusonic-Library zu verwenden. Diese deckt 80 % der Wünsche ab und bietet zusätzlich die Möglichkeit, Einstellungen mittels GUI direkt zu ändern und auf die Plattform zu übertragen. Das erlaubt es, den Unterschied sofort zu hören. Die gleiche GUI arbeitet auch mit einer Soundkarte und einem Verstärker und ermöglicht so, alle Entwicklungsschritte mit einem einzigen Tool auszuführen. Dies führt zu reproduzierbaren Resultaten.
Die US-Audiofirma setzt die GUI nun selbstständig für ihre Optimierungen ein. Sie haben gemerkt, wie nützlich es ist, wenn man sein Tuning, das man mit der Prototyp-Soundbar gemacht hat, mit der gleichen Software auf die im Endprodukt verwendete ARM-Plattform übertragen kann. Für Illusonic ist dies in mehrfacher Hinsicht vorteilhaft, denn einerseits gibt es für die Schweizer Firma weniger zu tun, und andererseits wird man nicht für allfällige Fehler verantwortlich gemacht.
Es gab auch eine Überraschung: Zunächst hielt die US-Firma die durch die Signalverarbeitung ermöglichte Raumwirkung für überflüssig. Da sie aber sowieso als Library-Komponente mit inbegriffen war, nutzte die Firma die Möglichkeit – und präsentierte sie nach den Erfahrungen mit ihrem Produkt als festes Konzeptbestandteil.
Mögliche Arten des Tunings
Bei der italienischen Firma war die Aufteilung der Arbeiten anders. Da hat Christof Faller die Voreinstellungen selber vorgenommen: die Delays der einzelnen Treiber eingestellt und Linkwitz-Frequenzweichen integriert.
Letztere können dank einer Linkwitz-Transformation 2. Ordnung eine allfällige Überhöhung beim Bass reduzieren und die Cut-off-Frequenz von 50 Hz auf 30 Hz verschieben. Es resultiert also ein tieferer, ausgeglichenerer Bass als mit dem physischen Treiber allein.
Natürlich könnte man dies auch mit den zwanzig Equalizern statt mit der Linkwitz-Weiche erreichen, die die Software via GUI zur Verfügung stellt, aber das wäre weniger elegant.
Ein Thema, das man beim Einsatz von Equalizern berücksichtigen muss, sind die Modulationsverzerrungen. Wenn man mit dem Equalizer den Frequenzgang des Signals im Raum flach macht, muss man sich überlegen, welches elektrische Signal dafür der Lautsprecher erhalten muss. Unter Umständen ist der Frequenzgang des Signals, das auf den Lautsprecher kommt, überhaupt nicht gerade und der Treiber wird ungewöhnlich belastet. Wenn der Bass beispielsweise um 10 dB angehoben wird, wird die Auslenkung des Lautsprechers viel grösser, wodurch deutlich grössere Modulationsverzerrungen entstehen. Obwohl das Messprotokoll einen besseren Frequenzgang ausweist, tönt es nicht mehr so gut, denn die AM- und FM-Modulationsverzerrungen stören dann. Das Tuning von Lautsprechern ist also eine heikle und komplexe Sache, bei der man zwar messen muss, aber um Hörtests nicht herumkommt.
Die Feinabstimmung macht dann der italienische Lautsprecherhersteller selber, da er spezifische Vorstellungen davon hat, wie seine Lautsprecher tönen sollen. Sozusagen entsprechend der akustischen Corporate Identity.
Durch das Erlebnis überzeugen
Um in der High-End-Audiobranche Fuss zu fassen, muss man überzeugen können. Aber nicht mit Worten, denn wenn Christof Faller seinen potenziellen Kunden die räumlichen Effekte, die mit der Softwarelösung möglich sind, erläuterte, hinterliess es kaum einen Eindruck. Erst als die Kunden an einer Demo den Unterschied hören konnten und ausserdem sahen, wie einfach sich die Einstellungen mittels GUI verändern und optimieren lassen, kam auch bei ihnen Begeisterung auf.
Die Tatsache, dass die gesamte Signalverarbeitung bei der Lösung über die gleiche Plattform läuft und nebst den räumlichen Effekten auch ein direkt verifizierbares Finetuning und weitere Möglichkeiten erlaubt, ist ein Pluspunkt. Christof Faller hofft, dass seine Firma nun weitere Lautsprecherhersteller vom System überzeugen kann. Er möchte so ein kleines Ökosystem mit immersiver Soundtechnologie schaffen und hofft, dass dadurch die Musik, die zurzeit bei Illusonic eher eine Randerscheinung ist, künftig eine grössere Rolle spielen wird. Und nebenbei, dass sich eventuell auch ein Gewinn in diesem Bereich erwirtschaften lässt – eigentlich verständlich, wenn man die eineinhalb Jahrzehnte Leidenschaft, die investiert wurden, berücksichtigt.
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