Die Herstellung synthetischer Energieträger
Nachhaltigkeit
Synthetische Energieträger sind nötig, um die Klimaziele zu erreichen. Ihre ökologische Qualität hängt jedoch stark von der Wahl des Herstellungsortes sowie anlagetechnischer Eigenschaften ab. Aufgrund der fluktuierenden Erzeugung von Photovoltaik und Windkraft kann beispielsweise die Lastflexibilität der Produktionsanlagen zu einem entscheidenden Kriterium avancieren.
Neben anderen Massnahmen benötigt die Schweiz ab dem Jahr 2050 gemäss den Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie je nach Szenario jährlich zwischen 30 und 60 TWh an synthetischen Energieträgern, um das Klimaziel zu erreichen. Dies entspricht gemäss den Verbänden Avenergy und Gazenergie einem Anteil von 30% bis 50% des heutigen fossilen Treib- und Brennstoffmarkts der Schweiz. Etwa 16 TWh der synthetischen Energieträger entfallen auf erneuerbares Kerosin für den Flugverkehr, der Rest sind Wasserstoff und synthetische Kohlenwasserstoffe für Anwendungen im Gebäude-, Industrie- und Verkehrsbereich. Synthetische Energieträger basieren energetisch auf erneuerbarer Elektrizität.
Die erforderliche Menge davon ist allerdings enorm: Selbst wenn man für die Anlagen zur Herstellung synthetischer Energieträger eine jährliche Betriebsdauer von 8000 Volllaststunden annähme, würde zu deren Versorgung eine installierte elektrische Leistung von 7 bis 15 GW benötigt. Dieser Leistungsbedarf entspricht einem halben bis einem ganzen Dutzend Atomkraftwerke, die ausschliesslich für die Herstellung synthetischer Treibstoffe betrieben werden müssten! Allein dies zeigt, dass es völlig unmöglich ist, den Bedarf an synthetischen Energieträgern in der Schweiz zu produzieren.
Einheimische und ausländische Energieträger
Die Energieperspektiven 2050+ des Bundesamts für Energie basieren auf einem vollständigen Ersatz der fossilen durch erneuerbare Energie. Aber woher soll diese kommen? Zur Übersicht eignet sich die Unterscheidung zwischen im Inland und im Ausland erzeugter erneuerbarer Energieträger.
Im Inland wird primär direkt nutzbare, erneuerbare elektrische Energie erzeugt werden – neben vergleichsweise wenig auf Biomasse basierten, chemischen Energieträgern. Für die Schweiz im Ausland erzeugte Energie wird voraussichtlich primär erneuerbare chemische Energie in Form von synthetischen, also künstlich aus erneuerbarem Wasserstoff und CO2 erzeugten Energieträgern sein – neben vergleichsweise wenig importierter elektrischer Energie. Da es für den Transport chemischer Energieträger aus der fossilen Zeit weltweite Transport- und Verteilinfrastrukturen, Handelsmechanismen, Bauteile, Produktspezifikationen, Regulatorien und Fachkompetenzen gibt und der Transport chemischer Energieträger auch über grosse Distanzen sehr kostengünstig möglich ist, spielt der Ort der Erzeugung eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist primär, dass eine robuste und krisensichere Versorgung aufgebaut werden kann. Ebenfalls entscheidend ist, dass die Herstellung und der Transport synthetischer Energieträger nachhaltig sind, d.h. dass sie auch über lange Sicht keine nachteiligen Effekte auf die Öko- und Versorgungssysteme aufweisen. Im Sinne der Nachhaltigkeit spielen beispielsweise die sogenannte «Additionalität» der für die Wasserstofferzeugung benötigten erneuerbaren Elektrizität und deren zeitliches Erzeugungsprofil sowie die Herkunft des für die Umwandlung von Wasserstoff in synthetische Kohlenwasserstoffe benötigten CO2 eine wichtige Rolle.
EU-Kriterien für Nachhaltigkeit
Die EU hat im Juni 2023 beschlossen, dass synthetische Energieträger nur dann als nachhaltig eingestuft werden, wenn sie eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Beispielsweise müssen Anlagen zur Herstellung synthetischer Energieträger an neue Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Elektrizität angeschlossen werden [1]. Damit soll vermieden werden, dass bereits bestehende erneuerbare Elektrizität einfach nur anders genutzt wird. Dies würde der Anforderung hinsichtlich Additionalität nicht genügen. Zudem muss das zeitliche Produktionsprofil der verwendeten Elektrizität berücksichtigt werden, was die weiter unten beschriebene Anforderung an die Lastflexibilität verursacht. Ab 2035 darf de facto nur noch atmosphärisches CO2 verwendet werden, um nicht dem Abbau von CO2-Quellen entgegenzuwirken. Die EU schreibt zudem vor, dass synthetische Energieträger im Vergleich zum fossilen Betrieb zu einer Reduktion der CO2-Emissionen von mindestens 70% führen müssen. Es gibt eine Reihe weiterer Anforderungen, wie beispielsweise, dass die erneuerbare elektrische Energie mit einem Direktvertrag zwischen dem Erzeuger der elektrischen Energie und dem Betreiber der Anlage zur Herstellung synthetischer Energieträger gekoppelt sein muss oder dass die Anlage zur Erzeugung elektrischer Energie nicht subventioniert sein darf. Diese Anforderungen sind zwar alle gerechtfertigt; sie sind aber auch sehr anspruchsvoll und könnten – ohne entsprechende Zwischenschritte für Erstanlagen – die Marktaufbauphase synthetischer Energieträger verzögern.
Die für die Herstellung synthetischer Energieträger erneuerbare Elektrizität wird gebraucht, um in einem ersten Schritt mittels Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. Der Wasserstoff wird dann in einem zweiten Schritt in einem katalytischen Syntheseverfahren zusammen mit CO2 in einen synthetischen Energieträger umgewandelt. Beide Prozessschritte sind bei heutigen Technologien mit energetischen Verlusten von je rund 30% behaftet. Damit resultiert ein Gesamtwirkungsgrad für die Herstellung synthetischer Energieträger von rund 50%. Um mit diesem Wirkungsgrad 30 bis 60 TWh synthetische Energieträger herzustellen, sind 60 bis 120 TWh an erneuerbarer elektrischer Energie erforderlich. Wo könnten diese erzeugt werden?
Produktion im Ausland nötig
Die Schweiz weist knapp 10 Mio. Hausdächer mit einer Gesamtfläche von 267 km² auf [2]. Davon gelten rund 60% bzw. rund 150 km² als geeignet für den Aufbau von Photovoltaik. Werden die geeigneten Dächer mit PV-Anlagen ausgerüstet, könnten jährlich rund 30 TWh erzeugt werden [3]. Selbst die Nutzung aller Schweizer Dachflächen zur Solarstromerzeugung würde bei Weitem nicht ausreichen, um die nötige Menge an synthetischen Energieträgern herzustellen. Für synthetische Energieträger gibt es nur eine Lösung: die Produktion im Ausland.
Der Sonnengürtel weist im Vergleich zur Schweiz etwa die doppelte solare Einstrahlung auf. Zudem können dort in riesigen ungenutzten Wüstenflächen sehr grosse, freistehende PV-Anlagen mit Sonnentracking aufgebaut werden. Trotz höherer Temperaturen kann so pro m² PV-Fläche doppelt so viel Strom erzeugt werden wie in der Schweiz [4]. Um den Bedarf der Schweiz an synthetischen Energieträgern zu decken, wäre in Wüstenregionen eine PV-Fläche von 200 bis 400 km² bzw. 600 bis 1200 km² Land erforderlich. Zum Vergleich: Oman als vergleichsweise kleines Land im Sonnengürtel will 50 000 km² an Wüstenflächen für die Erzeugung von Wasserstoff und synthetischen Energieträgern bereitstellen [5].
Berücksichtigt man die Stromerzeugungsprofile in Wüstenregionen, wird jedoch schnell klar, dass Anlagen zur Herstellung synthetischer Energieträger lastflexibel betrieben werden müssen. Im Folgenden werden dazu Abschätzungen für eine Power-to-Gas-Anlage mit einer elektrischen Leistung von 100 MW dargestellt. Zudem wird der Einfluss der Lastflexibilität auf die CO2-Emissionen aufgezeigt. In Bild 1 wird die erneuerbare Stromerzeugung mittels PV-Anlage mit 100 MW Nennleistung, mittels Windpark mit gleicher Nennleistung sowie mittels kombinierter Solar- und Windkraft mit je 50 MW in einer Wüstenregion im Sonnengürtel während eines Musterjahres über der Tageszeit dargestellt.
PV-Anlagen in Wüstenregionen (Bild 1a) weisen ein über die Tageszeit sich wiederholendes Erzeugungsprofil auf, das nur eine saisonale Schwankung in der Produktionsleistung aufweist. Sie erzeugen jedoch nur tagsüber Strom, was bedeutet, dass Anlagen zur Herstellung synthetischer Energieträger in der Lage sein sollten, während der Nacht stillzustehen. Windanlagen (Bild 1b) produzieren im Mittel über den Tag deutlich gleichmässiger Elektrizität, weshalb Anlagen zur Herstellung synthetischer Treibstoffe potenziell auch in der Nacht betrieben werden könnten; das Erzeugungsprofil ist aber sehr stochastisch und kann eine höhere Dynamik als bei der Photovoltaik aufweisen. Kombiniert man Photovoltaik und Windkraft, resultiert ein Stromerzeugungsprofil mit einem Peak tagsüber (Bild 1c), der ebenfalls mit nur geringen Stillstandszeiten der Anlage zur Produktion synthetischer Treibstoffe in der Nacht verbunden ist.
Bild 2 zeigt, dass das CO2-Ziel der EU für die Herstellung von synthetischem Gas in allen drei Konzeptfällen (PV, Windkraft, PV-Windkraft-Kombination) ohne Strom- und/oder Wasserstoffspeicherung nur mit hoher Lastflexibilität eingehalten werden kann. Beim Betrieb mit einer PV-Anlage kann der Zielwert nur dann eingehalten werden, wenn die P2G-Anlage im gesamten Leistungsbereich lastflexibel betrieben werden kann. In den beiden anderen Fällen (Betrieb mit Windkraft und mit kombinierter PV/Windkraft) ist die Anforderung an die Lastflexibilität nur in geringem Masse vermindert. Um die CO2-Reduktionsanforderungen der EU zu erreichen, müsste bei geringerer Lastflexibilität die Kapazität der Elektrolyseanlage reduziert werden.
Die Lastflexibilitätsanforderung gilt für beide Hauptkomponenten der Anlage zur Herstellung synthetischer Energieträger: sowohl für die Wasser-Elektrolyse zur Erzeugung von Wasserstoff als auch für die Syntheseanlage, bei der Wasserstoff mit CO2 in einen synthetischen Kohlenwasserstoff umgewandelt wird. Bei der Wasserstofferzeugung kann eine nahezu volle Lastflexibilität insbesondere mit der Proton-Exchange-Membran-Technologie (PEM) bereits heute realisiert werden. Bei den Syntheseverfahren ist dies jedoch nicht der Fall. Mit Anwendung der sorptionsverstärkten Katalyse für die Methanisierung (Bild 3), bei der das Reaktionswasser der Methan-Synthese kontinuierlich auf dem Katalysatorträger abgeschieden und damit das chemische Gleichgewicht der Synthese-Reaktion auf nahezu 100% Methan verschoben wird, hat die Empa eine Technologie entwickelt, die das Potenzial für eine volle Lastflexibilität aufweist [6]. Ein entsprechender Demonstrator soll Mitte 2024 an der Empa in Betrieb genommen werden (Bild 3).
Referenzen
[1] Delegierte Verordnung (EU) 2023/1184 vom Februar 2023.
[2] A. Walch et al., «Big data mining for the estimation of hourly rooftop photovoltaic potential and its uncertainty», Applied Energy, 2020.
[3] JRC Photovoltaic Geographical Information System (PVGIS) – European Commission (europa.eu).
[4] renewables.ninja
[5] hydrom.om/events/hydromlaunch/221023_MEM_En.pdf
[6] F. Kiefer et al., «Sorption-enhanced methane synthesis in fixed-bed reactors», Chemical Engineering Journal, 2022.
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