Herausforderungen für den Netzbetrieb
Einfluss von erneuerbaren Energien auf das Übertragungsnetz
Durch die Verlagerung der elektrischen Energieerzeugung hin zu neuen regenerativen Energiequellen wie Wind- und Solarenergie findet in der Energiewelt zurzeit weltweit ein gewaltiger Umbauprozess statt. Ein Blick auf einige Herausforderungen, die dadurch im Zusammenhang mit der Netzstabilität entstehen.
Relativ wenige grosse Erzeugungseinheiten werden kontinuierlich durch eine Vielzahl von kleinen Erzeugungseinheiten ersetzt. Beim Anschluss dieser neuen erneuerbaren Erzeugungsanlagen kommen heute noch immer in sehr grossem Umfang Leistungselektronikkomponenten zum Einsatz, die ursprünglich für elektrische Antriebe von Industrieanlagen oder elektrischen Verkehrsfahrzeugen entwickelt wurden. Ihre Schnittstellen zum elektrischen Versorgungsnetz sind so konzipiert, dass sie einen Anschluss an ein leistungsfähiges synchrones Netz voraussetzen, in dem Synchronmaschinen als Hauptquelle der Erzeugung für die notwendige Netzstabilität sorgen.
Praxiserfahrung
Wie gut die Netzstabilität erfüllt ist, kann am besten dem Verlauf der Netzfrequenz während transienter Vorgänge entnommen werden. So sind in Bild 1 die Frequenzverläufe an einigen Schaltanlagen des kontinentaleuropäischen Netzes (CE) beim Ausfall eines 1-GW–Kraftwerkblocks in den Niederlanden dargestellt. Dabei zeigt sich ein resultierender Frequenzeinbruch von rund 55 mHz mit einem mittleren Frequenzgradienten von rund 12 mHz/s. Infolge der Ausdehnung des CE-Netzes von über 4000 km in Ost-West-Richtung, dauert es über 2 s, bis sich der Frequenzeinbruch von West nach Ost «ausbreitet». Sämtliche angeregten systemimmanenten Pendelmodi sind gut gedämpft. Schon nach den ersten 10 s nähern sich alle Frequenzen dem gleichen Mittelwert. Diese Vorgänge entsprechen dem heutigen Kraftwerkspark mit einem noch recht hohen Anteil an konventionellen Kraftwerken, die über einen entsprechend grossen Anteil an rotierender Reserve verfügen und somit einen schnellen Frequenzeinbruch vermeiden.
Wie sich ein System mit einem Anteil von nur rund 18% an synchronen Generatoren im Störungsfall verhält, haben die Auswertungen des Netzzusammenbruchs in Südaustralien vom 28. September 2016 gezeigt.[1] Der resultierende Frequenzgradient war nach der störfallbedingten Inselnetzbildung ca. 6,25 Hz/s, bei diesem rasanten Frequenzzerfall gab es keine Chance, das Netz noch zu retten! Etwa 50% der Stromerzeugung Südaustraliens bestand zum Zeitpunkt der Störung aus umrichtergekoppelten Windkraftanlagen.
Aus der Erfahrung der Auswertungen von Störfällen im CE-Netz der letzten Jahre kann abgeleitet werden, dass mit den heutigen Schutzsystemen bei Kraftwerken und Verbrauchern (Über- und Unterfrequenzschutz) nur Gradienten bis zu 1 Hz/s sicher beherrscht werden.
Nicht nur der absolute Anteil an nicht-synchron-gekoppelter Erzeugung stellt für den Netzbetrieb eine gewisse Herausforderung dar, sondern auch die Volatilität infolge des schwankenden Angebots an Primärleistung. Während der Sonnenfinsternis 2015 konnten die europäischen Netzbetreiber diesen Einfluss durch Aktivierung spezieller Regelreserven und Fahrweisen der konventionellen Kraftwerke eindrücklich meistern.[2] Innerhalb von 2,5 h mussten ein Rückgang von 15 GW und ein anschliessender Anstieg von 26 GW im CE-Verbundnetz ausgeglichen werden.
In der Schweiz ist der Anteil an neuer erneuerbarer Energie bisher noch geringer als in anderen CE-Ländern, aber trotzdem ist die PV-Einspeisung in den letzten 10 Jahren von 35 MW (2007) auf 1,9 GW (2017) gestiegen.[3] Diese beteiligt sich somit bei günstigen Verhältnissen mit einem zweistelligen Prozentanteil an der Versorgung der schweizerischen Netzlast, die in den Sommermonaten bei ca. 5 GW liegt.
Aus der Sicht des Netzbetreibers, der schliesslich für die Netzstabilität verantwortlich ist, birgt ein wechselnder Kraftwerkseinsatz ein gewisses Risiko, da sich dadurch auch die dynamischen Eigenschaften des Netzes ändern. Ein entsprechendes Beispiel liefern die Ergebnisse der Untersuchung der Netzpendelung vom 3. Dezember 2017.[4] Dabei waren Spannungspendelungen im Schweizer Netz auf der Hochspannungsebene von rund ±2,5 kV aufgetreten (Bild 2).
Dieser Störfall war dadurch gekennzeichnet, dass sich nach einem Fahrplanwechsel und bereits ungünstigen Lastflussverhältnissen im Netz der Anteil von Kraftwerken mit geringeren Dämpfungseigenschaften an der Stromerzeugung erhöht hatte.
Ausblick
Der Einfluss der sich abzeichnenden Änderungen im Netzbetrieb aufgrund des steigenden Anteils an neuen regenerativen Energien ist schon heute erkennbar. Er ist durch den Betrieb eines immer geringeren Anteils an Synchronmaschinen gekennzeichnet.
Um die Netzstabilität auch unter diesen veränderten Rahmenbedingungen zu sichern, müssen auch die neuen Anlagen einen entsprechenden Beitrag liefern können. Zunächst sollen sie mittels spannungseinprägender Regelung fähig sein, ein Inselnetz zu versorgen. Auch Teilnetze mit weitgehend umrichtergekoppelter Erzeugung sollten autark betrieben werden können und bei Netzstörungen und Netzwiederaufbau einen positiven Beitrag liefern können.
Zudem sollten sie systemstützende Eigenschaften aufweisen. Dies geschieht durch eine stromeinprägende Regelung (Lieferung von Kurzschlussleistung), Beteiligung an der Netzregelung (Frequenz/Spannung), Lieferung von schneller Reserve/Trägheit. Auch dezentrale Erzeugungseinheiten müssen in der Zukunft einen Beitrag zur Netzstabilisierung liefern.
Die weitere Entwicklung muss durch den Einsatz von geeigneten Simulationsmodellen und begleitenden Messungen im Netz laufend begleitet werden, um so rechtzeitig alle notwendigen Werkzeuge und Informationen zur allfälligen Anpassung des Netzschutzes und der Netzregelung umsetzen zu können.
Referenzen
[1] Integrated Final Report «Black System South Australia 28 September 2016», AEMO, März 2017.
[2] Walter Sattinger, Jeanine Glarner, «Stresstest bestanden, Sonnenfinsternis als neue Herausforderung für das europäische Übertragungsnetz», Bulletin SEV/VSE 6, 2015, S. 51 – 52.
[3] Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2017, BFE, Juli 2018.
[4] System Protection and Dynamics WG, «Oscillation Event 03.12.2017», ENTSO-E, März 2018.
Kommentare
Aegerter Irene,
Ein Problem der Photovoltaik ist doch auch, dass diese keine rotierende Masse besitzt! Beim Zubau von PV hätte man doch von Anfang an das Stromnetz einbeziehen müssen. Das Energiegesetz wurde verabschiedet ohne Stromnetzsrategie.
Irene Aegerter, Wollerau