Hawaii als Energielabor
Technische Entwicklungen
Wenn die Sonne in Hawaii untergeht, nimmt die Leistung der PV-Anlagen ab und Batteriespeicher übernehmen die Stromversorgung. Aber wie können solche nachhaltigen Energiesysteme stabilisiert werden?
Im Vergleich zum Rest der Vereinigten Staaten hatte Hawaii schon immer hohe Stromkosten, da der Bundesstaat das für den Betrieb seiner Kraftwerke benötigte Erdöl über den Pazifik importieren muss. Dies führte dazu, dass erneuerbare Energiequellen wie Windkraft und Photovoltaik in Hawaii früher als an anderen Standorten wirtschaftlich wurden. Auch die Legislative des Bundesstaates Hawaii hat vorausschauend gehandelt und 2001 den ersten «Renewable Portfolio Standard» der Vereinigten Staaten verabschiedet. Dieser schreibt bis 2045 eine hundertprozentige Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vor.

Das Stromnetz Hawaiis besteht aus mehreren separaten Stromsystemen, denn jede Insel verfügt über ein eigenes Netz. Die Kosten für die Verbindung der Inseln über Hunderte von Kilometern mit Unterwasserkabeln wären nämlich zu hoch. Jede Insel steht deshalb vor eigenen Herausforderungen, vom bergigen Vulkangebiet der «Big Island» (Hawaii) bis zur höheren Bevölkerungsdichte auf Oahu, wo sich die Hauptstadt Honolulu befindet. Allen gemeinsam ist jedoch die Herausforderung, dass sie ein Labor sind, in dem eine 100% erneuerbare Stromversorgung erforscht wird. Die zentrale Frage: die Erfindung eines neuen Paradigmas für die Stabilität von Energiesystemen.
Traditionell wurden Stromversorgungssysteme von grossen Synchrongeneratoren gespeist. Auf den Eigenschaften dieser rotierenden Maschinen basierte das Stabilitätsparadigma des Stromnetzes. Synchrongeneratoren, wie sie in Erdgas-, Kohle- und Kernkraftwerken zum Einsatz kommen, sind für die Erzeugung von Wechselstrom (AC) ausgelegt, der dann über grosse Entfernungen transportiert wird. Erneuerbare Energiequellen wie Windkraft, Solarenergie und Batteriespeicher sind für die Erzeugung von Gleichstrom (DC) ausgelegt und verändern das Stabilitätsparadigma des Stromnetzes. Diese Stromquellen sind über Wechselrichter mit dem Wechselstromnetz verbunden. Diese Umwandlung hat weitreichende Auswirkungen auf Energieversorger, die die Stromversorgung aufrechterhalten wollen.
Die dezentrale Einspeisung nimmt zu
Auf den drei grössten Inseln (Oahu, Maui und Hawaii) bezieht Hawaii derzeit 30% bis 60% seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Dies sind nicht nur Wind und Sonne, sondern auch Biomasse und Geothermie. Etwa 20% des gesamten Stroms werden aus dezentralen Energiequellen (Distributed Energy Resources, DERs) bezogen, hauptsächlich aus Solaranlagen auf Dächern. Diese Anlagen sind seit Jahren bei Hausbesitzern beliebt, aber ihr Wachstum wurde in den letzten Jahren aufgrund neuer Anforderungen an die Netzanbindung gebremst, denn sie haben die Betriebsweise der Verteilsysteme der Hawaiian Electric Company erheblich verändert. Früher war die Stromerzeugung über grosse Kraftwerke (im MW-Bereich) an Hochspannungsnetze angeschlossen, statt in kleineren Mengen (im kW-Bereich) an Niederspannungsnetze in Kundennähe. Das EVU hat deshalb weniger Transparenz und Kontrolle über diese dezentralen Erzeugungsressourcen, was die Aufgabe, Stromerzeugung und -nachfrage stets aufeinander abzustimmen, erschwert. Hawaiian Electric schätzt, dass allein auf Oahu über 78’000 PV-Anlagen installiert sind, wobei 43% der Einfamilienhäuser über eine Solaranlage auf dem Dach verfügen.

In den letzten Jahren hat die Installation von hybriden PV-Batterie-Kraftwerken zugenommen. Das grösste davon ist das Kuihelani Solar+Storage-Kraftwerk auf Maui, das den kommerziellen Betrieb vor einem Jahr aufgenommen hat. Es verfügt über eine Solarleistung von 60 MW und ein 240-MWh-Lithium-Ionen-Speichersystem.
Eine weitere Schwierigkeit ist die Variabilität und Unsicherheit erneuerbarer Energiequellen. Sie treibt den Bau dieser neuen Hybridkraftwerke voran. Selbst im Paradies scheint nicht immer die Sonne: In Hawaii produziert eine PV-Anlage durchschnittlich nur etwa 20% ihrer maximalen Leistung über das gesamte Jahr; das Stromnetz muss oft auf andere Energiequellen oder zunehmend auf Batterien zurückgreifen. Umgekehrt bedeutet dies auch, dass es Zeiten gibt, in denen zu viel Solarenergie zur Verfügung steht, nämlich um die Mittagszeit. Dies führt zur ungewöhnlichen Situation, dass Solarenergie im hawaiianischen System zwar nur etwa 20% der jährlichen Strommenge erzeugt, aber zu bestimmten Zeiten mehr als 100% produzieren könnte. Genau diese Zeiten sind aus Sicht der Stabilität kritisch.

Für eine zuverlässige Stromversorgung müssen Energiesysteme so ausgelegt sein, dass sie unerwarteten Ereignissen wie Geräteausfälle und Wetterbedingungen standhalten. Daher ist der Umgang mit potenziellen Notfällen ein wichtiger Aspekt der Planung und des Betriebs eines Stromversorgungssystems. Um dies in grossem Massstab zu erreichen, müssen wichtige Systemmesswerte, wie Frequenz und Spannung, in relativ engen Bereichen gehalten werden. Wenn sie diese Bereiche verlassen, werden Schutzvorrichtungen aktiviert, um einzelne Geräte zu schützen oder die Ausbreitung von Problemen zu verhindern.
Neue Wege zur Netzstabilität
Die Frequenz in Wechselstromsystemen fungiert als Signal, das widerspiegelt, wie gut der Netzbetreiber die Erzeugung und Last ausgleicht. Bei zu hoher Stromerzeugung steigt die Frequenz, bei zu hoher Nachfrage sinkt sie. Grossflächige Schutzsysteme nutzen dieses Frequenzsignal, um zu entscheiden, wann Probleme verhindert werden müssen. Wenn die Frequenz zu schnell sinkt, schaltet das System bestimmte Lasten ab, um die Synchronisation der Generatoren im System zu schützen und einen Ausfall des gesamten Netzes zu verhindern. Eine physikalische Eigenschaft von Synchrongeneratoren, die einen Frequenzabfall verhindert, ist die Trägheit des Rotors. Dieser kann über 100 t wiegen und liefert daher viel Energie, um zum Stillstand zu kommen.
Da weltweit immer mehr wechselrichterbasierte Generatoren in Betrieb genommen werden, um fossil betriebene Synchrongeneratoren zu ersetzen, haben Bedenken zum Rückgang der Trägheit zur Unterstützung der Netzstabilität zu verstärkten Forschungsanstrengungen und Investitionen geführt. Der Grund: Fast alle bisher in grossen Stromnetzen installierten Wechselrichter haben eine sogenannte netzfolgende Regelung. Diese Art von Regler nutzt Messungen vom Netzanschlusspunkt, um das Verhalten des Netzes zu ermitteln und dieses nachzuahmen. Netzfolgende Generatoren erzeugen im Gegensatz zu Synchrongeneratoren nicht selbstständig eine sinusförmige Wechselspannung. Die netzfolgende Regelung ist bei relativ geringen momentanen Leistungen der Wechselrichtergeneratoren eine praktikable Strategie, aber ein grosses Stromnetz könnte nicht nur mit netzfolgenden Wechselrichtern betrieben werden, da es kein Signal gäbe, dem sie folgen könnten. Die Grenzen für die Anzahl der netzfolgenden Geräte, die ein System gleichzeitig aufnehmen kann, variieren je nach System und Erzeugungsmix. Als nützlicher Richtwert gilt jedoch, dass das Stromnetz derzeit zu jedem Zeitpunkt bis zu 75% der Erzeugung aus solchen Wechselrichtern zulässt.
Die Insel Maui ist ein interessantes Fallbeispiel, da dort bereits mehr als 95% der Wechselrichter netzfolgend betrieben werden. Wie funktioniert das? Indem die Teile des Synchrongenerators, die zur Unterstützung des Netzes beitragen können (der Generator), vom fossil betriebenen Antrieb abgekoppelt werden. Durch den Einbau einer Kupplung können diese Kraftwerke einerseits bei Bedarf mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Andererseits, wenn erneuerbare Energien im Überfluss vorhanden sind, wird der Synchrongenerator im Wesentlichen in einen sehr grossen Motor umgewandelt. Dieser kann Wirkleistung aus dem Netz aufnehmen und in Blindleistung umwandeln, um die Spannung zu stützen und das Netz zusätzlich durch Trägheit zu stabilisieren. Die Umrüstung ausgemusterter fossiler Kraftwerke auf Synchrongeneratoren ist eine der kostengünstigsten Massnahmen der Netzbetreiber weltweit, um die Stabilität des Stromnetzes der Zukunft zu gewährleisten.
Netzbildende Wechselrichter als Lösung
Eine weitere vielversprechende Lösung zur Erhöhung der Stabilität wird auf der kleineren Insel Kauai demonstriert, die etwa 70’000 Einwohner und 30’000 Touristen beherbergt. Hier ist ein Hybridkraftwerk, bestehend aus einer 13-MW-Solaranlage und 52-MWh-Batterien, mit einer neuen, netzbildenden Steuerungssoftware für die Wechselrichter ausgestattet. Die Anlage wird derzeit einem Stresstest unterzogen, wenn andere Generatoren ausfallen. Netzbildende Wechselrichter nutzen fortschrittliche Regelalgorithmen und schnelle Leistungselektronik, um einen Teil der Spannungs- und Frequenzunterstützung zu liefern, die traditionell von Synchrongeneratoren bereitgestellt wird. Entscheidend ist, dass sie unabhängig voneinander eine sinusförmige Spannungsform bilden, sodass netzfolgende Wechselrichter ihrer Führung folgen können. Diese vielversprechende Technologie wird seit Jahrzehnten in Mikronetzen eingesetzt, aber diese kleinen Systeme ermöglichen eine direkte, schnelle Kommunikation, die in kontinentgrossen Stromnetzen nicht möglich ist. Für grosse Stromnetze müssen diese Wechselrichter autonom arbeiten können, um die Netzstabilität zu gewährleisten. Kauai ist derzeit eines der grössten Stromnetze, in denen diese Technologie getestet wird. Sie wird bald auch auf den anderen hawaiianischen Inseln eingeführt.
Seit zwei Jahrzehnten ist Hawaii in den USA führend beim Übergang zu nachhaltigeren Stromsystemen. Die Erfahrungen mit diesen relativ kleinen Netzen haben bereits technische und regulatorische Entscheidungen in anderen US-Bundesstaaten und Ländern beeinflusst. Diese paradiesische Inselgruppe ist auf diese Weise ein Labor, um die Welt zu 100% erneuerbaren Stromsystemen zu führen.
Literatur
- Hawaiian Electric’s Integrated Grid Plan, Mai 2023.
- Rick Wallace Kenyon et al., «Stability and control of power systems with high penetrations of inverter-based resources: An accessible review of current knowledge and open questions», Solar Energy, 2020.
- Benjamin Kroposki, Andy Hoke, «A Path to 100 Percent Renewable Energy: Grid-Forming Inverters will Give Us the Grid We Need Now», IEEE Spectrum, May 2024.
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