Fachartikel Erneuerbare Energien

Gewässerschutz: Die Uhr tickt

Sanierungsmassnahmen

02.02.2021

Die Betreiber von Wasserkraftwerken müssen bei ihren Anlagen Anpassungen vornehmen, um dem Gewässerschutz gerecht zu werden. Ziel des Gesetzgebers ist, dass neben den Nutzungs- auch den Schutzinteressen heimischer Gewässer mehr Gewicht beigemessen wird. Eine entsprechende Sanierung muss bis spätestens 2030 eingeleitet werden.

Durch die Annahme der Änderung des Gewässerschutzgesetzes am 11. Dezember 2009 wurde der Grundstein für einen Gewässerschutz unter Berücksichtigung von Schutz- und Nutzungsinteressen gelegt. Spätere Revisionen traten mit dem Ziel in Kraft, die Gewässer als Lebensraum aufzuwerten und negative Auswirkungen aus der Wasserkraftnutzung zu minimieren. Inhaber von Wasserkraftanlagen sind in der Pflicht, bis 2030 die Sanierung gemäss der erhaltenen Verfügung Sanierungspflicht einzuleiten.

Die Kantone vollziehen das Umweltrecht für den Bund

Heute ist ungefähr die Hälfte des Wegs bis zum Zieldatum 31. Dezember 2030 zurückgelegt. Bis zu diesem Termin ist die Finanzierung sichergestellt. Doch der Weg vom Vorprojekt bis zur Erfolgskontrolle ist noch weit und steinig. Wenn schon heute mit der Planung der Massnahmen begonnen wird, sorgt man für eine gute Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und gerät bei einem gesunden Ökosystem nicht ins Hintertreffen.

Mit Inkrafttreten der Revision des neuen Gewässerschutzgesetzes (GSchG, SR 814.20) am 1. Januar 2011 wurden weitere Revisionen aktiv, welche im Zusammenhang mit der Renaturierung der Gewässer stehen. So erfuhr die Gewässerschutzverordnung (GSchV) am 1. Juni 2011 eine Revision, und das Bundesgesetz über den Wasserbau (vom 21. Juni 1991, WBG, SR 721.100), das Energiegesetz (vom 26. Juni 1998, EnG, SR 730.0) und das Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (vom 4. Oktober 1991, BGBB, SR 211.412.11) wurden angepasst.[1]

Die Revisionen verfolgen das Ziel der Renaturierung der Gewässer. Schaut man genauer hin, umfasst die Renaturierung die Bereiche der Revitalisierung von Fliessgewässern, stehenden Gewässern und Auen, die Wiederherstellung der freien Fischwanderung und des Geschiebehaushalts, der Sanierung des Schwall-Sunks und die Koordination wasserwirtschaftlicher Vorhaben.

Für den Inhaber oder Konzessionär einer oder mehrerer Wasserkraftanlagen bilden hauptsächlich zwei Gesetzesartikel die Basis für die Sanierungsmassnahmen: Artikel 83a des GSchG und Artikel 10 des BGF. Artikel 83a des GSchG (Sanierungsmassnahmen) verweist auf die weiteren Artikel 39a GSchG (Schwall und Sunk) und Artikel 43a GSchG (Geschiebehaushalt). Worin im Artikel 10 beziehungsweise Artikel 9 des Bundesgesetzes über die Fischerei (vom 21. Juni 1991, BGF, SR 923.0) Massnahmen vorgeschrieben werden können, so zum Beispiel die Sicherstellung der freien Fischwanderung.

Die Massnahmenbereiche kurz erklärt

Fischwanderung Die Fischwanderung umfasst im Allgemeinen eine von vielen Fischarten entwickelte Verhaltensweise, welche ihnen ermöglicht, verschiedene Lebensräume zu nutzen. Diese Wanderungen erfolgen an Fliessgewässern auf- und abwärtsgerichtet und sind bedeutend für die Fortpflanzung und den Bestand diverser Fischarten.

Schwall-Sunk Schwall- und Sunkbetrieb sind negative, unnatürliche Auswirkungen, welche beim Betrieb einer Wasserkraftanlage entstehen können. Sie zeigen sich in den teils grossen Unterschieden der Abflussschwankungen. Schwall entsteht durch Turbinierung und Abgabe grosser Wassermengen ins Gewässer. Mit verminderter Turbinierung, zum Beispiel durch eine geringere Nachfrage an Energie, reduziert sich als Folge der Abfluss im Rückgabegewässer auf ein Minimum. Diese Einflüsse auf die Gewässer bedrohen die Entwicklung und Artenvielfalt vieler darin lebender Organismen, zum Beispiel durch Auswaschung, Verschiebung, Schädigung oder Verdrängung an die Uferzone.

Geschiebehaushalt Sediment- und Abflussdynamik bestimmen die Morphologie von Fliessgewässern sowie ihre ökologische Funktionsfähigkeit. Die Sedimentdynamik vieler Fliessgewässer ist stark beeinträchtigt. Der Mensch hat die Sedimentdynamik durch Stauanlagen, Verbauungen und Begradigung mit zahlreichen ökologischen Folgen stark verändert. So führen etwa viele der grossen Mittellandflüsse kaum noch Geschiebe. Anderseits gibt es Fliessgewässer, welche einen Überschuss an Sedimenten aufweisen. Die Bedeutung der Sedimente für die Funktionsfähigkeit von Fliessgewässern ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Sedimente werden oft erst dann bewusst wahrgenommen, wenn sie bei Hochwasser oder Murgängen aus dem Flussbett austreten und zu einer Gefahr für Menschen, Siedlungen oder Infrastrukturanlagen werden. Durch eine gute Balance soll erodiertes Material ersetzt und damit eine regelmässige Erneuerung der Kiesbänke und des Substrates vorangetrieben werden. Der natürliche Geschiebehaushalt fördert damit positiv die Ökologie eines Gewässers, deren Wasserqualität und im Weiteren die Anreicherung des Grundwassers. Und der natürliche Geschiebehaushalt gestaltet Lebensräume für eine Vielzahl an Fischarten, Insektenlarven oder sogar für einzelne Vogelarten.

Finanzielle Unterstützung ist bis Ende 2030 zugesichert

Die Sanierung für Inhaber oder Konzessionäre von bestehenden Wasserkraftanlagen wird hohe Kosten generieren. Unter anderem werden beispielsweise neue Auf- und Abstiege für Fische eingebaut, die Schmutzrechen vergrössert oder auch Anpassungen am Bachlauf vorgenommen, um nur einige Massnahmen zu nennen. Für gewisse Sanierungsarbeiten wird zudem das Kraftwerk temporär oder in Ausnahmefällen vollumfänglich stillgelegt. Während dieser Zeit kann es keinen Umsatz erwirtschaften.

Für die einleitend genannten notwendigen Sanierungsmassnahmen werden die Inhaber durch die nationale Netzgesellschaft (Swissgrid) entschädigt. Anrechenbare einmalige Kostenelemente sind zum Beispiel Planungs- und Projektierungskosten, Anschaffungskosten für Land oder Liegenschaften, Baukosten, Kosten für neue Steuertechnik, Ausfallkosten, Erlöseinbussen aufgrund von Minderproduktion.

Die Investitionen zu den Sanierungsmassnahmen, welche vollumfänglich anrechenbar sind, werden durch einen Zuschlag von 0,1 Rp./kWh auf die Übertragung der Hochspannungsnetze finanziert.[2] So kommen jährlich etwa 5o Mio. Franken zusammen; und dies seit 2012. Allerdings werden nur jene Massnahmen entschädigt, welche nach dem 1. Januar 2011 und vor dem 31. Dezember 2030 eingeleitet wurden.

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) stellt auf seiner Webseite ein Modul der Vollzugshilfe «Renaturierung der Gewässer» zur Verfügung, welches aufzeigt, welche Schritte zur Finanzierung der Massnahmen notwendig sind. Im Detail zeigt das Modul auf, welche Voraussetzungen für eine Entschädigung gelten und welche Voraussetzungen für ein Entschädigungsgesuch eingehalten werden müssen. Es präzisiert ausserdem die anrechenbaren Kosten dieser Massnahmen und beschreibt Verfahren und Auszahlungsmodalitäten. Erfolgt der Start für die Sanierungsmassnahmen nach dem 31. Dezember 2030, wird der Inhaber der Wasserkraftanlage automatisch für die Finanzierung der Investitionen verantwortlich. Wird eine Wasserkraftanlage aus wirtschaftlichen Gründen oder infolge fehlender baulicher Anpassungen permanent stillgelegt, muss hier noch abgeklärt werden, was mit der geschlossenen Anlage geschieht und wer die Folgekosten zu tragen hat.

Vom Vorprojekt bis zur Erfolgskontrolle

Für einen Aussenstehenden scheint eine Planungs- und Realisierungszeit von noch verbleibenden knapp zehn Jahren eine lange Zeit zu sein. Bedenkt man allerdings die vielen zeitraubenden Hürden im Sanierungsprozess, wird die Zeit bis 2030 langsam eng.

Von Grund auf soll die Planung nicht auf die bestmögliche Variante ausgerichtet sein. Die Massnahmen werden nur dann gutgeheissen, wenn die konkreten Massnahmen die rechtlichen Bestimmungen einhalten und auch wirtschaftlich sind. Die Realisierung der Massnahmen muss bis zum 31. Dezember 2030 gestartet sein. Wichtig ist, den Entscheid von
Swissgrid, dass die Entschädigung im Grundsatz zugesichert ist, abzuwarten.

Die Vollzugshilfe «Renaturierung der Gewässer» des Bafu richtet sich primär an Vollzugsbehörden und ist in mehrere Module unterteilt. Für die strategische Planung stehen zum Beispiel Unterlagen zur Revitalisierung der Fliessgewässer, zur Wiederherstellung der Fischwanderung sowie zur Sanierung des Geschiebehaushalts und des Schwall-Sunks zur Verfügung. Anhand dieser Planungshilfen wird das zweckmässige Vorgehen aufgezeigt, wie solche Massnahmen erfüllt werden können.

Der Inhaber einer Wasserkraftanlage erhält am Beispiel einer bevorstehenden Schwall-Sunk–Sanierungsmassnahme [3] vom kantonalen Amt für Umwelt (AFU) eine Verfügung mit einer Anordnung der Sanierungspflicht. Die Anordnung nimmt bereits Bezug auf die vom AFU beschlossenen strategischen Planungen und auf durchgeführte Studien über Art und Umfang der Massnahmen. Der Inhaber wird darin verpflichtet, die Varianten zu den Sanierungsmassnahmen zu prüfen und die Bestvariante zu wählen. Anderseits wird er zur Ausarbeitung eines Sanierungskonzepts verpflichtet. Mit den strategischen Planungen werden die Fristen für Planung und Umsetzung der Massnahmen bereits festgelegt.  Da eine aktuelle Dokumentation des Zustandes des Gewässers vor dem eigentlichen Projektstart bereits vorliegt, wird der Inhaber zur Ausarbeitung einer Erfolgskontrolle der Sanierungsmassnahmen aufgefordert.

Aus dieser Grundlage heraus startet der Inhaber das Vorprojekt, in dem die Varianten vertieft ausgearbeitet werden. Unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Grundlagen, der baulichen Möglichkeiten und einem geeigneten Monitoring-Konzept wird dem AFU die geeignetste Variante (Bestvariante) vorgeschlagen. Die mitwirkenden Fachstellen prüfen die Varianten und definieren die geeignetste Variante für die Sanierungsmassnahmen. Dem Bafu wird nun die Bestvariante zur Prüfung abgegeben.

Zwischenzeitlich startet der Kraftwerksinhaber die weitere Planung des Bauprojekts und reicht diese zur Prüfung bei der Gemeinde ein. Die Gemeinde gibt eine Stellungnahme ohne Auflage des Bauprojekts dem Kanton ab. Sind sich Kanton und Bund einig, legt die Gemeinde das Bauprojekt öffentlich auf und gibt das Dossier nach der Auflagefrist zurück an den Kanton. Dieser behandelt etwaige Einsprachen und erteilt eine Baubewilligung an den Inhaber der Wasserkraftanlage. Dieser reicht nun das Gesuch für die Zusicherung der Entschädigung beim Kanton ein. Der Kanton wiederum stellt mit der Stellungnahme einen Antrag auf Zusicherung der Entschädigung beim Bund. Letztinstanzlich entscheidet Swissgrid über eine Zusicherung oder Ablehnung. Mit der Zusicherung ist der Inhaber nun in der Lage, die Sanierungsmassnahmen umzusetzen. Im Anschluss an die Sanierungsarbeiten werden die entstandenen Kosten für den Kanton zusammengestellt. Dieser gibt eine Stellungnahme an den Bund ab und stellt den Antrag auf Entschädigung, welcher die Höhe der Auszahlung definiert und zur Rechnungsstellung durch den Inhaber freigibt. Danach erfolgt die Auszahlung.

Nach Einsetzung der Wirkungskontrolle folgt die Kostenzusammenstellung bis zur Auszahlung nach demselben Muster wie bei den Sanierungsmassnahmen.

Bleibt nach der Sanierung alles beim Alten?

Die durch die Umsetzung der Massnahmen direkt entstandenen einmaligen Kosten wurden bereits weiter oben behandelt. Über diese anrechenbaren Kosten hinaus können weitere einmalige oder wiederkehrende Kosten entstehen. Durch die notwendigen Eingriffe kann es zum Beispiel zu erhöhten Betriebs- und Unterhaltskosten kommen. Diese werden vom Inhaber der Anlage getragen.

Klar definiert wird auch der Fall, in dem das Zieldatum 2030 durch den nicht erfolgten Start der Umsetzung der Massnahmen nicht eingehalten werden kann. Dabei wird an den gesetzlichen Grundlagen weiterhin festgehalten, wobei die Finanzierung der Massnahmen vollumfänglich dem Inhaber der Wasserkraftanlage zufällt.

Die dringend notwendigen und gesetzlich verankerten Sanierungsmassnahmen helfen der Natur, die Ansiedlung verschiedenartiger Fischbestände besser zu regulieren. Durch die Wasserkraftnutzung entsteht Schwall-Sunk. In Schweizer Fliessgewässern herrscht heute auf über 2000 km ein Geschiebedefizit, und die Fischdurchgängigkeit wird durch 100'000 Hindernisse mit einer Grösse von über 50 cm massiv erschwert.[4] Durch die Sanierungsmassnahmen wird wieder ein Gleichgewicht zwischen der Nutzung und dem Schutz der Gewässer hergestellt.

Die Planungs- und Realisierungsprozesse können je nach Standort und Grösse der Wasserkraftanlage höchst anspruchsvoll werden. Oftmals gibt es kaum bauliches Expansionspotenzial. Ist ein Kraftwerk zum Beispiel felsnah und in einem engen Tal eingebaut worden, wird eine Erweiterung der Anlage erschwert. Auf- und Abstieganlagen für Fische benötigen in der Regel sehr viel zusätzlichen Platz, damit sich die Fische beim Passieren nicht verletzen. Die Rechen vor den Kraftwerken erhalten kleinere Stababstände, was im Gegenzug eine massive Vergrösserung der Rechenfläche zur Folge hat. Und bei allen baulichen Sanierungsmassnahmen kann eventuell nicht auf eigene Landreserven zurückgegriffen werden, was langwierige Verhandlungen über einen Land­erwerb zur Folge haben kann. Und zu guter Letzt können die Massnahmen mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Daher ist jetzt die Zeit, um zu handeln.

Referenzen

[1]   «Ökologische Sanierung bestehender Wasserkraftanlagen: Finanzierung der Massnahmen», Bafu (Hrsg.), 23. November 2016.
[2]   «Schwall-Sunk – Massnahmen», Bafu, 28. April 2017.
[3]   Mario Koksch, «Geschiebemanagement in der Schweiz», 8. November 2018.
[4]   «Revitalisierung Fliessgewässer – Strategische Planung», Bafu, Werner Göggel, 8. März 2012.

Autor
Marco Schär

ist Teamleiter Betrieb Kraftwerke & Instandhaltung bei Esolva AG.

  • Esolva AG, 8670 Weinfelden

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