Gemeinsam voran – jetzt erst recht
Top-Themen der Energiepolitik
Fakten, Meinungen, Diskussion: Der traditionelle Top-Themen-Anlass ist das Tête-à-Tête der Branche mit den Akteuren der Energiepolitik. Nach dem Nein zum CO2-Gesetz und dem Aus für das Rahmenabkommen mit der EU stellte sich – auch am Top-Themen-Anlass des VSE – die Frage, wie es nun politisch weitergeht.
VSE-Direktor Michael Frank eröffnete den Anlass mit einem klaren Votum: «Die Branche ist bereit, ihre zentrale Rolle auf dem Weg zu netto null Treibhausgasemissionen zu spielen.» Elektrifizierung sei der Schlüssel zu einer erfolgreichen Dekarbonisierung. «Das Nein zum CO2-Gesetz ist eine Tatsache, der menschgemachte Klimawandel aber auch», sagte Michael Frank – und zog den Vergleich zum Schicksal der Dinosaurier, die wohl wegen drastischer klimatischer Veränderungen ausgestorben seien. «Das gilt es jedenfalls zu verhindern.»
Updates aus dem Bundeshaus und aus Brüssel
Pascal Previdoli, Stellvertretender Direktor des BFE, brachte die Anwesenden per Live-Schaltung auf den neusten Stand der nationalen Energiepolitik. Gemäss den Energieperspektiven 2050+ sollen fossile Energieträger, von deren Import die Schweiz stark abhängt, sukzessive einen immer geringeren Anteil am Endenergieverbrauch ausmachen. Und auch Previdoli bestätigte: «Strom muss zum zentralen Energieträger für die Sektoren werden, die noch den Löwenanteil der CO2-Emissionen verursachen: Wärme und Mobilität.» Inländische Potenziale für Erneuerbare sollten stark ausgenutzt werden, Fernwärme gewinne an Bedeutung. Das BFE sieht einen Anstieg des Stromverbrauchs auf 84 TWh bis 2050 (Verbrauch 2020: 59,9 TWh). Das ambitionierte Ziel bis 2050: Zusätzliche 39 TWh Strom aus erneuerbaren Energien – eine Verzehnfachung von Solar, Wind und Co. im Vergleich zu heute (4 TWh).
Das Nein zum CO2-Gesetz sei kein Nein zur dringend nötigen Klimapolitik. Der Bundesrat suche nun das Gespräch mit dem Parlament und allen relevanten Akteuren. «Wir werden Massnahmen identifizieren, die mehrheitsfähig sind», so Previdoli. «Was, wenn die Zubauziele nicht erreicht werden können?», fragte Michel Frank. Gaskraftwerke seien als Backup denkbar, in Verbindung mit Carbon Capturing, also nur, wenn sie CO2-neutral betrieben werden könnten.
Dominique Martin, Leiter Public Affairs und Mitglied der Geschäftsleitung des VSE, sprach von der nötigen «Neuerfindung des Rades» in Bezug auf das Netto-null-Ziel. Mehrere grosse Themen müssten in Einklang und gemeinsam ins Rollen gebracht werden: «Die Dekarbonisierung erfordert erneuerbare Energien. Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit müssen diese in ausreichendem Mass in Inland bereitgestellt werden können.» Dies bedürfe einer besseren Planungs- und Investitionssicherheit, einerseits durch Anreize und andererseits durch eine Klärung der Verfahren. Konflikte mit dem Schutz von Umwelt und Landschaft seien absehbar – und müssten gelöst werden. Und bei alledem dürfen die Konsumenten beziehungsweise Wähler nicht vergessen werden, für welche die finanziellen Folgen und individuellen Wahlfreiheiten im Vordergrund ständen. «Der Schutz des Klimas ist Schutz der Biodiversität – erneuerbare Energien sind das Fundament dafür.» Es brauche eine rationale Güterabwägung im Gesamtinteresse der Gesellschaft, damit der Zubau der Erneuerbaren tatsächlich fortschreiten könne.
Christian Bühlmann, Botschaftsrat Mission der Schweiz bei der Europäischen Union, machte die Anwesenden mit dem Grossprojekt «European Green Deal» vertraut. Klar wurde dabei: Die EU-Strommarktintegration schreitet voran – aber ohne die Schweiz. Die bitteren Folgen seien eine ineffiziente Allokation von Grenzkapazitäten, entgangene Handelschancen und höhere Preise, ja verminderte Wohlfahrt. Doch wie weiter mit den bilateralen Beziehungen CH-EU? «Was die EU nicht mag, sind ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile», sagte Bühlmann. Nach den abgebrochenen Verhandlungen zum institutionellen Rahmenabkommen sollte man sich daher eine einseitige Anpassung an EU-Marktregeln überlegen.
Wohin geht die energiepolitische Reise?
Jürg Meier, Wirtschaftsredaktor der NZZ am Sonntag, moderierte das Podium mit den Nationalrätinnen Gabriela Suter (SP/AG), Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP/SG) und Priska Wismer-Felder (Die Mitte/LU).
Die Runde war sich einig darin, dass man mit dem CO2-Gesetz den grössten gemeinsamen Nenner gefunden habe – und das Scheitern der Vorlage in vielerlei Hinsicht ein «Zurück auf Start» bedeute. «In der letzten Sitzung der Urek-N herrschte nicht einmal bezüglich Verlängerung der CO2-Massnahmen Einstimmigkeit», so Gabriela Suter. Daran könne man gut ersehen, wie es derzeit um den Konsens der Parteien stehe. «Wir wollen mit der SVP zusammenarbeiten», sagte Susanne Vincenz-Stauffacher. Ihre Partei werde auch weiterhin für die Klimapolitik einstehen. Die Gletscherinitiative sei nun wichtig, weil das Parlament damit am Klimathema dranbleibe. «Als Partei sind wir aber für den Gegenvorschlag, weil wir kein Verbot fossiler Energien wollen.» Photovoltaik und Windkraft fanden ihre Fürsprecherinnen in Gabriela Suter (Vizepräsidentin Swissolar) und Priska Wismer-Felder (Vizepräsidentin Suisse-Eole), doch auch die Frage, wie lange die Kernkraftwerke noch einen Beitrag zur Schweizer Energieversorgung leisten werden, wurde diskutiert. «Wir denken gerne in Alternativen», sagte Susanne Vincenz-Stauffacher. Daher sei es richtig, eine längere Betriebszeit als Option zu haben.
Aus dem Publikum kam die Frage, ob der Schweiz der Pioniergeist verloren gegangen sei, wenn man heute über jedes noch so kleine Wasserkraftwerk streite, aus Gründen des Landschaftsschutzes. Und sowohl die FDP als auch die Mitte räumten ein, dass es mehr Kompromissbereitschaft brauche. «Wir haben bei der Pa.Iv. Girod über die Grenzen der Förderwürdigkeit gestritten», sagte Susanne Vincenz-Stauffacher: «Gerade bei der Wasserkraft sollten wir zugunsten des Zubaus vorwärtsmachen.»
Auch VSE-Direktor Michael Frank färbte sein Schlusswort mit der Schutz-Nutzen-Thematik: «Wir haben einen Entscheidstau, was die Massnahmen angeht, die jetzt zum Klimaschutz notwendig sind – wie den Zubau der Erneuerbaren.» Nun gelte es, Verantwortung zu übernehmen.
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